Negationspartikelentwicklung in der Textgeschichte: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 11. September 2023, 11:08 Uhr

Die Negationspartikel im Deutschen haben einen Wandel im Laufe der Textgeschichte durchlaufen. Das zugrundeliegende Phänomen in dieser Entwicklung ist in der Sprachgeschichte als "Jespersen Zyklus" bekannt. In diesem Artikel wird die Entwicklung der Negationspartikel mit Hilfe des Jespersen Zyklus beschrieben und anschließend noch syntaktisch begründet.


Der Jespersen Zyklus

Jespersen Zyklus
"Jespersen's Cycle - the repeated pattern of successive weakening and restrengthing of the negative marker." [Horn 1998:446]

Wie Horn (1998) in dem Zitat prägnant zusammenfasst, beschreibt der Jespersen Zyklus ein sich wiederholendes Muster der Schwächung und Verstärkung des negativen Markers. Jespersen (1917) beschreibt dieses Phänomen als zyklisch und unterteilt es in mehrere Schritte. Im ersten Schritt wird die Negation durch einen einzigen Partikel ausgedrückt. In der Entwicklung zum zweiten Schritt wird der Negationspartikel zu einem Klitikon. Zusätzlich tritt eine Verstärkung durch einen grammatikalisierten Minimierer oder einen Indefiniten. Daraus resultiert in Stufe zwei eine Negation bestehend aus zwei Teilen, dem Klitikon und einem verstärkendes Morphem. Das Klitikon wird im nächsten Schritt fakultativ und verschwindet letztendlich ganz. Dadurch besteht die Negation in der dritten Stufe nur noch aus dem ursprünglich verstärkendem Morphem. Anschließend schließt sich der Kreis wieder und es das freie Morphem entwickelt sich wieder in ein Klitikon, dass den Zyklus erneut durchlaufen wird. [Jespersen 1917] Das Muster des Jespersen Zyklus lässt sich in vielen Sprachen erkennen, wie zum Beispiel Englisch, Französisch oder Niederländisch. [Lenz 2018:184] In den nächsten Abschnitten wird die Entwicklung des Negationspartikel im Deutschen näher betrachtet.

Althochdeutsch

Das Althochdeutsche wird ca. zwischen 750 und 1050 datiert. [Jäger 2005:227] Wie an den Beispielen aus [Otfrid] zu erkennen ist, wird die Negation aus dem Partikel ni gebildet. Dieser stammt aus dem Protogermanischen.

  1. Thaz síe ni wesen éino
dass sie NEG sind allein
"dass sie nicht alleine sind"
(O Ι. 1,115)[1]
  1. ni mohta inbéran sin
sie NEG konnte entbehren ihn
"sie konnte ihn nicht entbehren"
(O Ι. 8, 3)
  1. sie ni múasun gan so fram
sie NEG müssen gehen so weit
"sie müssen nicht so weit gehen"
(O ΙV. 20, 4)

Zum Ende der Periode des Althochdeutschen wurde der Partikel ni phonologisch zu ne oder en abgeschwächt.

Mittelhochdeutsch

Die Periode des Mittelhochdeutschen (1050 - 1350) ist durch eine zweiteilige Negation geprägt.[Jäger 2005:228] Beispielhaft dafür sind die folgenden Sätze aus dem Parzival:

  1. er enmac es vor jâmer niht enthaben
er NEG kann es vor Sehnsucht NEG zurückhalten
"er kann es vor Sehnsucht nicht zurückhalten"
(P 180, 1)[2]
  1. Ich enbin z niht
Ich NEG bin es NEG
"Ich bin es nicht"
(P 476, 24)
  1. daz enschadete in an den ougen niht
dass NEG schadete ihn an den Augen NEG
"dass schadete seinen Augen nicht"
(P 487, 3)

Hier besteht die Negation aus den beiden Teilen en und niht. Alternativ gab es auch die Variante ne und niht in Kombination. Beides stellt die vom Jespersen Zyklus vorhergesagte zweiteilige Negation im zweiten Schritt da, die die ursprüngliche Variante verstärkt. Dabei ist außerdem wichtig, dass bei beiden Fällen nur der erste Teil ein Klitikon ist und sich mit dem Verb bewegt.

Frühneuhochdeutsch

Zu Beginn der Frühneuhochdeutschen Periode (1350 - 1650) geht der enklitische Partikel verloren. [Jäger 2005:229] Als Resultat bleibt nur noch das freie Morphem niht erhalten und bildet somit alleine die Negation. Die Bespiele aus [Ereck] sind aus der Handschrift K, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand und verkörpert diese Negation:

  1. Ob iuch des niht bedruzet
Wenn euch das NEG stört
"Wenn es euch nicht stört"
(E 8572, Hs. K)[3]
  1. Vindet ir sin denne niht
Findet ihr ihn dort NEG
"Findet ihr diesen aber nicht"
(E 8601, Hs. K)
  1. Ich niht fragen getar
Ich NEG fragen wage
"nach denen ich nicht genau zu fragen wage"
(E 9425, Hs. K)

Auch heute noch wird diese Variante der Negation benutzt. Allerdings wird der Partikel inzwischen als nicht bezeichnet. Anders als im Englischen hat das Deutsche die zyklische Bewegung zu Stufe 1 zurück, wie es der Jespersen Zyklus beschreibt, noch nicht durchlaufen. [Jäger 2005:241]

Syntaktische Analyse

Syntaxbaum der Negation


Anmerkungen

  1. Im Folgenden steht die Abkürzung "O" immer für folgende Ausgabe: [Otfrid].
  2. Im Folgenden steht die Abkürzung "P" immer für folgende Parzival Ausgabe: [Parzival].
  3. Im Folgenden steht die Abkürzung "E" immer für folgende Ereck Ausgabe: [Ereck].


Literaturverzeichnis

<HarvardReferences />

[*Horn 1998]Horn, L.R. 1989, A natural history of negation, 1. print edn, Univ. of Chicago Press, Chicago, Ill. [u.a.].

[*Jäger 2005]Jäger, A. 2005, "Negation in Old High German", Zeitschrift für Sprachwissenschaft, vol. 24, no. 2, pp. 227-262.

[*Jespersen 1917]Jespersen, O. 1917, Negation in English and other languages, Hœst, Kœbenhavn.

[*Lenz 2018]Lenz, B. 2018, "Negationsverstärkung und Jespersens Zyklus im Deutschen und in anderen europäischen Sprachen" in Deutsch - Typologisch, eds. E. Lang & G. Zifonun, Originally publish 1996 edn, De Gruyter, Berlin, Boston, pp. 183-200.


Textausgaben

[*Ereck]Hartmann von Aue, Reuvekamp-Felber, T., Hammer, A., Millet, V., Merten, L. & Walter de Gruyter GmbH & Co. KG 2022, Ereck: Texte sämtlicher Handschriften - Übersetzung - Kommentar, 2., überarbeitete Auflage edn, De Gruyter, Berlin;Boston;.

[*Parzival]Wolfram von Eschenbach & Reichert, H. 2019, Wolfram von Eschenbach: Parzival, Praesens Verlag, Wien.

[*Otfrid]Otfrid von Weißenburg & Kleiber, W. 2006, Evangelienbuch Bd. 2, Edition der Heidelberger Handschrift P (Codex Pal. Lat. 52) und der Handschrift D (Codex Discissus: Bonn, Berlin/Krakau, Wolfenbüttel) / hrsg. und bearb. von Wolfgang Kleiber .Texte (P, D) / hrsg. und bearb. von Wolfgang Kleiber, Niemeyer, Tübingen.