Fremdheit und Identität im Parzival: Unterschied zwischen den Versionen

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Später erreicht Parzival tatsächlich den Artushof und wird Teil der legendären Tafelrunde, doch ist es nur eine Integration zum Schein, denn sich wirklich einfügen in die höfische Gesellschaft kann er sich nicht, auch wird er von König Artus, entgegen seines eigenen Glaubens, nicht zum Ritter geschlagen.[Bumke 2004: Vgl. S. 156] Zweimal befindet er sich bei der Artusgesellschaft und jeweils am nächsten Tag reist er schon wieder ab, er bleibt während des Romans ein ewig Rastloser, Suchender. Ursprung dieser Suche ist unglückliches Parzivals Versagen bei seinem ersten Aufenthalt auf der Gralsburg. Um den leidenden König Anfortas zu erlösen müsste er ihn nur einmal nach seinem Befinden fragen, doch Parzival hält sich eisern an den Ratschlag Gurnemanz‘ er solle keine Fragen stellen und stürzt die Gralgesellschaft damit in große Verzweiflung.[Classen 1997: Vgl. S. 62] Die markiert einen entscheidendes Merkmal von Parzivals Fremde, der Kommunikation. Der Held tut sich vor allem im Umgang mit Menschen sehr schwer und ist nur eingeschränkt in der Lage eine zielführende Kommunikation herzustellen, infolgedessen hält er sich zwanghaft an die teilweise stark unzureichenden Ratschläge seiner Lehrer, Herzeloyde und Gurnemanz.[Classen 1997: Vgl. S. 61 & 63]
Später erreicht Parzival tatsächlich den Artushof und wird Teil der legendären Tafelrunde, doch ist es nur eine Integration zum Schein, denn sich wirklich einfügen in die höfische Gesellschaft kann er sich nicht, auch wird er von König Artus, entgegen seines eigenen Glaubens, nicht zum Ritter geschlagen.[Bumke 2004: Vgl. S. 156] Zweimal befindet er sich bei der Artusgesellschaft und jeweils am nächsten Tag reist er schon wieder ab, er bleibt während des Romans ein ewig Rastloser, Suchender. Ursprung dieser Suche ist unglückliches Parzivals Versagen bei seinem ersten Aufenthalt auf der Gralsburg. Um den leidenden König Anfortas zu erlösen müsste er ihn nur einmal nach seinem Befinden fragen, doch Parzival hält sich eisern an den Ratschlag Gurnemanz‘ er solle keine Fragen stellen und stürzt die Gralgesellschaft damit in große Verzweiflung.[Classen 1997: Vgl. S. 62] Die markiert einen entscheidendes Merkmal von Parzivals Fremde, der Kommunikation. Der Held tut sich vor allem im Umgang mit Menschen sehr schwer und ist nur eingeschränkt in der Lage eine zielführende Kommunikation herzustellen, infolgedessen hält er sich zwanghaft an die teilweise stark unzureichenden Ratschläge seiner Lehrer, Herzeloyde und Gurnemanz.[Classen 1997: Vgl. S. 61 & 63]
Erst als er nach jahrelanger Suche bei zu Trevrizent gelangt, wird er umfassend mit seiner Umwelt, der Religion und den Umständen der Gralgesellschaft vertraut gemacht. Mit dieser Ausbildung im Rücken kommt er zweites Mal auf die Gralsburg und holt die versäumte Frage nach, wodurch er zum Erlöser der Gesellschaft dort und zum neuen König wird. Dies ist jedoch für Parzival keine Integration, so ist er als König in der isolierten Position des Herrschers und nicht Teil der von Wolfram beschriebenen ''ritterlîchen bruoderschaft'' der Templeise, sondern bleibt der ''tumbe man'', welcher er zu Beginn seiner Geschichte war.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Doch als glücklicher Ehemann, Vater und König eines wundersamen Reiches stellt sich für ihn diese Frage auch nicht mehr.
Erst als er nach jahrelanger Suche bei zu Trevrizent gelangt, wird er umfassend mit seiner Umwelt, der Religion und den Umständen der Gralgesellschaft vertraut gemacht. Mit dieser Ausbildung im Rücken kommt er zweites Mal auf die Gralsburg und holt die versäumte Frage nach, wodurch er zum Erlöser der Gesellschaft dort und zum neuen König wird. Dies ist jedoch für Parzival keine Integration, so ist er als König in der isolierten Position des Herrschers und nicht Teil der von Wolfram beschriebenen ''ritterlîchen bruoderschaft'' der Templeise, sondern bleibt der ''tumbe man'', welcher er zu Beginn seiner Geschichte war.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Doch als glücklicher Ehemann, Vater und König eines wundersamen Reiches stellt sich für ihn diese Frage auch nicht mehr.
 
==Gawan==
==Gawan==
Das genaue Gegenstück zum Fremden Parzival findet sich in Gawan, dem zweiten Held und Protagonisten des Romans, denn analog zu Parzivals Identitätssuche begibt sich Gawan auf ein langes Identitäs-Versteckspiel.[Bumke 204: S. 155] Gawan ist der Neffe des großen König Artus und somit Zeit seines Lebens in die höfische Gesellschaft integriert, darüber hinaus lobt ihn der Erzähler, unter anderem, als „höchste(n) Stolz der Tafelrunde“. (301, 7) Gawan ist somit keinesfalls ein Unbekannter, sondern ein Prominenter, dessen Name überall wo er hinkommt geläufig ist.  
Das genaue Gegenstück zum Fremden Parzival findet sich in Gawan, dem zweiten Held und Protagonisten des Romans, denn analog zu Parzivals Identitätssuche begibt sich Gawan auf ein langes Identitäs-Versteckspiel.[Bumke 204: S. 155] Gawan ist der Neffe des großen König Artus und somit Zeit seines Lebens in die höfische Gesellschaft integriert, darüber hinaus lobt ihn der Erzähler, unter anderem, als „höchste(n) Stolz der Tafelrunde“. (301, 7) Gawan ist somit keinesfalls ein Unbekannter, sondern ein Prominenter, dessen Name überall wo er hinkommt geläufig ist.  

Version vom 9. Juli 2012, 11:34 Uhr

Fremdheit und Identität sind zentrale Themen von Wolframs von Eschenbach Parzival.[Bumke 2004: Vgl. S. 154] Der Titelheld wächst fernab von jeglicher Zivilisation auf und muss sich in einer Welt, die er nicht kennt und zuerst nicht begreift zurechtfinden, während der zweite Held des Romans, Gawan, bereits Teil der Gesellschaft und des höfischen Lebens ist. Die beiden sehr gegensätzlichen Charaktere bilden völlig verschiedene Identitäten ab, welche aufgrund ihrer Beschaffenheit unterschiedlichen Einfluss auf die höfische Gesellschaft ausüben. Darüber hinaus ist der Einbau eines imaginierten Orients signifikant für den Roman, sowie die daraus resultierende Auseinandersetzung mit der dargestellten Andersartigkeit und Eigenheit.

Parzival

Parzivals Vater, Gahmuret, stirbt ohne seinen Sohn jemals zu Gesicht bekommen zu haben, seine Mutter, Herzeloyde, beschließt darauf Parzival von jeglichem höfischen Leben fernzuhalten und mit ihm und ihrer Hofdienerschaft, welcher sie es unter Androhung der Todesstrafe verbietet Rittertum oder Ritter zu erwähnen, in die Wildnis von Soltane zu ziehen. (117, 7f.) [1] Hier wächst Parzival also ohne Kenntnis von Gott, Rittern oder Zivilisation auf. Die von Herzeloyde verhängte Quarantäne hält allerdings nicht ewig an, denn der Knabe entdeckt eines Tages im Wald drei Ritter vom Hofe König Artus‘ und wird infiziert vom Gedanke, selbst Ritter zu werden und dem Artushof beizutreten. (126, 9-14) Seine Mutter gibt ihm vor seiner Abreise noch ein paar entscheidende Ratschläge und lässt ihm Kleidung, ein Narrenkleid, nähen. So ausgestattet reist Parzival unwissend Richtung Artushof. Parzival zieht kenntnis- und namenlos aus in eine fremde Welt, in welcher er für seine Schönheit und seine Kraft bewundert und umschwärmt wird, womit er allerdings nicht allzu viel anfangen kann.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Seinen Namen erfährt er dann erst von Sigune, denn er selbst kannte nur die Koseworte seiner Mutter. (140, 16) In seiner Anfangszeiten als Reisender fügt er seiner Umwelt erheblichen Schaden zu und mutiert statt zum Ritter eher zu einer blutigen Karikatur, denn er verübt Totschlag und Raub ohne Rücksicht auf seinen jeweiligen Gegenüber.[Bumke 2004: S. 156] Parzival ist der Inbegriff des Fremden, welcher sich, passend zu seiner Kleidung, narrenfrei durch die zivilisierte Welt bewegt und konsequent Fehler nach Fehler auf seinem Weg im Umgang mit anderen Menschen begeht.[Karg 1993: Vgl. S. 23] Später erreicht Parzival tatsächlich den Artushof und wird Teil der legendären Tafelrunde, doch ist es nur eine Integration zum Schein, denn sich wirklich einfügen in die höfische Gesellschaft kann er sich nicht, auch wird er von König Artus, entgegen seines eigenen Glaubens, nicht zum Ritter geschlagen.[Bumke 2004: Vgl. S. 156] Zweimal befindet er sich bei der Artusgesellschaft und jeweils am nächsten Tag reist er schon wieder ab, er bleibt während des Romans ein ewig Rastloser, Suchender. Ursprung dieser Suche ist unglückliches Parzivals Versagen bei seinem ersten Aufenthalt auf der Gralsburg. Um den leidenden König Anfortas zu erlösen müsste er ihn nur einmal nach seinem Befinden fragen, doch Parzival hält sich eisern an den Ratschlag Gurnemanz‘ er solle keine Fragen stellen und stürzt die Gralgesellschaft damit in große Verzweiflung.[Classen 1997: Vgl. S. 62] Die markiert einen entscheidendes Merkmal von Parzivals Fremde, der Kommunikation. Der Held tut sich vor allem im Umgang mit Menschen sehr schwer und ist nur eingeschränkt in der Lage eine zielführende Kommunikation herzustellen, infolgedessen hält er sich zwanghaft an die teilweise stark unzureichenden Ratschläge seiner Lehrer, Herzeloyde und Gurnemanz.[Classen 1997: Vgl. S. 61 & 63] Erst als er nach jahrelanger Suche bei zu Trevrizent gelangt, wird er umfassend mit seiner Umwelt, der Religion und den Umständen der Gralgesellschaft vertraut gemacht. Mit dieser Ausbildung im Rücken kommt er zweites Mal auf die Gralsburg und holt die versäumte Frage nach, wodurch er zum Erlöser der Gesellschaft dort und zum neuen König wird. Dies ist jedoch für Parzival keine Integration, so ist er als König in der isolierten Position des Herrschers und nicht Teil der von Wolfram beschriebenen ritterlîchen bruoderschaft der Templeise, sondern bleibt der tumbe man, welcher er zu Beginn seiner Geschichte war.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Doch als glücklicher Ehemann, Vater und König eines wundersamen Reiches stellt sich für ihn diese Frage auch nicht mehr.

Gawan

Das genaue Gegenstück zum Fremden Parzival findet sich in Gawan, dem zweiten Held und Protagonisten des Romans, denn analog zu Parzivals Identitätssuche begibt sich Gawan auf ein langes Identitäs-Versteckspiel.[Bumke 204: S. 155] Gawan ist der Neffe des großen König Artus und somit Zeit seines Lebens in die höfische Gesellschaft integriert, darüber hinaus lobt ihn der Erzähler, unter anderem, als „höchste(n) Stolz der Tafelrunde“. (301, 7) Gawan ist somit keinesfalls ein Unbekannter, sondern ein Prominenter, dessen Name überall wo er hinkommt geläufig ist. Gawan verschleiert während des Romans konsequent seine Herkunft und nennt niemals seinen Namen, dies scheint ihm wichtigen Handlungsfreiraum zu garantieren. Anders als der fremde Neuankömmling Parzival, inszeniert Gawan absichtlich eine künstliche Fremdheit unter deren Schutz er sich verbirgt, die Frage nach seiner Identität wird zu einem Hauptmerkmal seiner Aventiure-Fahrt.[Bumke 2004: S. 157] Hierbei entbehrt seine Herkunftsverweigerung nicht einer gewissen Komik, als er Antikonie trifft und es zu einem leidenschaftlichen Tête-à-tête kommt, wiegelt er die Frage nach seinem Namen spöttelnd, scherzhaft ab. (406, 14-15) Im Minnedienst von Orgeluse wird er als Namenloser selbst zum Opfer ihrer Spötteleien und Beleidigungen, doch wird widerfahren ihm in dieser Zeit auch eine Reihe von Missgeschicken, welche seinem Ansehen dank der Anonymität aber zunächst nicht schaden können. Neben dem taktischen Aspekt seiner Identitäsverschleierung mutet es allerdings sehr seltsam an, dass er sich trotz seinem Erfolg in Schastel marveile zur Befreiung seiner Verwandten - es sind Großmutter, Mutter und zwei Schwestern - nicht endlich zu erkennen gibt. Hier sucht Wolfram möglicherweise wieder die Parallele zum fremden Parzival. Beide sind Neffen berühmter Figuren der höfischen Gesellschaft, Parzivals Oheim ist Gralskönig Anfortas, Gawans ist König Artus; so scheint es plausibel, dass Parzival durch Gottes Gnaden anstelle seines Oheims Gralskönig wird und seine Bestimmung und Identität erlangt, während sich Gawan auf dem Fest beim Wiedersehen mit König Artus schlussendlich zu erkennen gibt und seine Identität wieder annimmt.[Bumke 2004: S. 158] Der Eine, Parzival, fremdbestimmt durch Gott, der Andere, Gawan, selbst gewählt.

Quellenverzeichnis

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.


<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Auflage, Stuttgart/Weimar 2004

[*Classen 1997] Classen, Albrecht: The Isolated Hero and the Communicative Community in Wolfram von Eschenbach’s Parzival, Stud. Neoph. 69, 1997, S. 59-68

[*Karg 1993] Karg, Ina: Bilder von Fremde in Wolframs von Eschenbach Parzival. Das Erzählen von Welt und Gegenwelt, in: Fremderfahrung in Texten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Günter Berger und Stephan Kohl, 1993, S. 23-43

[*Thum 1990] Thum, Bernd: Frühformen des Umgangs mit „Fremdem“ und „Fremden“ in der Literatur des Hochmittelalters. Der „Parzival“ Wolframs von Eschenbach als Beispiel, in: Das Mittelalter – Unsere fremde Vergangenheit, Stuttgart 1990, S. 315-352