Fremdheit und Identität im Parzival

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Fremdheit und Identität sind zentrale Themen von Wolframs von Eschenbach Parzival.[Bumke 2004: Vgl. S. 154] Der Titelheld wächst fernab von jeglicher Zivilisation auf und muss sich in einer Welt, die er nicht kennt und zuerst nicht begreift, zurechtfinden, während der zweite Held des Romans, Gawan, bereits Teil der Gesellschaft und des höfischen Lebens ist. Die beiden sehr gegensätzlichen Charaktere bilden völlig verschiedene Identitäten ab, welche aufgrund ihrer Beschaffenheit unterschiedlichen Einfluss auf die höfische Gesellschaft ausüben. Darüber hinaus ist der Einbau eines imaginierten Orients signifikant für den Roman, sowie die daraus resultierende Auseinandersetzung mit der dargestellten Andersartigkeit und Eigenheit.

Parzival

Erziehung ohne Identität

Parzivals Vater, Gahmuret, stirbt, ohne seinen Sohn jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Seine Mutter, Herzeloyde, beschließt daraufhin, Parzival von jeglichem höfischen Leben fernzuhalten und mit ihm und ihrer Hofdienerschaft, welcher sie es unter Androhung der Todesstrafe verbietet, Rittertum oder Ritter zu erwähnen, in die Wildnis von Soltane zu ziehen. (117,7f.) [1] Hier wächst Parzival also ohne Kenntnis von Gott, Rittern oder Zivilisation auf. Die von Herzeloyde verhängte Quarantäne hält allerdings nicht ewig an, denn der Knabe entdeckt eines Tages im Wald drei Ritter vom Hofe König Artus‘ und wird infiziert von dem Gedanken, selbst Ritter zu werden und dem Artushof beizutreten. (126,9-14) Seine Mutter gibt ihm vor seiner Abreise noch ein paar entscheidende Ratschläge und lässt ihm Kleidung, ein Narrenkleid, nähen. So ausgestattet reist Parzival unwissend Richtung Artushof.

Parzival als Fremder

Parzival zieht kenntnis- und namenlos aus in eine fremde Welt, in welcher er für seine Schönheit und seine Kraft bewundert und umschwärmt wird, womit er allerdings nicht allzu viel anfangen kann.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Seinen Namen erfährt er dann erst von Sigune, denn er selbst kannte nur die Kosenamen, die seine Mutter ihm gab. (140,16) In seiner Anfangszeit als Reisender fügt er seiner Umwelt erheblichen Schaden zu und mutiert statt zum Ritter eher zu einer blutigen Karikatur eines Ritters, denn er verübt Totschlag und Raub ohne Rücksicht auf seinen jeweiligen Gegenüber.[Bumke 2004: S. 156] Parzival ist der Inbegriff des Fremden, welcher sich, passend zu seiner Kleidung, narrenfrei durch die zivilisierte Welt bewegt und konsequent Fehler nach Fehler auf seinem Weg im Umgang mit anderen Menschen begeht.[Karg 1993: Vgl. S. 23]
Später erreicht Parzival tatsächlich den Artushof und wird Teil der legendären Tafelrunde, doch ist es nur eine Integration zum Schein, denn wirklich einfügen in die höfische Gesellschaft kann er sich nicht. Auch wird er von König Artus, entgegen seines eigenen Glaubens, nicht zum Ritter geschlagen.[Bumke 2004: Vgl. S. 156] Zweimal befindet er sich bei der Artusgesellschaft und jeweils am nächsten Tag reist er schon wieder ab, er bleibt während des Romans ein ewig Rastloser, Suchender. Ursprung dieser Suche ist Parzivals Versagen bei seinem ersten Aufenthalt auf der Gralsburg Munsalvaesche. Um den leidenden König Anfortas zu erlösen, müsste er ihn nur einmal nach seinem Befinden fragen, doch Parzival hält sich eisern an den Ratschlag Gurnemanz‘, keine Fragen zu stellen und stürzt die Gralgesellschaft damit in große Verzweiflung.[Classen 1997: Vgl. S. 62] Die markiert ein entscheidendes Merkmal von Parzivals Fremde, der Kommunikation. Der Held tut sich vor allem im Umgang mit Menschen sehr schwer und ist nur eingeschränkt in der Lage, eine zielführende Kommunikation herzustellen, infolgedessen hält er sich zwanghaft an die teilweise stark unzureichenden Ratschläge seiner Lehrer, Herzeloyde und Gurnemanz.[Classen 1997: Vgl. S. 61 & 63]

Parzival als Gralskönig

Erst als er nach jahrelanger Suche zu Trevrizent gelangt, wird er umfassend mit seiner Umwelt, der Religion und den Umständen der Gralgesellschaft vertraut gemacht. Mit dieser Ausbildung im Rücken kommt er ein zweites Mal auf die Gralsburg und holt die versäumte Frage nach, wodurch er zum Erlöser der dortigen Gesellschaft und zum neuen König wird. Dies ist jedoch für Parzival keine Integration, so ist er als König in der isolierten Position des Herrschers und nicht Teil der von Wolfram beschriebenen ritterlîchen bruoderschaft der Templeise, sondern bleibt der tumbe man, welcher er zu Beginn seiner Geschichte war.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Doch als glücklicher Ehemann, Vater und König eines wundersamen Reiches stellt sich für ihn diese Frage auch nicht mehr.

Gawan

Das genaue Gegenstück zum Fremden Parzival findet sich in Gawan, dem zweiten Helden und Protagonisten des Romans, denn analog zu Parzivals Identitätssuche begibt sich Gawan auf ein langes Identitäts-Versteckspiel.[Bumke 2004: Vgl. S. 155] Gawan ist der Neffe des großen König Artus und somit Zeit seines Lebens in die höfische Gesellschaft integriert, darüber hinaus lobt ihn der Erzähler, unter anderem, als „höchste(n) Stolz der Tafelrunde“. (301,7) Gawan ist somit keinesfalls ein Unbekannter, sondern ein Prominenter, dessen Name überall wo er hinkommt geläufig ist.

Gawans Anonymität

Gawan verschleiert während des Romans konsequent seine Herkunft und nennt niemals seinen Namen, dies scheint ihm wichtigen Handlungsfreiraum zu garantieren. Anders als der fremde Neuankömmling Parzival, inszeniert Gawan absichtlich eine künstliche Fremdheit unter deren Schutz er sich verbirgt, die Frage nach seiner Identität wird zu einem Hauptmerkmal seiner aventiure-Fahrt[2].[Bumke 2004: Vgl. S. 157] Hierbei entbehrt seine Herkunftsverweigerung nicht einer gewissen Komik, als er Antikonie trifft und es zu einem leidenschaftlichen Tête-à-tête kommt, wiegelt er die Frage nach seinem Namen spöttelnd, scherzhaft ab. (406,14-15) Im Minnedienst von Orgeluse wird er als Namenloser selbst zum Opfer ihrer Spötteleien und Beleidigungen, doch widerfahren ihm in dieser Zeit auch eine Reihe von Missgeschicken, welche dank seines Ansehens der Anonymität aber zunächst nicht schaden können.

Gawans anonyme Aventiure-Fahrt

Auf seiner aventiure-Fahrt wird Gawan als Gegenbild zur titelgebenden Figur Parzival dargestellt. Schon der Beginn ihrer jeweiligen Reise geschieht aus gegensätzlichen Motiven. Während Parzival sich auf die Suche nach König Artus und der Tafelrunde macht, um dort eine neue Identität als Ritter aufzubauen, lebt Gawan schon am Artushof; er ist dort großgeworden und weiß über seine Herkunft Bescheid. Seine aventiure-Fahrt geschieht im Auftrag der Artusgesellschaft, so stellt er den klassischen Artusritter auf aventiure-Fahrt dar, also genau das, was Parzival nicht ist. Denn der gelangt fremdgesteuert und nicht aus eigenem aventiure-Bedürfnis heraus, auf die Gralsburg.[Karg 1993: Vgl. S. 24; S. 36-37] Als Gawan sich dem Höhepunkt seiner aventiure, Schastel marveile, nähert, versucht er interessiert alles über die Burg zu erfahren und fragt Plippalinot und seine Tochter Bene unablässig aus, bevor er die Burg betritt und die aventiure erfolgreich bestreitet. (555,1f.; 557,1f.) Parzival dagegen stellt nicht eine einzige Frage am Höhepunkt seiner aventiure auf Munsalvaesche und scheitert deshab bei seinem ersten Versuch.[Karg 1993: Vgl. S. 34]

Gawans Identität

Neben dem taktischen Aspekt seiner Identitätsverschleierung mutet es allerdings sehr seltsam an, dass er sich trotz seines Erfolges in Schastel marveile zur Befreiung seiner Verwandten - es sind Großmutter, Mutter und zwei Schwestern - nicht zu erkennen gibt. Hier sucht Wolfram möglicherweise wieder die Parallele zum fremden Parzival. Beide sind Neffen berühmter Figuren der höfischen Gesellschaft, Parzivals Oheim ist Gralskönig Anfortas, Gawans ist König Artus; so scheint es plausibel, dass Parzival durch Gottes Gnaden anstelle seines Oheims Gralskönig wird und seine Bestimmung und Identität erlangt, während sich Gawan auf dem Fest beim Wiedersehen mit König Artus schlussendlich zu erkennen gibt und seine Identität wieder annimmt.[Bumke 2004: Vgl. S. 158] Der Eine, Parzival, fremdbestimmt durch Gott, der Andere, Gawan, selbst gewählt.

Das Morgenland

Gahmuret

Beispielhaft für das Thema Fremdheit im Parzival ist die Geschichte von Parzivals Vater, Gahmuret, welche den imaginierten Übergang von eigener zu fremder Welt zeichnet. Gahmuret zieht aus Anschouwe auf aventiure-Fahrt ins Morgenland, mit dem Ziel Ruhm und Ehre für sich zu erringen (9,17-28). Er demonstriert bereits Eigenschaften, welche auch sein Sohn Parzival mit sich bringt, denn rastlos begibt er sich auf Reisen, in denen er die Welt kennen lernt, doch ist er zu keiner festen Bindung fähig und überall und nirgends zu Hause.[Karg 1993: Vgl. S. 25] Der Held wirkt weltgewandt und weltoffen, als er sich auf sein Orient-Abenteuer begibt, aber man muss feststellen, dass er sich, stellvertretend für den Erzähler und die allgemeine Sichtweise der mittelalterlichen Gesellschaft, lediglich am Eigenen, am Bekannten orientiert. Für ihn ist die Fremde eine Analogie zum Eigenen.[Thum 1990: Vgl. S. 327-328]

Die Welt im Orient

Die Welt, welche Gahmuret dort kennenlernt, scheint die Projektion aller Fremdheit und Andersartigkeit, welche im weiteren Verlauf des Romans begegnet, zu sein.[Karg 1993: Vgl. S. 25] Die Andersartigkeit des Orients betrifft umfassende äußerliche Merkmale, so haben die Orientalen eine andere Hautfarbe, sie sind unsäglich reich, sie glauben nicht an den christlichen Gott und sie verfügen über umfassende wissenschaftliche Kenntnisse. Diese zur Schau gestellte Andersartigkeit grenzt die Bewohner der westlichen Welt klar von denen des Orients ab.[Karg 1993: Vgl. S. 26] Mit der schwarzen Hautfarbe haftet den Orientalen, aus Sicht des Abendländers, zudem ein nicht korrigierbarer, ästhetischer und spiritueller Makel an, denn schwarz ist für Christen die Farbe des Teufels und der Hölle. (119,25f.) Gahmuret selbst ist anfangs nicht eben entzückt von der dunkelhäutigen Ästhetik, denn der Kuss der schwarzen Burggräfin Belacane wird von ihm mit „wenig Sehnsucht“ (wênc geluste; 20, 26) empfangen. Ihr Sohn Feirefiz wird auch nicht zur integrativen Mischung der beiden Ethnien, denn schwarz und weiß sind auf seiner Haut deutlich voneinander abgegrenzt und sein Aussehen macht ihn eher zu einem Wunderwesen, als zu einem normalen Menschen.[Thum 1990: Vgl. S. 337]

Aus der Perspektive des Abendlandes

Die fremde Beschaffenheit des Orients erschöpft sich allerdings nur in der Darstellung des Äußeren. Ansonsten ist die Gesellschaft gleichermaßen feudal organisiert, die Hierarchie und der Minnedienst existieren in derselben Weise. Religiöse Fragen werden im Buch nicht diskutiert. Besonders tiefgreifend ist die Fremdheit des Orients somit nicht, sondern viel mehr eine Interpretation und Bewertung aus der Perspektive des Bekannten. So enthält der Orient im Parzival keinen wirklichen Eigenwert, sondern er wird durch die Analogisierung mit dem Eigenen nivelliert und vereinnahmt.[Thum 1990: S. 335] Höfische Toleranz existiert hier nur zum Schein, denn der Text nutzt eher die Möglichkeit das Christentum gegenüber dem Fremden in seiner Großartigkeit zu unterstreichen; so lässt sich beispielweise Feirefiz am Ende des Romans taufen, (814,17f.) und die medizinische Überlegenheit des Orients relativiert sich zusätzlich in der Person des Anfortas, denn kein Heilmittel der Welt konnte ihm helfen, nur die Macht Gottes.[Karg 1993: Vgl. S. 28-29] Die Religion, sowie die Hautfarbe der Orientalen, bleibt bis zuletzt negativ belegt.[Thum 1990: Vgl. S. 335-336]

Feirefiz

Gahmurets erster Sohn, Feirefiz, ist schon allein wegen seiner Hautfarbe eine durchweg fremdartige Erscheinung, denn Wolfram verleiht ihm eine schwarz-weiße gefleckte Haut, da er ja der Sohn einer Schwarzen, Belacane, und eines Weißen ist. Mit seiner Hautfarbe wird deutlich an die Symbolik des Elsterngleichnisses aus dem Prolog erinnert. (1,1-14) Auch bei Feirefiz liegen Himmel und Hölle beieinander, denn er ist zum einen Heide, zum anderen aber ein ruhmreicher Ritter mit großen charakterlichen Vorzügen. Eine interessante Mischung, welche die Außergewöhnlichkeit der Figur Feirefiz in jeglicher Hinsicht unterstreichen soll. Für Parzival ist er das letzte Stück Familie, das er jetzt noch besitzt und so besteht Feirefiz auch folgerichtig auf der gemeinsamen Identität der beiden Halbbrüder nach dem anstrengenden Kampf, den sie inkognito geführt hatten. (752,1-23) Die Selbstfindung Parzivals, welche ohne Zweifel ein Hauptthema des Romans ist, wird hier also mit der Begegnung seines Bruders zu einem halbteiligen Ende gebracht.[Dallapiazza 2009: Vgl. S. 76]

Das Motiv des Verkennens

Das gegenseitige Nicht-Erkennen spielt jedoch nicht nur im Kampf zwischen Parzival und Feirefiz eine große Rolle. Immer wieder tauchen in dem Roman Wolframs Situationen auf, in denen zwei oder mehrere Figuren sich gegenseitig zunächst nicht identifizieren können und in Folge dessen Kämpfe entstehen und Taten begangen werden, die später bereut werden oder gar als Sünde gewertet werden können. Es ist auffällig, dass auch hier der Protagonist Parzival eine maßgebliche Rolle spielt, während es Gahmuret und auch Gawan beispielsweise mehrfach, teils absichtlich, teils unbeabsichtigt, gelingt, einem Kampf mit einem Freund oder Verwandten aus dem Weg zu gehen. [Harms 1963: vgl. S. 146] Einige Beispiele verdeutlichen den Einsatz des Motivs der Nicht-Identifikation:

Ither und Parzival

Als Parzival das erste Mal auf die Tafelrunde um König Artus trifft, begegnet er auch Ither, der aufgrund der Farbe seiner Rüstung auch der "rote Ritter" genannt wird (145,15-146,3). Ither liegt zu diesem Zeitpunkt mit Artus und der Tafelrunde im Streit um sein Erbe und wartet darauf, dass einer der Ritter seine Herausforderung zum Kampf annimmt. Nachdem Parzival zu König Artus vorgelassen wurde, manipuliert Artus' Truchsess Keie den König so lange, bis dieser einwilligt, Parzival gegen Ither kämpfen zu lassen. Parzival selbst will unbedingt gegen Ither kämpfen, da er diesen um seine Rüstung beneidet und sich erhofft, durch den Kampf endlich zum Ritter zu werden. Was keiner der Beteiligten erwartet, geschieht: Der vermeinntliche Bauerntölpel Parzival erschlägt den angesehenen Ritter Ither und eignet sich dessen Rüstung an (155,7-11). Der Frevel, den er durch die Tötung Ithers begangen hat, ist Parzival nicht klar: Bei Ither handelte es sich um seinen eigenen Cousin. Parzival wusste dies nicht, da er diesbezüglich zu diesem Zeitpunkt keinerlei Informationen hatte. Allerdings verhindert er, dass Ither ihn erkennt, weil er dem "roten Ritter" seinen Namen nicht nennt, während dieser sich Parzival namentlich vorstellt. Obwohl die Tötung eines Verwandten nicht absichtlich geschah, wird sie im Verlauf des Romans von Trevrizent als eine der schuldhaften Verfehlungen Parzivals gedeutet (422,20f.). Es lässt sich sagen, dass in der Ither-Szene durch das Motiv des Nicht-Erkennens "zeichenhaft der sündhafte Zustand [Parzivals], nicht eine augenblickliche, moralische Entscheidung, sinnfällig dargestellt wird." [Harms 1963: Vgl. S. 151]

Parzival und Gawan

Nach dem Gespräch mit Trevrizent beginnt sich die Sündehaftigkeit Parzivals aufzulösen, seine innere Entwicklung scheint fortzuschreiten. Gawan erwartet, nachdem er einen Kranz von einem Baum des Gramoflanz brach, einen Zweikampf mit dem Sohn König Irots. Als nun ein Ritter mit eben einem solchen Kranz erscheint, dem auch noch weitere Attribute, die zu Gramoflanz passen, zugeschrieben werden (603,29f.), erkennt Gawan seinen Feind in ihm und bereitet sich auf den Kampf vor. Nur dem Leser (oder Hörer) wird langsam deutlich, dass der "so hochgelibte Ritter nicht Gramoflanz" ist, sondern Parzival, der allerdings nicht namentlich genannt wird.[Harms 1963: S. 156] Gawan glaubt also gegen Gramoflanz zu kämpfen. Parzival nun glaubt seinerseits ebenfalls Gramoflanz gegenüberzustehen, da er den Kranz gebrochen hat, um Gramoflanz zu bekämpfen: Gawan sieht er nun als den gesuchten Ritter an. Die Parallele zu Parzivals Kampf mit Ither ist nur allzu deutlich. Tatsächlich geraten auch hier die beiden Helden in einen Kampf miteinander. Erst als Boten von König Artus auftauchen und Gawans Namen nennen, erkennt Parzival seinen Freund und entfernten Verwandten. Dabei stellt die durch die Boten vorgenommene "Namensnennung die Verwandten-triuwe sofort wieder her."[Harms 1963: S. 157] Dies geschah aufgrund von Parzivals Unwissenheit im Kampf gegen Ither nicht. Hier stellt der Held selbst sofort den Bezug zu seiner eigenen Sündenhaftigkeit unmittelbar her und klagt sich selbst an (688,22f.). Er erkennt, dass ihn die Einsicht in Sünde der Tötung Ithers nicht vor neuen Sünden derselben Art bewahren kann. Das Verkennen und gegenseitige Nicht-Identifizieren dient hier dazu, dass Parzival als tapferer Ritter "während des Verkennens vor allem der Artuswelt" und durch Einsicht seiner Sünde und ritterlichem Sieg über Gawan, der im Kampf zu unterliegen drohte, "nach dem Verkennen der Gralswelt" gerecht wird.[Harms 1963: S. 159]

Fazit

Wolframs Roman handelt sicher hauptsächlich von der Selbstfindung des Knaben Parzival innerhalb einer für ihn gänzlich fremden Welt. Als Fremder begeht er jeden Fehler, der möglich ist, aber am Ende erreicht er tatsächlich das Ziel seiner Bemühungen: Munsalvaesche. Inwieweit er sich dadurch allerdings selbst eine Identität erarbeitet hat, ist sicher schwierig zu sagen, denn zum Gralskönig wird er immer noch von Gott bestimmt. Parzivals Verständnis von treuer Ehe ist jedoch seiner persönlichen Empfindung zu verdanken und so kann man ihm die Identität des liebenden Ehemanns und Vaters durchaus zusprechen. Die Titelfigur findet somit über eigene Fehler, Sünden und unter Verwendung der eigenen Kraft, ihre ganz eigene Identität, wobei das Motiv des Verkennens eine gewichtige Rolle zuteil wird. Diese Identität des Protagonisten ist eine, welche man nicht unbedingt erwarten würde, denn sie ist weit entfernt vom klassischen Artusrittertum der sonstigen Romane, in diesem Sinne bleibt Parzival ein Einzelgänger.

Der Fremde wird im Parzival ein klares Gesicht gegeben: Der Orient. So positiv, vor allem aus wissenschaftlicher und materieller Sicht, die andere Welt beschrieben wird - wirklich gleichgestellt mit dem Abendland wird sie nicht. Ein Versuch der Integration scheint die gescheckte Figur des Feirefiz zu sein, welcher feierlich bekennt, dass er und Parzival dieselbe Identität teilen, aber am Ende siegt das Christentum auch in ihm, denn er wird getauft und heiratet mit Repanse schließlich eine weiße Christin. Seine Eingliederung in die höfische Gesellschaft des Mittelalters wird somit vollzogen. Sicherlich zeichnet Wolfram eine positive orientalische Welt, doch lässt das christliche Weltverständnis keine Gleichwertigkeit zu.

Quellennachweis

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
  2. Die aventiure ist ein klassisches Motiv der Dichung des Hochmittelalters, es bezeichnet die Bewährungsmethoden und Abenteuer, welche ein Held zu bestehen hat.


Forschungsliteratur

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Auflage, Stuttgart/Weimar 2004

[*Classen 1997] Classen, Albrecht: The Isolated Hero and the Communicative Community in Wolfram von Eschenbach’s Parzival, Stud. Neoph. 69, 1997, S. 59-68

[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival , Klassiker Lektüren 12, Berlin 2009

[*Harms 1963] Harms, Wolfang: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300, München 1963.

[*Karg 1993] Karg, Ina: Bilder von Fremde in Wolframs von Eschenbach Parzival. Das Erzählen von Welt und Gegenwelt, in: Fremderfahrung in Texten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Günter Berger und Stephan Kohl, 1993, S. 23-43

[*Thum 1990] Thum, Bernd: Frühformen des Umgangs mit „Fremdem“ und „Fremden“ in der Literatur des Hochmittelalters. Der „Parzival“ Wolframs von Eschenbach als Beispiel, in: Das Mittelalter – Unsere fremde Vergangenheit, Stuttgart 1990, S. 315-352