Die "Vita Nova" als Prosimetrum (Dante Alighieri, Vita Nova): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 11. Juli 2013, 14:16 Uhr

Einleitung

Dantes Vita Nova ist ein Prosimetrum. In Prosa und Lyrik wird ein Ausschnitt aus dem Leben „Dantes“ erzählt. „Dante“, der Ich-Erzähler, berichtet aus dem Stand der Vergangenheit. Es heißt das Geschriebene sei ein Buch seiner Erinnerungen - „libro de la mia memoria“. (VN 1) In diesem Artikel sollen Überlegungen angestellt werden zu der Wahl einer solchen Mischform. Zuerst wird dabei die traditionelle Kombination von Minnelyrik und Prosa in Form von vidas und razos betrachtet und dann sollen weitere Bedeutungsmöglichkeiten der Prosaabschnitte für den Sinngehalt des Werkes erschlossen werden.

In der Tradition von vidas und razos

Inhaltlich geht es in der Vita Nova vordergründig um „Dante“ und seine Liebe zu Beatrice. In dieser Autobiographie wird nur über Ereignisse gesprochen, die im Zusammenhang mit der Liebesgeschichte und der Dichtung über diese stehen. Der Autor führt in seinem Vorwort an, dass der Leser nur diejenigen Worte finden würde, die er nachzuzeichnen gedenke. (VN 1) Es wird also erkenntlich, dass er nach konkreten Kriterien selektiert haben muss und dem Leser eine bestimmte Auswahl seiner „memoria“ präsentiert. Ist diese Auswahl nach der Hauptthematik des Werkes nämlich der Liebe und die Dichtung zu Ehren der Liebe gestaltet worden? Der Verlauf der Geschichte lässt uns dies annehmen, da sie mit dem Verlieben in Beatrice anfängt und mit der Hoffnung aufhört sie wieder sehen können. (VN 42) Offenkundig steht die Vita Nova in der Tradition der italienischen Liebesdichtung. Die Gedichte sind dem dolce stil nuovo zuzuordnen, den Dante Alighieri prägte und vor allem seinen Namen gab. Die Gedichte behandeln die klassischen Liebesthemen wie das Leid und die Freude eines Verliebten, der Hoffnung auf ihr Gunst und von der geliebten Frau selbst. Alighieri hat die Gedichte der Vita Nova aus seiner lyrische Produktion seit 1283 ausgewählt und sie in den Jahren zwischen 1293 und 1295 zum Gesamtwerk der Vita Nova geformt. [Frenz 2006] Diese Vorgehensweise lässt stark den Gedanken aufkommen, dass Alighieri seine Gedichte im Nachhinein besser „verpacken“ beziehungsweise darstellen wollte und somit eine alte Methode der Troubadourdichter wählte um dies zu tun: die Gestalt der vidas und razos. Die vidas sind ein Gemisch aus Lebensdaten der Liederdichter und fabulöse Erfindungen von Liebesabenteuern die dazu dienten, das Interesse an den alten Trobadors wach zu halten. [Kasten 1988: 181-182] Die razos, Kommentare zu den einzelnen Liedern, die dem Vortrag vor angeschickt wurden, dienten wohl auch der Interessensteigerung. Aber vor allem war ihr Zweck den Inhalt der Lieder zu erklären, indem sie ihn auf vermeintlich zugetragene Begebenheiten bezogen und „realistisch“ aus deuteten. [Kasten 1988: 182] Diese Funktionen lassen sich unschwer auch in der Vita Nova erkennen. Der Leser bekommt gleich zu Beginn des Werkes Informationen zum Leben des Autors. Man erfährt, dass die Vita Nova aus der eigenen Erinnerung geschrieben ist also eine Art Autobiographie ist, was natürlich an die vidas denken lässt. Auch der Titel an sich Vita Nova ruft diese Assoziation hervor. Die Verknüpfung der Lieder bzw. des Sängers mit einer konkreten Person weckt die Neugier und die Interesse des Lesers. Der Sänger ist nicht mehr nur eine gesichtslose Figur, sondern genau identifizierbar. Das selbe gilt natürlich auch für die besungene Herrin, die üblicherweise immer unter dem Schutz der Anonymität steht und nun einen Namen bekommt. Die der vidas zuzuordnenden Abschnitte sind in der Vita Nova sehr ausführlich. Die Gedichte werden in einen genauen Kontext des Geschehens eingebettet. Diese Absätze nehmen aber auch immer die Gefühlslage und Gedanken des Sängers zu dem Zeitpunkt des Geschehens und der Dichtung auf. Durch diese Erläuterungen erhalten die Lieder an sich noch mal einen viel tieferen Sinngehalt und führen den Leser gleichzeitig bei seiner Lektüre. Auch die razos sorgen vor allem für ein besseres Verständnis der Lieder, indem sie die Inhalte der Lieder wiedergeben und gliedern. So zum Beispiel im 9. Kapitel, in dem genau gesagt wird, dass sich das Sonett in drei Teile aufspaltet und das Gedicht zu erst das Treffen mit Amor, dann das Gespräch des Sängers mit ihm und das erneute Verschwinden Amors thematisiert. (VN 9) Die Beschäftigung mit vidas und razos zeigt, dass sich durch sie der Inhalt und die Struktur der Gedichte besser verstehen lässt als wenn sie für sich alleine stehen würden und zudem wird dem Rezipienten schon ein mal eine Interpretations- bzw. Verständnishilfe angeboten.

Erinnerung, Imagination und Poesie

In der Forschung wird der Kombination von Prosa und Lyrik, in der Vita Nova, über eine einfache Zusammensetzung von vidas, razos und Gedichten hinaus, nachgegangen. Man geht davon aus, dass der Vita Nova verschiedene Sinnstrukturen unterliegen, die es zu entdecken gilt. Es handelt sich bei den meisten Modellen so zum Beispiel bei Klemp oder Wehle um ein Entwicklungsmodell, das in der Vita Nova anzutreffen ist. Klemp hat dabei die Entwicklung der Liebe betrachtet. [Klemp 1984] Wehle widmete sich ebenfalls dieser Betrachtung, aber zugleich auch der Entwicklung der Minnepoetik an sich, die mit der Entwicklung der Liebe verbunden ist und sich mit ihr verändert. [Wehle 1986] Mazzotta geht in seinem Aufsatz „The language of poetry in the Vita Nuova“ auch einem sich entwickelnden Modell nach. Er stellt sich die Frage, ob die Vita Nova eine Art Parabel der poetischen Ausbildung ist. [Mazzotta 2002: 93] Ursprung für diese Annahme ist, dass die Vita Nova, wie erwähnt, eine rückblickende Erzählung ist, die ihren Inhalt aus der Erinnerung zieht. Dem Anfangs- sowie dem Endstück der Vita Nova kann bei der Interpretation der Entwicklung der Poetik eine Wichtigkeit zugesprochen werden. Bei Mazzottas Überlegung sind sie für das Verständnis des Textes essentiell. Laut ihm gibt uns nämlich das Ende der Vita Nova Aufschluss über das eigentliche Ziel des Werkes: und zwar das Bestreben eine visionäre Dichtung zu finden, die der Zukunft angehöre. [Mazzotta 2002: 94] Schlagworte, die grundlegend sind für die Entwicklung einer Poesie sind Imagination und Erinnerung. Die Imagination an sich muss essentieller Bestandteil der Poesie sein. [Mazzotta 2002: 94] Und Erinnerung ist immer mit Poesie verbunden. [Mazzotta 2002: 94]

Literaturangaben

Primärliteratur

Zitierte Literatur:

  • Alighieri, Dante (1988): Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München: dtv.

Einzelnachweise

<HarvardReferences />

  • [*Frenz 2006] Frenz, Dietmar: Dante: Vita Nova. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Kindlers Literatur Lexikon. Stuttgart: Metzler 2009. Zitiert nach: Kindlers Literatur Lexikon Online - Aktualisierungsdatenbank: www.kll-online.de (20.05.203)
  • [*Kasten 1988] Kasten, Ingrid: Minnesang. In: Liebertz-Grün, Ursula (Hrsg.):Aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit: Höfische und andere Literatur. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1988, S. 164-184.
  • [*Klemp 1984] Klemp, Paul J.: The women in the middle: Layers of love in Dante’s Vita Nuova. In: Italica 61 (1984)O.A., S. 185-194.
  • [*Mazzotta 2002] Mazzotta, Giuseppe: The Language of Poetry in Vita Nuova. In: Lansing, Richard (Hrsg.): Dante. The Critical Complex. New York / London: Routledge 2003, S. 93-104.
  • [*Wehle 1986] Wehle, Winfried: Dichtung über Dichtung. Dantes ‘Vita Nuova’: die Aufhebung des Minnesangs im Epos. München: Fink 1986.