Aventiure (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
K (Zitierung) |
||
Zeile 92: | Zeile 92: | ||
<references /> | <references /> | ||
<harvardreferences/> | <harvardreferences/> | ||
* Zitierung aller Versangaben nach: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-4473). | |||
*[*Haug 1989] Haug, Walter: ''Aventiure'' in Gottfrieds von Strassburg >Tristan<. In: Ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. Tübingen 1989. S. 557-582. | *[*Haug 1989] Haug, Walter: ''Aventiure'' in Gottfrieds von Strassburg >Tristan<. In: Ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. Tübingen 1989. S. 557-582. |
Version vom 9. Januar 2011, 23:17 Uhr
Aventiure (altfranzösisch: avantare = Ereignis/Begebenheit) ist ein mittelalterlicher Begriff der vor allem im Artusroman von Chrétien de Troyes die Bewährungsproben eines Helden bezeichnen. Zudem verbindet man mit dem Begriff Aventiure das Einwirken des Zufalls/Schichsals in den Handlungsverlauf einer Erzählung. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Darstellung des Aventiure Begriffs und dem Vorkommen von Aventiure im Tristan.
Was ist Aventiure?
Das Wort Aventiure wird im Neuhochdeutschen oft mit dem Wort Abendteuer übersetzt, ist jedoch wesentlich vielschichtiger anzuwenden.
In mittelalterlichen Erzählungen suchen Helden die Herausforderung um sich zu beweißen, Ruhm und Ehre zu erlangen oder um eine Frau zu werben. Die Minne ist somit also eng in das Aventiure-Schma integriert, gerade in den Artusromanen wird dies besonder deutlich. Die Konfrontation mit der Gefahr ist ebenfalls ein wichtiges Motiv innherhalb der Aventiure Idee.
Aventiure bezeichent jedoch nicht nur die Bewährungsproben eines Helden, sondern vermittelt auch eine bestimmte Erzählform. So sind Aventiureerzählungen generell retrospektives Erzählen. Das Erleben eines Einzelnen wird in Sprache umgesetzt.
Ein anderes Element ist die Idee der Fortuna. Die Zufälligkeiten die letztendlich das Schichsal einleuten bekommen eine besondere Bedeutung in mittelalterlichen Erzählungen. So wird ze aventiure auch als zufällig übersetzt. Fortuna bezeichent den schichsalhaften Zufall der in den Handlungverlauf eingreift.
Doch Aventiure unterliegt einem strengem göttlichen Prinzip, und ist immer eng in den Sinnkontext eingearbeitet. So wirkt auf der einen Seite Fortuna, auf der anderen Seite jedoch steht die Idee von Vrou Saelde, dem göttlichen Prinzip, das göttliche Heil. Aventiure kommt letztendlich also auch von Gott. [1]
Aventiure im Tristan
Im Folgenden soll analysiert werden inwiefern der Begriff der Aventiure im Tristan anzutreffen ist bzw. inwiefern er sich von der Idee des Aventiure Begriffs im Artusroman unterscheidet.
Fortuna
Das Motiv der Fortuna ist tief im Tristanroman verankert. So geschehen die Dinge aufgrund kleiner zufälliger Verkettungen.
Die erste Szene im Text überhaupt, die die Zufälligkeit (von aventiure) veranschaulicht, ist die Begegnung Riwalins und Blancheflurs. Denn nach dem Turnier, das am Hofe König Markes im Rahmen seiner hohgezit stattfindet, reitet Riwalin von aventiure (V. 737), zufällig, dort an der Tribüne entlang, wo er Blancheflur erblickt. Und dieser kurze Augenblick und wenige Worte, die ihm folgen, sind Auslöser genug für die daraus erwachsende Liebesgeschichte. Beschrieben wird der Entstehungsprozess mit dem Leimrutengleichnis, einer Jagdfalle, die unweigerlich zur Selbstverstrickung führt. Diese Liebe als Kampf, ausgelöst von aventiure, gibt hier im Rahmen der Vorgeschichte Tristans Eltern also ein wichtiges Handlungsprinzip vor. [Haug 1989: vgl. 563f] Ein weiteres Beispiel hierfür findet sich in dem Kapitel Die Entführung, in dem das Wort aventiure zweimal vorkommt.
- In den zîten unde dô
- kam ez von âventiure alsô,
- daz von Norwaege über sê
- ein koufschif unde dekeinez mê
- in daz lant ze Parmenîe kam
(V. 2149-2153)
Hier verdeutlicht die Aventiure die Zufälligkeit. Rein zufällig kam das Handelsschiff nach Parmenien und brachte somit den Lauf der Dinge ins Rollen. Und wenig später, zum Ende dieser Szenerie hin, taucht von aventiure ein zweites mal auf:
- Nu man sî dô gewerte
- alles, des sî wolten,
- und dannen kêren solten,
- von âventiure ez dô geschach,
- daz Tristan in dem schiffe ersach
- ein schâchzabel hangen, (V. 2216-2221)
Genauso zufällig sieht Tristan in dem Moment, als man das Schiff nach dem Kauf von Jagdvögeln wieder verlassen will, ein Schachbrett, welches Tristan zum Verhängnis werden soll, als die Norweger die unglaublich reichen Fähigkeiten Tristans entdecken und sich so entschließen, ihn zu entführen.
Diese von aventiure-Szenen lösen also entweder ganz neue Handlungssequenzen oder aber entscheidende Handlungswechsel aus; von aventiure ist die mysteriöse Auslöseinstanz. [Haug 1989: vgl. 566]
Ein wesentliches Thema Gottfrieds ist, wie sich Tristan gegenüber der Fortunahaftigkeit der Welt verhält. Gottfried setzt der Fortuna-Kraft eine weitere Wirklichkeitskraft gegenüber, und zwar die Minne. Im Gegensatz zur Minne, die als Ziel die paradiesische Erfüllung hat, die Fortunakraft kein Ziel, ist unbeständig und fordert die Selbstbehauptung der menschlichen Existenz heraus. Tristan gelingt es, aufgrund vorrausschauender Vorsicht, sich nicht von der Fortuna in die Irre leiten zu lassen. [2]
Auch die Heldentaten Tristans erinnern stark an das Konzept der Aventiure, da Tristan viele Bewährungsproben wahrnimmt und letztendlich viel Ruhm und Ehre erlangt. Sieht man jedoch genauer hin, bemerkt man, dass sich die Motivation des Helden anders verhält als im Arutsroman. In erster Linie liegt dies an der Darstellung der höfischen Welt im Tristanroman. Diese ist von Grund auf nicht in der Perfektheit beschrieben wie sie im Artusroman anzutreffen ist. Demzufolge ist das Verhältnis von Tristan zu der höfischen Welt ein spannungsreiches. Tristan ist nie wirkliche Teil des höfischen Lebens. Anders als im Artusroman, in welchem jede Zweikampf- bzw. aventiure-Episode symbolisch in die Struktur des Weges des Romanhelden eingesetzt ist, sind die Episoden losgelöst von einer vorgegebenen Struktur. Sie erhalten im Tristan ihre Bedeutung aus ihrem spezifischen Charakter, der sie in den Handlungszusammenhang einordnet. [Haug 1989: vgl. 573] Für Tristan ergeben sich so flexibel und zu seinem Vorteil nutzbare Handlungsspielräume. Auch wenn er dabei gesellschaftlich-höfische Normen manipuliert, etwa in den listreich das Recht ausnutzenden, doch grausam ausgeführten Kämpfen gegen Morgan oder besonders Morolt.
Während im Artusroman die Aventiure in die Macht- und Kulturordnung des Hofes eingeglierdert ist, wird im Tristan ein ambivalentes Bild des Höfischen gezeichnet.
Zwar sucht Tristan die Herauforderung und die Gefahr, jedoch macht er dies in erster Linie aus persönlichem Belangen.
So tritt Tristan beispielsweise gegen Morold an, vor allem deswegen, weil es sich sont niemand traut und kein andere Held für diesen Kampf zu finden ist.
Auch ist die Irlandfahrt persönlich motivert, da es ihm darum geht seine Wunden heilen zu lassen.
[3]
Man könnte sogar soweit gehen, und die Liebestrankepisode ebenfalls in den Schein des Zufalls stellen, die Ursache einer Verkettung von Handlungen von aventiure her zu sehen. [4]
Zerfall der Ideale
Tristans Bild wird zwar teilweise mit der Idee eines Artus-Ritters verkörpert, deutlich wird jedoch, dass auch dieses Ideal in dem Tristanroman vom Zerfall bedroht ist. Der gesamte Roman wird von dem sogenannten lip-ere Konflikt durchzogen. Die handlden Personen sollen versuchen einen Ausgleich zwischen lip und ere herzustellen. Am Anfang des Romans, in dem Tristan in all seinen Tugenden beschrieben wird, gelingt ihm das. Nach dem Minnetrank jedoch kommt die lip-ere-Verbindung ins Wanken, und die Moralitat der Frau geht verloren. Der dritte Teil des Tristan wird auch als der Ritterroman bezeichnet, und enthält die meisten Artus-Bezüge. Die Ritterschaft, die in diesem Teil im Mittelpunkt steht, soll den lip-ere-Konflikt wieder zum Ausgleich bringen. Wer diesen Kompromiss nicht schaffen kann, ist nicht der ganzlîche[n] triuwe (1805) fähig und verliert die ere. Eine Lösung diese Konflikts, ein Wiederherstellen der alten Ideale, ist nicht vorgesehen und Gottfried liefert auch keine Antworten, wie man sich in einem solche Konflikt verhalten soll. [5]
Literaturverweise
- ↑ Mireille Schnyder: "Sieben Thesen zum Begriff der âventiure", in: Im Wortfeld des Textes [...], hg. von Burkhard Hasebrink [u.a.], Berlin/New York 2006, S. 369.
- ↑ Tomasek, Tomas: Die Utopie im Tristan Gotfrieds von Straßburg. Max Niemeyer Verlag Tübingen 1985. S 112-113.
- ↑ Walter Haug: "Ethik und Ästhetik in Gottfrieds von Strassburg Literaturtheorie". In: Walter Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. 2. Aufl. Darmstadt 1992. S.198.
- ↑ Wie es Haug tut, vgl. [Haug 1989:576] So ergibt sich aus der Liebestrankepisode, als Wiederholung und Steigerung aller bisherigen Metaphoriken, besonders des Leimrutengleichnisses, und Zufallsverstrickungen, nach Haug für diese Szene die Motivierung des Handlungsprinzipes des Tristans, nämlich dem Zufall als 'Gesetzt der Welt'.
- ↑ Martin, Todtenhaupt: Vertias amoris. Die Tristan-Konzeption Gottfrieds von Straßburg. Perterlang Verlag. S. 203-206.
<harvardreferences/>
- Zitierung aller Versangaben nach: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-4473).
- [*Haug 1989] Haug, Walter: Aventiure in Gottfrieds von Strassburg >Tristan<. In: Ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. Tübingen 1989. S. 557-582.