Aventiure (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Aventiure (altfranzösisch: avanture = Ereignis/Begebenheit) ist ein mittelalterlicher Begriff, der vor allem im Artusroman von Chrétien de Troyes die Bewährungsproben eines Helden bezeichnen. Zudem verbindet man mit dem Begriff Aventiure das Einwirken des Zufalls/Schicksals in den Handlungsverlauf einer Erzählung. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Darstellung des Aventiure-Begriffs und dem Vorkommen von Aventiure im Tristan.


Was ist Aventiure?

Das Wort Aventiure wird im Neuhochdeutschen oft mit dem Wort Abenteuer übersetzt, ist jedoch wesentlich vielschichtiger gedacht.

In mittelalterlichen Erzählungen suchen Helden die Herausforderung, um sich zu beweisen, Ruhm und Ehre zu erlangen, oder um eine Frau zu gewinnen. Die Minne ist somit eng in das Aventiure-Schema integriert, gerade in den Artusromanen wird dies besonders deutlich. Die Konfrontation mit der Gefahr ist ebenfalls ein wichtiges Motiv innherhalb der Aventiure-Idee.

Aventiure bezeichnet jedoch nicht nur die Bewährungsproben eines Helden, sondern vermittelt auch eine bestimmte Erzählform. So sind Aventiureerzählungen generell retrospektive Erzählungen. Das Erleben eines Einzelnen wird dabei in Sprache umgesetzt.

Ein anderes Element ist die Idee der Fortuna. Die Zufälligkeiten, die letztendlich das Schicksal einläuten, bekommen eine besondere Bedeutung in mittelalterlichen Erzählungen. So wird ze aventiure auch als zufällig übersetzt. Fortuna bezeichent den schicksalhaften Zufall, der in den Handlungsverlauf eingreift.

Doch Aventiure unterliegt einem strengen göttlichen Prinzip und ist immer eng in den Sinnkontext eingearbeitet. So wirkt auf der einen Seite Fortuna, auf der anderen Seite jedoch steht die Idee von Vrou Saelde, dem göttlichen Prinzip, das göttliche Heil. Aventiure kommt letztendlich also auch von Gott.[Schnyder 2006:S. 369]

Aventiure im Tristan

Fortuna

Das Motiv der Fortuna ist tief im Tristanroman verankert. So geschehen die Dinge aufgrund kleiner zufälliger Verkettungen.

Die erste Szene im Text überhaupt, die die Zufälligkeit (von aventiure) veranschaulicht, ist die Begegnung Riwalins und Blancheflurs. Nach dem Turnier, das am Hofe des König es regiert::Marke im Rahmen seiner hohgezit stattfindet, reitet Riwalin von aventiure (V. 737 (zufällig )an der Tribüne entlang, wo er Blancheflur erblickt. Dieser kurze Augenblick und die wenigen Worte, die ihm folgen, sind Auslöser genug für die daraus erwachsende Liebesgeschichte. Beschrieben wird der Entstehungsprozess mit dem Leimrutengleichnis, einer Jagdfalle, die unweigerlich zur Selbstverstrickung führt. Diese Liebe als Kampf, ausgelöst von aventiure, gibt hier im Rahmen der Vorgeschichte Tristans Eltern also ein wichtiges Handlungsprinzip vor. [Haug 1989: vgl. 563f.] Ein weiteres Beispiel hierfür findet sich in dem Kapitel Die Entführung, in dem das Wort aventiure zweimal vorkommt.

In den zîten unde dô
kam ez von âventiure alsô,
daz von Norwaege über sê
ein koufschif unde dekeinez mê
in daz lant ze Parmenîe kam
(V. 2149-2153)

Hier verdeutlicht die Aventiure die Zufälligkeit. Rein zufällig kam das Handelsschiff nach Parmenien und brachte somit den Lauf der Dinge ins Rollen. Und wenig später, zum Ende dieser Szenerie hin, taucht von aventiure ein zweites Mal auf:

Nu man sî dô gewerte
alles, des sî wolten,
und dannen kêren solten,
von âventiure ez dô geschach,
daz Tristan in dem schiffe ersach
ein schâchzabel hangen, (V. 2216-2221)

Genauso zufällig sieht Tristan in dem Moment, als man das Schiff nach dem Kauf von Jagdvögeln wieder verlassen will, ein Schachbrett, welches Tristan zum Verhängnis werden soll, als die Norweger die unglaublich reichen Fähigkeiten Tristans entdecken und sich so entschließen, ihn zu entführen.

Diese von aventiure-Szenen lösen also entweder ganz neue Handlungssequenzen oder aber entscheidende Handlungswechsel aus; von aventiure ist die mysteriöse Auslöseinstanz. [Haug 1989: vgl. 566]

Ein wesentliches Thema Gottfrieds ist, wie sich Tristan gegenüber der Fortunahaftigkeit der Welt verhält. Gottfried setzt der Fortuna-Kraft eine weitere Wirklichkeitskraft gegenüber, und zwar die Minne. Im Gegensatz zur Minne, die als Ziel die paradiesische Erfüllung hat, hat die Fortunakraft kein Ziel, ist unbeständig und fordert die Selbstbehauptung der menschlichen Existenz heraus. Tristan gelingt es, aufgrund vorrausschauender Vorsicht, sich nicht von der Fortuna in die Irre leiten zu lassen.[Tomasek 1985: vgl. S. 112f.]


Man könnte sogar soweit gehen und die Liebestrankepisode ebenfalls in den Schein des Zufalls stellen und damit die Ursache einer Verkettung von Handlungen von aventiure her zu sehen. [1]

Zerfall der Ideale

Auch die Heldentaten Tristans erinnern stark an das Konzept der Aventiure, da Tristan viele Bewährungsproben wahrnimmt und letztendlich viel Ruhm und Ehre erlangt. Sieht man jedoch genauer hin, bemerkt man, dass sich die Motivation des Helden anders verhält als im Artusroman. In erster Linie liegt dies daran, wie die höfische Lebenswelt im Tristanroman dargestellt ist. Diese ist von Grund auf nicht in der Perfektion beschrieben, wie sie im Artusroman anzutreffen ist. Demzufolge ist das Verhältnis von Tristan zu der höfischen Welt ein spannungsreiches. Tristan ist nie wirklich Teil des höfischen Lebens.

Anders als im Artusroman, in welchem jede Zweikampf- bzw. aventiure-Episode symbolisch in die Struktur des Weges des Romanhelden eingesetzt ist, sind die Episoden losgelöst von einer vorgegebenen Struktur. Sie erhalten im Tristan ihre Bedeutung aus ihrem spezifischen Charakter, der sie in den Handlungszusammenhang einordnet. [Haug 1989: vgl. 573] Für Tristan ergeben sich so flexible und zu seinem Vorteil nutzbare Handlungsspielräume. Auch wenn er dabei gesellschaftlich-höfische Normen manipuliert, etwa in den listreich das Recht ausnutzenden, doch grausam ausgeführten Kämpfen gegen Morgan oder besonders gegenkämpft mit Tristan::Morold.

Während im Artusroman die Aventiure in die Macht- und Kulturordnung des Hofes eingegliedert ist, wird im Tristan ein ambivalentes Bild des Höfischen gezeichnet. Zwar sucht Tristan die Herausforderung und die Gefahr, jedoch macht er dies in erster Linie aus persönlichen Gründen. So tritt Tristan beispielsweise gegen Morold an, vor allem deswegen, weil sich sonst niemand traut und kein anderer Held für diesen Kampf zu finden ist. Auch ist die Irlandfahrt persönlich motiviert, da es ihm darum geht, seine Wunden heilen zu lassen.[Haug 1992: vgl. S. 198]

Der lip-ere Konflikt

Tristans Bild wird zwar teilweise durch die Idee eines Artus-Ritters verkörpert. Deutlich wird jedoch, dass auch dieses Ideal im Tristanroman vom Zerfall bedroht ist. Der gesamte Roman wird von dem sogenannten lip-ere-Konflikt durchzogen. Die handelnden Personen sollen versuchen, einen Ausgleich zwischen lip und ere herzustellen. Am Anfang des Romans, in dem Tristan in all seinen Tugenden beschrieben wird, gelingt ihm das. Nach dem Minnetrank jedoch kommt die lip-ere-Verbindung ins Wanken, und die Moralität der Frau geht verloren. Der dritte Teil des Tristan wird auch als der Ritterroman bezeichnet und enthält die meisten Artus-Bezüge. Die Ritterschaft, die in diesem Teil im Mittelpunkt steht, soll den lip-ere-Konflikt wieder zum Ausgleich bringen. Wer diesen Kompromiss nicht schaffen kann, ist nicht der ganzlîche[n] triuwe (1805) fähig und verliert die ere. Eine Lösung dieses Konflikts, ein Wiederherstellen der alten Ideale, ist nicht vorgesehen und Gottfried liefert auch keine Antworten, wie man sich in einem solchen Konflikt verhalten soll.[Todtenhaupt 1992: vgl. S. 203-206]


Fazit

Aventiure bezeichnet einerseits die Bewährungsprobe eines Helden und ist eng verknüpft mit dem Ideal des Artus-Ritters. Im Tristan jedoch ist dieses Ideal nur teilweise gegeben, da Tristan außerhalb der höfischen Welt steht und auch diese im Tristan an Perfektion verloren hat. Zudem bedeutet Aventiure auch die Fortunahaftigkeit der Welt, das Schicksal, das den Helden herausfordert und dem gegenüber sich Tristan beweisen muss. Gerade diese Fortuna tritt mit großen Zufällen in das Leben Tristans und gerade diese Zufälle treiben die Handlung voran.


Anmerkungen

  1. Wie es Haug tut[Haug 1989: vgl. S. 576]. So ergibt sich aus der Liebestrankepisode, als Wiederholung und Steigerung aller bisherigen Metaphoriken, besonders des Leimrutengleichnisses und Zufallsverstrickungen, nach Haug für diese Szene die Motivierung des Handlungsprinzips des Tristan, nämlich des Zufalls als 'Gesetz der Welt'.


Literatur und Quellen

  • Zitation aller Versangaben nach: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-4473).

<harvardreferences/>

[*Haug 1989] Haug, Walter: Aventiure in Gottfrieds von Strassburg >Tristan<. In: Ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. Tübingen 1989. S. 557-582.

[*Haug 1992] Haug, Walter: "Ethik und Ästhetik in Gottfrieds von Strassburg Literaturtheorie". In: Ders.: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. 2. Aufl. Darmstadt 1992. S.198.

[*Schnyder 2006] Schnyder, Mireille: "Sieben Thesen zum Begriff der âventiure", in: Im Wortfeld des Textes [...], hg. von Burkhard Hasebrink [u.a.], Berlin/New York 2006, S. 369.

[*Tomasek 1985] Tomasek, Tomas: Die Utopie im Tristan Gotfrieds von Straßburg. Max Niemeyer Verlag Tübingen 1985.

[*Todtenhaupt 1992] Todtenhaupt, Martin: Veritas amoris. Die Tristan-Konzeption Gottfrieds von Straßburg. 1992.