Zeichenlesen in der Blutstropfenszene: Unterschied zwischen den Versionen
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Die Blutstropfen im Schnee müssen einer blutenden Wunde entstammen, was folglich bedeutet, dass ein Lebewesen verletzt worden sein muss. Dementsprechend sind die Blutstropfen ein ''signum naturale''. Parzival liest die Blutstropfen jedoch nicht als ''signum naturale'', sondern als ''signum datum'', und empfängt somit ein anderes Signal, als das einer blutenden Wunde: er erkennt Condwiramurs und verfällt in eine Art Liebestrance. | [[Die Blutstropfenszene (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Die Blutstropfen im Schnee]] müssen einer blutenden Wunde entstammen, was folglich bedeutet, dass ein Lebewesen verletzt worden sein muss. Dementsprechend sind die Blutstropfen ein ''signum naturale''. [[Protagonist: Parzival|Parzival]] liest die Blutstropfen jedoch nicht als ''signum naturale'', sondern als ''signum datum'', und empfängt somit ein anderes Signal, als das einer blutenden Wunde: er erkennt [[Condwiramurs]] und verfällt in eine Art Liebestrance. | ||
Wie Bumke zurecht anführt, sind die Blutstropfen jedoch nicht kodiert, wie es bei einem ''signum datum'' der Fall sein muss, um das Zeichen richtig zu lesen und zu verstehen. Parzival weiß also nicht von Anfang an, was die Blutstropfen bedeuten, sondern gelangt auf eine andere Weise zu einer Erkenntnis, als es die Zeichentheorie Augustins beschreibt: „Parzival vergleicht nicht die Sinneswahrnehmung mit einem Vorwissen und zieht daraus einen Erkenntnisgewinn. Parzivals Erkenntnis ist kein rationaler Akt, sondern eine Schau, eine Erleuchtung, fast ein poetischer | Wie Bumke zurecht anführt, sind die Blutstropfen jedoch nicht kodiert, wie es bei einem ''signum datum'' der Fall sein muss, um das Zeichen richtig zu lesen und zu verstehen. [[Protagonist: Parzival|Parzival]] weiß also nicht von Anfang an, was die Blutstropfen bedeuten, sondern gelangt auf eine andere Weise zu einer Erkenntnis, als es die Zeichentheorie Augustins beschreibt: „Parzival vergleicht nicht die Sinneswahrnehmung mit einem Vorwissen und zieht daraus einen Erkenntnisgewinn. [[Protagonist: Parzival|Parzivals]] Erkenntnis ist kein rationaler Akt, sondern eine Schau, eine Erleuchtung, fast ein poetischer Akt“ [Bumke 2001: 58]. | ||
Der Schnee an sich, wird von keiner der beteiligten Figuren in der Szene als Zeichen erkannt oder gar gedeutet. | Der Schnee an sich, wird von keiner der beteiligten Figuren in der Szene als Zeichen erkannt oder gar gedeutet. |
Version vom 10. Juli 2015, 19:17 Uhr
In der Blutstropfenszene ist Parzival nicht in der Lage zu sprechen oder zu agieren, da ihm die Worte versagen und er durch den Antlitz seiner Frau Condwiramurs, den Parzival in drei Blutstropfen im Schnee erkennen zu glaubt, in eine Art Trancezustand versetzt wird. Statt Worte sprechen in dieser Szene Zeichen, die Parzival deutet und zu einer Erkenntnis gelangt.
Mittelalterliche Zeichentheorie
Die mittelalterliche Zeichentheorie bezog sich stark auf Augustin. Laut ihm ist ein Zeichen „eine Sache, die außer dem Eindruck, den sie auf die Sinne macht, aus sich heraus noch an etwas anderes denken läßt“ (Augustin: De doctrina christiana II,3 (1963): 33, zitiert nach [Bumke 2001: 57]) bzw. „ein Ding, das neben dem sinnlichen Eindruck dem es den Sinnen mitteilt, aus sich etwas anderes in das Denken kommen läßt“ (Augustin: De doctrina christiana II.1 (1963): 35, zitiert nach [Meier-Oeser 1997: 21]).
Laut Meier-Oeser unterteilt Augustin die Zeichen in natürliche (signa naturalia) und gegebene (signa data) Zeichen. Ein signa naturalia kommt unabsichtlich und ohne Intention zustande und sind somit ohne „Bezeichnungsabsicht“ [Meier-Oeser 1997: 24]. Ein signa data hingegen wird zum Zweck der Kommunikation zwischen Menschen verwendet. Im Gegensatz zum signa naturalia hat das signa data also eine klare Intention. Um das signa data zu erkennen und zu verstehen, muss es vorher eingeübt worden sein, das heißt, man muss das Zeichen kennen, um zu erkennen, dass es kodiert ist und eine Bedeutung trägt. Bumke bezieht sich hierbei auf Hellegardt: "Wortzeichen werden nur verstanden, wenn beide dieselbe Sprache sprechen. Wenn einer mit den Schultern zuckt und einem anderen damit Gleichgültigkeit signalisieren will, funktioniert das nur, wenn der andere weiß, was das Zucken der Schulter sagen will. Bei allen gegebenen Zeichen ist daher mit 'Dunkelheiten' (obscuritates) und 'Zweideutigkeiten' (ambiguitates) zu rechnen" (Hellegardt 1973, zitiert nach [Bumke 2001: 58]).
Zeichenlesen auf der Handlungsebene
Blutstropfen im Schnee
Die Blutstropfen im Schnee müssen einer blutenden Wunde entstammen, was folglich bedeutet, dass ein Lebewesen verletzt worden sein muss. Dementsprechend sind die Blutstropfen ein signum naturale. Parzival liest die Blutstropfen jedoch nicht als signum naturale, sondern als signum datum, und empfängt somit ein anderes Signal, als das einer blutenden Wunde: er erkennt Condwiramurs und verfällt in eine Art Liebestrance.
Wie Bumke zurecht anführt, sind die Blutstropfen jedoch nicht kodiert, wie es bei einem signum datum der Fall sein muss, um das Zeichen richtig zu lesen und zu verstehen. Parzival weiß also nicht von Anfang an, was die Blutstropfen bedeuten, sondern gelangt auf eine andere Weise zu einer Erkenntnis, als es die Zeichentheorie Augustins beschreibt: „Parzival vergleicht nicht die Sinneswahrnehmung mit einem Vorwissen und zieht daraus einen Erkenntnisgewinn. Parzivals Erkenntnis ist kein rationaler Akt, sondern eine Schau, eine Erleuchtung, fast ein poetischer Akt“ [Bumke 2001: 58].
Der Schnee an sich, wird von keiner der beteiligten Figuren in der Szene als Zeichen erkannt oder gar gedeutet.
Parzivals Lanze
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences/> [*Bumke 2001] Bumke, Joachim. Die Blutstropfen Im Schnee: Über Wahrnehmung Und Erkenntnis Im "Parzival" Wolframs Von Eschenbach. N.F., 94 Vol. Tübingen: Niemeyer, 2001.
<HarvardReferences/> [*Meier-Oeser 1997] Meier-Oeser, Stephan. "Die Spur Des Zeichens: Das Zeichen Und Seine Funktion in Der Philosophie Des Mittelalters Und Der frühen Neuzeit." de Gruyter, 1997. Berlin [u.a.].