Moral und Gewissen (Reinhart Fuchs): Unterschied zwischen den Versionen
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Am Anfang des Epos [[Reinhart der Verlierer (Reinhart Fuchs)|verliert Reinhart]] gegen den Hahn, die Meise, den Raben und den Kater. Diese Episoden sind ganz bewusst für den Anfang des Epos vorbehalten, da durch seine Rolle als "Opfer" Mitleid beim Leser hervorgerufen werden kann. Diese Symphatie ist laut Kurt Ruh wichtig, da seine zukünftigen Handlungen ausdrücklich hinterlistig und gemein sind. "Dem Erfolglosen mit reichen Gaben werden sie nie verwehrt." [Ruh 1980:18] Dies soll bedeuten, dass Reinhart somit einige "Pluspunkte" sammelt, um nicht direkt zu Anfang als der Böse dazustehen und damit eine Möglichkeit zur Entwicklung vom [[Reinhart der Verlierer|Verlierer]] zum [[Reinhart der Sieger|Sieger]] überhaupt möglich ist. | |||
Des Weiteren ergibt sich so für Reinhart die Chance, ein Bündnis mit dem Wolf Isengrin einzugehen, dem er in den nächsten Episoden den größten Schaden und Schmerz bringt. Ohne diese anfangs entwickelte Symphatie für Reinhart wäre wohl kein Pakt zustande gekommen. | |||
Dass diese Symphatie im Laufe der Episodensammlung nicht vollends schwindet, erklärt sich mit dem Argument, dass es hier Tiere miteinander zutun haben. Somit schwindet "die Entwertung moralischer Kategorien" [Mecklenburg 2017:81] Deshalb sind seine Taten noch eher "vertretbar", da die Figuren als Tiere nicht nach menschlichen Trieben, sondern eben nach tierischen Trieben handeln, wobei "dem Fuchs zugeschriebenen menschengleichen Eigenschaften eben doch der appetitus des Raubtiers hindurchbricht." [Mecklenburg 2017:81] |
Version vom 15. Juli 2020, 15:22 Uhr
Dieser Artikel behandelt die Moral von Reinhart dem Fuchs und seinem Kumpanen, dem Dachs Krimel, bzw. jene übergeordnete Moral des gesamten Tierepos, welche Reinhart als Protagonist durch seine fragwürdigen Taten produziert. Hierfür wird zunächst die Textstelle heran gezogen, in der der Löwe (Der Löwe Vrevel (Reinhart Fuchs)) durch Reinhart den Tod findet (V. 2168-2183).
Inhalt der Episode
Reinhart hat sich zuvor erfolgreich von allen Anklagepunkten befreit, indem er die Ankläger mit Hilfe des Königs ärztlicher Behandlung aus dem Weg räumte. Doch selbst seinen Helfern, dem Elefant, dem Kamel und dem Löwen, bleibt seine Hinterlistigkeit und Boshaftigkeit nicht erspart:
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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er sprach: ,herre, ich will eu geben einen tranc, | Er sagte: "Herr, hier ist ein Getränk, |
so sit ir ze hant genesen.' | das wird Euch sofort auf den Weg der Genesung bringen. |
der kunic sprach: ,daz sol wesen.' | Der König antwortete: "So soll es geschehen." |
("Reinhart Fuchs" V. 2168–2170)
Obwohl der Ameisenkönig schon einige Zeit zuvor von Reinhart aus dem Gehörgang des Königs entfernt worden war, wartet der König Vrevel weiterhin gutgläubig auf die verhießene Genesung. Der Löwe hat augenscheinlich seine Mündigkeit aufgegeben und überlässt sein Schicksal weiterhin seinem Arzt Reinhart.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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do brov er des kuniges tot. | Da braute er des Königs Tod zusammen. |
Reinhart was ubele unde rot, | Reinhart war böse und blutrünstig, |
daz tet er da vil wol schin: | wie er jetzt gänzlich deutlich machte: |
er vergab dem Herren sin. | er vergiftete seinen Herrn. |
daz sol niman clagen harte; | Es soll sich aber niemand beklagen: |
waz want er han an Reinharte? | was dachte sich jener woran er an Reinhart ist? |
("Reinhart Fuchs" V. 2171–2176)
Die Frage wird aufgeworfen inwiefern der König durch Selbstverschulden in diese missliche Lage geraten ist.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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iz ist noh schade, wizze krist, | Gott weiß es ist sehr schade, |
daz manic loser werder ist | dass so mancher Betrüger bei Hof |
ze hove, danne si ein man, | geachteter ist, als ein Mann, |
der nie valsches began. | der nie etwas falsches getan hat. |
swelch herre des volget ane not | Alle Herren die freiwillig diesem Beispiel folgend |
unde teten sie deme den tot, | den Tod finden, |
daz weren gute mere. | wären gute Nachrichten. |
("Reinhart Fuchs" V. 2177–2183)
Das Handeln des Fuchses-zwei Ansätze
1. amoralisches Handeln Reinharts
Reinhart handelt in vielen Situationen amoralisch, vor allem in der Vergewaltigungszene. Die Vergewaltigung wird von Heinrich nur sehr knapp geschildert, ohne weitere Details. Dies bewirkt, dass die Szene auf den ersten Blick nicht allzu grausam erscheinen mag, sie wirkt abgeschwächt. Trotzdem kann ein solches Verbrechen der Vergewaltigung wohl kaum gerechtfertigt werden. Reinhart empfindet keinerlei Reue für seine Tat und hat auch kein schlechtes Gewissen, sondern obendrein bittet er Fr. Hersant bei ihm zu bleiben (vgl.V.1178). Weiter sagt er noch, er habe nichts Böses getan (vgl.V.1202). Dies zeigt, dass Reinhart keinen Sinn für Moral hat und er sich keiner Schuld bewusst ist.
2. Reinhart als Sympathieträger
Am Anfang des Epos verliert Reinhart gegen den Hahn, die Meise, den Raben und den Kater. Diese Episoden sind ganz bewusst für den Anfang des Epos vorbehalten, da durch seine Rolle als "Opfer" Mitleid beim Leser hervorgerufen werden kann. Diese Symphatie ist laut Kurt Ruh wichtig, da seine zukünftigen Handlungen ausdrücklich hinterlistig und gemein sind. "Dem Erfolglosen mit reichen Gaben werden sie nie verwehrt." [Ruh 1980:18] Dies soll bedeuten, dass Reinhart somit einige "Pluspunkte" sammelt, um nicht direkt zu Anfang als der Böse dazustehen und damit eine Möglichkeit zur Entwicklung vom Verlierer zum Sieger überhaupt möglich ist.
Des Weiteren ergibt sich so für Reinhart die Chance, ein Bündnis mit dem Wolf Isengrin einzugehen, dem er in den nächsten Episoden den größten Schaden und Schmerz bringt. Ohne diese anfangs entwickelte Symphatie für Reinhart wäre wohl kein Pakt zustande gekommen.
Dass diese Symphatie im Laufe der Episodensammlung nicht vollends schwindet, erklärt sich mit dem Argument, dass es hier Tiere miteinander zutun haben. Somit schwindet "die Entwertung moralischer Kategorien" [Mecklenburg 2017:81] Deshalb sind seine Taten noch eher "vertretbar", da die Figuren als Tiere nicht nach menschlichen Trieben, sondern eben nach tierischen Trieben handeln, wobei "dem Fuchs zugeschriebenen menschengleichen Eigenschaften eben doch der appetitus des Raubtiers hindurchbricht." [Mecklenburg 2017:81]