Der Fuchs und die Wölfe (Reinhart Fuchs): Unterschied zwischen den Versionen
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=== Auslegungen von Isengrin's Verhalten === | === Auslegungen von Isengrin's Verhalten === | ||
Isengrin's Verhalten auf zweierlei Weisen verstanden werden. | Isengrin's Verhalten auf zweierlei Weisen verstanden werden. | ||
Auf der einen Seite kann man argumentieren, dass Isengrin sich aufgrund seiner Loyalität zum König, abgesehen von seinem ausschließlich mündlichem Widerstand, mehr oder weniger freiwillig in sein Schicksal fügt. Vor der Kulisse des Hoftages wurde jedem Tier das erscheint körperliche Unversehrtheit zugesichert. Somit hätte der König Isengrin zumindest an diesem Tag nicht dazu zwingen können sein Fell aufzugeben - zumindest nicht ohne gegen seine eigenen Versprechungen zu verstoßen und sein Gesicht zu verlieren. Wenn man davon ausgeht, dass sich Isengrin dieses Versprechens bewusst war und daran glaubt, dass der König sein Versprechen hält, muss man davon ausgehen, dass er alles dafür gibt, seinem König eine Genesung zu ermöglichen. Jedoch ist es schwierig, diese Annahme alleine dadurch zu begründen, dass Isengrin nur mündlichen Widerstand leistet. So könnte man beispielsweise auch annehmen, dass Isengrin sich dessen bewusste ist, dass jedem Tier körperliche Unversehrtheit zugesichert wurde und er sich aus diesem Grund nur verbal zur Wehr setzt. | Auf der einen Seite kann man argumentieren, dass Isengrin sich aufgrund seiner Loyalität zum König, abgesehen von seinem ausschließlich mündlichem Widerstand, mehr oder weniger freiwillig in sein Schicksal fügt. Vor der Kulisse des Hoftages wurde jedem Tier das erscheint körperliche Unversehrtheit zugesichert. Somit hätte der König Isengrin zumindest an diesem Tag nicht dazu zwingen können sein Fell aufzugeben - zumindest nicht ohne gegen seine eigenen Versprechungen zu verstoßen und sein Gesicht zu verlieren. Wenn man davon ausgeht, dass sich Isengrin dieses Versprechens bewusst war und daran glaubt, dass der König sein Versprechen hält, muss man davon ausgehen, dass er alles dafür gibt, seinem König eine Genesung zu ermöglichen. Jedoch ist es schwierig, diese Annahme alleine dadurch zu begründen, dass Isengrin nur mündlichen Widerstand leistet. So könnte man beispielsweise auch annehmen, dass Isengrin sich dessen bewusste ist, dass jedem Tier körperliche Unversehrtheit zugesichert wurde und er sich aus diesem Grund nur verbal zur Wehr setzt.<br /> | ||
Der eben dargelegten Interpretation seines Verhaltens gegenüber steht die wahrscheinlichere Annahme, dass Isengrin sich zu diesem Handeln gedrängt fühlt. In der Übersetzung der Textstelle von Vers 1920-1925 wird klar, dass er darüber enttäuscht ist, wie der König handelt. Er ist desillusioniert darüber, dass seine Frau und er, selbst vor der Kulisse des Hoftages, keine Gerechtigkeit dafür erfahren, was Reinhart ihnen angetan hat. Dadurch, dass Reinhart in Anwesenheit aller auf prätentiöse Weise von den Gefahren die er, für die Suche nach einem Heilmittel für den König, auf sich genommen hat könnte sich Isengrin dazu gedrängt fühlen, ebenfalls Leid auf sich zu nehmen um neben Reinhart nicht illoyal zu wirken oder in Anwesenheit aller Tiere den Königsdienst zu verweigern. Wenn man die Persönlichkeit und das Verhaltens des Königs als entscheidenden Faktor hinzuzieht, könnte man ebenfalls annehmen, dass Isengrin aus Angst vor diesem so handeln musste. Denn so war er, wenn man die Familie der Wölfe betrachtet, alleiniger Leidtragender. Wenn er sich aber geweigert hätte, zu dem angeblichen Heilmittel beizutragen, wäre es durchaus vorstellbar, dass auch seiner Familie als Konsequenz Leid zugefügt wird. Somit ist Isengrin zwischen der Rolle als Oberhaut einer Familie und der des Wolfes, der für seine Überzeugungen einsteht, hin- und hergerissen. | Der eben dargelegten Interpretation seines Verhaltens gegenüber steht die wahrscheinlichere Annahme, dass Isengrin sich zu diesem Handeln gedrängt fühlt. In der Übersetzung der Textstelle von Vers 1920-1925 wird klar, dass er darüber enttäuscht ist, wie der König handelt. Er ist desillusioniert darüber, dass seine Frau und er, selbst vor der Kulisse des Hoftages, keine Gerechtigkeit dafür erfahren, was Reinhart ihnen angetan hat. Dadurch, dass Reinhart in Anwesenheit aller auf prätentiöse Weise von den Gefahren die er, für die Suche nach einem Heilmittel für den König, auf sich genommen hat könnte sich Isengrin dazu gedrängt fühlen, ebenfalls Leid auf sich zu nehmen um neben Reinhart nicht illoyal zu wirken oder in Anwesenheit aller Tiere den Königsdienst zu verweigern. Wenn man die Persönlichkeit und das Verhaltens des Königs als entscheidenden Faktor hinzuzieht, könnte man ebenfalls annehmen, dass Isengrin aus Angst vor diesem so handeln musste. Denn so war er, wenn man die Familie der Wölfe betrachtet, alleiniger Leidtragender. Wenn er sich aber geweigert hätte, zu dem angeblichen Heilmittel beizutragen, wäre es durchaus vorstellbar, dass auch seiner Familie als Konsequenz Leid zugefügt wird. Somit ist Isengrin zwischen der Rolle als Oberhaut einer Familie und der des Wolfes, der für seine Überzeugungen einsteht, hin- und hergerissen. | ||
Version vom 17. Januar 2021, 13:33 Uhr
Diese Seite befasst sich mit der Beziehung zwischen Reinhart und der Familie der Wölfe in dem Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrichs der Glîchezâre. Dabei liegt der Fokus auf den Episoden mit Isengrin, aber auch die Episoden mit Frau Hersant werden anhand von Textbelegen analysiert und gedeutet. Gerade der Konflikt zwischen Isengrin und Reinhart ist in zahlreiche Szenen aufgeteilt. Daher konzentriert sich dieser Artikel nur auf ausgewählte. Da die zwei Wolf-Söhne nicht direkt in Handlung verstrickt sind, werden sie in diesem Artikel ebenfalls nicht näher behandelt.
Fuchs und Wolf allgemein
Fuchs und Wolf in der Literatur
In Erzählungen werden Fuchs und Wolf häufig als weibliches und männliches Tier kontrastiert. [Müllneritsch 2010:291] Desweiteren werden Fuchs und Wolf oft als zunächst Verbündete beschrieben welche jedoch bereit sind, einander in den Rücken zu fallen sollte es für sie von Nöten oder von Nutzen sein. [[Müllneritsch 2010: 298] Somit kann man sagen, dass sie bereits in frühen Fabeln zu ihrem eigenen Vorteil handeln und somit Opportunismus über Loyalität stellen. Müllneritsch beschreibt Fuchs und Wolf in der mittelhochdeutschen Tierdichtung sogar als "altbekannte Widersacher" [Müllneritsch 2010: 299] und konkretisiert so ihre Beziehung.
Überleitung
Da Reinhart sowie Isengrin in Reinhart Fuchs Vetreter des männlichen Geschlechts sind, sind die geschlechterspezifischen Unterschiede zwischen Fuchs und Wolf in diesem Werk nicht vertreten. Hervorzuheben ist allerdings die Beziehung zwischen Reinhart und der weiblichen Vertreterin der Wölfe, Frau Hersant, auf die in dem Abschnitt zu Frau Hersant genauer eingegangen wird. Denn neben der Tatsache, dass Fuchs und Wolf hier männlich sind, kulminiert dieser Unterschied zu anderen Erzählungen darin, dass der Fuchs die Partnerin des Wolfes begehrt. Wie es sich dorthin entwickelt und wie die Familie der Wölfe Reinhart innerhalb des betrachteten Tierepos zum ersten Mal begegnet wird im Folgenden dargelegt.
Erstes Aufeinandertreffen (V. 384-413)
Vorangegangene Geschehnisse
Reinhart begegnet der Familie der Wölfe kurz nachdem er es durch eine List geschafft hat, aus einer Wildfalle zu entkommen. Isengrin hat dieses Schauspiel beobachtet, und so schon einen Eindruck von Reinhart's Gewitzheit erlangt. Reinhart berichtet ihm, dass er gekommen sei um ihn zu warnen, da viele Männer ihn hassen würden. Er verspricht Isengrin darauf hin, ihm und Frau Hersant zu dienen. Isengrin bespricht sich mit seiner Familie und verkündet, dass sie ihn als Vetter in die Familie aufnehmen. Dass sie dadurch noch großes Leid erfahren werden, wird dem Leser durch die Prolepse in Vers 411-413 vermittelt.
Übersetzung der Textstelle (V. 411-413)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
do hate aber er Ysengrin | Jedoch hatte Isengrin |
ein vbel gesinde zv ime genvmen, | böses Gesindel zu sich aufgenommen, |
daz mvste im ze schaden kvmen. | das musste ihn schnell ins Verderben stürzen. |
Nachfolgende Geschehnisse
Die angeführte Textstelle beendet den Tag. Ein paar Tage später zieht Isengrin mit den gemeinsamen Söhnen auf die Jagd und vertraut Frau Hersant ironischerweise seinem Gevatter an.
Interpretation der Textstelle
Denn was die Wölfe nicht wissen, der Leser hingegen durch die Textstelle selbst und die vorangegangenen Verse erfahren hat, ist, dass Reinhart opportunistisch handelt um die Gunst von Frau Hersant zu erlangen. Somit hat er sich, perfiderweise ohne dass Isengrin sich dessen bewusst ist, zu Isengrin's Antagonist entwickelt und konkurriert mit seinem neu gewonnen Vetter um dessen Partnerin.
Anbandelungen Reinharts
Dass das Erlangen der Zuneigung von Frau Hersant jedoch zu scheitern prädestiniert ist, macht sie ihm recht schnell deutlich. Prägnant ist die, fast schon maliziöse, Aussage "wold aber ich deheines gern, so werest dv mir doch zv swach." (V. 432f.) [Heinrich der Glîchezâre 1995]. Hierbei hebt sie die körperliche Überlegenheit Isengrins über Reinhart hervor. Als Isengrin nach kurzer Zeit zu den beiden stößt "[...] tet der hobischere alse der rede niht inwere." (V. 441f.) [Heinrich der Glîchezâre 1995]. Die Tatsache, dass sich Reinhart vor seinem Vetter, als dieser zurückkehrte, nichts anmerken lassen möchte, verdeutlicht die bigotten und opportunistischen Grundzüge seines Handelns.
Depotenzierung Isengrins
Wie bereits erwähnt, hat Männlichkeit und die damit einhergehende Potenz einen hohen Stellenwert in der Beziehung der Wölfe. Ebendiese Männlichkeit nimmt jedoch irreversibel Schaden durch Reinhart's Taten. Die Depotenzierung erfolgt in zwei Schritten welche im Folgenden analysiert werden.
Tonsur Isengrins
Den erste Bestandteil der Depotenzierung Isengrins stellt die Tonsurierung dar. Welche Ereignisse zu dieser führten und welche Folgen sie mit sich bringt werden nun dargelegt.
Vorangegangene Geschehnisse
Der von Hunger geplagte Isengrin kommt auf der Suche nach Nahrung an der Tür seines Gevatters vorbei. Als er dort vorbeigeht nimmt er einen betörenden Essens-Duft wahr welcher sogleich sein Interesse weckt. Als Reinhart ihn bemerkt spricht er ihn an und ein Gespräch beginnt. Der untenstehende Teil des Gesprächs findet statt, nachdem Reinhart Isengrin zwei Stück Aal gegeben hat, um so dessen Interesse zu wecken.
Übersetzung der Textstelle (V. 684-696)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Reinhart sprach: 'des macht dv gnuc han, | Da antwortete Reinhart: 'Davon könntest du genug haben - |
wilt dv hie brvderschaft enpfan, | wenn du der Bruderschaft beitrittst, |
dv wirdest meister vber di braten.' | wirst du für die Braten zuständig sein.' |
da wart er san beraten. | Da hat sich Isengrin sogleich entschieden. |
'daz lob ich', sprach Ysingrin. | 'Das gelobe ich', sagte Isengrin. |
'nv stoz', sprach er, 'din hovbt herin.' | 'Dann streck deinen Kopf herein!', antwortete Reinhart. |
des was Ysengrin bereit, | Dazu war Isengrin bereit, |
do nahet im sin arbeit. | da näherte ihm sich seine Qual. |
dar in stiez er sin hovbet groz, | Hinein streckte er sein mächtiges Haupt, |
brvder Reinhart in begoz | und Bruder Reinhart übergoss dieses, tatsächlich, |
mit heizem wazzer, daz ist war, | mit heißem Wasser, |
daz vurt im abe hvt unde har. | welches Isengrin's Haupt und seine Haare verbrühte. |
Nachfolgende Geschehnisse
Nachdem Reinhart Isengrin diesen Schmerz zugefügt hat, begründet er dies damit, dass Isengrin Leid ertragen muss um in das Paradies zu gelangen. Reinhart betrachtet seine Taten und sich selbst als sakrosant und versucht, Isengrin ebendiesen Eindruck zu vermitteln, sodass dieser die Taten seines Gevatters nicht hinterfragt und seine Schmerzen vergisst.
Interpretion der Textstelle
Durch die Tonsur hat Isengrin nicht nur seinen Pelz im Kopfbereich verloren, und damit eines der Haupt-Anzeichen für Vitalität und Stärke im Tierreich, sondern hat nun ein anderes Auftreten als vor der Textstelle. Die Tonsurierung fungiert als conversio eines Mannes hin zu einem Mann Gottes. Durch die Tonsur evoziert nun auch Isengrin dieses Bild, dass er sich dem Weltlichen abgewandt und Gott zugewandt hat. Dies ist durch die Existenz seiner Partnerin und seiner zwei Söhne besonders problematisch. Als Mann Gottes darf die Weitergabe seiner Gene nicht seine Priorität sein - anders als es normalerweise der Fall wäre. Diese Abwendung von Sexualität stellt somit den ersten Schritt der Depotenzierung Isengrins dar.
Kastration Isengrins
Nach der vorangegangenen Tonsur erfolgt nun die ultimate und irreversible Depotenzierung. Wie es dazu kommt, und welche Folgen diese mit sich bringt werden im Folgenden erörtert.
Vorangegangene Geschehnisse
Als Reinhart Isengrin kurze Zeit später zum Eisfischen überredet, sagt er ihm, er solle den Eimer halten. Er befestigt ihn an dem Schwanz von Isengrin und gießt immer wieder Wasser über diesen, als Isengrin sich über das Gewicht wundert, behauptet Reinhart jedoch, dass sie großen Erfolg im Fischfang haben. Aufgrund der Temperaturen friert der Schwanz schnell fest. Als Reinhart sich sicher ist, dass Isengrin festgefroren ist, erzählt er ihm, dass er sich auf den Weg zum Kloster macht, um ihre Mitbrüder die Mönche zu holen die ihnen tragen helfen sollen, und lässt Isengrin zurück. Dieser gerät alsbald in eine heikle Situation als der Jäger Birtin sich im näherte.
Übersetzung der Textstelle (V. 805-821)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Isingrin was besezzin. | Isengrin war umzingelt. |
her Birtin hate ime gemezzin: | Herr Birtin hatte ihn abgeschätzt: |
den rucke wolter ime inzwei slahin. | denn er wollte ihm den Nacken abschlagen. |
do begunden ime die fuze ingan, | Da fing es an, dass ihm die Füße wegrutschten, |
vonme sliffe er nider kam: | auf dem glitschigen Eis fiel er hin: |
div gleti ime den swanc nam. | die Glätte nahm ihm den Schwung. |
umbe den sturz er niht enlie, | Aufgrund des Sturzes |
an den kniwin er wider gie. | machte er auf den Knien weiter. |
div gletin im aber den swanc nam, | Die Glätte nahm ihm erneut den Schwung, |
daz er heht ubir den zagel kam; | sodass er nur den Schwanz traf; |
den sluoc er ime garwe abe. | den schlug er ihm gänzlich ab. |
sie ir huobin beide groze clage. | Sie hegten beide großes Bedauern. |
Her Birtin do clagete, | Herr Birtin beklagte, |
daz er vermisset habete, | dass er nicht getroffen hat, |
ouch clagite sere Isingrin | und Isengrin jammerte |
den vil liebin zagil sin. | seinem geliebten Schwanz nach. |
den muoser da ze pfande lan. | Den musste er als Pfand zurücklassen. |
Nachfolgende Geschehnisse
Nach dem Verlust seines Schwanzes verlässt Isengrin den Schauplatz schnell und folgt Reinhart in Richtung Kloster.
Interpretation der Textstelle
Es könnte zwar als glückliche Fügung angesehen werden, dass er mit dem Leben davon gekommen ist, doch hat der Verlust des Schwanzes starke negative Auswirkungen. Die Textstelle kann auf verschiedene Weise gedeutet werden. Einerseits kann man "zagil" ausschießlich als die Rute des Wolfes verstehen, wahrscheinlicher ist jedoch die Auslegung, dass "zagil" hier für das männliche Glied steht. Somit wurde Isengrin nicht nur physischer Schmerz zugefügt, sondern er wurde desweiteren auch seiner Männlichkeit beraubt.
Folgen des Schwanzverlusts
Durch die vorangegangene Tonsur und die spätere Kastration ist die vorherig exorbitante Männlichkeit Isengrins nun nur noch rudimentär ausgeprägt. Das ist daher gravierend, da die Männlichkeit Isengrin's als einer der Hauptpfeiler der Beziehung zwischen ihm und Frau Hersant fungierte. Die Abweisungen Reinharts hat Frau Hersant stets mit ebendieser Männlichkeit begründet. Somit haben die Taten Reinharts, beziehungsweise die aus seinen Taten resultierenden Folgen, eminenten Einfluss auf das Familienkonstrukt der Wölfe. Dieser wird im Folgenden analysiert.
Vorangegangene Geschehnisse
Als Isengrin nach diesen Geschehnissen wieder zu seiner Familie stößt, und ihnen sein Leid klagt kommen sie zu dem selben Schluss, entsagen Reinhart die familiäre Verbindung und kündigen an, eine Fehde mit ihm zu beginnen. Eminent ist in diesem Wortwechsel die Bestürzung Frau Hersants über die Depotenzierung ihres Partners. Dies ist recht expressiv für den Stellenwert den die Männlichkeit Isengrins in ihrer Beziehung einnimmt, doch dessen Wichtigkeit ist besonders durch das Prestigegefühl Frau Hersants geprägt.
Übersetzung der Textstelle (V. 1057-1060)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
'o we, ich en mag ez niht ane sin! | 'O weh, ich kann nicht ohne ihn sein! |
mir ist leit, daz der man min | Es erschüttert mich, dass mein Mann |
ane zagel mvz wesen. | keinen Schwanz mehr hat. |
wi sol ich arme des genesen?' | Wie soll ich Ärmste das ertragen?' |
Nachfolgende Geschehnisse
Diese Aussage Frau Hersants begründet letztendlich die Fehde. Isengrin trabt er sogleich los um sich auf die Suche nach Reinhart zu machen und sich so für das Leid welches ihm und seiner Familie zugefügt wurde zu rächen. Bevor er jedoch Selbstjustiz verüben kann, trifft er auf den Luchs. Da dieser sowohl Fuchs als auch Wolf zu seiner Verwandschaft zählt, überredet er Isengrin sein Anliegen bei dem Gerichtstag vorzutragen anstelle sich zu rächen.
Interpretation der Textstelle
Bei dieser Textstelle ist auffällig, dass Frau Hersant in dieser Situation einen selbst-zentrierten Standpunkt einnimmt und ihrem Partner gegenüber sehr unemphatisch auftritt. Obwohl es primär Isengrin ist, der Leid, sowie physischen Schmerz, erleiden musste, macht sie sich darüber Sorgen, wie sie das überstehen solle. In dieser Situation wirkt es zwar inadäquat, macht jedoch Rückschlüsse auf ihre Beziehung möglich. Ihr Mann muss für sie die Funktion einer Stütze und des Beschützers einnehmen, er fragt sie sogleich was sie bekümmert, während sie Resignation verspüren darf. Ihr Leid ist letztendlich der Auslöser dafür, dass sich Isenrgin auf die Suche nach Reinhart macht um die Fehde zu beginnen.
Frau Hersant
Entehrung Frau Hersants
Wie in Sexuelle Gewalt im Reinhart Fuchs ausführlich dargelegt, kommt es zu einer Vergewaltigung Frau Hersant's durch Reinhart. Da sie in einer Dachshöhle feststeckt, kann sie sich nicht zur Wehr setzen, obwohl sie die körperliche Kraft betrachtend, das stärkere Tier ist. Reinhart entehrt sie öffentlich vor zahlreichen Tieren - am schlimmsten ist jedoch, dass auch Isengrin und die gemeinsamen Söhne sich dies anschauen mussten, ohne einschreiten zu können da sie zu spät kommen.
Der finale Bruch der Wölfe mit Reinhart
Vorangegangene Geschehnisse
Isengrin ist konsterniert über diese Demütigung seiner Frau und auch seiner Ehre und beginnt vor Wut zu weinen. Diese öffentliche Entehrung des weiblichen Familienoberhaupts der Wölfe ist mehr als diese ertragen können.
Übersetzung der Textstelle (V. 1226-1231)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
ver Hersant weinete do | Da begann Frau Hersant zu weinen |
vnde hulte Ysengrin, | und Isengrin heulte, |
alsam taten ovch di svne sin. | wie es auch seine Söhne taten. |
daz laster mvsten si haben. | Was für eine Schmach die ertragen mussten. |
do begonden si dannen draben, | Da begannen sie, hinfort zu traben, |
vil zornic was ir aller mvt. | jeder von ihnen mit einem zornigen Gemüt. |
Nachfolgende Geschehnisse
Reinhart hält jedoch an seinem impertinenten und mokanten Verhalten fest und beginnt nun auch noch die Familie der Wölfe zu verhöhnen. So sollen die Wölfe Frau Hersant zum Beispiel bei Reinhart zurücklassen, da sie aufgrund des vollzogenen Geschlechtsaktes nun bei ihm die Hausfrau sei. Isengrin erwidert darauf nichts mehr, da sich das Land in einem, von König Vrevel ausgerufenen, Landfrieden befindet.
Folgen am Hoftag
Wie sehr Reinhart der Familie der Wölfe durch die Vergewaltigung geschadet hat und wie sehr er sie entehrt hat wird beim Hoftag deutlich. Da Isengrin diesen Vorfall dort zur Anklage bringt wird ihm bewusst gemacht, dass er dieses Thema schnellstmöglich in Vergessenheit geraten lassen sollte. Andernfalls "[...] schädige [er] die Ehre von Weib und Kind, wenn er derartige Geschichten in die Öffentlichkeit trage." [Ruh 1980:15]. So wurde der Familie der Wölfe, insbesondere Frau Hersant, hier nicht nur Schaden zugefügt, sondern auch jede Möglichkeit genommen, den Schuldigen dafür zur Rechenschaft zu ziehen - die Tat als solche bleibt somit ungesühnt.
Klimax des Konflikts zwischen Fuchs und Wolf
Den Höhepunkt Reinhart's Listen, stellt jedoch der bereits erwähnte Hoftag dar. Obwohl Reinhart ursprünglich für seine Untaten angeklagt werden sollte, wendet er sich schnell durch eine List heraus und schafft es nun, auf diabolische Art und Weise, Isengrin gravierenden Schaden zuzufügen.
Vorangegangene Geschehnisse
Reinhart gibt sich als Botschafter eines Arztes aus, welcher ihn aus der Ferne entsendete um den Löwenkönig Vrevel von seinem Leid zu befreien. Aufgrund seiner eloquenter Ausdrucksweise, schafft es Reinhart sich das Vertrauen des Königs zu erschleichen. Als er diesen von seiner Loyalität und seinen Bemühungen ein Heilmittel für ihn, den König, zu finden überzeugt hat, erteilt er ihm Rat, wie der König sein doloröses Leiden beenden könne.
Übersetzung der Textstelle (V. 1896-1901)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
'evch enpevtet der arzet me, | 'Des weiteren lässt er mich euch ausrichten, |
ob ir einen alden wolf mvget vinden, | dass wenn ihr einen alten Wolf finden könnt, |
den svlt ir heizen schinden, | ihr ihm die Haut abziehen lassen sollt; |
ovch mvzet ir eines bern hvt han.' | auch müsst ihr die Haut eines Bären haben.' |
Der König Vrevel beschließt sich, diesen Empfehlungen Folge zu leisten und fordert von Isengrin und seinem Kaplan die Pelze ein. Während der Kaplan Vrevel um Gnade anfleht, ist Isengrin insistent und versucht, Vrevel von dem Richtigen zu überzeugen.
Übersetzung der Textstelle (V. 1920-1925)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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'sol mir alsvs gerichtet sin | 'Soll das also das Gericht |
vmme min wip, daz ist ein not.' | für meine Frau sein, das ist ein Jammer.' |
sinen zagelstrvmph er herfvr bot: | Er zeigte den Stummel des Schwanzes vor und fuhr fort: |
'sehet, wi mich ewer arzat | 'Seht, wie mich euer Arzt |
hinderwert gevnert hat. | hinterrücks geschändet hat. |
ouch mag evch wol ergan so.' | Euch mag es wohl ebenso ergehen.' |
Nachfolgende Geschehnisse
König Vrevel misst den Worten Isengrins jedoch keine Bedeutung bei und lässt ihn und Herr Brun seinen Kaplan ergreifen. Anschließend lässt er ihnen, Reinhart's Rat befolgend, das Fell abziehen.
Interpretation der Textstellen
Die Tatsache, dass Reinhart es schafft aus der ursprünglichen Rolle des Angeklagten auszubrechen und alleine durch seine kongeniale Rhetorik und Selbststilisierung den König dazu bringt ihm vollends zu vertrauen ist bestürzend. Denn sein Plan, den er mit einer perfiden und dennoch respektablen Subtilität ausführt, war von Beginn des Hoftages an "[...] das Vertrauen des kranken Vrevel durch das Rechtfertigungsnarrativ vom kundigen Arzt zu gewinnen, um es dann für die Rache am Wolf [...] zu missbrauchen." [Neudeck 2016:22] Er erschleicht sich somit durch die ostentative, angebliche, Loyalität zum König dessen Vertrauen und bringt die Familie der Wölfe dadurch in eine prekäre Situation. Denn diese konnte so keine Gerechtigkeit, für die Dinge die Reinhart ihnen angetan hat, erlangen. Viel gravierender ist jedoch, dass Reinhart, trotz seiner anfänglichen Ohnmacht in der Szene des Hoftags, wieder einmal für das Leid der Wölfe verantwortlich ist. Er kann von den Wölfen als sein Opfer nicht ablassen und holt somit zum finalen Gegenschlag aus. Dass Isengrin, das Familienoberhaupt der Wölfe, bei lebendigem Leibe, und somit unter brachialen Umständen, sein Fell abgezogen bekommt, verleiht dem Fuchs als bewiesener Widersacher der Wölfe letztlich infernalische Züge.
Auslegungen von Isengrin's Verhalten
Isengrin's Verhalten auf zweierlei Weisen verstanden werden.
Auf der einen Seite kann man argumentieren, dass Isengrin sich aufgrund seiner Loyalität zum König, abgesehen von seinem ausschließlich mündlichem Widerstand, mehr oder weniger freiwillig in sein Schicksal fügt. Vor der Kulisse des Hoftages wurde jedem Tier das erscheint körperliche Unversehrtheit zugesichert. Somit hätte der König Isengrin zumindest an diesem Tag nicht dazu zwingen können sein Fell aufzugeben - zumindest nicht ohne gegen seine eigenen Versprechungen zu verstoßen und sein Gesicht zu verlieren. Wenn man davon ausgeht, dass sich Isengrin dieses Versprechens bewusst war und daran glaubt, dass der König sein Versprechen hält, muss man davon ausgehen, dass er alles dafür gibt, seinem König eine Genesung zu ermöglichen. Jedoch ist es schwierig, diese Annahme alleine dadurch zu begründen, dass Isengrin nur mündlichen Widerstand leistet. So könnte man beispielsweise auch annehmen, dass Isengrin sich dessen bewusste ist, dass jedem Tier körperliche Unversehrtheit zugesichert wurde und er sich aus diesem Grund nur verbal zur Wehr setzt.
Der eben dargelegten Interpretation seines Verhaltens gegenüber steht die wahrscheinlichere Annahme, dass Isengrin sich zu diesem Handeln gedrängt fühlt. In der Übersetzung der Textstelle von Vers 1920-1925 wird klar, dass er darüber enttäuscht ist, wie der König handelt. Er ist desillusioniert darüber, dass seine Frau und er, selbst vor der Kulisse des Hoftages, keine Gerechtigkeit dafür erfahren, was Reinhart ihnen angetan hat. Dadurch, dass Reinhart in Anwesenheit aller auf prätentiöse Weise von den Gefahren die er, für die Suche nach einem Heilmittel für den König, auf sich genommen hat könnte sich Isengrin dazu gedrängt fühlen, ebenfalls Leid auf sich zu nehmen um neben Reinhart nicht illoyal zu wirken oder in Anwesenheit aller Tiere den Königsdienst zu verweigern. Wenn man die Persönlichkeit und das Verhaltens des Königs als entscheidenden Faktor hinzuzieht, könnte man ebenfalls annehmen, dass Isengrin aus Angst vor diesem so handeln musste. Denn so war er, wenn man die Familie der Wölfe betrachtet, alleiniger Leidtragender. Wenn er sich aber geweigert hätte, zu dem angeblichen Heilmittel beizutragen, wäre es durchaus vorstellbar, dass auch seiner Familie als Konsequenz Leid zugefügt wird. Somit ist Isengrin zwischen der Rolle als Oberhaut einer Familie und der des Wolfes, der für seine Überzeugungen einsteht, hin- und hergerissen.
Verzeichnis
Quellen
<HarvardReferences />
- [*Heinrich der Glîchezâre 1995] Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995.
Literatur
<HarvardReferences />
- [*Müllneritsch 2010] Müllneritsch, Helga: Die Darstellung des Fuchses in der mittelalterlichen Dichtung, Graz, S. 289-306
<HarvardReferences />
- [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 13-33
<HarvardReferences />
- [*Neudeck 2016] Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik. Reflexionen des Politischen in europäischer Tierepik, Berlin / Boston 2016, S. 21–26.