Natureingang und Symbolik in den Liedern Neidharts: Unterschied zwischen den Versionen

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==Jahreszeitliche Unterteilung der Lieder==
==Jahreszeitliche Unterteilung der Lieder==
===Unterscheidung Sommer- und Winterlieder===
Neidharts Sommer- und Winterlieder unterscheiden sich nicht nur durch ihre offensichtlich jahreszeitliche Konstituierung, sondern weisen auch inhaltliche und strukturelle Unterschiede auf, anhand derer die beiden Liedformen unterschieden werden können. So ist der Natureingang zwar in den Winterliedern oftmals von geringerem Umfang, nimmt aber trotzdem eine prägende Rolle durch seine Eingangsstellung sowie die darauffolgenden Klage des Sängers ein. Die Sommerlieder beginnen im Kontrast dazu mit einem Lob des Sommers und dessen natürlicher Merkmale worauf ein Freudenaufruf des Sängers folgt. Bereits in den ersten Zeilen und Strophen wird dadurch schon eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Liedtypen getroffen. Die Sommerlieder kreieren eine Atmosphäre der Freude wohingegen die Winterlieder von Klage und Leid definiert werden. Die setzt sich auch im weiteren Verlauf der Lieder fort, wenn in den Sommerliedern Dialoge beschrieben werden, in welche Liebe, Freude und Zuneigung thematisiert werden, während die Winterlieder meist von Gewalt, Streit und Unrecht zwischen den dörpern sowie dem Sänger handeln. Auch durch die handelnden und beschriebenen Personen kann eine klare Unterscheidung getroffen werden. Die Dialoge und Monologe der Sommerlieder werden von Frauen geführt (Mutter-Tochter und Mädchen) während in den Winterliedern vor allem das (meist gewalttätige) Verhalten von Männern untereinander Handlungsmittelpunkt ist. Daraus etabliert sich nicht nur der ‘Gegensatz‘ Sommer-Winter, sondern auch weiblich-männlich.
Über das Inhaltliche hinaus findet sich auch ein struktureller Unterschied in der genutzten Strophenform. Während in den Winterliedern Kanzonenstrophen verwendet werden, nutzen die Sommerlieder Reienstrophen. Auch die Sprecherrolle variiert abhängig von den Liedtypen. Während in den Winterliedern ganz klar der Sänger das werbende Sprecher-/Sänger Ich verkörpert, was nicht zuletzt durch zahlreiche Verweise auf den Wunsch zu singen und das drohenden Verbot ebendessen durch die dörper (!!!) hervorgehoben wird ist die Sprecherrolle in den Sommerliedern noch unklar. Der einleitende Natureingang kann nicht eindeutig dem Sänger zugeschrieben werden, und „der von Reuental“, welcher oftmals mit dem Sänger gleichgesetzt wird, ist Gesprächsobjekt innerhalb der Dialoge und Monologe, aber kein aktiver Sprecher.
Trotz der zahlreichen Unterschiede eint ein Faktor die Jahreszeiten und die Menschen: der Tanz. Sowohl in Sommer- als auch in Winterliedern wird zum Tanz aufgerufen und unabhängig von den Jahreszeiten kommen die Menschen zusammen, um zu tanzen. Dies geschieht jedoch an andere Orten. Im Sommer findet diese Zusammenkunft draußen in der Natur statte: Heide, Anger und Straße sind Schauplätze dieser gesellschaftlichen Treffen während im Winter nur die Stube, eine Art Gasthaus, für soziale Interaktion bleibt. Allein die räumlichen Gegebenheiten rufen so unterschiedliche Gefühle hervor. Während ein Tanz auf einer Wiese in der Natur ein Gefühl von Freiheit und Unbeengtheit auslöst, sorgt die Vorstellung von vielen Menschen in einer engen Stube für gegenteilige Assoziationen. Begleitet wird diese Opposition von den Unterschieden in den ausgeübten Tänzen. Während in der Stube eher höfische Tänze beschrieben werden, stehen im Sommer Bauerntänze im Vordergrund. Dies unterstreicht zusätzlich den jahreszeitlichen Kontrast von Anspannung und Ausgelassenheit.
Ein weiterer Unterschied findet sich also in der Konzeption von Raum in den verschiedenen Liedtypen. Während dieser in den Sommerliedern als „unbeengte Weite“ dargestellt wird, ist er in den Winterlieder eng und geschlossen (Braun 272). Neidhart konstituiert „einen Raum, der nicht der Naturraum des klassischen Minnesangs ist“ (ebd.) sondern durch die Nennung von strazze, walde, anger, zu den linden und under einm hekke einen „Schauplatz ambivalenter (vor allem erotischer) Aktivitäten“ in seinen Sommerliedern. Dem gegenüber steht ein Innenraum, der in den Sommerliedern durch das gedam repräsentiert wird, in welchem die Tochter festgehalten werden soll. In den Winterliedern wird dieser private Raum durch einen öffentlichen ersetzt, der durch diese Öffentlichkeit jedoch nicht weniger bedrängend wird: die stube. Diese ist durvch die beiden oppositonell konnotierten Komponenten Gesellschaft (eher positiv) und Beengtheit (negativ) „[e]in Ort des Feierns und der Freude, aber auch einer des Gedränges und der Aggression.“ (Braun 273)
Durch die unterschiedliche Darstellung der Jahreszeiten wird eine „Opposition von Sommer und Winter“ (Braun) etabliert, welche auf der Basisposition von Fehlen vs Vorhandensein aufbaut (Eder). Jedes Motiv wäre demnach nach dieser Position ausgerichtet. Belege für diese These finden sich beispielsweise klar in den Beschreibungen der Vögel (schweigen vs singen) und der Blumen bzw. der Heide (blühen vs nicht-blühen) (!!!).


==Sommer==
==Sommer==

Version vom 6. März 2021, 19:56 Uhr

Jahreszeitliche Unterteilung der Lieder

Unterscheidung Sommer- und Winterlieder

Neidharts Sommer- und Winterlieder unterscheiden sich nicht nur durch ihre offensichtlich jahreszeitliche Konstituierung, sondern weisen auch inhaltliche und strukturelle Unterschiede auf, anhand derer die beiden Liedformen unterschieden werden können. So ist der Natureingang zwar in den Winterliedern oftmals von geringerem Umfang, nimmt aber trotzdem eine prägende Rolle durch seine Eingangsstellung sowie die darauffolgenden Klage des Sängers ein. Die Sommerlieder beginnen im Kontrast dazu mit einem Lob des Sommers und dessen natürlicher Merkmale worauf ein Freudenaufruf des Sängers folgt. Bereits in den ersten Zeilen und Strophen wird dadurch schon eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Liedtypen getroffen. Die Sommerlieder kreieren eine Atmosphäre der Freude wohingegen die Winterlieder von Klage und Leid definiert werden. Die setzt sich auch im weiteren Verlauf der Lieder fort, wenn in den Sommerliedern Dialoge beschrieben werden, in welche Liebe, Freude und Zuneigung thematisiert werden, während die Winterlieder meist von Gewalt, Streit und Unrecht zwischen den dörpern sowie dem Sänger handeln. Auch durch die handelnden und beschriebenen Personen kann eine klare Unterscheidung getroffen werden. Die Dialoge und Monologe der Sommerlieder werden von Frauen geführt (Mutter-Tochter und Mädchen) während in den Winterliedern vor allem das (meist gewalttätige) Verhalten von Männern untereinander Handlungsmittelpunkt ist. Daraus etabliert sich nicht nur der ‘Gegensatz‘ Sommer-Winter, sondern auch weiblich-männlich. Über das Inhaltliche hinaus findet sich auch ein struktureller Unterschied in der genutzten Strophenform. Während in den Winterliedern Kanzonenstrophen verwendet werden, nutzen die Sommerlieder Reienstrophen. Auch die Sprecherrolle variiert abhängig von den Liedtypen. Während in den Winterliedern ganz klar der Sänger das werbende Sprecher-/Sänger Ich verkörpert, was nicht zuletzt durch zahlreiche Verweise auf den Wunsch zu singen und das drohenden Verbot ebendessen durch die dörper (!!!) hervorgehoben wird ist die Sprecherrolle in den Sommerliedern noch unklar. Der einleitende Natureingang kann nicht eindeutig dem Sänger zugeschrieben werden, und „der von Reuental“, welcher oftmals mit dem Sänger gleichgesetzt wird, ist Gesprächsobjekt innerhalb der Dialoge und Monologe, aber kein aktiver Sprecher. Trotz der zahlreichen Unterschiede eint ein Faktor die Jahreszeiten und die Menschen: der Tanz. Sowohl in Sommer- als auch in Winterliedern wird zum Tanz aufgerufen und unabhängig von den Jahreszeiten kommen die Menschen zusammen, um zu tanzen. Dies geschieht jedoch an andere Orten. Im Sommer findet diese Zusammenkunft draußen in der Natur statte: Heide, Anger und Straße sind Schauplätze dieser gesellschaftlichen Treffen während im Winter nur die Stube, eine Art Gasthaus, für soziale Interaktion bleibt. Allein die räumlichen Gegebenheiten rufen so unterschiedliche Gefühle hervor. Während ein Tanz auf einer Wiese in der Natur ein Gefühl von Freiheit und Unbeengtheit auslöst, sorgt die Vorstellung von vielen Menschen in einer engen Stube für gegenteilige Assoziationen. Begleitet wird diese Opposition von den Unterschieden in den ausgeübten Tänzen. Während in der Stube eher höfische Tänze beschrieben werden, stehen im Sommer Bauerntänze im Vordergrund. Dies unterstreicht zusätzlich den jahreszeitlichen Kontrast von Anspannung und Ausgelassenheit. Ein weiterer Unterschied findet sich also in der Konzeption von Raum in den verschiedenen Liedtypen. Während dieser in den Sommerliedern als „unbeengte Weite“ dargestellt wird, ist er in den Winterlieder eng und geschlossen (Braun 272). Neidhart konstituiert „einen Raum, der nicht der Naturraum des klassischen Minnesangs ist“ (ebd.) sondern durch die Nennung von strazze, walde, anger, zu den linden und under einm hekke einen „Schauplatz ambivalenter (vor allem erotischer) Aktivitäten“ in seinen Sommerliedern. Dem gegenüber steht ein Innenraum, der in den Sommerliedern durch das gedam repräsentiert wird, in welchem die Tochter festgehalten werden soll. In den Winterliedern wird dieser private Raum durch einen öffentlichen ersetzt, der durch diese Öffentlichkeit jedoch nicht weniger bedrängend wird: die stube. Diese ist durvch die beiden oppositonell konnotierten Komponenten Gesellschaft (eher positiv) und Beengtheit (negativ) „[e]in Ort des Feierns und der Freude, aber auch einer des Gedränges und der Aggression.“ (Braun 273)

Durch die unterschiedliche Darstellung der Jahreszeiten wird eine „Opposition von Sommer und Winter“ (Braun) etabliert, welche auf der Basisposition von Fehlen vs Vorhandensein aufbaut (Eder). Jedes Motiv wäre demnach nach dieser Position ausgerichtet. Belege für diese These finden sich beispielsweise klar in den Beschreibungen der Vögel (schweigen vs singen) und der Blumen bzw. der Heide (blühen vs nicht-blühen) (!!!).

Sommer

Beschreibung des Sommeranfangs

Gefühle und Verhalten der Figuren

Winter

Beschreibung des Winteranfangs

Gefühle und Verhalten der Figuren

Natursymbole

Laut Eder dient der Natureingang nicht nur der jahreszeitlichen Einordnung, sondern auch der „Imagination von kollektiver Erfahrbarkeit“ (Eder). Diese wird realisiert durch mitunter detailreiche Beschreibung von Umgebung und Natur aber auch durch die Verwendung spezifischer Motive und Symbole, die sowohl die Natur als auch menschliche Interaktionen und Verhalten durch ihre Mehrdeutigkeit erfahrbar machen und illustrieren. Bei Neidhart stehen dabei vor allem zwei Sinne im Vordergrund: das Sehen und das Hören. In den Liedern wird im Besonderen von verschiedenen Blumen- und Pflanzenmotiven gebraucht gemacht (visuell), aber auch der auditive Input von Vogelgezwitscher wird gebraucht, um Jahreszeitenwechsel zu veranschaulichen. Über die generelle Natur- und Blumenmotivik hinaus finden sich in den Liedern Neidharts auch spezifische Nennungen. Darunter des häufigeren die Linde, welche auch bei Walter von der Vogelweide oftmals als Symbol diente (‚unter den Linden‘), aber auch Ingwer und Veilchen spielen bei Neidhart eine Rolle. Überdies erweitert Neidhart die traditionellen Minnesangmotive um Neue, wie beispielsweise die lerche (WL1), zisel (SL 27), droschel (SL23), batonje (WL22) und sumerbloumen (SL25) (siehe Schweikle 116). Neidhart greift besonders im Kontext sexueller Handlungen und Begegnungen gerne auf mehrdeutige Wendungen zurück, welche einen Naturbezug haben. Darunter sind vor allem traditionelle Minnesangmotive wie bluomen brechen (SL4,IV) oder nach bluomen gan (SL1, III) sowie rosenkrenzel gebrechen (SL17, I) und kranz lesen (SL21, II) (siehe Schweikle, 109) in welchen die Blumen bzw. die daraus geflochtenen Kränze sinnbildlich für das weibliche Geschlecht stehen und deren brechen für den Verlust der „Jungfräulichkeit“. Welche Bedeutung einiger dieser Symbole beigemessen werden kann und wie diese im Minnesang-kontext gedeutet werden wird im Folgenden an einigen Beispielen individuell erläutert.


Ingwer

Die Ingwerwurzel ist unter anderem im Winterlied 24 von Bedeutung: Hier schildert der Sänger einen streit um die Ingwerwurzel (V, 6). Hildebolt schenkt seiner Angebeteten eine solche Wurzel, worauf Willegêr sie dem Mädchen wieder wegnimmt, worauf sich ein gewaltsamer Streit entfacht (VII, 3-5). Im Mittelalter war Ingwer aus der Küche und in der Medizin nicht mehr wegzudenken, allerdings wurde der Wurzel auch eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb Willegêr dem Mädchen die Wurzel gewaltsam wegnimmt. Möglicherweise befürchtet er, seine Auserwählte könnte sich nun nur noch für seinen Rivalen Hildebolt interessieren. Andererseits ist diese Szene mit dem Spiegelraub vergleichbar, da der Dame auch hier etwas von einem Antagonisten geraubt bzw. gestohlen wird.

"Wie begehrt Ingwer war, wird satirisch in Neidharts 'Ingwerstreit' (vgl. WL 24,V und WL 31,VI) dargestellt. Folgt man nun Schweikles Argumentation in der Interpretation der Dörper,255 die er nicht als Bauern sondern als Mitglieder des Adels interpretiert sehen will, hat man nach Auflösung der satirischen Überhöhung ein recht realistisches Bild der Wertschätzung, die das exotische Gewürz genossen haben muss.“ (Klug 73)

Linde

Literaturverzeichnis

Textausgaben

Forschungsliteratur

<HarvardReferences /> [*Braun] Braun, Manuel: Spiel Autonomie (unveröffentl. Habil.), S. 259-280 <HarvardReferences /> [* Goheen 1972] Goheen, Jutta. Natur- Und Menschenbild in der Lyrik Neidharts, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur vol. 94, 1972,S. 348-378 <HarvardReferences /> [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128. <HarvardReferences /> [*Eder 2016] Eder, Daniel: Der Natureingang im Minnesang : Studien zur Register- und Kulturpoetik der hoefischen Liebeskanzone, Tübingen 2016. <HarvardReferences /> [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990 (Sammlung Metzler 253).

Nachschlagewerke

<HarvardReferences /> [*Hennig 2014] Hennig, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchgesehene Auflage, Berlin/ Boston 2014.