Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen

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== Parzivals ''tumpheit''==
== Parzivals ''tumpheit''==
 
Parzivals ''tumpheit'' ist das hervorstechende Charaktermerkmal, welches Parzival inbesondere in dem Buch III zugeordnet wird und ihn von anderen Helden mittelhochdeutscher Romane unterscheidet. Die oben geschilderten Szenen und Fehlhandlungen Parzivals lassen sich im Wesentlichen aus der Eigenschaft der ''tumpheit'' erklären. Bei der ''tumpheit'' Parzivals handelt es sich jedoch nicht um einen "Naturzustand" [Bumke 2004: S.56], sondern um einen "künstlich hergestellte[n] Zustand des Nicht-Wissens und Nicht-Verstehens" [Bumke 2004: S.56] als zentrale Folge der Pädagogik Herzeloydes. 
Nur auf Grund der Erziehungsmethoden Herzeloydes, welche diametral zu der höfischen Lehre stehen [Dallapiazza 2009: Vgl. S.39], wird Parzival von der Welt außerhalb Soltanes als von der Norm abweichend wahrgenommen und als ''tump'' bezeichnet. Die zentralste Folge der Erziehung Herzeloydes ist damit Parzivals ''tumpheit'', welche weitere Folge mit sich bringt. Das mittelhochdeutsche Wort ''tump'' ist jedoch nicht mit dem neuhochdeutschen Äquivalent "dumm" zu übersetzten, sondern im Sinne von "unerfahren", "unwissend" und "ungelehrt" zu verstehen. Gleichzeitig bildet die Erziehung in Soltane und ihre Folgen, das heißt Parzivals ''tumpheit'' den "springende[n] Punkt und de[n] Anreiz des Erzählens" [Haas 1964: S.55], von welchem aus sich die Romanhandlung erst entwickelt. Ohne Parzivals Mangel wäre die Erzählung weder romanhaft noch erzählenswert. [Haas 1964: Vgl. S.60] Vor dem Hintergrund des Diskurses über Parzivals ''tumpheit'' stellt sich auch die Frage nach der Schuld bezüglich Parzivals Fehlhandlungen neu. Sie lässt sich mit der paradoxen Struktur beantworten, welche die Eigenschaft der ''tumpheit'' aufweist. Parzivals ''tumpheit'' ist die Ursache, wodurch Parzival Fehlhandlungen begeht und Schuld auf sich lädt und zugleich ist Parzivals ''tumpheit'' die Eigenschaft, welche ihn von jeglicher Schuld befreit. Die ''tumpheit'' des Titelhelden ist damit der Ausgangspunkt sowohl von Schuld als auch von Unschuld. [Haas 1964: Vgl. S.78]
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Version vom 22. Mai 2012, 16:23 Uhr

âParzival wird nach seiner Geburt von seiner Mutter Herzeloyde in der Wildnis von Soltâne fernab vom ritterlichen und königlichen Leben erzogen. Die Erziehungsmaßnahmen Herzeloydes sind nach ritterlichen Maßstäben mangelhaft und bringen schwere Folgen mit sich als Parzival seine Mutter in Soltâne verlässt um Ritter zu werden. Die Darstellung der Erziehung Parzivals in Soltâne und ihre Folgen verortet sich in Wolfram von Eschenbachs Roman Parzival primär in Buch III.

Parzivals Kindheit und Jugend in Soltâne (116,5 - 129,4)[1]

Nach der Geburt Parzivals zieht sich Parzivals Mutter Herzeloyde zusammen mit ihrem Sohn Parzival und einer geringen Zahl an Dienerschaft in den Schutzraum des Waldes von Soltane zurück. Durch das Rittertum ihres Gatten Gahmuret und dessen Tod ist Herzeloyde geprägt von den Gefahren des Ritterwesens. Aus jâmer und triuwe verlässt Herzeloyde ihre drei Reicher und wählt zusammen mit ihrem Sohn ein Leben in armuot abseits von Rittertum und höfischer Gesellschaft. Ihrem Gefolge in Soltane verbietet sie, unter Androhung der Todesstrafe, gegenüber ihrem Sohn ein Wort über die Ritterwelt zu verlieren. Als Herzeloyde Parzival beim Bestaunen singender Vögel beobachtet, realisiert sie, dass durch den Gesang der Vögel Parzivals art und seine gelust, welche in ihm auf Grund seiner edlen Abstammung von seinem Vater Gahmuret schlummern, geweckt werden und veranlasst, alle Vögel zu töten. Parzival wächst in einem künstlichen, durch seine Mutter erzeugten Schutzraum auf. Aufgrund der fehlenden Kenntnis seiner art und unter Ermangelung einer ritterlichen Erziehung und Einführung in die höfische Gesellschaft steht im Mittelpunkt der Beschäftigung Parzivals in Soltane das Jagen mit dem gabilôte. Eines Tages, als Parzival auf der Jagd ist, begegnen ihm drei Ritter, welche Parzival dem Glanz ihrer Rüstungen wegen für Götter hält. Die Ritter klären den unwissenden Parzival über Ritterschaft auf. Von der Erscheinung der Ritter und deren Ausführungen entbrannt, möchte Parzival ausziehen um Ritter am Artushof zu werden. Er erbittet von seiner Mutter ein Pferd, die sich nicht anders zu helfen weiß, als sich eine list auszudenken: Herzeloyde stattet ihren Sohn mit einem schlechten Pferd, tôren kleider und Bauernstiefeln aus, in der Hoffnung, dass Parzival dadurch Leid und Spott erfährt und zu ihr zurückkehrt. Als Parzival Soltane verlässt, stirbt Herzeloyde aus triuwe, ohne dass es Parzival bemerkt. Dieser Tod wird Parzival im Verlauf der Handlung bei Trevrizent als seine erste "grôze sünde" (499,20) angelastet.

Parzivals Erziehung

Innerhalb der Schilderung der Kindheit Parzivals in Soltane wendet sich Herzeloyde zwei Mal in direkter Rede an ihren Sohn Parzival um ihn zu belehren. In dem ersten Fall antwortet Herzeloyde auf Parzivals Frage nach dem Wesen Gottes und gibt ihm eine bruchstückhafte Religionsunterweisung. In dem zweiten Fall unterrichtet Herzeloyde Parzival in wichtigen Verhaltensreglen und gibt ihm eine knappe Information bezüglich seiner Ländereien bevor Parzival aus Soltane abreist. Beide Unterweisungen durch Herzeloyde sind fragmentarisch und dadurch prädestiniert in ihrer wörtlichen Bedeutung missverstanden zu werden. Im Folgenden werden Hezeloydes Gotteslehre und Herzeloydes Ratschläge dargestellt.

Herzeloydes Gotteslehre (119,12 - 119,30)

Herzeloydes Gotteslehre beruht auf der im Mittelalter vorherrschenden dualistischen Teilung in Gut und Böse, Gott und Teufel. Die Entgegensetzung dieser beiden Mächte wird in Herzeloydes Rede durch eine Hell-Dunkel-Symbolik [Haas 1964: Vgl. S.62] untermauert: Während Gott "noch liehter denne der tac" (119, 19) ist, beschreibt Herzeloyde den Teufel als "swarz" (119, 26). Auf diese Wiese scheidet sie "daz vinster unt das lieht gevar" (119,30), Gott und den Teufel voneinander. Herzeloydes religiöse Unterrichtung beinhaltet einen zentralen Lehrsatz in der Form eines Imperativs [Haas 1964: Vgl. S.62]:

119,22 sun, merke eine witze, Mein Sohn, merke dir die Lehre:
und flêhe in umbe dîne nôt: Zu ihm sollst du flehen, wenn dir etwas fehlt;
sîn triuwe der werlde ie helfe bôt. Seine Treue hat noch nie den Menschen Hilfe verweigert.

Aus diesen Worten gehen zwei wesentliche Eigenschaften: die Treue und die Hilfsbereitschaft Gottes hervor, welche Gott allen Menschen gegenüber erweist und welche im Kontrast zu der untriuwe des Teufels stehen.


Herzeloydes Ratschläge (127,13 - 128,10)

Herzeloydes Ratschläge und Informationen, welche sie Parzival vor seiner Abreise mit auf den Weg gibt, lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen: Herzeloyde rät ihrem Sohn, dunkles Gewässer zu meiden und nur an seichten Stellen einen Fluss zu überqueren. Außerdem soll Parzival auf seiner Reise höflich sein und die Menschen grüßen. Wenn Parzival einem weisen und grauen Mann begegnet, soll er von ihm lernen. Anschließend fügt Herzeloyde eine kurze Minnelehre an und informiert Parzival, der Ritter Lâhelîn habe im Krieg die zwei Länder Wâleis und Norgâls, auf die Parzival Ansprüche hatte, erobert. Parzivals Aussage, er wolle dies rächen, lässt darauf schließen, dass er auch die anderen Ratschläge befolgen wird. [Haas 1964: Vgl. S.70] Der darauffolgende Erzählablauf des Buches III ist durch die wörtliche Befolgung der Ratschläge Herzeloydes durch Parzival motiviert. [Haas 1964: Vgl. S.70]


Die Folgen

Herzeloydes Erziehungsmaßnahmen bringen "komisch-katastrophale Folgen" [Dallapiazza 2009: S.40] mit sich, welche sich an Hand ausgewählter Episoden innerhalb des Buches III aufzeigen lassen.

Die Begegnung mit den Rittern

Bereits bei der Begegnung mit den drei Rittern in den Wäldern von Soltane kommt es zu komisch anmutenden Geschehnissen. Auf Grund des Hufgetrampels der herannahenden Ritter, hält Parzival diese zunächst für den Teufel. Als Parzival jedoch dem Glanz ihrer Rüstungen ansichtig wird, meint er, göttliche Wesen zu erblicken, und wirft sich ehrfurchtsvoll vor diesen nieder. Parzivals Unwissenheit gegenüber dem Rittertum und die missverständliche Hell-Dunkel-Symbolik der Gotteslehre Herzeloydes führen dazu, dass Parzival von der Außenwelt als toersch angesehen wird und Spott erntet. Das Missdeuten der Gotteslehre Herzeloydes führt im Verlauf der Handlung, nachdem Cundrie Parzival vor der Artusgesellschaft verflucht hat, auch zu dessen Hass gegenüber Gott. Die Begegnung mit den Rittern in den Wäldern von Soltane ist Parzivals erster Kontakt mit der Ritterwelt. Sie versinnbildlicht den Gegensatz zwischen der Welt in und außerhalb Soltanes und prophezeiht weitere Komplikationen in der Begegnung mit der Welt außerhalb Soltanes.

Der Beginn der Reise

Nachdem Parzival Soltane verlässt, reitet er - den Rat seiner Mutter, nicht durch dunkles Gewässer zu reiten, befolgend - an einem dunklen Fluss entlang, der jedoch nur von Blumen und Gras beschattet wird. Dieser unnötige Umweg kostet Parzival einen Tag seiner Reise. Auch den zweiten Ratschlag Herzeloydes versucht Parzival zu befolgen. Er grüßt bei jeder Gelegenheit die Menschen, welche ihm begegnen, und fügt hinzu: "sus riet mîn muoter" (138,8). Dieses Verhalten spiegelt Parzivals Autoritätshörigkeit wieder, welche gegenüber Gurnemanz eine weitere Rolle spielt und Folgen für die gesamte Gralshandlung mit sich bringt.

Jeschûte

Parzivals Umweg führt ihn zu dem Ort, an dem er Jeschûte trifft. Die Minnelehre seiner Mutter missverstehend entwendet Parzival Jeschûte einen Fingerring und eine Hemdspange, küsst Jeschûte, vergreift sich an ihren Speisen und verschwindet. Diese Szene ist bewusst in erotischen Zweideutigkeiten formuliert, sodass der Erzähler nicht genau weiß, was wirklich geschehen ist. [Dallapiazza 2009: Vgl. S.11] Die Folgen des Auftretens Parzivals sind fatal: Orilus de Lalander, der Gatte Jeschûtes, bestraft im Glauben an einen Ehebruch seine Frau Jeschûte hart und gibt sie ein Jahr lang der öffentlichen Schande preis. Parzival jedoch ist sich seiner Gräueltat nicht bewusst.

Der Artushof

Am Artushof in Nantes angekommen, erntet Parzival Gelächter auf Grund seines Narrenkostümes und seiner Annahme, jeder Ritter auf dem Artushof sei ein Artus. Cunnewâre de Lalant, welche niemals lachte bis ihr der begegnete, der "den hôhsten prîs hete od solt erwerben" (151,14f.), bricht bei dem Anblick Parzivals in Lachen aus und wird dafür von Keye mit Schlägen bestraft. Auch hier macht sich Parzival durch sein Verhalten und seinen Aufzug indirekt mitschuldig.

Ithêr

Im Kampf gegen Ithêr tötet Parzival diesen durch einen Spieß. Anschließend versucht er ihm seine Rüstung zu rauben um sich diese anzulegen. Trotz der Tragik dieser Szene mutet es komisch an, als Parzival in "tumber nôt" (156,10) es nicht versteht, Ithêrs Rüstung abzunehmen. Erst durch die Hilfe Iwânets gelingt es Parzival die Rüstung zu entfernen und sich anzuziehen. Äußerlich mag Parzival nun ein Ritter sein, unter der Rüstung jedoch trägt Parzival nach wie vor seine Narrenkleidung. Parzivals Vergehen an Ithêr lastet als zweite goße Sünde auf ihm (Vgl. 499,20f.). Er hat nicht nur Ithêr einen unehrenvollen Tod durch den Spieß beschert, sondern in Ithêr auch einen Verwandten ermordet. Der Erzähler verweist in diesem Zusammenhang auf die "grôziu tumpheit" (156,24) Parzivals und bezeugt: "sît dô er sich paz versan, ungerne het erz dô getân" (161,8f.). [Bumke 2004: Vgl. S.59]

Parzivals tumpheit

Parzivals tumpheit ist das hervorstechende Charaktermerkmal, welches Parzival inbesondere in dem Buch III zugeordnet wird und ihn von anderen Helden mittelhochdeutscher Romane unterscheidet. Die oben geschilderten Szenen und Fehlhandlungen Parzivals lassen sich im Wesentlichen aus der Eigenschaft der tumpheit erklären. Bei der tumpheit Parzivals handelt es sich jedoch nicht um einen "Naturzustand" [Bumke 2004: S.56], sondern um einen "künstlich hergestellte[n] Zustand des Nicht-Wissens und Nicht-Verstehens" [Bumke 2004: S.56] als zentrale Folge der Pädagogik Herzeloydes. Nur auf Grund der Erziehungsmethoden Herzeloydes, welche diametral zu der höfischen Lehre stehen [Dallapiazza 2009: Vgl. S.39], wird Parzival von der Welt außerhalb Soltanes als von der Norm abweichend wahrgenommen und als tump bezeichnet. Die zentralste Folge der Erziehung Herzeloydes ist damit Parzivals tumpheit, welche weitere Folge mit sich bringt. Das mittelhochdeutsche Wort tump ist jedoch nicht mit dem neuhochdeutschen Äquivalent "dumm" zu übersetzten, sondern im Sinne von "unerfahren", "unwissend" und "ungelehrt" zu verstehen. Gleichzeitig bildet die Erziehung in Soltane und ihre Folgen, das heißt Parzivals tumpheit den "springende[n] Punkt und de[n] Anreiz des Erzählens" [Haas 1964: S.55], von welchem aus sich die Romanhandlung erst entwickelt. Ohne Parzivals Mangel wäre die Erzählung weder romanhaft noch erzählenswert. [Haas 1964: Vgl. S.60] Vor dem Hintergrund des Diskurses über Parzivals tumpheit stellt sich auch die Frage nach der Schuld bezüglich Parzivals Fehlhandlungen neu. Sie lässt sich mit der paradoxen Struktur beantworten, welche die Eigenschaft der tumpheit aufweist. Parzivals tumpheit ist die Ursache, wodurch Parzival Fehlhandlungen begeht und Schuld auf sich lädt und zugleich ist Parzivals tumpheit die Eigenschaft, welche ihn von jeglicher Schuld befreit. Die tumpheit des Titelhelden ist damit der Ausgangspunkt sowohl von Schuld als auch von Unschuld. [Haas 1964: Vgl. S.78] [in Bearbeitung]

Quellennachweise

<HarvardReferences /> [*Haas 1964] Haas, Alois M.: Parzivals Tumpheit bei Wolfram von Eschenbach, Berlin 1964 (Philologische Studien und Quellen 21). <HarvardReferences /> [*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009(Klassiker-Lektüren 12). <HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.