Greise in Wolframs Parzival

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Altern in der mittelalterlichen Literatur

Normalerweise wird das Altern in höfischen Romanen nicht als solches thematisiert, sondern der Fokus liegt eher auf jüngeren Protagonisten. Greise treten folglich also nur marginal auf. Stereotypen wie Schwäche, Gebrechlichkeit und sogar Krankheit, stehen allerdings auch positive Stereotype, wie Reinheit, Reife oder Weisheit entgegen. Laut Kerth gilt als ideal gelungenes Altern in der höfischen Literatur „kontinuierliche Tätigkeit und Tugendausübung bei wachsender Reife und Weisheit“ [Kerth 2015: 56]. Dem gegenüber steht allerdings, dass Greise nicht mehr als kampffähig, sondern schutzbedürftig dargestellt werden.

Alter in Wolframs Parzival

Wolfram von Eschenbach schließt sich der oben genannten Tradition an. Auch im Parzival gibt es nur wenige Figuren, die als alt dargestellt werden. Diejenige, die es gibt, habe allerdings keine Wichtigkeit innerhalb des Textes. Oft sind die Figuren sogar so unwichtig, dass ihnen Wolfram keinen Namen gibt.

Auch Wolfram arbeitet sowohl mit negativen als auch mit positiven Stereotypen. Zu den Positiven gehören auch bei ihm Charaktereigenschaften wie Weisheit und Erfahrung, wie es beim oben erwähnten Geburtshelfer der Fall ist, der ohne Zögern sofort das Richtige tut, um Herzeloyde zu retten:

dô kom ein altwîser man Da ging ein alter,
durch klage über die frouwen sân, weiser Mann klagend zur Dame, der
dâ si mit dem tôde ranc. beugte sich gleich über sie, die da mit dem
die zene err von ein ander twanc: Tod kämpfte. Die Zähne zwang er ihr
man gôz ir wazzer in den munt. auseinander: Man goß ihr Wasser in den
aldâ wart ir versinnen kunt. Mund. Da merkte sie, wie sie wieder zu
Sinnen kam.

(109,13-18).

Zu den negativen Eigenschaften gehören Unaufmerksamkeit, mangelndes Urteilsvermögen oder Trägheit.

Allerdings verwendet Wolfram zusätzlich nicht stereotype Eigenschaften des Alters. Seine Figuren sind im Alter oft sehr emotional, im positiven, als auch negativen Sinne. Oft werden ihnen Attribute wie Fürsorglichkeit oder Empathie zugesprochen, allerdings wirken sie gleichzeitig traurig: „Der grauhaarige Ritter mit seiner Krücke und dem altmodischen Bart bedauert Gawan weinend ob der Wahl Orgeluses als Minnedame und wanrt ihn davor, in ihren Dienst zu treten“ [Kerth 2015: 59]:

mîn frouwe sî verwâzen, Verflucht soll
da si sô manegen werden man sie sein, meine Herrin, daß sie so viele
von dem lîbe gescheiden kann edle Männer ums Leben bringen kann!

(514,6-8).

Insgesamt nennt Kerth nur drei Figuren, die im Parzival eine größere Rolle spielen, die als Greise angesehen werden können: Gurnemanz, Titurel und die Königin Arnive.

Gurnemanz

Gurnemanz, dessen Lehren als Wendepunkt in Parzivals Entwicklung angesehen werden können, fungiert als Vaterfigur und Lehrer. Beim ersten Aufeinandertreffen zweifelt Parzival zu keinem Zeitpunkt Gurnemanz‘ Fähigkeiten als Lehrer an, da ihm seine Mutter Herzeloyde bereits vorab gesagt hat, dass er sich Rat bei alten Menschen holen soll:

mich pat mîn muoter nehmen rât Meine Mutter hat mir gesagt,
ze dem der grâwe locke hât. ich solle den, der graue Locken hat, um Rat
angehen.

(162, 29f.)

Auch Gurnemanz zögert aufgrund seines Alters nicht, seine Rolle als Ratgeber und Lehrer anzunehmen. Es scheint also ganz natürlich, dass alte Menschen als Lehrer und Ratgeber fungieren und eine natürliche Autorität besitzen. Durch die von Kerth erwähnten „lobenden Erzählerkommentare“ [Kerth 2015:58] wird deutlich, dass Gurnemanz seine Rolle als Lehrer ernst nimmt und sie zudem gänzlich erfüllt. So wird er beispielsweise als houbetman der wâren zuht (Meister wahrer Bildung) (162,23) beschrieben.

Bei Parzivals praktischer Ausbildung fungiert Gurnemanz zwar als Lehrer, jedoch nicht beispielhaft, da er lediglich Ratschläge gibt, bei den Übungen selbst, wie bei den Tjosteübungen, nie aktiv mitwirkt. Statt selbst als Parzivals Gegner anzutreten, werden andere Ritter geschickt, die offenbar körperlich besser dazu in der Lage sind, als Gurnemanz selbst:

dô hiez er komen ritter snel Dann befahl er kühne Ritter her, die
gein im durch tjostieren. gegen ihn tjostieren sollten. Er führte
er begunde in condwieren ihn an die Kampfbahn, da stand ein Geg-
einem zegegen en den rinc. ner bereit.

(174,10-13)

Obwohl Gurnemanz nicht mehr selbst gegen Parzival antreten kann, körperlich also durchaus als gebrechlich angesehen werden kann, zeigen seine Lehren, dass sein Alter ihm geistig nichts anhaben kann. Hier bedient sich Wolfram also an Stereotypen, die häufig in der höfischen Literatur zu finden sind.

Neben diesen Stereotypen schreibt Wolfram Gurnemanz jedoch auch die oben bereits erwähnte reiche Emotionalität zu. Auffällig ist, dass er sehr häufig als treu beschrieben wird:

Gurnemanz der triwen rîche der gute, treue Gurnemanz

(166,2)

dô kom der wirt mit triwen kraft Da kam der Wirt, der so viel Treue regierte

(168,21)

der wirt sprach sîn êre Der Herr sprach so, daß es ihm Ehre machte

(173,11)

dô sprach der fürste ûz triwe erkorn Es sprach der Fürst, der Treue-
ste unter den Treuen

(177,13)

Neben dieser als positiv dargestellten Emotionalität, rückt Gurnemanz‘ Trauer über seine Söhne und Ehefrau ihn in ein bemitleidenswertes und somit negatives Licht. Ohne Nachkommen kann seine Herrschaft nicht gesichert werden, weshalb man Gurnemanz als „unwiderruflich gescheitert“ [Kerth 2015: 59] ansehen kann.

Das heißt, dass Gurnemanz seine Fähigkeiten und somit Würde als Lehrer zwar nicht verliert, aber aufgrund des Verlusts der Macht als Ritter sehr verzweifelt, sogar gebrochen wirkt. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass er von Parzival keinerlei Fürsorge erhält, obwohl dieser sein Leid durchaus erkennt und ihn verlässt, ohne jemals zurück zu kehren:

Des fürsten jâmers drîe Dreifach wurde sein Un-
was riwic an daz quater komn: glück gewesen, mit Schmerzen wurde sein
die vierden flust het er genomn. Quartett nun voll: Er hatte zum vierten-
mal verspielt.

(179, 10-12)

Titurel

Titurel ist der ehemalige Gralskönig und somit Großvater von Anfortas und Urgroßvater von Parzival, der chronisch an Gicht erkrankt ist:

Ein siechtuom heizet pôgrât Er hat eine Krank-
treit er, die leme helfelôs. heit, die heißt Podagra, eine Lähmung,
sîne varwe er iedoch nie verlôs, gegen die kein Mittel hilft. Sein schönes
wand er den grâl sô dicke siht: Aussehen hat er jedoch nie verloren, weil
dâ von mager ersterben niht. er den Grâl so oft vor Augen hat; deswe-
gen kann er nicht sterben.

(501,26-30)

Einerseits ist Titurel also sehr krank und gleichsam gebrechlich, andererseits wird jedoch sein schönes Aussehen betont. Obwohl der der Anblick des Grals ihm ewiges Leben bereitet, kann er ihn nicht von seinem Leid erlösen, denn offenbar wird seine Krankheit nicht durch die Kraft des Grals geheilt.

Er fungiert als Ratgeber für die Gralsgesellschaft und wird zu diesem Zweck am Leben gehalten. Auch hier entsteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der ehrhaften Rolle als Berater im Alter und der starken Abhängigkeit von der Gralsgesellschaft. Signifikant hierbei ist allerdings, dass Titurel nie tatsächlich um Rat gefragt wird: „Er wird künstlich am Leben gehalten, ohne seine Rolle sinnvoll ausfüllen zu können, da er im Verlauf des Romans nie um Rat gefragt wird“ [Kerth 2015:60]. Somit hat er zwar eine ehrenhafte Rolle, jedoch wird ihm nicht die Gelegenheit gegeben. Aufgrund dessen wird er schlicht als nutzlos und überflüssig dargestellt.

Diese Unwichtigkeit spiegelt sich auch auf der Textebene wieder. Obwohl es durch Titurels frühere Position als Gralskönig sicher viel über ihn zu erzählen gäbe, erfährt der Leser nur sehr wenig über ihn und seine Vergangenheit. So wird beispielsweise nie deutlich, ob er als Gralskönig abgedankt hat oder ob er gar abgesetzt wurde. Auch Titurel ist trotz seiner ehemals wichtigen Rolle zu einer Randfigur im Roman geworden, der keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, was bezeichnend für höfische Romane ist.

Königin Arnive

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences/> [*Kerth 2015] Kerth, Sonja: Wolframs Greise: Alter(n) Im 'Parzival', 'Titurel' Und 'Willehalm', in: Zeitschrift für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 144.1 (2015), S. 48-76.