Hübner 2016: Schläue und Urteil (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel stellt leitende Thesen, Argumente und Schlussfolgerungen zur Interpretation zusammmen, die Gert Hübner zum "Handlungswissen im Reinhart Fuchs" [1] formuliert.

Hauptthesen


Nur Menschen können nach Gesetzen handeln, weil sie im Unterschied zu Tieren einen freien Willen haben, der es erlaubt, Gesetze zu machen und zu befolgen oder zu brechen. (S.79)

Auf der tierischen Seite von Machiavellis Analogie ist nicht nur die Gewalt des Löwen, sondern ebenso die Schlauheit des Fuchses kein Produkt des vernunftgeleiteten freien Willens, sondern der Tiernatur. (S.80)

Die Menschheit ist grundsätzlich schlecht, gesteht sich das selbst aber nicht ein und sympathisiert grundsätzlich eher mit tugendhaft Handelnden, obwohl es gegen die eigene Natur spricht. (Vgl. S.80)

Die christliche Tugendethik findet ihren Ursprung in der aristotelischen, nach der tugendhaftes Handeln Verhaltensweisen sind, die dem Ziel dienen. Diese könne die Vernunft erkennen und daraus das Handeln ableiten. (84)

Spannungsverhältnis zwischen tugendethischen Erzählungen und Schlauheitserzählungen (vgl.S.86)

Das Handlungsziel kann unter der Voraussetzung der Tiernatur kein Gegenstand eines moralischen Urteils sein; bei der Übertragung aufs Menschliche fällt es unter das Naturrecht auf Selbsterhaltung. (S.87)


Schlauheit zeichnet sich durch die Kontrolle über die Deutung der Handlungssituation aus. (S. 88)

Reinhart kann gegenüber körperlich stärkeren nur durch intellektuelle Überlegenheit für seine Selbsterhaltung sorgen. Die selbsterhaltende Schlauheit des Fuchses ist aus der Not körperlicher Unterlegenheit geboren. (vgl. S. 87)

Um dem Leser den Handlungserfolg des Schlauen glaubhaft zu machen, muss der Co-Akteur ein leichtgläubiges bzw. unvorsichtiges Verhalten an den Tag legen. (S. 89)

Argumente (mit Belegen)


Erstens konvergiert die Dummheit der Schlauheitserzählungen mit den Lastern der Tugendethik, wenn die Dummen an ihrer Habgier, ihrem Hochmut, ihrem Begehren oder ihrer Einfalt im Sinn von Unvorsichtigkeit und Leichtgläubigkeit scheitern. Zweitens stellen Schlauheitserzählungen – wie auch Machiavelli im Principe – das tugendethische Modell gern als soziale Illusion dar: Dumm ist, wer mit der Tugendhaftigkeit seiner Co-Akteure rechnet.(S.86)

Wenn Reinhart der physisch Stärkere ist, wie in den Anfangsepisoden mit den schwächeren Tieren (v 13–384), reicht seine Schlauheit nicht für den Handlungserfolg (87)

"Während der Fuchs als Tier nicht anders kann, soll der Fürst als Mensch die bestialische Schlauheit "gebrauchen", also vernunftkontrolliert einsetzen." (S. 80)

Schlussfolgerungen zur Interpretation


Die narrativen Verfahrensweisen von Schlauheitserzählungen müssten folglich darauf zielen, keine emotionale Abneigung zu evozieren, die einem instrumentell-rationalen Urteil über schlaues Handeln im Weg stehen könnte. (S.81)

  1. Alle Seitenagaben beziehen sich auf Hübner, Gert: Schläue und Urteil. Handlungswissen im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme, hg. von Friedrich M. Dimpel und Hans Rudolf Velten, Heidelberg 2016, S. 77-96.