Täter und Opfer (Reinhart Fuchs)
Der folgende Artikel stellt dar, inwieweit nicht nur die Hauptfigur des von Heinrich dem Glîchezâren verfassten Tierepos Reinhart Fuchs in eine ambivalente Täter- und Opferrolle einzuordnen ist (vgl. hierzu erste Täter-Opfer-Analysen in Reinharts Figurencharakteristik). Vielmehr wird auch der Fokus auf die anderen nennenswerten Figuren des Werkes gerichtet und interpretiert, warum auch sie ambivalente Rollen besitzen können. [1] Zu Beginn folgt eine kurze Einordnung in die Problematik der Täter- und Opferzuteilung anhand der Brunnen-Szene (RF, V. 831-848) aus Reinhart Fuchs (kurz RF). Anschließend werden die nennenswerten Figuren des Werkes und ihre mögliche/n Rolle/n erörtert. Abschließend werden zentrale Ergebnisse zur Rolleneinordnung und ihre mögliche Ambivalenz zusammengefasst.
Hinführung zur Problematik der Täter- und Opferzuweisung
Um zu verstehen, warum die Rollenzuweisung in Täter oder Opfer durchaus schwierig sein kann, gilt es zunächst einmal die Szene aus RF zu betrachten, in welcher Reinhart in den Klosterbrunnen stürzt.
Kontext der Handlung
Reinhart, ein Fuchs, der mit Hinterhältigkeit und etlichen Intrigen zahlreiche Tiere eines Königreiches in Bedrängnis bringt, scheitert bislang mehrfach, sowohl den Wolf Isengrin als ebenbürtigen Kontrahenten, als auch andere Tiere erfolgreich zu hintergehen. Bislang scheint es nicht sein Tag zu sein (doch ist hevte niht sin tac, RF V. 218). Allerdings gelingt ihm im weiteren Verlaufe der Handlung, König Vrevel zu manipulieren und seine Ankläger Schritt für Schritt mundtot zu machen, zuletzt auch den König selbst. Im Gesamtzusammenhang befinden wir uns noch in der zunächst sehr erfolglosen Phase seiner Intrigen (vgl. Reinhart der Verlierer).
Vorausgegangene Handlung der Szene
Der Wolf Isengrin und Reinhart waren zuvor gemeinsam auf der Jagd nach frischen Aalen auf einem gefrorenen See. Auch hier beginnt Reinhart bereits seine nächste List umzusetzen. Reinhart lässt Isengrin den schweren Eimer voller Beute tragen und beabsichtigt, dass er (der Wolf) mit seinem Schwanz allmählich an dem Eis festfriert. Reinhart macht sich aus dem Staub und lässt ihn mit dem schweren Eimer allein. Isengrin ist durch seinen festgefrorenen Schwanz dem nahenden Jäger und seinen Hunden schutzlos ausgeliefert. Der Jäger scheitert allerdings mit seinem Versuch, den Wolf zu fassen und trifft den Wolf lediglich mit seinem Schwert am Schwanz. Glücklicherweise gelingt es dadurch Isengrin, wenn auch nun ohne Schwanz, sich zu befreien und zu flüchten. Reinhart dagegen sucht sich bereits einen neuen Ort, um durch List an Nahrung zu gelangen und nähert sich einem Kloster.
Ausschnitt aus RF (V. 831-848): Reinharts tiefer Fall in den Klosterbrunnen
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart begunde umbe gan. | Reinhart ging umher. |
vor dem tor sach er stan | Er stand vor dem Tor und sah |
einen sot dief unde wit, | einen Brunnen tief und breit, |
da sach er in, daz gerovwlin sit: | daraufhin blickte er hinein, was er später bereuen sollte: |
sinen scatin er drinne gesach. | er sah darin seinen Schatten. |
ein michel wunder nv gesach, | Es geschah nun ein großes Wunder, |
daz der ergovchete hie, | so dass er jetzt zum Toren wurde, |
der mit listen wunders vil begie. | der sonst mit Listen viele Ungeheuerlichkeiten beging. |
Reinhart wande sehin sin wib, | Reinhart meinte seine Geliebte zu sehen, |
div was ime lieb alsam der lib, | welche er ebenso liebt wie er sich liebte, |
wan daz er sih doh niht wolte unthaben, | jedoch wollte er sich nicht abhalten lassen, |
ern mvoste frivndinne haben, | trotzdem mehrere Geliebte zu haben, |
wande minne git hohen muot; | weil Minne ihn zu Hochmut führt; |
davon duhte si in guot. | dadurch sie ihm kostbar erschien. |
Reinhart lachete darin, | Reinhart lachte hinunter, |
do zannete der scate sin. | da bewegte sich sein Schatten |
des wister ime michelin danch: | deshalb bedankte er sich sehr: |
vor liebe er in den sot spranch. | vor Liebe sprang er in den Brunnen. |
Nachfolgende Handlung der Szene
Reinhart kann sich im Brunnen gerade noch retten und kommt dem Tod davon. Als sich dann auch Isengrin dem Kloster und dem Brunnen nähert, nutzt Reinhart die nächste Chance für einen Hinterhalt. Als der Wolf daraufhin einen Schatten im Brunnen erkennt, täuscht Reinhart ihm vor, dass unten im Brunnen sich die Seele des vermeidlich toten Reinharts befände. Der Fuchs beabsichtigt, wieder aus seiner Not zu entkommen und den Brunnen zu verlassen, weshalb er alles daran setzt, Isengrin zu manipulieren und ihn letztlich durch einen Trick in einen Eimer zu bringen. Als der geblendete Isengrin hinabsteigt, gelingt es Reinhart gleichzeitig, mit dem anderen Eimer empor zu steigen und lässt den Wolf erneut seinem Schicksal überlassen.
Zwischenfazit aus der Brunnen-Szene
Es kann nicht ausschließlich davon ausgegangen werden, dass Reinhart stets konzentriert bei der Sache ist. Auch Reinhart zeigt Schwächen, indem er sich von der Einbildung seiner Geliebten verwirren lässt. Denn, so begründet es beispielsweise Ruh, auch ein listiger Fuchs [könne] Erkenntnistrübungen [haben] und Minne [sei] es, die sie [bewirke]. [2] Es wird so auch eine Ambivalenz des Fuchses deutlich, ob er wirklich klar als Täter berzeichnet werden kann oder ebenfalls als Opfer seiner Gelüste und Triebe.
(...)
Begrifflichkeit Täter und Opfer
Bevor die zentralen Figuren des RF in Täter und/oder Opfer eingeordnet werden können, werden die jeweiligen Rollen und ihre wortwörtliche wie semantische Bedeutung näher definiert. Hier wird schon deutlich, dass selbst die Begrifflichkeiten ambivalenter nicht sein können.
Definition des Täters
Der Duden definiert rein sprachgeschichtlich und syntaktisch den Täter als maskulines Substantiv, welches sich ursprünglich aus dem mittelhochdeutschen -tæter bzw. dem althochdeutschen tāt und tuon herleite. Ein Täter sei jemand, welcher eine Tat begangen habe. Es werden auch juristische Analogien zu Straftaten hergestellt. [3] [4]
Das Wort kann allerdings auch literaturwissenschaftlich betrachtet werden. Zunächst einmal sei jemand laut Definition von Düwell et al. (2018) ein Täter, welcher niedere Beweggründe habe, eine Tat zu begehen. Beispiele können hierfür Hass, Neid, Gier, Eifersucht, Rachegedanken, Gewinnstreben oder Missgunst sein. Mögliche Mittel des dort definierten Täters können bloße Hände, Waffen, Gift, Gas oder Alltagsgegenstände sein. Besonders im Kontext der moderneren Kriminalliteratur könne der Täter sehr ambivalente Rollen einnehmen: Einerseits könne sich solch ein Täter in Detektivromanen unauffällig verhalten, der anfangs als Verdächtiger angesehen und erst später als Täter entlarvt werden könne. Andererseits werde ein Täter in Thrillern auch ganz bewusst als skrupelloser Gegenspieler bzw. Antagonist mit der Besonderheit, dass seine Beweggründe transparent und so für den Rezipienten durchaus nachvollziehbar erscheinen, dargestellt und definiert. [5]
Definition des Opfers
Der Duden definiert rein sprachgeschichtlich und syntaktisch das Opfer als neutrales Substantiv, welches vom mittelhochdeutschen opfer bzw. dem althochdeutschen opfar abstamme. Komplexer wird es hier jedoch, wenn es um die klare semantische Bedeutung geht. Je nach Kontext kann das Substantiv anders definiert werden. Als Opfer werden hier im religiösen Kontext bestimmte Gaben wie z.B. ein Tier für eine höhere göttliche Instanz bezeichnet. Außerdem kann es als immaterielle Hingabe verstanden werden, welche eine Person zugunsten einer anderen Person aufbringe. Ein aktueller und sehr negativ konnotierter jugendlicher Ausdruck wird es, wenn jemand dadurch als Schwächling oder Verlierer beleidigt werde. Die gängigere Version eines Opfers ist die einer Person, welche aufgrund der Handlung eines anderen oder eines unglücklichen Umstandes zu Schaden komme. [6]
Düwell et al. (2018) finden im Zuge der Kriminalliteratur ebenfalls eine differenziertere Definition des Opfers, die Ähnlichkeiten zu den obigen Duden-Definitionen aufweisen. Aufgegriffen werden hier zusätzlich die lateinischen Herleitungen sacrificium und victima, weil diese eine andere semantische Bedeutung pflegen. Im Deutschen hingegen werden beide Begriffe als Opfer übersetzt, was eine semantische Ambiguität erzeuge. Der erste Begriff bezieht sich dabei vielmehr auf den bereits erwähnten religiös-kulturellen Kontext, in welchem das Opfertum literarisch ebenfalls seine Erwähnung finde. Doch die neuzeitliche Loslösung des Opfer-Begriffes von seiner religiösen Bedeutung hin zum dominanten juristisch-kriminologisch Begriff victima sei von primärer Bedeutung. Hier wird als Opfer bezeichnet, wer durch eine Straftat oder eines Ereignisses, das unmittelbar oder mittelbar physisch und/oder psychisch wie auch gegebenenfalls materiell geschädigt werde. [7]
Auch wenn es sich beim RF nicht um einen modernen Kriminalroman oder eine ähnliche Romangattung handelt, können diese Definitionen helfen, eine gewisse Differenzierung des Täter- und Opferbildes zu unterstützen und unscheinbare Handlungen der Figuren differenzierter zu analysieren. Beide Definitionen sollen moderne und historische Erklärungsansätze für die Unterschiedlichkeit der Wortbedeutungen liefern. Deshalb berufen sich alle möglichen ambivalenten Einordnungen auf die ausgeführten Erklärungen der Begriffe.
Einordnung der Figuren in Täter und/oder Opfer
(To-Do: Grund, warum nicht alle einzeln kategorisiert werden, nennen!)
(To-Do: pro Person jeweils ein passendes Zitat finden!)
Reinhart
(...)
Isengrin
(...)
König Vrevel
(...)
Ameisenkönig
(...)
Frau Hersant
(...)
Sonstige Figuren
(...)
Fazit
Literaturverzeichnis
- ↑ Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, Hg. Karl-Heinz Göttert, Reclam, Stuttgart 1976.
- ↑ Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, 1980, S.13-33.
- ↑ https://www.duden.de/rechtschreibung/Taeter
- ↑ https://www.duden.de/rechtschreibung/Tat
- ↑ Düwell, Susanne /Bartl, Andrea/Hamann, Christof/Ruf, Oliver: Handbuch Kriminalliteratur. Theorien - Geschichte - Medien, Springer-Verlag, Stuttgart 2018, S.254 f.
- ↑ https://www.duden.de/rechtschreibung/Opfer
- ↑ Düwell, Susanne/Bartl, Andrea/Hamann, Christof/Ruf, Oliver: Handbuch Kriminalliteratur. Theorien - Geschichte - Medien, Springer-Verlag, Stuttgart 2018, S.237.