Eltern (Gottfried von Straßburg, Tristan)

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

In diesem Artikel sollen die verschiedenen Eltern-Kind-Beziehungen genauer betrachtet werden, die im Tristan-Roman Gottfrieds von Straßburg eine Rolle spielen. Dabei soll im Vordergrund stehen, wer wen auf welche Weise prägt, direkt, indirekt, durch Vererbung oder Gewöhnung.

Ferner sollte man auch die Mutter-Vater Konstellation, sprich die Beziehung und die charakteristischen Züge der Eltern mit in Betracht ziehen, um das Eltern-Kind Verhältnis darin einbetten zu können. Inwiefern sich also die Beziehung der Eltern, auf die Beziehung der Eltern zum Kind auswirkt und sich prägende Züge nachvollziehen lassen. Zudem bildet die Zusammenführung der Partner im Tristan eines der Hauptthemen der Erzählung Straßburgs.

Die Eltern

Riwalin und Blanschflur

Riwalin und Blanscheflur bilden das zweite Kapitel des Tristanromans. Mit ihnen beginnt die eigentliche Geschichte von Tristan.

Riwalin Kanelengres, ein junger und talentierter Ritter trifft am Hofe des Königs Marke Blanscheflur, welche die Schwester des englischen Königs ist. Auf dem Maifest, welches von König Marke gegeben wird, sehen sich Riwalin und Blanscheflur zum ersten Mal.


[...] ô wol si saeligez wîp,
der vröude an ime bêliben sol!
nu marcte ir aller maere wol
Blanscheflûr diu goute,
wan sî in ouch in ir muote,
swaz ir dekeiniu taete,
ze hôhem werde haete.
sî haete ir in ir mout genomen,
er was ir in ir herze komen;
er trouc gewalteclîche
in ir herzen künicrîche
den cepter und die crône [...]
(V. 718-729)

Im Anschluss folgt eine Art Kennenlernphase. Sie unterhalten sich und Riwalin entfacht ihr Feuer der Liebe, wie auch ihres durch ihn ausgelöst wird [von Straßburg 2007]. Jedoch gestehen sich beide nicht ein, was sie tatsächlich fühlen, sodass aus dem starken Gefühl der Zuneigung Zweifel heranwachsen. Aus diesen zweifeln wiederrum wächst der Schmerz. Die Vorgeschichte der Eltern nimmt eine eigene Episode ein, welche die Verse 245-1790 umfasst. Das Schicksal und die Liebe der beiden ist eine Vorausdeutung der künftigen Ereignisse um Tristan und Isolde (vgl. hierzu auch Handlungsverklammernde Motive und Strukturen Vorgeschichte). Ihre Geschichte bereitet den Weg für Tristans eigene Tragödie.

Rual li Foitenant und Floraete

Rual li Foitenant ist der Marschall am Hofe von Riwalin, Floraete seine Ehefrau.

Wie sehr Rual seinem Herrn in Treue ergeben ist, zeigt sich nach dem Tod von Riwalin und Blanscheflur. Dessen neugeborener Sohn würde in Lebensgefahr schweben, sobald Morgan, der Kriegsgegner Riwalins, von dem Erben erfahren würde. Um dies zu verhindern, erzählen Rual und Floraete Blanschleflurs Kind sei mit ihr gestorben und geben Tristan als ihren eigenen Sohn aus.

Auch seinen Namen, der schon ein Hinweis für die auf Tristan zukommenden schweren Zeiten darstellt, bekommt Tristan durch Rual, der dadurch die traurigen Ereignisse, die mit Tristans Geburt einhergingen, einbezieht.

Floraete übernimmt die Erziehung Tristans in den ersten sieben Jahren, danach wird dies von Rual übernommen. Es wird dafür gesorgt, dass Tristan eine vorzügliche, einem künftigen Herrscher angemessene Ausbildung zukommt.

Wie sehr Rual und Floraete Tristan tatsächlich als ihren eigenen Sohn annehmen, wird an ihrem Verhalten deutlich, das ganz auf Tristan fokussiert ist. Rual behandelt Tristan besser als seine eigenen Kinder („sîner eigenen kinde was er sô vlîzec niht sô sîn.“ (2186/7)) und nimmt sogar eine jahrelange, entbehrliche und ihm zum Bettler machende Suche auf sich um Tristan nach seiner Entführung wiederzufinden. Auch Floraete nimmt Tristan als ihren eigenen Sohn an, was schon an der Verkündung der Botschaft der vorgegebenen Geburt deutlich wird:

„hie wart ein maere sâ zehant,
diu guote marschalkinne
laege eines sunes inne.
es was ouch wâr, sie tete alsô:
si lag des sunes inne dô,
der ir sunlîcher triuwe pflac
unz an ir beider endetac.
si leite ouch allen ir sin
mit muoterlîcher liebe an in
und was des alsô staete,
als ob sî’n selbe ie haete
under ir brüsten getragen.“
(1930-1945)


Und auch die Tatsache, dass ihr Mann jahrelang auf der Suche nach Tristan in der Fremde herumreist, nimmt sie hin, solang er ihr „ir kint“ (5253), „ir sun Tristanden“ (5255) wiederbringt.

Rual und Floraete sind somit zwar nicht Tristans leibliche Eltern, aber dadurch, dass sie ihn als ihren Sohn aufgenommen haben, ihn erzogen und eine jahrelange, liebevolle Beziehung zu ihm aufgebaut haben, können sie ihrer Gesinnung nach wirklich als Tristans Eltern angesehen werden.

Die Ehre Ruals und Floraetes wird trotz des Betrugs Tristan als ihren eigenen Sohn auszugeben nicht geschmälert, sie werden dagegen vom Erzähler sogar mit Lobpreisung beschrieben, da dieser Betrug zum Wohle Tristans ist und von einer unverbrüchlichen triuwe zeugt.

Tristan

Tristan und Blanscheflur

Tristan und Rivalin

Tristan und Rual li Foitenant

Tristan wächst auf mit dem Selbstverständnis, dass Rual sein Vater ist. Dieser hatte sich nach dem Tod von Tristans Eltern der Vaterrolle angenommen.

Isolde

Isolde und Isolde die Ältere

Als in Vers 6946 der Name Isolde zum ersten Mal fällt, ist nicht von der späteren Geliebten Tristans die Rede, sondern von ihrer Mutter, der Schwester Morolds. Morold selbst ist es, der sie dem Leser vorstellt, als er Tristan beim Zweikampf mit einem vergifteten Schwert verwundet hat: Nur sie allein, die heilkundige, weise und schöne Königin Irlands und Gemahlin Gurmuns, kann ihn vor dem Tode retten.

du bist mit eime swerte wunt,
daz teadic unde gelüppet ist.
arzât noch arzâte list
ernert dich niemer dirre nôt,
ez entuo mîn swester eine, Îsôt,
diu künegîn von Îrlande.
V.6941-6947

Die Charakterisierung Isoldes, der Mutter, als lebensrettende, kluge, fast heiligenähnliche Figur ist für den Fortgang der Handlung und für die Analyse ihrer Beziehung zu Isolde, der Tochter, von entscheidender Bedeutung.
Diese begegnet dem Leser einige Verse später, jedoch nur in einem Halbsatz, der eigentlich ihre Mutter zum handelnden Subjekt hat:

diu künegîn sîn swester,
der leit was aber noch vester,
ir jâmer unde ir clagenôt.
sî unde ir tohter Îsôt
die quelten manege wîs ir lîp
V. 7165-7169

(Seine Schwester, die Königin, empfand aber noch heftigeres Leid, tieferen Schmerz und Jammer. Sie und ihre Tochter Isolde marterten sich auf vielfältige Art)

Im Folgenden Verlauf der Erzählung finden sich immer wieder solche Stellen, an denen die aktive Entscheidungsgewalt bei der Mutterisolde liegt, während sich die Tochterisolde als reaktiv zu den Vorgaben ihrer Mutter zeigt. Es liegt, so stellt Lydia Miklautsch fest, eine klare Rollenverteilung vor, in der die Mutter im Vordergrund steht [Miklautsch 1994]. Besonders bei öffentlichen Auftritten kommt dies zum Vorschein:

si zwô si wâren under in
in süezer unmuoze
mit zweier hande gruoze
grüezende unde nîgende,
sprechende unde swîgende.
ir reht was an in beiden
besetzet unde bescheiden.
ir eine gruezte, diu ander neic,
diu muoter sprach, diu tohter sweic.
diz triben die wol gezogen zwô.
diz was ir unmuoze dô.
V. 11010-11020

(Die beiden waren angenehm beschäftigt mit zweierlei Begrüßung: Gruß und Verneigung, sprechend und schweigend. Ihre Pflichten waren ihnen beiden festgesetzt und bestimmt. Die eine begrüßte, die andere verneigte sich, die Mutter sprach, die Tochter schwieg. Das taten die beiden wohlerzogenen Damen. Das war ihre Beschäftigung.)

Die Mutter Isolde ist in diesem Zweigespann die rationale Instanz, die Tochter die kindlich-emotionale, die der Zügelung durch die Mutter bedarf. Als beispielsweise die Tochter dank des Schwertsplitters entdeckt, dass Tristan der Mörder ihres Onkels Morold ist, will sie ihn sofort erschlagen - die Mutter jedoch ruft zur Vernunft und erinnert ihre Tochter an ihre Verpflichtung, das Versprechen zu wahren, das sie Tristan gab: Dass ihm kein Leid geschehen soll.

>>lâ stân, Îsôt<< sprach sî >>lâ stân!
weist iht, waz uch vertriuwet hân?<<
...
>> ez enstât nû leider niht alsô,
daz wir uns mügen gerechen,
wir enwellen danne brechen
unser triuwe und unser êre.
engâhe niht ze sêre.
er ist in mîner huote
mit lîbe und mit guote.
ich hân in, swie'z dar zuo sî komen,
genzlîche in mînen vride genomen<<
V. 10199-10200,10208-10216

(>>Halt, Isolde, halt! Weißt du nicht, was ich versprochen habe?<< (...) >>zu meinem Schmerz geht das nicht. Wir können uns nicht rächen, wenn wir nicht brechen wollen unseren Schwur und unser Wort. Überstürze nichts. Er steht unter meinem Schutz mit seinem Leben und seinem Besitz. Ich habe ihm, wie immer es dazu kam, völlige Sicherheit garantiert.<<)

In der Beziehung von Mutter und Tochter spiegeln sich damit auch die Normen und Werte der Gesellschaft wieder, die den Frauen ihre Rollen zuweisen. Der Mutter obliegt es, für eine Erziehung der Tochter zu sorgen, die sie zur höfischen vrouwe macht [Miklautsch 1994]. Isolde tut dies mit ganz besonders viel Liebe und Hingabe:

diu was ir einegez kint,
und haete alle ir vlîzekeit
sît des tages sî geleit,
daz s'iht gelernen kunde
mit handen oder mit munden.
V. 7720-7724

(Sie [Isolde] war ihr einziges Kind, und sie hatte sich mit ihrer ganzen Hingabe um sie bemüht seit dem Zeitpunkt, da sie lernen konnte mit Händen oder Mund.)

Die Mutter ist der Tochter so weit zugewandt, dass die beiden im ersten Teil, solange die Handlung noch in Dublin spielt, so gut wie nie von einander getrennt auftreten. Mehr noch: Als der betrügerische Truchsess seine Ansprüche auf Isolde, die Tochter, laut werden lässt, wird die Einheit der beiden Isolden sowohl auf formaler als auch emozionaler Ebene betont.

  1. in den Versen 9286 und 9287 appelliert die Tochter an die Mutter, sie möge ihre vornehme Herkunft und sich nicht entwürdigen, dadurch, dass sie eine unstandesgemäße Hochzeit mit dem verhassten Truchsessen zuließe. Die Ehre der Tochter ist also gleich der Ehre der Mutter.
  2. später, als Mutter Isolde dem Truchsessen in der Öffentlichkeit gegenübersteht, erklärt sie, dass sie die Abneigung ihrer Tochter gegen ihn teilt, ja, dass diese Abneigung aus ihr selbst eigentlich entspringt und die Tochter, die nach der Mutter gebildet ist, die Abneigung von ihr übernommen hat:
daz selbe ir von mir g'artet ist.
ich selbe enwart dir ouch nie holt.
ich weiz wol, alse entout Îsolt:
ez ist ir g'artet von mir.
V. 9934-9937

(Das hat sie von mir: Ich selbst mochte dich auch noch nie. Ich weiß, so ist es auch mit Isolde. Sie ist nach mir geschlagen)

Diese Einigkeit in Auftreten und Empfinden ist es, die die Beziehung von Mutter und Tochter als ideal erscheinen lässt. Jedoch bringt diese emotionale Verbundenheit auch Schatten mit sich, und zwar dann, wenn die Ablösung der Tochter von der Mutter erfolgen soll. Miklautsch schreibt dazu:

Die Aufgabe der Mutter ist es, ihre Tochter zu erziehen und über ihre Sittlichkeit zu wachen, in ihr Schicksal eingreifen darf sie nicht. Versucht sie es trotzdem, endet dies entweder für sie oder ihre Tochter in einer Katastrophe.[Miklautsch 1994]

Mit der Zubereitung des Minnetranks versucht Isolde, die Mutter, allerdings genau dieses: Sie weiß, dass ihr Wirkungsbereich dort endet, wo die Liebe ihrer Tochter zu einem Mann beginnt. Sie sieht ihre Tochter, die einem fremden Königreich und einem fremden Minneherrn entgegengeschickt wird, gefährdet und will helfen - doch als Brangäne an der Bewachung des Minnetranks scheitert, nimmt das Unheil seinen Lauf.

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*von Straßburg 2007] von Straßburg, Gottfried: Tristan. Band 1. Stuttgart 2007. Vers 790f.
  • [*Miklautsch 1994] Miklautsch, Lydia (1994): Mutter-Tochter-Gespräche. Konstituierung von Rollen in Gottfrieds Tristan und Veldekes Eneide und deren Verweigerung bei Neidhart. In: Helmut Brall, Barbara Haupt und Urban Küsters (Hg.): Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Düsseldorf: Droste (Studia humaniora, Bd. 25), S. 89–107.

Isolde und Gurmun