Sexuelle Gewalt im Reinhart Fuchs

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Der vorliegende Artikel beschäftigt sich, anhand der Vergewaltigungsszene von Frau Hersant durch Reinhart Fuchs (V. 1168 -1182), mit dem Thema «sexuelle Gewalt im Tierepos Reinhart Fuchs». Hierbei soll erarbeitet werden, wie zivilisierte Intimität und Begehren in brutale sexuelle Gewalt umschlägt und diese somit unterwandert wird. Auch wird kurz beleuchtet, wie Reinhart durch die Vergewaltigung Frau Hersants, über die ihm körperlich überlegenen Wölfe triumphiert, der Familie große Schande bereitet und sich somit an ihnen rächt. [Ruh 1980:22] Hierfür wird das adelige Männlichkeitsideal der Gewaltfähigkeit näher betrachtet, auf welches Frau Hersant großen Wert legt, und von Reinhart durch seine Listen unterwandert wird.


Gewalt im Mittelalter

Um die Akte/den Akt der sexuellen Gewalt im Reinhart Fuchs näher beleuchten und analysieren zu können, muss zunächst die generelle Stellung von Gewalt zur Entstehungszeit des Werkes definiert werden. Akte von Gewalt waren in der Zeit Heinrichs sehr viel gesellschaftskonformer als zu der heutigen. Sie nimmt in der mitterlalterlichen Kultur eine prägende Rolle ein und ist nicht nur Teil von Kriegen und Verbrechen sondern dient neben der höfischen Unterhaltung (Turniere) auch dem Ehrgewinn oder -verlust: "Durch Gewalt und auch durch Gewaltdemonstrationen, [...], konstituiert sich das feudale Subjekt." [Dietl 2010: 41]. Hierfür gibt es "[z]ahlreiche Regulierungen der Gewalt, die nicht dazu dienen, die Gewalt zurückzudrängen, sondern die 'kultivierte Gewalt' zu einem Baustein gesellschaftlicher Ordnung zu machen [...]" [Dietl 2010:42]. Gewalt ist also nichts abnormales sondern Teil mittelalterlichen Zusammenlebens.

Reinharts Gewalt im mittelalterlichen Kontext

Aufgrund der generellen Annahmen zur Stellung von Gewalt in jeglicher Form im Mittelalter wird eine Neubewertung und Analyse der von Reinhart verübten Gewalt notwendig. Durch die Strukturierung der Gewalt und ihrer Nutzung stellt sich die Frage, welche Intentionen Reinhart mit der Vergewaltigung an Hersant verfolgt. Bei näherer Betrachtung lässt sich feststellen, dass diese nicht etwa nur rein triebgesteuert ist. Trotz der vorangegangene Minnewerbung um Hersant dient der Akt der Vergewaltigung vor allem der Erfüllung Reinharts Rachewunsches nachdem er von der Wolfsfamilie um Nahrung betrogen wurde. Auch die spezifische Form der Rache ist keinesfalls willkürlich, ist sich Reinhart doch eindeutig der gesellschaftlich vorherbestimmten Folgen seines Handeln bewusst - dem Ehrverlust sowohl Hersants als auch Isengrins.

Das adelige Männlichkeitsideal der Gewaltfähigkeit im Reinhart Fuchs und dessen Unterwanderung

Mittelhochdeutsch Übersetzung
„min herre hat so schonen lip, Mein Gemahl ist so stattlich,
daz ich wol frvndes schal enpern. dass ich auf einen Liebhaber verzichten kann
Wold aber ich deheins gern, Begehrte ich dennoch einen,
so werest dv mir doch zv swach.“ so wärst du mir jedoch zu schwach.“

Wie bereits dargelegt stellte Gewalt im Mittelalter ein wichtiges Mittel für den Gewinn der eigenen Ehre dar und war gesellschaftskonformer als in der heutigen Zeit. Auch war die am Körper sichtbare Gewaltfähigkeit ein adeliges Männlichkeitsideal. Dass dieses Ideal für die Wölfin Frau Hersant für ihre Partnerwahl von besonders großer Bedeutung ist, zeigt sich schon in der ersten Werbung Reinharts um die Wölfin. So lehnt diese Reinharts werben nicht ab, weil sie durch Ehebruch den Verlust ihres gesellschaftlichen Ansehens fürchtet oder sie generell dem Ehebruch ablehnend gegenübersteht, sondern weil er ihr „zv swach“ ist (Vgl. V. 433). Die Wahl ihres Partners macht sie also von der körperlich sichtbaren Gewaltfähigkeit eines Mannes abhängig. Im Folgenden bietet sich für Reinhart allerdings die Gelegenheit zu beweisen, dass es allein auf Stärke nicht ankommt, als der Wolf Isengrin ohne Beute von der Jagd zurückkehrt. Durch eine List erbeutet er einen ganzen Schinken, in dem er körperliche Schwäche vortäuscht. Damit unterwandert er das Männlichkeitsideal der sichtbaren Gewaltfähigkeit und triumphiert über den ihm körperlich überlegen Wolf Isengrin. Im weiteren Verlauf der Erzählung, bricht die Wolfsfamilie das gerade erst geschlossene triuwe-Verhältnis, indem diese, den von Reinhart erbeuteten Schinken, ohne Reinhart etwas übrigzulassen auffrisst. Interessant hierbei ist die Reaktion Frau Hersants, als Reinhart diese nach seinem Anteil am Schinken frägt. Sie gesteht ihm zwar, dass auch sie ihm nichts mehr übriggelassen habe, tut sie dies aber unterwürfig und normgemäß den Machtverhältnissen in Geschlechterbeziehungen. Dies steht im Gegensatz zu der barschen Absage der Wölfin auf Reinharts werben zu Beginn und zeigt eine Änderung in ihrer Haltung zu diesem. Im Allgemeinen lässt sich diese Beobachtung auch auf andere Szenen übertragen. Obwohl Reinhart dem Wolf kräftemäßig unterlegen ist, fügt er ihm durch Listen immer wieder Gewalt zu, ohne selbst körperliche Gewalt auszuüben. Das Männlichkeitsideal der sichtbaren Gewaltfähigkeit ist auch bei der Betrachtung der Vergewaltigung Frau Hersants von Bedeutung. Zum einen da er auch hier die anatomische und körperliche Überlegenheit der Wölfin mit Hilfe einer List unterwandert und ihr Äußerung er sei zu „swach“ für sie widerlegt. Zum anderen aufgrund der allgemeinen Stellung von Gewalt jeglicher Form im Mittelalter. Hierbei ist es wichtig, zu beachten, dass er Frau Hersant nicht nur aus Begehren und Triebhaftigkeit vergewaltigt, sondern auch um seine Überlegenheit zu demonstrieren und so Rache an den Wölfen zu nehmen. So ist Reinharts spezifische Form der Rache nicht willkürlich gewählt. Ihm ist durchaus bewusst, dass die Vergewaltigung Frau Hersants, sowohl den Verlust der Eher des Isengrins als auch der Frau Hersants zur Folge hat. Mithilfe der Vergewaltigung kann er sich so an der ganzen Familie für den Bruch des triuwe-Verhältnisses rächen und gleichzeitig sein sexuelles Begehren befriedigen.

Auch zeigt sich, dass Reinharts Gewalt an Frau Hersant nicht unkontrollierter Art ist. So hat dieser explizit den Akt der Vergewaltigung gewählt, um beanspruchen zu können, dass Frau Hersant rechtmäßig jetzt bei ihm bleiben müsse (Vgl. V. 1236-1237).

Einordnung der Textstelle

Die Vergewaltigung Frau Hersants durch Reinhart ereignet sich nachdem dieser mit dem Wolf Isengrin ein triuwe-Verhältnis eingegangen ist. Reinhart hat bei seinem Allianzvorschlag ein reines Militärbündnis im Sinn. Isengrin geht allerdings weit über Reinharts Anfrage hinaus und nimmt ihn in seine Familie auf, indem er zum „gevateren“ wird. Michael Mecklenburg verwiest in diesem Kontext darauf, dass die Aufnahme einer Nähebeziehung Reinharts zu Frau Hersants de facto von Isengrin selbst ausgeht. Nach Abschluss des Bündnisses, bricht Isengrin zur Jagd auf. Reinhart umgarnt daraufhin, in Abwesenheit ihres Mannes, Frau Hersant mit Hilfe minne-diskursivem Vokabular. Diese lehnt Reinharts Werbung allerdings ab da er ihr zu schwach sei. Als Isengrin von der Jagd mit leeren Händen zurückkehrt ergibt sich für Reinhart die Möglichkeit seine Qualitäten zu beweisen und erbeutet für die Wolfsfamilie einen Schinken. Diese bricht hierbei das triuwe-Verhältnis, in dem sie Reinhart um seinen Anteil des Schinkens betrügen. Die folgende Rache Reinharts wird nun ein zentrales Element der Handlung, durch welche Isengrin den Verlust seines Genitals (Vgl. V. 552-564), seines Haupthaars (Vgl. V. 640-711) und seines Schwanzes (Vgl. V. 712-822) erleidet. Auch muss Isengrin durch Kuonin von Gerüchten erfahren, dass seine Frau den Minne-Werbungen Reinharts nachgegangen sei. Durch eine weitere List Reinharts kommt Isengrin in der Brunnenszene nur knapp mit dem Leben davon (Vgl. V. 858–958). Körperlich völlig lädiert und seiner Männlichkeit beraubt, beschließt er ein Gerichtsverfahren gegen Reinhart einzuleiten. Durch den Luchs wird daraufhin ein Gerichtstermin einberufen, von dem Reinhart allerdings flieht. Darüber erzürnt eilen Isengrin und Frau Hersant Reinhart hinterher.


Textstelle der Vergewaltigungsszene

Mittelhochdeutsch Übersetzung
ver Hersant lief nach im drin Frau Hersant lief hinter ihm her,
mit alle wan vber den bvc. ganz bis zum Vorderteil. [Tip: "wan" formuliert eine Ausnahme]
do gewan si schire schande genuc: Da erwartete sie sofort großes Verderben:
sine mochte hin noch her, Weil sie weder vor noch zurück konnte,
Reinhart nam des gvten war, ergriff Reinhart die Gunst,
zv eime andern loche er vz spranc, sprang aus einem anderen Loch heraus
vf sine gevateren tet er einen wanc. und machte einen Sprung auf seine Gevatterin.
Isengrine ein herzen leit geschach: Isengrin wurde von Schmerz erfüllt,
er gebrvtete si, daz erz an sach. denn jener vergewaltigte sie, so dass er es mitansehen musste.
Reinhart sprach: ,vil libe vrvndin, Reinhart sagte: «Liebste Freundin,
ir schvlt talent mit mir sin Ihr solltet heute bei mir sein.
izn weiz niman, ob got wil, Es weiß niemand, so Gott will,
dvrch ewer ere ich iz gerne verhil.' um eurer Ehre willen würde ich es verheimlichen.»
vern Hersante schande was niht cleine, Frau Hersants Schande war riesig,
si beiz vor zorne in die steine, sie biss vor Zorn in die Steine,
ir kraft konnte ir nicht gefrvmen [1] Ihre Stärke nützte ihr jetzt allerdings nicht

Quellen

  1. Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch, hg. v. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995, V. 1168-1183


Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Ruh 1980:22] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Von den Anfängen bis zu Hartmann von Aue, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S.22.