Riesen in der Heldenepik
Die Heldenbuch-Prosa
Die Heldenbuch-Prosa setzt sich aus fünf Heldenbüchern zusammen, die das Heldenzeitalter von Anfang bis zum Untergang enthalten und die einzelnen Heldengeschichten mitsamt ihren Verknüpfungen in Beziehung setzen. Ein Merkmal der Heldenbuch-Prosa ist es, dass die Informationen oft nur mündlich überliefert wurden und demnach eher trümmerhaft vorhanden sind. Es existiert nicht die eine wahre Quelle, aus der alle Informationen geschöpft wurden. Vielmehr setzt sich die Prosa aus einem wilden Sammelsurium an InformantInnen zusammen. So unzuverlässig wie die Quelle scheint auch die Liste, die durch eine skizzenhafte Narration erweitert divergierende Namensformen und verschiedene Überlieferungsformen zusammen ‚mixt‘. Dem Helden kommt hierbei eine ordnungsschaffende Funktion zu. Da sie die Vorfahren von Königen, Fürsten etc. sind, ist die Heldenbuch-Prosa auch eine Urgeschichte des Adels. Historiographisch erzählt der Text vom Anfang und vom Ende des Heldenzeitalters. Gleichzeitig ist die Chronologie eher bruchstückhaft und statt historischer Zuverlässigkeit oder einer inneren Chronologie steht eine authentische historische Aura im Vordergrund. Der Impuls einer historischen Kontextualisierung ist zwar erkennbar, neigt allerdings zum Verschwinden hinter disparaten Namen und Geschehnissen.
Das Zeitalter der Helden
In der Vorrede der Heldenbuch-Prosa wird eben jenes Heldenzeitalter zusammengefasst: Dabei werden die Zwerge als listig und intelligent genug beschrieben, um die Edelsteine in den Bergen gut erkennen zu können. Daher sind sie voller Reichtum durch den Abbau dieser Edelsteine und verhelfen dementsprechend auch dem Land und der Gesellschaft zu Reichtum. Die Riesen dagegen sind bös und ungestüm, um die wilden Tiere und andere Monster zu bezwingen und die Zwerge zu beschützen, die das Land durch den Reichtum aufblühen ließen. Allerdings wenden sie sich nach einiger Zeit gegen die Zwerge. Aus diesem Umstand heraus wurden die Helden erschaffen, um die Zwerge nicht nur von den Monstern sondern auch vor den monströsen Riesen zu schützen.
Zu den Riesen
Über das Wesen und die Wesentlichkeit von Riesen gibt es unzählige Überlieferungen und Vermutungen. Pia Holenstein Weidmann beschreibt in ihrem Aufsatz Riesen. Ein Körperchiffre der Frühen Neuzeit zwei Arten von Riesen. Einerseits gibt es die seelenlose Urriesen, die den Monstra zuzuordnen sind und sich nicht fortpflanzen können. Diese sind beispielsweise nach Grimm dumm, tölpelhaft und hässlich. Sie dienen lediglich dem Zweck des Erstaunens durch ihre Größe, welche einschüchternd wirkt. Auf der anderen Seite gibt es die Halb- oder Nichtriesen. Sie besitzen sehr wohl eine Seele, sind intelligent und erinnern eher an die Helden, denen die Urriesen zu ihrer Zeit weichen mussten. Hieraus entstammt die Ähnlichkeit von Helden und Riesen, die keinesfalls verwechselt werden sollten, nur weil Helden oft als ebenfalls überaus groß dargestellt werden. Die Helden hatten die Funktion, die Riesen zu bekämpfen- und siegen und mit dem Schwund der Riesen widmeten die Helden sich letztendlich den Drachen. Als Beispiele für Riesen führt die Autorin den Riesen Gargantua und die Riesengesellschaft in Gullivers Reisen auf. Gargantua ist intelligent, führt sich seine Weisheit durch gigantische Experimente zu und alter prozentual durch sein (langsames) Wachstum. Seine Lebensspanne ist um einiges höher als die eins normalen Menschen und trotz seiner Intelligenz (durch sein großes Gehirn) verköstigt er sich an Menschen. Seine Größendimension wird nicht konstant durchgezogen – im Gegensatz zu der Riesengesellschaft in Gullivers Reisen, bei der alles im Verhältnis 1:12 aufgebaut ist. Gulliver als Mensch regulärer Größe strandet auf einer Insel, die nicht nur Riesen beherbergt sondern auch in sich auf die Größe der Riesen angepasst ist. Er wird damit automatisch zu einem Winzling. Auch hier ist die Größe nicht nur an den Maßen sondern auch an der Intelligenz der Riesen erkennbar.
Riesen in der Heldenepik am Beispiel des Eckenlieds
Das Gattungsproblem
Das Eckenlied ist eine Erzählung der Dietrichepik, anhand derer das Gattungsproblem der Heldenepik sichtbar wird, die sich einerseits durch ihre formale Offenheit auszeichnet und gleichzeitig durch eben jene unbestimmbar wird. Dadurch wird die ‚historische’ Dietrichepik zugleich historisch schwer einzuordnen und die lose Form birgt neben dem Definitions- noch ein Abgrenzungsproblem. Der Wissenschaftler Hartmut Bleumer, der das Eckenlied in einer Interpretation auf das Gattungsproblem hin untersucht, gibt zu bedenken, dass das Problem möglicherweise nicht in der fehlenden Abgrenzung sondern vielmehr allgemein daran liegt, dass Gattungen nicht als produktiv offene Systeme gedacht werden. Eine weitere Problematik der Entgrenzung eröffnet sich mit der unzuverlässigen Geschichtsdarstellung, die teilweise im Widerspruch mit der mündlichen Überlieferung steht. Es ist demnach die Aufgabe des narrativen Moments, die Ereignisse in eine sinnstiftende Reihenfolge zu bringen. In der Dietrichepik dominiert beispielsweise das narrative Schema den Zeitablauf und konstituiert Logik. Dadurch, dass sich der Sinn durch die Traditionen und nich nur die Historizität bildet, werden häufig wiederkehrende historische Ausdrucksmöglichkeiten verwendet, um die Authentizität zu stärken. Ritualisierte Kommunikationsformen und Gesten stärken den ‚Geist‘ der Zeit, der durch die Chronologie nicht unbedingt gewährleistet werden kann bzw. wieder erkennbar ist. Das Eckenlied beispielsweise ist nicht linear und folgt vielmehr noch einer Doppelfunktion (beispielsweise durch die parallele Erzählweise oder das Paradoxon der Rüstung) und erst durch den Auftritt Dietrichs findet der Text seine aktive Form. Auffallend ist, dass die Kommunikation zwischen Dietrich und Ecke scheitert, da Ecke eben nicht jenen Kommunikationsanforderungen gerecht wird, die der Text an seine Protagonisten stellt, um fehlende Zeitangaben mit Sinn zu erfüllen. Denn das Dietrich den Kampf gewinnt war narrativ zu Beginn des Eckenlieds schon determiniert, nur die Form der Geschichte, die dem Ausgang Sinn verleiht, ergibt sich erst in ihrem Verlauf. Das die Kommunikation mit dem anderen Helden Vasolt unproblematisch verläuft, liegt auch darin, dass er im Gegensatz zu Eckes vorbestimmten Schicksal noch Ansehen in der Gesellschaft genießt und damit den historischen Konventionen entspricht, die der Text versucht narrativ zu erzeugen. Hier wird damit die Korrelation zwischen Narration und Form deutlich und das historische Moment dadurch sichtbar.
Erzählschemata
Trotz der instabilen Gattungsgrenzen gibt es Erzählmuster, die sich in der aventiurenhaften Dietrichepik wiederfinden. Marie-Luise Bernreuther nutzt das Eckenlied, um anhand dessen eine Erzählschablone und deren Umsetzung zu analysieren: Eine wichtige Komponente für das prinzipielle Gelingen des Schemas in der Dietrichepik ist das Streben der Ritter nach Ehre und Anerkennung bei der Gesellschaft und den Frauen. Meistens ist es so, dass auf den höfischen Roman dann retrospektiv an den Erfolg eine Krise folgt, da der Held nach dem Erlangen der Anerkennung weiterhin seiner nun manifestierten Normidentität gerecht werden muss. Allerdings werden die abstrakten Handlungsmodelle, die in der aventiurenhaften Dietrichepik ähnlich sind, mit unterschiedlichen Aussageintentionen gedeutet, denn: Die Narration bestimmt die Erzählschablone und bestimmt auch die mehrdeutigen Interpretationsansätze, die die Handlungsgesten eröffnen. Bei dem Eckenlied fallen einige narrative Entscheidungen auf, die das Schema in diesem Fall umdeuten bzw. mit formen.
Ein eng zusammengefasster Überblick des Eckenlied ist wie folgt:
Der Held Ecke als zweitplatzierter fordert Dietrich (den Erstplatzierten) heraus, um seine eigene Stellung in der Gesellschaft zu beweisen. Dafür bekommt er von der Königin Sebuc eine noch nie besiegte Rüstung und den Auftrag, Dietrich lebend zu ihr zu bringen, anstatt ihn in dem herausfordernden Kampf zu besiegen. Als die beiden sich im Wald treffen, lehnt Dietrich den Kampf zunächst ab. Da Ecke den Kampf benötigt, um sein Ansehen nicht zu verlieren, drängt der Dietrich weiter. Nach einem harten Kampf tötet Dietrich Ecke und nimmt seine Rüstung an sich. Nach einem Aufeinandertreffen mit Vasolt, dem dritten Helden, wird ihm bewusst, wie sinnfrei Eckes Tod doch war. Voll Reue und Scham stimmt er sein Klagelied an.
Besonderheiten der Schematakonstellation im Eckenlied sind Eckes Verlangen nach gesellschaftlicher Anerkennung und das damit einher kommende Hinterfragen Dietrichs, einerseits seine Position und andererseits den Tod Hildes und Grins, der ohne Augenzeugen geschah. Die fehlende Dokumentation ist ein wiederkehrendes Problem, da ein Ehrenmord ohne Augenzeugen nicht von einem Mord zu unterscheiden ist, wie es auch bei Dietrich oft der Fall ist, der Riesen und Drachen im Walde ermordet. Ein weiteres Schema war die Rüstung der Königin, die sie als unzerstörbar anpreist und damit eine Zweikampf-Paradoxon erschafft. Einerseits will sie Dietrich lebend haben und gleichzeitig verlangt die Unbesiegbarkeit der Rüstung nach einem Tod – der nach dieser Schlussfolgerung Ecke sein muss. Während des Kampfes macht sich Eckes Unfähigkeit der Kommunikation bemerkbar (detaillierter beschrieben in Bleumers Betrachtung des Eckenlieds), als er Dietrichs ironische Bemerkung, mit dem Schwert schneide er sich ins eigene Fleisch, nicht versteht und auf einen Kampf beharrt, den er nur verlieren kann (Anmerkung: Mit Eckes Schwert wurde der Riese Hugebold besiegt und Ecke ist ein Riese). Bei der Klagegebärde kommt Dietrichs Orientierungslosigkeit nach dem Anzweifeln seiner Ritteridentität zum Ausdruck. Danach jedoch geht er weiter seinen ritterlichen Pflichten nach – was die Notwendigkeit einer Einzelbetrachtung der Werke und Kontextualisierung des narrativen Schemas verdeutlicht: Ob es ein Mord oder ein Kampf um ritterliche Anerkennung, ob es Notwehr oder Willkür ist – Das Grundmodell des Herausforderungsschemas, was in diesem Fall in Eckes Tod und Dietrichs Klage mündet, muss nach der individuellen narrativen Interpretation hin untersucht werden.