Gahmurets Liebesbeziehungen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die beiden ersten Bücher des Parzival von Wolfram von Eschenbach behandeln den Werdegang von Vater von Parzivals Vater Gahmuret. Dieser ist grob räumlich zu gliedern in den Aufbruch aus dem Königreichs seines Vaters, den Aufenthalt in Zazamanc bei der Königin Belacane und den in Wâleis bei der Königin Herzeloyde. Die Liebesbeziehungen zu den beiden Königinnen laufen sehr unterschiedlich ab, was im Folgenden behandelt werden soll.

Die Liebesbeziehung zu Belacane

Eine detaillierte Beschreibung der Beziehung zwischen Gahmuret und Belacane ist bereits zu finden. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Beziehung der beiden seit ihrem Beginn auf Gegenseitigkeit beruht. Als die beiden sich kennenlernen, wird Belacane sehr positiv geschildert [28, 10-20][1], und auch Belacanes Augen sagen ihr, dass Gahmuret ein schöner Mann sei ("ir ougen dem herzen sân, daz er wære wol getân." [29,1f.]). Beide sind sich in ihrem "Einverständnis und Begehren" [29,6f.] einig. Trotz der gegenseitigen Liebe, die sie für einander empfinden, verlässt Gahmuret die schwangere Ehefrau. Ihm fehlen, wie sich später herausstellt, Bewährungsproben, in denen er seine Ritterlichkeit beweisen und Ruhm gewinnen kann. (Zur Interpretation der Langeweile Gahmurets bei Belakane vergleiche: [Noltze 1995: S.109-119.]) Später bereut Gahmuret sehr, dass er die schöne Belakane verlassen hat, wie im Folgenden noch geschildert werden wird. Obwohl er in der Ferne ist und von zwei Frauen gleichzeitig begehrt wird (Vgl.: Gahmuret und Herzeloyde), steht er noch zu Belacane, versichert seine Liebe zu ihr und versucht ihr treu zu bleiben. ("dô sprach er frouwe, ich hân ein wîp: diu ist mir lieber danne der lîp." , "Da sprach er: Meine Dame, ich habe schon eine Frau, die habe ich mehr lieb als meinen eigenen Leib." [94, 5f]). Gleichzeitig belastet ihn die Trennung von Belacane:

ir werdiu kiusche mir den lîp Wahrhaft edel in ihrem keuschen Wesen zwingt sie doch meinen Leib,
nâch ir minne jâmers mant. nach ihrer Liebe zu weinen.
[...]
mich tuot frô Belakâne Die Königin Belakâne nimmt mir das Glück
manlîcher freuden âne: das ich mit Mannesmut gewann-
ez ist doch vil manlich und doch ist es erst richtig mannhaft
swer minnen wankes schamet sich wenn einer sich schämen kann über seinene Verrat in der Liebe.

[90, 22-28]

Er macht sich Vorwürfe wegen der Lüge, die er zum Vorwand seines Verlassens gemacht hat und bereut sie verlassen zu haben, da die Sehnsucht nach ihr ihm die Freude an den Ritterkämpfen nimmt. Es besteht die Möglichkeit, dass Gahmurets letzte Fahrt zurück in den Orient auch eine Fahrt zurück zu Balacane sein sollte. [Dallapiazza 2009: vgl.: S. 117.]
Er versucht auch, aus seinem Fehler zu lernen, und trifft mit Herzeloyde ein Abkommen, das ihm erlauben soll, seine Rittertaten mit seiner Streben nach Ruhm zu vereinbaren.

Die Liebesbeziehung zu Herzeloyde

Gahmuret und Herzeloyde führen eine Liebesbeziehung, in der es deutliche Parallelen zu seiner ersten Ehe gibt, aber auch einige Unterschiede.

Gemeinsamkeiten

Obwohl sich beide Frauen in Wesen, Charakter, Hautfarbe und Religion sehr unterscheiden, bemüht sich der Erzähler um klare Parallelen zwischen beiden Ehen. Das Kennenlernen beider Frauen verläuft ähnlich. Gahmuret kommt in fremde Länder und trifft auf eine Frau, deren früherer Liebhaber oder Mann verstorben ist und die deshalb Schutz und Hilfe benötigt. Durch Kämpfe, die Gahmuret keineswegs scheut, und viele Siege gewinnt er auf Anhieb die Bewunderung und Liebe beider Frauen. Nach ritterlichem Ideal erkämpft er sich Ruhm und "hant und lant" einer schönen, keuschen und tugenhaften Dame. Beide Frauen werden von Gahmuret schnell wieder verlassen, um Rittertaten zu vollbringen und jeder hinterlässt er einen Sohn. [Bumke 2004: Vgl.: S. 49.].
Beide Frauen leiden sehr unter diesem Verlust, Belacane überlebt ihn nicht und Herzeloyde bringt sich nur um ihres Sohnes willen nicht um. Trotz dieser Gemeinsamkeiten lassen sich beide Liebesbeziehungen dennoch "auf keine einheitliche Botschaft reduzieren" [Dallapiazza 2009: S. 117.]
Diese These bestätigt sich an den folgenden Unterschieden.

Unterschiede

Beginn der Beziehungen

Die Beziehung zwischen Gahmuret und Belakane entwickelt sich, wie bereits beschrieben, mit beiderseitigem Einverständnis und Zutun. Wie für seine Zeit üblich, erkämpft sich Gahmuret das Herz der Dame durch ritterliche Taten. Obwohl Belacane ein großes Interesse an der Ehe mit Gahmuret hat und deshalb die Annäherung auch größtenteils von ihr ausgeht, ist dieses Interesse nicht mit Herzeloydes Eingreifen vergleichbar. Die Handlungen, die zu Gahmurets zweiter Ehe führen gehen von Herzloyde allein aus. Herzeloyde kämpft sehr engagiert und sicher um Gahmurets Liebe, handelt dabei aber auch rücksichtlos. Einerseits sticht sie seine ehemalige Frau Belacane mit harten Worten aus dem Rennen und beachtet auch Gahmurets Neigung zu Ampflise nicht. Obwohl Gahmuret sie bittet, auf seine Gefühle und sein Unglück Rücksicht zu nehmen, zieht sie vor Gericht. Das radikale Vorgehen der Herzeloyde steht im starken Gegensatz zu dem nun fast schon romantischen Bündnis zwischen Belacane und Gahmuret. Für mittelalterliches Denken muss dieses egoistische Verlangen der Herzeloyde grotesk gewirkt haben. Nachdem Gahmuret nun zu dieser neuen Ehe gezwungen wurde, gibt es keine Beschreibung von wirklicher Liebe, die Gahmuret Herzeloyde entgegenbringt. Es wird von Glück in der Ehe gesprochen, das Gahmurets Traurigkeit vertreibt, und das Hemd auf seinem Schild verdeutlicht, dass er durchaus bereit ist, sich zu seiner neuen Herrin zu bekennen. Die große Liebe und Vergötterung, die Herzeloyde für ihren Gatten empfindet, scheint allerdings auf Gahmurets Seite keine Entsprechung zu finden.

Religion

Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Ehen ist die Religion der beiden Frauen. Bei der Beschreibung der Belacane durch den Erzähler und auch bei den Empfindungen des Gahmuret scheint die Tatsache, dass Belacane eine Heidin ist, kaum eine Rolle zu spielen. Im Gegenteil, sie wird in Schönheit und Charakter einer getauften Frau gleichgesetzt. Gahmurets Abschiedsbrief rückt Belacanes Religion allerdings wieder in den Vordergrund. Dieser Begründung wirkt allerdings in Anbetracht der Vorherigen Handlung und aufgrund einer Äußerung, die Gahmuret Herzeloyde gegenüber macht, nur vorgetäuscht. Die Widersprüchlichkeit des Abschiedsbriefs ist kaum zu übersehen, bietet doch Belakane sogar selbst an, sich taufen zu lassen. Es stört Gahmuret nicht ihre Religion, sondern die Unvereinbarkeit von Aventiure und Ehe, von der im Folgenden noch gesprochen werden wird. Dennoch muss dem mittelalterlichen Leser die Verbindung zwischen Herzloyde und Gahmuret allein schon wegen der religiösen Gründe besser erschienen sein.

Fazit

Die beiden einerseits ähnlichen und andererseits sehr unterschiedlichen Ehen lassen Schlüsse über Gahmurets Verhalten in seiner Liebesbeziehung zu. Gahmuret ist bereit, eine Frau zu lieben, sie zu beschützen und bei ihr zu stehen. Belakane liebt er seit der ersten Begegnung mit ihr die Trauer, die Gahmuret als Argument gegen eine neue Hochzeit mit Herzeloyde anführt, ist Kennzeichen dafür, dass er seine Frau nicht völlig vergessen hat.
Dennoch ist Gahmuret nicht ehrlich zu seiner ersten Frau. In seinem Abschiedsbrief führt er statt der Wahrheit ein fadenscheiniges Argument an. Ohne einen für sie verständlichen Grund für sein Verschwinden zu nennen und ohne sich persönlich von seiner Frau zu verabschieden, lässt Gahmuret die schwangere Ehefrau zurück. Was nach bloßer Feigheit aussieht, bringt für Belacane großes Unglück. Sollte Gahmuret wirklich geplant haben zu ihr zurückzukehren, so kommt diese Einsicht zu spät und bedeutet gleichzeitig einen Verrat an seiner neuen Frau.
Seine beiden Frauen zeichnen sich durch eine grenzenlose Liebe zu ihm aus, die enttäuscht wird und letzten Endes zu beider Tod führt. Teilweise ungewollt, aber auch nicht unschuldig, bringt Gahmuret Leid und Trauer für die Frauen. Die Tragik, die mit den beiden Liebesgeschichten einhergeht, ist der Tatsache verschuldet, dass Gahmuret nicht in der Lage ist, die beiden Ziele seines Lebens, Aventiure und Ehe, zu vereinen. Sein großer Wille zu Rittertaten, der in der Beziehung mit Belacane unterdrückt blieb und den er bei Herzeloyde zwar ausleben kann, aber auch nicht überlebt, treibt sich als Keil zwischen ihn und seine Bereitschaft, für seine Ehefrauen da zu sein. Warum Gahmuret nicht versucht in den beiden Königreichen der Belakane Möglichkeiten zur Erwerbung ritterlichen Ruhms sucht, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Beide Frauen gehen unterschiedlich mit Gahmurets Kampfeslust um, aber keine der beiden hat mit ihrer Vorgehensweise Erfolg. Weder das Unterdrücken von Gahmurets Neigung, noch das Ausleben derselben, führt zu einem glücklichen Ende. Die Frauen scheinen an ihrer Situation unschuldig, doch auch Gahmuret selbst ist zwischen den beiden Zielen in seinem Herzen zerrissen. Nach dieser Vorgeschichte hat der Leser nun schon Erwartungen an die Vorgehensweise Parzivals. Geht man davon aus, dass Parzival nicht nur seine Schönheit und Stärke, sondern auch Mut und Tatendrang von seinem Vater geerbt hat, hat man böse Vorahnungen für seine Liebesbeziehungen. Diese Vorahnung scheint beim Verlassen seiner Mutter bestätigt zu werden. Auch seine Frau Condwiramurs verlässt Parzival, einerseits um seine Mutter zu suchen, andererseits aber "ouch durch âventiure zil" [223, 23]. „Das Schicksal der Herzeloyde und der Belacane scheint damit auch für Condwiramurs vorgezeichnet; kein Wort des Bedauerns steht auf Seiten Parzivals beim Abschied.“

Während Gahmurets Streben nach Ruhm ohne konkretes Ziel ist, kann Parzival aber, nachdem der Gral gefunden ist, zu Condwiramurs zurückkehren.

Quellennachweise

  1. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

<HarvardReferences /> Forschungsliteratur:

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004.

[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009.

[*Noltze 1995] Noltze, Holger: bî den dûhten in diu wîle lanc- Warum langweilt sich Gahmuret bei den Môren?, in: Lindemann, Dorothee(Hrsg) u. a.:bickelwort und wildiu mære. Festschrift für Eberhard Nellmann, Göppingen 1995, S. 109-119.