Das Bogengleichnis (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Das sogenannte Bogengleichnis (241,8-30)[1] des fünften Buches in Wolframs von Eschenbach Parzival ist eine vieldiskutierte poetologische Passage. Sie beschäftigt sich mit dem Thema der Handlungsführung und zeichnet sich durch ihre bildhaft-metaphorische Sprache aus.

Einbettung in den Kontext

Im V. Buch befindet sich Parzival das erste Mal auf der Gralsburg Munsalvaesche und wird Zeuge der geheimnisvollen Gralszeremonie. Als Parzival die Mitleidsfrage nicht stellt, werden der Gral und die anderen kostbaren Gegenstände wieder feierlich aus dem Festsaal hinausgetragen. Beim Beobachten des Vorgangs erhascht Parzival durch die geöffnete Tür einen flüchtigen Blick auf einen grauhaarigen, alten Mann in einer Kemenate (vgl. 240,23-30). Die Frage nach der Identität des Mannes und der Bedeutung der gesamten Zeremonie, die im Anschluss an diese Passage sowohl von Parzival als auch vom Leser/Hörer erwartbar ist, greift der Erzähler im Folgenden auf, verschiebt die Beantwortung der Frage jedoch auf einen späteren Zeitpunkt:

241,1 Wer der selbe wære, Wer er war,
des freischet her nâch mære. davon sollt ihr später hören.
dar zuo der wirt, sîn burc, sîn lant, Dann wird euch auch der Wirt, seine Burg, sein Land
diu werdent iu von mir genant, von mir genannt,
her nâch sô des wirdet zît, doch nachher erst zu seiner Zeit,
bescheidenlîchen, âne strît wo es hingehört nach rechtem Urteil, ohne Zank
unde ân allez für zogen. und erst dann, wenn's an die Reihe kommt.

Der richtige Zeitpunkt für die Beantwortung der Frage scheint an die "personale[...] Zeit des Handlungsträgers" [Spitz 1975: S. 249] gebunden zu sein: Erst in Buch IX als Parzival nach einem langen Irrweg am Karfreitag als Schuldbewusster bei dem Einsiedler Trevrizent einkehrt und ihn das Wissen um die Gralsgeheimnisse existentiell angeht, wird die Frage durch Trevrizent beantwortet [Kern 2002: vgl. S. 58f.]. Dieser erzählt Parzival vom Gral und der Gralsgesellschaft und identifiziert den alten Mann in der Kemenate als Titurel, den Ahnherrn der Gralssippe (vgl. 501,22ff.). Der richtige Zeitpunkt für die Auflösung der Gralsgeheimnisse ist jedoch nicht allein von der individuellen Zeit abhängig, sondern auch von der objektiv gesetzten Zeit: Parzival erfährt die Hintergründe um die Gralsgesellschaft an keinem anderen Tag, als dem Krafreitag [Spitz 1975: vgl. S. 249f.].

Dieses Verfahren des geradlinigen Erzählens lässt sich auch bereits bei den Romanen Chrétiens finden [Kern 2002: vgl. S. 58]. Insofern der Erzähler bei seinen Lesern/Hörern eine Spannungssteigerung erzeugen möchte, ist auch die "Joie de la curt"-Episode in Hartmanns Erec, in welcher der Grund der Beunruhigung Guivreiz' über die vor ihm liegende Burg nur zögerlich preisgegeben wird, ein Beispiel für diese Erzählweise [Kern 2002: vgl. S. 59f.] [Spitz 1975: vgl. S. 249]

Quellennachweise

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

<HarvardReferences /> [*Kern 2002] Kern, Peter: Ich sage die senewen âne bogen. Zur Reflexion über die Erzählweise im "Parzival", in: Wolfram-Studien. Wolfram von Eschenbach - Bilanzen und Perspektiven. Eichstätter Kolloquium 2000, hg. Wolfgang Haubrichs (u.a.), Berlin 2002, XVII, S. 46-62.
[*Spitz 1975] Spitz, Hans-Jörg: Wolframs Bogengleichnis: ein typologisches Signal, in: Verbum et signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter, hg. Hans Fromm (u.a.), München 1975, Bd. 2, S. 247-276.