Das Bogengleichnis (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Das sogenannte Bogengleichnis (241,8-30)[1] des fünften Buches in Wolframs von Eschenbach Parzival ist eine vieldiskutierte poetologische Passage, die sich mit der Erzählstruktur und der Handlungsführung im Parzivalauseinandersetzt. Sie zeichnet sich durch ihre bildhaft-metaphorische Sprache aus. Einen ausführlichen Forschungsüberblick zumindest bis 1997 bietet Christa-Maria Kordt [Kordt 1997: vgl. S. 154-167].

Einbettung in den Kontext

Im V. Buch befindet sich Parzival das erste Mal auf der Gralsburg Munsalvaesche und wird Zeuge der geheimnisvollen Gralszeremonie. Als Parzival die Mitleidsfrage nicht stellt, werden der Gral und die anderen kostbaren Gegenstände wieder feierlich aus dem Festsaal hinausgetragen. Beim Beobachten des Vorgangs erhascht Parzival durch die geöffnete Tür einen flüchtigen Blick auf einen grauhaarigen, alten Mann in einer Kemenate (vgl. 240,23-30). Die Frage nach der Identität des Mannes und der Bedeutung der gesamten Zeremonie, die im Anschluss an diese Passage sowohl von Parzival als auch vom Leser/Hörer erwartbar ist, greift der Erzähler im Folgenden auf, verschiebt die Beantwortung der Frage jedoch auf einen späteren Zeitpunkt:

241,1 Wer der selbe wære, Wer er war,
des freischet her nâch mære. davon sollt ihr später hören.
dar zuo der wirt, sîn burc, sîn lant, Dann wird euch auch der Wirt, seine Burg, sein Land
diu werdent iu von mir genant, von mir genannt,
her nâch sô des wirdet zît, doch nachher erst zu seiner Zeit,
bescheidenlîchen, âne strît wo es hingehört nach rechtem Urteil, ohne Zank
unde ân allez für zogen. und erst dann, wenn's an die Reihe kommt.

Die versprochenen Angaben erhält Parzival bereits teilweise durch Sigune im fünften Buch. Sie klärt Parzival über die Krankheit des Anfortas auf (vgl. 251,16-20), über die Gralsburg Munsalvaesche (vgl. 250,20-251,2] und das Geschlecht des Gralskönigs (vgl. 251,5-18). Da in der obig zitierten Passage der Leser/Hörer nicht auf eine bestimmte Textpassage im Parzival-Roman verwiesen wird, kann bereits die Sigune-Szene auf die obig zitierten Verse bezogen werden [Backes 1999: vgl. S. 16]. Expliziter werden jedoch die Antworten durch Trevrizent im neunten Buch gegeben. Der richtige Zeitpunkt für die Beantwortung der Frage scheint an die "personale[...] Zeit des Handlungsträgers" [Spitz 1975: S. 249] gebunden zu sein: Erst als Parzival nach einem langen Irrweg als Schuldbewusster bei dem Einsiedler Trevrizent einkehrt und ihn das Wissen um die Gralsgeheimnisse existentiell angeht, wird die Frage durch Trevrizent ausreichend beantwortet [Kern 2002: vgl. S. 58f.]. Dieser erzählt Parzival vom Gral und der Gralsgesellschaft und identifiziert den alten Mann in der Kemenate als Titurel, den Ahnherrn der Gralssippe (vgl. 501,22ff.). Der richtige Zeitpunkt für die Auflösung der Gralsgeheimnisse ist jedoch nicht allein an die individuelle Zeit im Hinblick auf Parzivals Reifungsprozess gebunden, sondern auch von der objektiv gesetzten Zeit abhängig: Parzival erfährt die Hintergründe um die Gralsgesellschaft an keinem anderen Tag, als dem Krafreitag [Spitz 1975: vgl. S. 249f.]. Auch der Kommentar des Erzählers, der im Folgenden zitiert werden soll, identifiziert die Trevrizent-Episode als den angemessenen Zeitpunkt für die Klärung der Geheimnisse und gibt den Grund dafür an:

453,5 mich batez helen Kyôt, Kyot hat mich gebeten, es zu verschweigen.
wand im diu âventiure gebôt Dem wiederum hat die Aventiure eingeschärft,
daz es immer man gedæhte, es dürfe nichts davon auch nur angedeutet werden,
ê ez d'âventiure bræhte bis sie, die Aventiure selber, es zur Sprache gebracht hätte,
mit worten an der mære gruoz dort nämlich, wo es der Geschichte willkommen wäre;
daz man dervon doch sprechen muoz. dann aber müsse man sogar davon reden.

Dieses Verfahren des geradlinigen Erzählens lässt sich auch bereits bei den Romanen Chrétiens finden [Kern 2002: vgl. S. 58] und in "Joie de la curt"-Episode in Hartmanns Erec, insofern der Erzähler bei seinen Lesern/Hörern eine Spannungssteigerung erzeugen möchte: der Grund für die Beunruhigung Guivreiz' über die vor ihm liegende Burg wird nur zögerlich durch Guivreiz, den Burgherrn Brandigan und den Ritter Mabonagrin preisgegeben. [Kern 2002: vgl. S. 59f.] [Spitz 1975: vgl. S. 249].

Das Bogengleichnis

Eine Interpretation des Bogengleichnisses muss sich vorwiegend mit dem Verhältnis zwischen "senewe" (241,8 u.a.: Sehne, "boge" (241,10 u.a.: Bogen) und Pfeil und dem Verhältnis zwischen "krümbe" (241,15: Krummheit, Krümmung) und "slehte" (241,18 u.a.: Geradheit) auseinandersetzen. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Interpretation des Bogengleichnisses ergeben, sind vorwiegend auf die bildhafte Sprache und auf die fehlenden Verbindungen zwischen den einzelnen Sätzen zurückzuführen. Der erste Vers des eigentlichen Bogengleichnisses lautet: "ich sage die senewen âne bogen" (241,8: Ich sage die Sehne, nicht der Bogen).

Quellennachweise

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

<HarvardReferences /> [*Backes 1999] Backes, Susanna: Von Munsalvaesche zum Artushof. Stellenkommentar zum fünften Buch von Wolframs "Parzival" (249,1-279,30), Herne 1999.
[*Hartmann von Aue 2007] Hartmann von Aue: Erec, hg. Manfred Günter Scholz, übers. von Susanne Held, Frankfurt 2007.

[*Kern 2002] Kern, Peter: Ich sage die senewen âne bogen. Zur Reflexion über die Erzählweise im "Parzival", in: Wolfram-Studien. Wolfram von Eschenbach - Bilanzen und Perspektiven. Eichstätter Kolloquium 2000, hg. Wolfgang Haubrichs (u.a.), Berlin 2002, XVII, S. 46-62.
[*Kordt 1997] Kordt, Christa-Maria: Parzival in Munsalvaesche. Kommentar zu Buch V/i von Wolframs "Parzival" (224,1-248,30), Herne 1997.
[*Spitz 1975] Spitz, Hans-Jörg: Wolframs Bogengleichnis: ein typologisches Signal, in: Verbum et signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter, hg. Hans Fromm (u.a.), München 1975, Bd. 2, S. 247-276.