Marke (Gottfried von Straßburg, Tristan)
Marke ist König und Herrscher über die Länder Cornwall und England. Er ist eine der Hauptfiguren der Erzählung und taucht bereits in der Eltern-Vorgeschichte auf, als Riwalin eine Reise an den Hof des jungen Marke unternimmt. Dort, in Tintajol, lernt Riwalin Markes Schwester Blanscheflur kennen, mit der er Tristan zeugt. Tristan ist also Markes Neffe. In der Forschung gilt Marke als eine der umstrittendsten Figuren, einerseits wird er als höfischer Mensch dargestellt, andererseits als Schwächling. [Hollandt 1966: 53] Einen "leicht einfältigen Herrscher", der Tristan und Isolde intellektuell unterlegen sei, sich von seinen Gegnern einschüchtern lasse und den Kampf scheue, sieht Albrecht Classen in der Figur von Marke. [Classen 1992: 37f] Dabei pauschalisiert Classen die verschiedenen Rollen, die Marke innerhalb der Erzählung einnimmt. Zwar ist er der "gehörte Ehemann" [Karg 1994: 67] Isoldes, im Gegensatz dazusteht jedoch seine Funktion und sein Ansehen als Herrscher. Für Tristan nimmt er außerdem die Rolle einer Vaterfigur ein.
Marke als Herrscher
Durch verschiedene Handlungen kann eine Positionierung von Marke als Herrscher vorgenommen werden. Dabei wird insbesondere sein Status während Riwalins Aufenthalt in Tintajol untersucht. Seine Herrscherrolle verändert sich jedoch, als Tristan an seinen Hof kommt. Marke wird dann zunehmend zum passiven Herrscher. [Hollandt 1966: S. 57]
Am Hof
König Marke wird bereits vor der ersten Begegnung mit Riwalin als fein und vornehm ("höfsch" und "êrbaere", Vers 421) beschrieben und ist durch diese Eigenschaften in anderen Ländern bekannt. So hat zum Beispielt Riwalin bereits von den genannten Eigenschaften gehört. Im Allgemeinen wird Marke als Herrscher sehr geschätzt und geachtet:
- ouch saget die istôrje von im daz,
- daz allen den bîlanden,
- diu sînen namen erkanden,
- kein künec sô werder was als er. (Verse 450-453)
Sein Ansehen spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass er Obhut und Macht über das Land England bekommen hat. [1] Dass die Erwartungen an Marke nicht unbegründet sind, bestätigt sich, zumindest für Riwalin, bei seiner Ankunft in Tintajol. "swaz ich von Markes tugenden ie/gehôrte sagen, deist allez hie." (Verse 499f). Beim Empfang Riwalins zeigt sich die großzüge und gastfreundliche Art des Königs. Er stellt sich selbst und seinen Besitz zu Riwalins Verfügung und entspricht damit der Tugend der milte. [Hauenstein 2006: 17] Die höfische Seite wird außerdem durch die alljährlichen Feste, die nahe Tintajol ausgerichtet werden, verdeutlicht. [Karg 1994: 71] Zugleich sind die Feste auch von politischer Bedeutung, denn durch die Versammlung der Landesfürsten kann Marke seine Position als König und somit den Frieden der Länder stabilisieren. [Hauenstein 2006: 18] Marke versteht es also, sich als Herrscher und Gönner darzustellen und seine Macht zu demonstrieren. In dieser Hinsicht lassen sich bei ihm als Herrscher keine Anzeichen von Schwäche finden.
Im Kampf
Kurz nachdem das alljährliche Fest endet, wird Marke herausgefordert, sein Reich zu verteidigen. Ein Gegner droht sein Reich einzunehmen, sodass Marke die Möglichkeit erhält, seine Macht zu legitimieren. Er tritt den Kampf gegen den Widersacher an und tötet ihn schließlich. Auch hier entspricht Marke einem idealtypischen Herrscher, der mutig sein Reich verteidigt. Jedoch bleibt es im Verlauf der Erzählung die einzige Auseinandersetzung, in der Marke als überlegener Held dargestellt wird. [Hauenstein 2006: 23]
Marke als Ehemann
Im Verhältnis zu Tristan und Isolde kann Marke nicht mehr als überlegener Herrscher angesehen werden. Er wird zum gehörtnen Ehemann und Opfer. [Karg 1994: 67]
Brautwerbung
Bereits mit der Brautwerbung erlaubt sich Marke eine Schwäche: Nicht er selbst, sondern Tristan soll um die Braut werben.[2] Es wird bereits deutlich, dass Tristan wichtige Handlungen ausführt, die Marke zum Aufbau seiner Macht hätte nutzen können.
...
Verhältnis zu Isolde
Marke wird aufgrund des Lobpreises von Tristan auf Isolde aufmerksam. Seine daraus entstehende Liebe ist dementsprechend eine Fernliebe, entstanden durch Hörensagen. Hierbei ist jedoch auffällig, dass nur ihre Schönheit gepriesen wird, nicht jedoch ihre inneren Vorzüge. [Schnell 1985:335]
Die Beziehung Markes zu Isolde wird auch im weiteren Verlauf auf das rein Äußere, das Sexuelle reduziert. So stellt Marke beispielsweise in der Hochzeitsnacht keinerlei Unterschied zwischen Brangänes und Isoldes Körper und Verhalten fest: [Schnell 1985:335]
- „der greif an sine vröude wider:
- er twanc si nahe an sinen lip.
- in duhte wip alse wip:
- er vant ouch die vil schiere
- von guoter maniere.
- ime was ein als ander:
- an ietwederre vander
- golt unde messinc.“
- (12664ff.)
Auch als Marke Tristan und Isolde in der Minnegrotte liegen sieht, wird sein Begehren nach Isolde nur durch die Schönheit ihres Körpers entfacht, wodurch erneut die Reduzierung Isoldes durch Marke auf ihr Äußeres zu Tage tritt:[Schnell 1985:335]
- „ir kinne, ir munt, ir varwe, ir lîch
- daz was sô rehte wunneclîch,
- sô lieplîch und sô muotsam, daz ir Marken gezam.
- in gelangete ude geluste,
- daz er si gerne kuste.
- Minne diu warf ir vlammen an,
- Minne envlammete den man
- mit der schoene ir lîbes.
- diu schoene des wîbes
- diu spuon im sîne sinne
- z’ir lîbe und z’ir minne.
- […]
- er nam vil inneclîche war,
- wie schône ir ûz der waete schein
- ir kele unde ir brustbein,
- ir arme unde ir hende.“
- (17857ff.)
Markes Beziehung zu Isolde ist also weitestgehend auf die Fokussierung auf ihrer äußere Schönheit und damit ihrer körperlichen Anziehung beschränkt.
Verhältnis zu Tristan
An dieser Stelle könnten noch Überlegungen über das spezifische Verhältnis zu Tristan folgen, eventuell unter Berücksichtigung der Entwicklung desselbigen. Interessant wäre außerdem, inwiefern die platonische Zuneigung Markes als erotische Minne gedeutet werden kann, welche den Ehebruch als doppelten Betrug in seinem Ausmaß noch intensivieren würde.
Anmerkungen
- ↑ Während Cornwall das rechtmäßige Erbland von Marke ist, hat er über England nur die Obhut(vgl. Verse 428 bis 449): Verschiedene Könige regierten gleichzeitig das Land und bekämpften sich gegenseitig. Schließlich einigten sie sich darauf, Marke zum Oberherren zu ernennen.[Hollandt 1966: 54].
- ↑ Zwar geht dieser Vorschlag auf die Landbarone zurück und Tristan stellt sich schließlich selbst zur Verfügung, doch schlägt Marke zu keiner Zeit vor, er könne selbst nach Irland fahren (vgl. Verse 8325 bis 8600).
Literatur
Primärliteratur
Gottfried von Straßburg: Tristan. Hrsg. von Rüdiger Krohn. Stuttgart 1993 (Universalbibliothek 4471, 4472).
Sekundärliteratur
<HarvardReferences />
- [*Classen 1992] Classen, Albrecht: König Marke in Gottfrieds von Straßburg Tristan. Versuch einer Apologie, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 35 (1992), S. 37-63.
- [*Hollandt 1966] Hollandt, Gisela: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan. Berlin 1966.
- [*Hauenstein 2006] Hauenstein, Hanne: Zu den Rollen der Marke-Figur in Gottfrieds 'Tristan'. Göppingen 2006.
- [*Karg 1994] Karg, Ina: Die Markefigur im 'Tristan'. Versuch über die literaturgeschichtlche Position Gottfrieds von Straßburg, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 113 (1994), S. 66-87.
- [*Schnell 1985] Schnell, Rüdiger: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur. Bern, München 1985.