Gahmuret und Herzeloyde (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Die Beziehung zu der Königin Herzeloyde ist eine von zwei Liebesbeziehungen Gahmurets. Im Folgenden wird die Beziehung genau am Text nachgewiesen, um dann als Grundlage für Aussagen über Gahmurets Beziehungen allgemein und sein Verhalten in der Ehe zu dienen.

Das Turnier in Kanvoleis

Nachdem Gahmuret Belacâne zurückgelassen hat, bestreitet er viele Kämpfe und kommt schließlich zu seinem Cousin nach Spanien, mit dem er auf Ritterfahrt fährt. Sie reisen nach Wâleis, wo die Königin Herzeloyde ein Turnier veranstaltet.[1] Sie ist verwitwet, da ihr vorheriger Ehemann im Kampf ums Leben kam. Um einen König für ihre beiden Königreiche zu finden, hat sie sich selbst als Preis für den Sieger des Turniers ausgesetzt. Zu dem Turnier sind die berühmtesten und heldenhaftesten Ritter geladen. Gahmuret zieht mit einer großen Schar, Lärm und Pracht in die Stadt ein: ("höfslîchen durch die stat, der helt begunde trecken, die slâfenden wecken. (Mit Pracht hielt da der Held seinen Einzug in die Stadt und weckte alle, die noch schliefen.") (62,27-30) [2]. Schon im Vorfeld des Turniers spricht man von ihm als großem Kämpfer und so kommt auch Herzeloyde zu Ohren, welch heldenhafter und tapferer Ritter an ihrem Turnier teilnehmen wird. Sie ist von Anfang an neugierig auf diesen edlen Mann und kann es nicht erwarten, ihn zu sehen: "wê wanne kumt er et selbe drîn? (Doch ach, wann kommt er selber denn herein?") (62, 26) Als Gahrmuret und Herzeloyde sich dann das erste Mal begegnen, ist es vor allem der Ritter, der von dieser Situation gebannt ist:

von dem liehten schîne, Angesichts des hellen Glanzes,
der von der künegîn erschein, der von der Königin ausging,
derzuct im neben sich sîn bein: schlug es ihm das Bein herab -
ûf rihte sich der degen wert, hochgereckt der edle Held
als ein vederspil, daz gert. wie ein Falke, beutegierig!

(64, 4-8)

Das zuvor noch mit vornehmer Lässigkeit auf dem Sattel liegende Bein "zuckt in die Reiterhaltung zurück. [..] Der bloße Anblick einer Frau fährt ihm in die Glieder".[Wiegand 1972: vgl. S. 261]Diese unkontrollierte Geste macht Gahmurets innere Anspannung deutlich, da plötzlich nicht nur "strit", sondern auch "wibes gruoz" und eventuell "minne" in Aussicht sind.[Wiegand 1972: S. 262]
Die Turnierteilnehmer sind nach Verwandtschaft aufgeteilt. Es kämpfen zwei große Parteien gegeneinander (zur detaillierten Beschreibung der Turnierteilnehmer vergleiche [Bumke 2004: S. 49f.]). Bevor das Turnier jedoch beginnt, treten einige Ritter in Vorkämpfen gegeneinander an. Gahmuret, der ebenfalls an den Vorübungen teilnimmt, besiegt alle, die gegen ihn antreten.


Der Liebesbrief der Ampflîse

Nachdem Gahmuret die ersten Kämpfe beendet hat, reitet er zu seinem Zelt zurück. Dort wird er von Boten der Königin Ampflîse empfangen und bekommt einen Brief ausgehändigt.[3] Die Königin Frankreichs hat sich in Gahmuret verliebt und bietet ihm ihre Hand und ihr Land an. ("Kum wider, und nim von mîner hant, krône, zepter unde ein lant. daz ist mich an erstorben: daz hât dîn minne erworben" (77, 1-3)) Dafür schenkt sie ihm Truhen voller Kostbarkeiten. Ampflîse ist für Gahmuret keine Unbekannte, da beide zusammen am französischen Hof erzogen wurden (94, 24-25]. Nachdem der Ritter erkennt, von wem der Brief stammt, verbeugt er sich (76, 21), was die Hochachtung deutlich macht, die er vor der französischen Königin empfindet.[Wiegand 1972: vgl. S. 263] Die Konkurrenzsituation zur Königin Herzloyde spricht sie offen an:

ine ruoche obez diu künigin siht: Mag die Königen dort es ruhig sehen, was kümmert's mich?
ez mac mir vil geschaden niht. Es kann mir nicht viel schaden.
ich bin schœner unde rîcher Ich bin schöner als sie und mächtiger
unde kan och minneclîcher und liebenswerter, und ich weiß besser als sie
minne enphân und minne gebn Liebe zu empfangen und Liebe zu geben.
wiltu nâch werder minne lebn Wenn du nach wirklich edler Liebe leben willst,
sô hab dir mîne krône so gehört dir meine Krone,
nâch minne ze lône sie soll der Lohn der Liebe sein.

[77, 11-18]
Nachdem Gahmuret während der ersten Kämpfe lustlos zu Werke gegangen ist, ist er nach dem Erhalt des Briefes wieder Minneritter:[Wiegand 1972: vgl. S. 264] "er wolt sich arbeiten (Er wollte sich nun tummeln") (77, 25). Tiefe Zuneigung zu Amflîse hat seine Kräfte gestärkt, bereits im Vorturnier werden die meisten Ritter besiegt. Daher wird das geplante Turnier abgesagt und Herzeloyde erklärt Gahmuret zum Sieger.

Die Liebesforderung der Herzeloyde

Nachdem Herzeloyde die Vorkämpfe für beendet erklärt hat, reitet sie zu Gahmurets Zelt, um ihn kennenzulernen. Schon im Vorfeld kann sie es kaum erwarten ihm zu begegnen und ergreift, als er keine Anstalten macht zu ihr zu kommen, selbst die Initiative. "Seitdem sie zuerst von Gahmuret gehört hat, interessiert sich Herzeloyde ausschließlich für ihn." [Lewis 1975: S. 467.] Als Herzeloyde und Gahmuret sich hinsetzen, ist sie sofort "gefangen von seiner Liebe" (84, 1), nimmt ihn in den Arm und zieht ihn zu sich heran: "er saz für sie sô nâhe nidr, daz sin begreif und zôch in widr, anderhalb vast an ir lîp. (Er setzte sich so nahe vor ihr nieder, daß sie ihn zu sich her zog ganz eng an ihren Leib.") (84, 3-5) Diese Geste wird in der Forschung als für eine adelige Dame höchst ungewöhnlich angesehen, da eine Solche in der Öffentlichkeit gewöhnlich Zurückhaltung zu üben hat. [Hartmann 2000: vgl.:S.197.]
"Der Erzähler kommentiert dieses spontane Zugreifen Herzeloydes in scheinbar entrüsteter Verwunderung, als er betont, daß es sich sogar um eine Jungfrau handle, die ihre erotische Gereiztheit so offen an den Tag legte." [Lewis 1975: S. 468.] Außerdem wird in der Forschung darauf hingewiesen, dass Gahmuret in dieser Passage wiederholt als "Gast" bezeichtnet wird, dies stellt ein Verweis auf seine Fremdheit und innere Zurückgezogenheit dar. [Lewis 1975: vgl.: S. 467.] Im starken Gegensatz zur lichten, hell strahlenden Herzeloyde (Vgl.: 84, 13-15) steht allerdings Gahmuret, der von großer Traurigkeit befallen ist: ("wan daz grôze jâmer unters sluoc (wäre da bloß die Traurigkeit nicht gewesen:") (84, 16). Sein Kummer erklärt sich einerseits aus den schlechten Nachrichten aus Anschouwe, die ihm über seine Verwandten gebracht worden sind, und andererseits von der Sehnsucht nach Belacâne, seiner Frau. Herzeloyde fordert nun ihr Recht an Gahmuret ein: "von herzen eine süeze bete ([...], eine süße Bitte kam ihr von Herzen:")(86,30) Weil die Gesandten der Ampf1îse aber ebenfalls auf Gahmuret einreden und ihn für Ampflîse gewinnen wollen, sieht Herzeloyde keine andere Möglichkeit als ihr Recht vor Gericht einzufordern und bittet Gahmuret so lange zu bleiben.

Der Gerichtsspruch

Am nächsten Morgen fordert Herzeloyde erneut die Ehe von Gahmuret ein (94, 2-4). Dieser wehrt sich jedoch dagegen und nennt seine Traurigkeit und seine Sehnsucht nach Belacane als Grund dafür (94, 5-10). Herzeloyde verlangt von Gahmuret, die "Mohrin zu lassen, wo sie ist" (94, 13f) und auch die Königin von Frankreich, der Gahmuret viel zu verdanken hat (94, 21-23), zu vergessen. Gahmuret weist darauf hin, dass kein Turnier stattgefunden habe, das er hätte gewinnen können (95, 14-16), doch das Gericht spricht Herzeloyde schließlich das Recht zu.

Die Ehe mit Herzeloyde

Bevor Herzeloyde und Gahmuret heiraten, verlangt er von ihr, ihn zu Turnieren fahren zu lassen, wenn er dazu Lust verspüre. Andernfalls würde er den alten Trick anwenden und von ihr, wie von Belacane, fortlaufen: "sô kan ich noch den altel slich, als dô ich mînem wîbe entran (so weiß ich noch den alten Schlich von früher, als ich meiner Frau entlief.") (96, 30f). Herzeloyde spricht ihm ein Turnier im Monat zu. (Vgl.: Âventiure und Ehe)

Die Entwicklungen bis zur Hochzeit erscheinen nicht nur für heutiges Verständnis seltsam, sondern waren wohl auch ein "grotesker Vorgang im Licht der höfischen Gesellschaftskonventionen" [Bumke 2004: S. 51.]
Dennoch gibt sich Herzeloyde nach der Hochzeit alle Mühe Gahmuret glücklich zu machen, was ihr auch zu gelingen scheint:


juncfrouwen unt diu künegîn Adelige Mädchen und die Königin führten ihn dahin,
in fuorten dâ er freude vant wo er Freude fand
und al sîn trûren gar verswant und wo seine Trauer ganz und gar vertilgt wurde.
entschumphiert wart sîn riwe In den Staib geworfen wurde da sein Leid,
und sîn hôchgemüete al niwe mit neuem Leben erhob sich seine kühne Seele:
daz muose iedoch bî liebe sîn Die war nun geliebt.

[100, 8-14]

Gahmurets Tod

In den folgenden Monaten, in denen Gahmuret auf Turnierfahrten fährt, trägt er ein Seidenhemd der Herzeloyde als Zeichen auf seinem Schild, welches sie nach seiner Rückkehr immer wieder anzieht. Dieses Ritual dient als Zeichen für die eheliche Liebe. [Bumke 2004: vgl. S.50] Seine letzte Ritterfahrt unternimmt er zum Bâruc, seinem alten Herrn, um sich nochmals in seine Dienste zu stellen. Dieser befindet sich zu diesem Zeitpunkt im Krieg und Gahmuret hilft ihm und kämpft an seiner Seite. Es ist umstritten, ob er im Rahmen dieser Fahrt zu Belacâne zurückkehren wollte. Gahmuret wird in einer Schlacht von Ipomidôn getötet. Dies jedoch nur, weil sein Helm durch eine "heidnische List" (105,17) manipuliert wird. Ein Ritter nimmt Bocksblut, gießt es in ein Glas und schlägt es auf dem Helm des Gahmuret entzwei. Dieser wird daraufhin weich wie ein Schwamm. Bevor Herzeloyde von seinem Tod erfährt, hat sie bereits einen schrecklichen Traum. Dieser kann als prophetischer Traum bezeichnet werden, der die Folgen von Gahmurets Tod auf Herzeloyde selbst beleuchtet und ihren eigenen Tod bei Parzivals Aufbruch voraussieht. [4] Nach dem Tod ihres Mannes erwägt Herzeloyde sich ebenfalls zu töten, entscheidet sich aber stattdessen, ihren gemeinsamen Sohn, mit dem sie schwanger ist, zu retten. "Gahmurets Tod läßt Herzeloyde alle gesellschaftlichen Konventionen vergessen. Sie küßt ihren Busen und redet zu der Milch darin" [Bumke 2004: S. 52.]


Sie liebt das Kind abgöttisch und wirkt mit ihrer Erziehung stark auf sein Verhalten ein. Nachdem ihr geliebter Mann Gahmuret sie verlassen hat, versucht sie mit allen Mitteln ihren Sohn vor demselben Schicksal zu bewahren. Als dieser sie jedoch auch zurücklässt, stirbt sie aus Trauer.

Das Motiv des Verschwindens

In den Büchern I und II desParzival erscheint immer wieder das Motiv des Verschwindens. Schon zu Beginn verlässt er seine Mutter und seinen Bruder, um die Welt zu erkunden und sich einen Namen als ruhmreicher Ritter zu machen. Hier zeigt sich zum ersten, dass Gahmuret geliebte Menschen für sein ritterliches Dasein verlässt. [Dallapiazza 2009: vgl. S. 34.] Im weiteren Verlauf der Handlung verlässt er auch noch Belacane, um sich Abenteuern hinzugeben. In einem Brief schildert er ihr, dass er, aufgrund der Tatsache, dass sie eine Heidin sei, fortgehe. Dies ist jedoch nur eine Ausrede seinerseits zu verstehen. [Bumke 2004: vgl. S.48.] Die Geburt von Feirefiz bekommt er nicht mehr mit. Ein drittes Mal findet sich dieses Motiv, wie oben geschildert, beim Verlassen von Herzeloyde. Auch hier erlebt er die Geburt seines zweiten Sohnes nicht und es scheint so zu sein, dass ihm sein ritterlicher Ruhm und seine Ehre wichtiger sind, als geliebte Menschen.

Quellennachweise

  1. Zu den Turnieren in mittelalterlichen Romanen: Czerwinski 1975.
  2. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
  3. Eine interessante Abhandlung zu Amflîse findet sich bei [Gibbs 1980: S. 48-53].
  4. Dem Traum der Herzeloyde wurde in der Forschung einige Aufmerksamkeit gewidmet. Interessante Ergebnisse liefert vor allem Hatto 1968.

<HarvardReferences />

Forschungsliteratur

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).

[*Czerwinski 1975] Czerwinski, Peter: Die Schlacht- und Turnierdarstellungen in den deutschen höfischen Romanen des 12. und 13. Jahrhunderts, Diss., Berlin 1975.

[*Gibbs 1980] Gibbs, Marion E.: Ampflise im Parzival und im Titurel, in: Wolfram Studien 6 (1980), S. 48-53.

[*Lewis 1975] Lewis, Gertrude J.: Die unheilige Herzeloyde. Ein ikonoklastischer Versuch, in: Journal of English and Germanic Philology 74 (1975), S. 465-485.

[*Hartmann 2000] Hartmann, Heiko: Gahmuret und Herzeloyde. Kommentar zum zweiten Buch des Parzival. Wolfram von Eschenbach, Band 1, Herne 2000.

[*Hatto 1968] Hatto, Arthur T.: Herzeloyde's Dragon Dream, In: German Life&Letters 22 (1968), S. 16-31.


[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009

[*Wiegand 1972] Wiegand, Herbert Ernst: Studien zur Minne und Ehe in Wolframs Parzival und Hartmanns Artusepik. Berlin, New York 1972.