Fiktionale Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)

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Der Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein ist trotz eines Ich-Erzählers, der behauptet Ulrich von Liechtenstein zu sein, kein rein biografisches Werk. Es enthält zwar autobiografische Elemente, aber auch zahlreiche Hinweise auf Fiktionales. Im Folgenden sollen einige dieser Fiktionalitätssignale genauer analysiert werden, um die Erzählstruktur nachvollziehen zu können und die Bedeutung der Fiktion für den Frauendienst näher zu bestimmen. Zuvor müssen allerdings die erzähltheoretischen Begrifflichkeiten definiert werden.

Definitionen

Um über fiktionale Elemente im Frauendienst sprechen zu können, muss zunächst einmal geklärt werden, was überhaupt "fiktional" bedeutet und wie sich dieser Begriff zu verwandten Begriffen abgrenzen lässt. Grundsätzlich kann eine Erzählung real oder fiktiv sein, was den ontologischen Status der Erzählung erfasst, und sie kann fiktional oder faktual sein, was sich auf den pragmatischen Status bezieht.[Martínez/Scheffel 2012: 15/16]

Real vs. fiktiv

Das Begriffspaar real/fiktiv beschreibt zwei Eigenschaften, die sich auf die Verhältnisse innerhalb der erzählten Welt beziehen. Wenn beispielsweise der Bote Ulrichs spricht si hat enboten iu bi mir, daz ir für war sült chomen ir von hiute reht über zweinzic tage [...] so wil si iuch enpfahen so, des ir sült immer wesen vro (FD 1288, 1-6)[1], so ist dies eine fiktive Botschaft, da der Bote sich diese nur ausgedacht hat, um Ulrich an einem mögichen Selbstmord zu hindern (vgl. FD 1304). Die Erzählung des Boten ist folglich ein fiktives Element innerhalb der Erzählung des Frauendienstes.

Fiktional vs. faktual

Anders verhält es sich mit dem Gegensatzpaar fiktional und faktual. Diese beziehen sich auf den Modus des Erzählens, was bedeutet, dass die Art und Weise wie etwas erzählt wird, ausschlaggebend ist. Fiktional und faktual beschreiben damit keine innerliterarischen Eigenschaften, sondern das Verhältnis zur realen Außenwelt (der Welt des Rezipienten). Entscheidend ist, was der Rezipient aufgrund der Art der Erzählung von dieser erwartet. Die Frage ist hier also nicht, was wahr oder falsch ist, sondern mit welchen Signalen der Erzähler seine Rede versieht, um sie entweder als fiktional oder faktual zu kennzeichnen.[Martínez/Scheffel 2012: 17] In faktualen Texten produziert ein realer Autor einen Text, der vom Rezipienten durch bestimmte Hinweise des Autors als wirkliche Aussage desselben aufgefasst wird - folglich ist dies eine reale Kommunikationssituation zwischen Autor und Rezipient.[Martínez/Scheffel 2012: 19] In fiktionalen Texten jedoch behauptet der Autor nichts, er produziert lediglich einen fiktiven Erzähler, der wiederum behauptet, dass das was er (der fiktive Erzähler) sagt, wahr sei.[Martínez/Scheffel 2012: 19]Durch bestimmte Textsignale wird so im Idealfall ein "Fiktionalitätsvertrag"[Chinca 2010: 317] zwischen Erzähler und Rezipient geschlossen. Welche Fiktionssignale im Frauendienst zum Tragen kommen, soll in diesem Artikel näher untersucht werden.

Die Ich-Erzählsituation im Frauendienst

Im Frauendienst liegt die besondere Situation vor, dass erstens ein Ich-Erzähler spricht, der zweitens noch gleichnamig mit dem Autor ist. So entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, dass der Autor keinen fiktiven Erzähler erschaffen hat, sondern dass die historische Person Ulrich von Liechtenstein sowohl Autor als auch Erzähler ist. Oder anders gesagt erscheint es so, dass der Autor, der in der außerliterarischen Welt angesiedelt ist, identisch ist mit dem erzählenden und dem erlebenden Ich der innerliterarischen Welt. In mittelalterlichen Ich-Erzählungen ist das erzählende Ich, also der Autor im Text, im Gegensatz zum erlebenden Ich nicht fiktiv. Trotzdem wollen erzählendes Ich und erlebendes Ich identisch sein.[Glauch 2010: 173] Die Problematik der Bestimmung von fiktionalen Elementen im Frauendienst ergibt sich gerade aus diesem Verhältnis. Denn während normalerweise in fiktionalen Texten deutlich wird, dass das erzählende Ich eine Erfindung des Autors und damit fiktiv ist, behauptet das erzählende Ich im Frauendienst identisch mit dem erlebenden Ich zu sein.

Fiktionale Elemente

Die Minnelyrik Ulrichs

Das Ich in der Minnesanglyrik erscheint allgemein gesagt oft austauschbar.[Hübner 2008: 10/11] Es handelt sich daher weniger um ein individuelles Ich, als um einen höfischen Diskurs über gesellschaftliche Konventionen.[Hartmann 2012: 48] Der Autor des Frauendienstes bedient sich 58 in den versepischen Text eingefügter Lieder, die zum Teil Minne-Erlebnisse des erlebenden Ichs reflektieren (z.B. FD Lied 2, 110-111) oder sich mit Ausführungen über die Minne beschäftigen (z.B. FD Lied 16, 1351-1352). Betrachtet man diese Liedpassagen losgelöst vom epischen Teil, so würde man in diesen kaum von einem individuell erlebenden Ich sprechen. Ganz anders hingegen in den versepischen Teilen des Frauendiensts: Hier wird die literarische Person Ulrich von Liechtenstein durch ihre unvergleichlichen Taten durchaus als eine individuelle, d.h. nicht einfach austauschbare, Persönlichkeit wahrgenommen.[Kartschoke 2001: 71] Folglich gibt es zwei Ulrichs, den Autor und das erzählende/erlebende Ich, aber darüberhinaus noch ein weiteres Ich, dass in den Liedern auftritt und angibt, ebenfalls mit Ulrich identisch zu sein. Denn bereits das erste Lied für die Dame wird vom epischen Ulrich-Ich als sein eigenes ausgegeben: Guout niuwe liet ich von ir han gesungen (FD 66, 1-2) Diese Diskrepanz zwischen der Beliebigkeit des lyrischen Ulrichs in den Liedabschnitten und den mit individueller Personalität angefüllten Passagen über die Erlebnisse des epischen Ulrichs führt zu einem Glaubwürdigkeitsverlust in Bezug auf die Autobiografie. Das Spannungsfeld zwischen Beliebigkeit und Individualität,[Kartschoke :67/78] das aus dem Verhältnis von Minnesanglyrik und "Minneepik" herrührt, stellt somit ein Fiktionalitätssignal dar. Denn für den Rezipienten sind der lyrische Ulrich und der epische Ulrich nur schwer in einer Person zu vereinen, auch wenn diese Einheit im Text behauptet wird (s.o.). Es ergibt sich die Frage, ob es sich beim Frauendienst um eine Biografie handelt, die zwar nicht die reine Autobiografie Ulrichs von Liechtenstein ist, aber durchaus die Biografie eines beliebigen "Minnenden". Dieser wurde vom Autor-Ulrich so erschaffen, dass sich in der an sich fiktiven Person auch autobiografische und historische Bestandteile entdecken lassen.

Die Übernahme anderer Identitäten

Artusfahrt

Die Venusfahrt

Die Redewiedergabe Dritter

Primärtext

  • Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987.

Forschungsliteratur

  • Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.
  • Kartschoke, Dieter: Ich-Darstellung in der volkssprachlichen Literatur, in: van Dülmen, Richard (Hg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 61-78.
  • Müller, Jan-Dirk: Ulrich von Liechtenstein, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 9, Berlin 1995, Sp. 1274-1282.
  • Müller, Jan-Dirk: Lachen - Spiel - Fiktion. Zum Verhältnis von literarischem Diskurs und historischer Realität im "Frauendienst" Ulrichs von Lichtenstein, in: von Bloh, Ute/Schulz, Armin (Hgg.): Minnesang und Literaturtheorie, Tübingen 2001, S. 1-38.
  • Peters, Ursula: Frauendienst. Untersuchungen zu Ulrich von Liechtenstein und zum Wirklichkeitsgehalt der Minnedichtung, Berlin 1970.
  • Rischer, Christelrose: wie süln die vrowen danne leben? Zum Realitätsstatus literarischer Fiktion am Beispiel des Frauendienstes von Ulrich von Liechtenstein, in: Hahn, Gerhard (Hg.): Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart 1992, S. 133-157.

Textnachweise

<HarvardReferences />

  • [*Kartschoke 2001]Kartschoke, Dieter: Ich-Darstellung in der volkssprachlichen Literatur, in: van Dülmen, Richard (Hg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 61-78.

<HarvardReferences />

  • [*Martínez/Scheffel 2012]Martínez, Matías/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, München 92012.
  • Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987.
  • wann immer der mittelhochdeutsche Text zitiert wird, wird diese Ausgabe benutzt.

    <HarvardReferences />

    • [*Chinca 2010]Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.

    <HarvardReferences />

    • [*Glauch 2010]Glauch, Sonja: Ich-Erzähler ohne Stimme. Zur Andersartigkeit mittelalterlichen Erzählens zwischen Narratologie und Mediengeschichte, in: Haferland, Harald/Meyer Matthias (Hgg.): Historische Narratologie - Mediaevistische Perspektiven, Berlin/New York 2010, S. 149-185.

    <HarvardReferences />

    • [*Hübner 2008]Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008.

    <HarvardReferences />

    • [*Hartmann 2012]Hartmann, Sieglinde: Deutsche Liebeslyrik vom Minnesang bis zu Oswald von Wolkenstein, Wiesbaden 2012.