Körperlichkeit (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)

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Profilierungen des Körpers spielen im Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein eine nicht geringe Rolle: Ulrichs Körper ist ein "immer wieder aufs neue blockierter oder deformierter"[Kiening 1998:223], und wird so zu einem "textualisierten Körper"[Kiening 1998:223], der als Zeichen eines unbedingten Minnedienstes fungiert und Botschaften und Treuebeweise übermittelt.[1] Interessant sind aber auch diejenigen Szenen, in denen es um nur scheinbare, indirekte Körperlichkeiten geht, wie etwa in dier Waschwasserszene oder beim Versenden des Büchleins.

Beziehung von historischem Körper und Protagonisten-Ich

Der Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein, welcher ein steirischer Ministerialer[2], Truchsess[3] und Landrichter war, gilt in der Forschung als erste Ich-Erzählung in deutscher Sprache.[4] Sowohl autobiografische als auch fiktionale Elemente sind in diesem Werk vorhanden. Die, für autobiographisches Schreiben konstitutive, Nicht-Fiktionalität ist allerdings zweifelhaft: "Das Ich, das sich hier artikuliert, entspricht offensichtlich nicht dem aus neuzeitlichen Autobiographien geläufigen."[Kiening 1998: 215] Zwar trägt das Protagonisten-Ich den Namen "Ulrich von Liechtenstein"; selbst nennt er sich allerdings nie so und zudem teilt er nur vereinzelte Elemente der historischen Konstellation mit dem steirischen Ministerialen Ulrich von Liechtenstein.[5] "Er [das Protagonisten-Ich "Ulrich von Liechtenstein"] steht offensichtlich in nicht mehr (aber auch nicht weniger) als einer Verweisbeziehung zu der historischen Person außerhalb des Textes. Diese Beziehung dürfte ihren Reiz aus der Spannung von Übereinstimmungen und Differenzen bezogen haben."[Kiening 1998:215] Doch Kiening bemerkt weiter, dass diese Spannung kaum rekonstruierbar ist, da literarische und außerliterarische Biographie eben nur punktuelle Berührungen aufweisen. "Ob an dem historischen Körper des Autors, der von sich selbst zu erzählen vorgibt, tatsächlich die Wegoperation einer Hasenscharte oder das Fehlen eines Fingers zu bemerken waren, muss offenbleiben. Nichtsdestoweniger gehört das Verweisen auf einen solchen Körper und die ihn umgebende Lebenswelt zur Spezifik des Frauendienstes."[Kiening 1998:215]

Sexualität und Körperlichkeit im Mittelalter

"Ulrichs" Körper

Die prägnantesten Szenen, in denen "Ulrichs" Körper Mittelpunkt der Handlung ist, sind gut bekannt: "die Mundoperation, die das Ich vornehmen läßt und deren Folgen - die geschwollene Lippe, die stinkende grüne Salbe, der Ekel vor der Nahrungsaufnahme- ausführlich geschildert werden; das Abhacken eines Fingers, der im Turnier verletzt worden war und der der Dame als Beweis unbedingter Ergebenheit geschickt wird; der Aufenthalt unter Aussätzigen und die Einnahme eines (lepraähnliche Symptome hervorrufenden) Krautes, um der Dame nahezukommen."[Kiening 1998:219]

Die "komisch-parodistischen Elemente"[Kiening 1998:219] dieser Szenen sind komplexer Bestandteil der "Inszenierungen des Autor-Ich"[Kiening 1998:219], welches, so Kiening, Präsenz erzeuge und sich gleichzeitig distanziere. Das Ich "Ulrich" betreibt eine Art "Modellierung des Leibes"[Schmid 1988:195f.] sowie eine "Differenzierung von Identität durch die Zeichnung des eigenen Leibes".[Schmid 1988:195f.] Dies ermöglicht es ihm, sich von anderen abzusetzen; die körperlichen Extravaganzen bezeichnet Kiening deshalb als Strategien: "Der Körper des Ich im Frauendienst [bildet] nicht mehr nur jene konkrete Hülle des Abstrakten, als welche die Körper im höfischen Roman begegnen. Er steht als ein unhöfischer und exaltierter[6] in einem Spannungsverhältnis zu den höfischen, disziplinierten und verfeinerten Körpern, gewinnt seine spezifisch diskursive Gestalt also gerade im Kontrast und in der Negation."[Kiening 1989:220]

Indirekte Körperlichkeit im "Frauendienst"

"Unter dem Aspekt der Körperlichkeit besitzt Ulrichs Minnegeschichte ihren Ausgangspunkt in einer Adoleszenzerfahrung gleichzeitiger Nähe und Unberührbarkeit."[Kiening 1998:220] Kiening formuliert in diesem Absatz sehr treffend Ulrichs Situation: "Das Ich (dessen Name im übrigen noch nicht genannt ist) verbringt die Zeit zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr als kneht der frowe."[Kiening 1998:220] Doch Ulrich muss sich, aufgrund der höheren Stellung der Dame, mit Formen mittelbarer Berührung begnügen.

Die Blumen

Als "imaginatives Relais"[Kiening 1998:220] zwischen zwei Körpern bringt Ulrich seiner Damen Blumen. Die Tatsache, dass seine vrowe die Blumen berührt, nachdem er sie berührt hat, empfindet Ulrich als Verbindung zwischen den beiden Körpern. Die Blumen erfahren also eine Art Aufladung mit Körperlichkeit.

Die Blumen-Episode wird in Vers 24 beschrieben:

Mittelhochdeutscher Text[7]

Neuhochdeutsche Übersetzung[8]

24 Eines ofte mir geschach:
swenne ich ihr schoener pluomen brach
des sumers, so daz solde sin,
die truog ich sa der vrowen min.
nam si die in ir wize hant,
so wart mir freuden vil bekant;
ich gedaht: da du si griffest an,
da han ich in alsam getan.










Die Waschwasserszene

Das Büchlein

Ulrich von Liechtenstein verwendet nicht nur seinen Körper als Einsatz im Minnedienst, sondern auch (in teils in ähnlicher Weise) Lieder, Briefe und Büchlein.

Der Finger

Primärliteratur

  • Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987. (Mittelhochdeutscher Text)
  • Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst, übers. v. Franz Viktor Spechtler, Klagenfurt/Celovec 2000.

Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur

<HarvardReferences /> [*Kiening 1998] Kiening, Christian: Der Autor als 'Leibeigener' der Dame - oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im 'Frauendienst' Ulrichs von Liechtenstein, in: Andersen, Elizabeth (Hg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter, Tübingen, 1998, S.211-238

[*Schmid 1988] Schmid, Elisabeth: Verstellung und Entstellung im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, in: Ebenbauer, Alfred; Knapp, Fritz Peter; Schwob, Anton (Hg.): Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark (Jahrbuch für Internationale Germanistik), Bern u.a., 1988, S.181-198

Anmerkungen

  1. Vgl. Kiening, S.223
  2. Ulrich von Liechtenstein gehörte einem einflussreichen Ministerialengeschlecht an; Ministerialer (laut Duden): Angehöriger des Dienstadels im Mittelalter, Angehöriger eines Ministeriums.
  3. Truchsess (laut Duden): (im Mittelalter) Vorsteher der Hofverwaltung, der u. a. mit der Aufsicht über die Tafel beauftragt war
  4. Vgl. Kiening, S.214f.
  5. Im Folgenden soll das Protagonisten-Ich Ulrich von Liechtenstein im Vergleich zum historischen Autor-Ich in Anführungszeichen gesetzt werden, um eine bessere Unterscheidung zu ermöglichen.
  6. exaltiert (laut Duden): künstlich übersteigert, überspannt
  7. Zitiert wird aus der unter der Primärliteratur genannten Ausgabe. Im Folgenden werden solche Textpassagen mit der Sigle FD gekennzeichnet.
  8. Hier wird aus der unter der Primärliteratur genannten Übersetzung zitiert.