Die literarische Funktion der Orient-Episoden im Parzival
Diese Artikel soll sich mit den Orient-Episoden im Parzival beschäftigen. Dabei soll analysiert werden ob und welche Funktion diese haben, inwieweit sie für die Handlung und einzelne Personen wichtig sind.
Gahmurtes Auszug in den Orient
Als nachgeborener unterliegt Gahmuret der Primogenitur und damit ist ihm zwangsläufig eine Mobilität aufgezwungen, die in ein Leben voller Ruhm und Ehre führen soll. Aber der Wunsch nach einem Leben gemäß des Ritterethos scheint in besonderer Weise in Gahmuret verankert zu sein: strît und minne was sîn ger (35, 25; 7, 9-30[1]) Allerdings ist es kein vorrangiges Anliegen des Ritters den Orient zu bereisen, vielmehr landet sein Schiff im Hafen Patelamuts nur auf Grund eines gewaltigen Sturmes. (8, 8; 11, 7; 11, 23 f.) Gahmuret entschließt sich vielmehr, einen der mächtigsten Herrscher zu finden um diesem dann wegen des ideellen Ruhmes zu folgen. Daraufhin erfährt er von Baruk von Bagdad, dem bedeutendsten Protagonisten des Orients. (13, 16-30) Es erfolgt also keine bewusste Entscheidung für den Ritterdienst im Orient, vielmehr wird hier die Macht eines morgenländischen Herrschers instrumentalisiert um Gahmuret Durst nach Ehre und Ruhm zu stillen. Auffällig ist die pompöse Einzug von Gahmuret in Zazamanc. Wie die Stadt und ihre fremdartigen Einwohner hingegen auf die Reisegesellschaft wirkt, wird nicht beschrieben. Wolfram distanziert sich hier auffällig von anderen Orientpassagen seiner Zeit, beispielsweise im Straßburger Alexander oder Herzig Ernst. Es fehlt die typischen orientalischen Wunder, das Exotische, was gerade Reiz gegenüber dem Abendland ausmacht. [Noltze 1995: vgl. S. 109 ff.] Das weißt darauf hin, dass dem Orient eine andere Bedeutung im Parzival zukommen muss, als die stereotypische Fremdartigkeit. Aber warum lässt Wolfram den jungen Helden in den Orient ausziehen und Ruhm und Ehre zu erlangen, warum kann er nicht in heimischen Gefilden zum größten Ritter seiner zeit werden?
Das Höfische bestimmt sich durch seinen Gegensatz, durch Abgrenzung. Die höfische Identität definiert sich durch den Erfahrungsimport der fahrenden Ritter, die letztendlich immer wieder zum Hof zurückkehren um dort ihre Beobachtungen einzubringen. Der Orient, spezieller Zazamanc, ist ein solcher Schauplatz der Erfahrungssammlung fernab vom heimatlichen Hof. Die Erwartung, dass sich hier aber eine Abgrenzung zum Abendland einstellt wird nicht erfüllt, vielmehr offenbart die Erzählung Wolframs den Orient „als Verlängerung des Abendlandes.“(Noltze1995: S.117) „Dem Orient“ widerfährt hier eine Entzauberung, die zu einer Verbindung zweier Kulturkonzepte unter einer bindenden höfisch-ritterlichen Kultur, führt. Die Andersartigkeit des Morgenlandes ist zwar noch nicht vollkommen verschwunden, dient aber nicht mehr als Abgrenzungsmerkmal zum Abendland. Damit wird auch klar, warum Gahmuret weder im Orient noch in seiner Heimat ein verankertes Leben führen kann. Diene das Morgenland als reiner Abgrenzungsmechanismus, müsste der fahrende Held seinen Frieden in der Heimat finden, dem ist aber nicht so. Vielmehr ist seine „ewige Heimatlosigkeit in seinem Inneren verankert und kann weder durch „das Fremde“ noch durch „das Bekannte“ befriedet werden. [Noltze 1995: vgl. S. 116-119]
Anmerkungen
- ↑ Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
[*Noltze 1995] Noltze, Holger: bî den dûht in diu wîle lanc – Warum langweilt sich Gahmuret bei den Môren?, in: Lindemann, Dorothee u.a. (Hrsg.): bickelwort und wildiu moere, FS für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag, Göppingen 1995, S. 109–119.