Erzählen und Erklären des Grals

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Ausgehend von der Textstelle des Gralsrituals (232-240,12) und der Erklärung Trevrizents (468,12-471,29) sollen die zwei unterschiedlichen Arten des Sprechens von und über den Gral untersucht werden.

Unterschiede zwischen Erzählen und Erklären

Mit dem Erzählen wird oft ein spannender und persönlicher Stil verbunden, es kann unterschiedliche Wissenshorizinte abdecken und beruht auf Reflexionen über die Welt. Es ist nicht zwingend formal, kann lückenhaft sein und vermittelt Ideen. Erzählen beruht auf Erfahrung (experientiality: wer kann den Begriff erklären?). Dem gegenüber steht bei der Erklärung die Wissensvermittlung und die Deutungshoheit über das Wissen im Vordergrund. Deshalb ist der Stil sachlich, objektiv und kurz. Die Erklärung ist methodisch angelegt, damit der Inhalt verstanden wird. Sie ist auf Vollständigkeit ausgerichtet und will Wissen weitergeben.

Die Szene des Gralsrituals (232-240,12)

Welche Informationen enthält die Textstelle bezüglich des Grals?

Die Beschreibung des zeremoniellen Ablaufs der Begegnung der Gesellschaft mit dem Gral nimmt einen großen Stellenwert ein. Das Speisewunder durch den Gral und der Ablauf der Bewirtung wird geschildert. So erfährt man die genaue Anzahl und die Ordnung innerhalb der Teilnehmer, aber auch die Eigenschaften, Z.B. die kiusche, die die Gralsträger haben müssen. Es werden sehr viele Details beschrieben, über die Kleidung, die Stoffe und das Material.

Wie wird erzählt?

Wie oben ausgeführt ist der Stil detailliert. Die überwiegende Zeitform ist die Vergangenheit, ein Wechsel ins Präsens erfolgt, wenn der Erzähler die Rezipienten direkt anspricht, z.B. hoert mêr (237,21), nu hoert (238,2). Der Annahme, dass das Geschehen aus der Sicht Parzivals geschildert wird[1] steht entgegen, dass Vieles erzählt wird, was gegen Parzival als Wissensfilter spricht (z.B.238,21-24).

Die Szene bei Trevrizent (468,12-471,29)

Welche Informationen enthält die Textstelle bezüglich des Grals?

Abgesehen vom Namen (lapsit exillîs 469,7) und der Tatsache, dass der Gral von den Tempelrittern beschützt wird, erfährt man Genaueres zur Transzendenz des Grals. Er ist ein Bindeglied und Kommunikationsmittel zwischen Gott und den Menschen. Die Schrift auf dem Gral zeigt an, wer zum Gral berufen ist. Das Medium Gral kann durch die Kraft Gottes Speisen hervorbringen. Diese Kraft wird wieder "aufgeladen" durch die Taube, die an Karfreitag eine Oblate bringt( 470,1-20).

Wie wird das Wissen vermittelt?

Die Erklärung des Trevrizent ist allgemein gehalten, was durch Ausdrücke der dritten Person deutlich wird (der wirt hie genennet 469,6). Parzival bittet Trevrizent um küende (468,12) und erhält daraufhin einen Vortrag zum Wesen des Grals. Dieser enthält auch narrative Elemente, wie der Hinweis auf die eigene Erfahrung (ich weizz und hânz für wâr gesehn. 468,16). Bis auf die Entstehungsgeschichte des Grals (471,15-29) ist der Textausschnitt im Präsens geschrieben.

Erzählen und Erklären des Grals

Deutlich erkennt man durch den Vergleich der Textstellen, dass zwei verschiedene Vermittlungsarten vorliegen, auch wenn man Elemente von Erzählen und Erklären in beiden Textstellen findet. In der Szene des Gralsrituals werden ausführlich die äußeren Handlungen und die gesellschaftlichen Konventionen im Umgang mit dem Gral beschrieben. Das Erzählen entspricht der äußerlichen Nachvollziehbarkeit des Ritus. Dagegen steht bei der Erklärung das Verstehen der transzendenten, eigentlich unerklärbaren Vorgänge im Vordergrund. Dieses tiefere Verständnis erfordert aber ein Nachdenken über das eigene Handeln und die Welt voraus, das Parzival zum Zeitpunkt seiner ersten Begegnung mit dem Gral noch nicht hat. Da der Rezipient vom Erzähler und der aventuire "mitgenommen wird",[2] ist er auch erst später in der Lage, die Aufgabe des Grals zu verstehen. Als Erzählinstanz, die die Deutungshoheit über den Gral hat, dient Trevrizent, denn er gehört weder der Gralsgesellschaft an, noch den Artusrittern, kennt aber beide Gesellschaften[3]. Auch die räumliche Einordnung seiner Klause zeigt diese Distanz zu beiden Welten. Durch seine selbbestimmte Bußhaltung, die er für Anfortas auf sich nimmt, kann er den "Umgang des Höfischen mit dem Religiösen"[4] reflektieren und wird so zu einem "Beobachter zweiter Ordnung"[5]


Vorläufiges Literaturverzeichnis

Knaeble, Susanne: Höfisches Erzählen von Gott. Funktion und narrative Entfaltung des Religiösen in Wolframs "Parzival". Berlin 2011.

  1. Knäble, Susanne: Erzählen vom Gral und seinen wundern (Buch?). S.170.
  2. Knäble. S. 171.
  3. Knäble. S. 186.
  4. Knäble. S. 186.
  5. Knäble. S. 195.