Parzivals Glaubensverlauf
Dieser Artikel thematisiert Parzivals Glaubensverlauf im Geschehen der gesamten Handlung. Ausgangspunkt ist Herzeloydes Gotteslehre in Soltane. Im weiteren Verlauf wird der Auslöser für die Lossagung von Gott, der Wendepunkt durch das Gespräch mit Trevrizent und die Rückkehr zum christlichen Glauben dargelegt.
Die Auswirkungen der Gotteslehre von Parzivals Mutter sollen auf den Glaubensverlauf des Protagonisten in seinem Leben untersucht werden.
Gotteslehre in Soltane
In Soltane entsteht zwischen Parzival und seiner Mutter Herzeloyde ein Gespräch über Gott. Dabei fragt der junge Parzival seine Mutter:
III. Buch (119, 17-24) | |
Ôwê muoter, waz ist got? | Ach Mutter, was ist das: Gott? |
sun, ich sage dirz âne spot. | Mein Sohn, es ist kein Spaß, was ich dir jetzt sage: |
er ist noch liehter denne der tac, | Er ist noch heller als die Sonne, |
der antlitzes sich bewac | der sich entschloss, Gestalt anzunehmen |
nâch menschen antlitze. | nach des Menschen Bild. |
sun, merke eine witze, | Mein Sohn, merke dir die Lehre: |
und flêhe in umbe dîne not: | Zu ihm sollst du flehen; |
sîn triuwe der werlde ie helfe bôt. | Seine Treue hat noch nie den Menschen Hilfe verweigert. |
Auf diese Frage antwortet Herzeloyde, dass Gott noch heller ist als die Sonne und die Gestalt des Menschen hat. Sie belehrt Parzival zusätzlich, dass sich dieser für die Ewigkeit merken soll, dass er zu Gott jederzeit flehen kann, wenn ihm irgendetwas fehlt. Denn laut Herzeloyde hat seine Treue noch nie den Menschen Hilfe verweigert. Sie fährt fort und sagt ebenfalls, dass es einen Herrn gibt, der schwarz ist. Hierbei geht es um den Teufel, der zur Hölle gehört. Sie warnt ihren Sohn vor dieser Gestalt und sagt, dass Parzival sich niemals zu ihm hinziehen lassen soll. Herzeloydes Gotteslehre ist eine typische Lehre für das Mittelalter. Denn damals war die Lehre von Gut und Böse bzw. Gott und dem Teufel weit verbreitet. Die metaphorische Beschreibung Herzeloydes in eine Hell-dunkel-Charakterisierung unterlegt das mittelalterliche Glaubensbild [Haas 1964: 62].
Herzeloyde vermittelt Parzival mit dieser einfachen Erklärung ein sehr kindliches und naives Bild von Gott. Aus ihrer Darstellung bekommt der junge Parzival den Eindruck, dass Gott ihm in jeder Lebenslage hilfsbereit und treu zur Seite stehen wird.
Die kontrastierende Darstellung Herzeloydes zwischen der untriuwe (Untreue) des Teufels und der triuwe (Treue) Gottes ist eine charakteristische Darstellung für das Mittelalter und führt im weiteren Handlungsverlauf zu Missverständnissen [Czerwinski 1989: 162].
Herzeloydes Sohn ist im Wald auf der Jagd und hört von weitem Hufgetrampel näher kommen. Sofort erinnert er sich an das Gespräch mit seiner Mutter über den Teufel und Gott und denkt sogar im ersten Moment, dass der Teufel angeritten kommt. Als er jedoch drei Ritter erkennen kann, ist er der Überzeugung, dass jeder von ihnen Gott sei. Aufgrund dieser Annahme wirft er sich vor den Männern auf den Boden. Daraufhin spricht einer der Ritter zu Parzival. Dieser ist noch immer der festen Überzeugung, dass er es mit Gott zu tun haben muss. Denn der Ritter namens Karnahkarnanz trägt einen wunderschönen Waffenschmuck. In dieser Situation trifft Herzeloydes Gotteslehre, dass Gott vom hellen Licht dargestellt wird, für Parzival voll und ganz auf diesen Ritter zu. Natürlich ist Parzivals kindliche und naive Schlussfolgerung, dass soeben Gott vor ihm steht, falsch. Jedoch kann man Parzival selbst nicht einmal einen Vorwurf machen. Viel mehr liegt das Problem bei der missverständlichen Gotteslehre von Herzeloydes und dem isolierten Leben in Soltane.
Auslöser-Gralsburg
Gründe für die Abwendung von Gott
Auf der Suche nach dem Gral trifft Parzival auf der Burg Munsalvaesche ein. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ist, dass er dem Gral in diesem Augenblick so nahe ist, wie nie zuvor. Leider versäumt er es aufgrund seiner Unwissenheit Anfortas die erlösende Frage zu stellen, die ihm zum Gral führen würde. Sigune, Parzivals Cousine klärt ihn später über sein Versäumnis bzw. seinen Fehler auf. Der junge Mann ist natürlich verärgert und sieht die Schuld bei Gurnemanz. Dieser hat ihn nicht ausreichend gelehrt. Einige Zeit und viele Kämpfe später wird Parzival endlich in die Artusgesellschaft aufgenommen. In einem Gespräch mit der Gralsbotin Cundrie erfährt Parzival seine Herkunft und das er nun verflucht ist und in der entscheidenden Situation auf Munsalvaesche versagt hat. Der Protagonist ist nach diesem Misslingen mit sich selbst und der Welt höchst unzufrieden.
VI. Buch (332,1-7) | |
Der Wâleis sprach ´wê waz ist got? | Da sprach der Wâleise: „ Weh, was ist Gott? |
wær der gewaldec, sölhen spot | Wäre er doch nur ein großer Herr! |
het er uns pêden niht gegebn, | Er hätte uns beide nicht so zum Gespött gemacht, |
kunde got mir kreften lebn. | wenn er mit Macht zu herrschen wüsste. |
ich was im diens undertân, | Ich habe ihm immer treu gedient, |
sît ich genâden mich versan. | seit ich weiß, was das ist: die Huld des Herrn. |
nu wil i´m dienst widersagn: | Jetzt sage ich mich los von ihm. |
Die Verdrossenheit Parzivals kommt in dieser Textstelle deutlich zum Ausdruck. Er realisiert aufgrund der deutlichen Darlegungen von Cundrie und Sigune nun selbst, wie nahe er dem Gral einst war. Parzival fühlt sich auf der Gralsburg eindeutig von Gott alleine gelassen und sagt, dass er sich dadurch zum Gespött gemacht hat. Ihm ist Gottes Verhalten unerklärlich, weil er sich nie etwas ihm gegenüber zu Schulden hat kommen lassen. Die Summation der geschilderten Gründe, führt zu der Lossagung von Gott. Der Auslöser der Lossagung ist somit das nicht-einschreiten Gottes in der dortigen Situation. Die Vorkommnisse auf der Gralsburg markieren erneut Parzivals tumpheit[[1]] und sein einfaches Weltbild. Die obige zitierte Textstelle ist auch ein Rückbezug zu Parzivals Kindheit in Soltane und zur Gotteslehre seiner Mutter. Denn auf der Seite 332,1 fragt Parzival: „ Weh, was ist Gott?“. Diese Frage stellte er auch als Kind seiner Mutter. Jene Fragestellung, die sich ausschließlich durch zwei unterschiedliche vorangestellte Ausrufe unterscheidet, verdeutlicht, dass Parzival aufgrund der Gotteslehre seiner Mutter noch immer nicht wirklich weiß, wer dieser Gott ist. Der Auszug 332,1-7 stellt den Protagonisten, wie damals als ein Kind in Soltane unwissend, weltfremd und verloren dar. Seine Lossagung zeigt auch, dass er bis dato nicht versteht, was die Funktion Gottes ist. Allerdings kann man Parzival hierbei nur zum Teil Vorwürfe machen, da seine tumpheit beispielsweise auch zu großen Teilen seiner Mutter zu verschulden ist.
Ein interessanter Ansatz zur Gottesentfremdung führt auch Ranke in seinem Werk auf.
Er schreibt, dass Wolfram sich im Parzival überwiegend mit dem Verhältnis des höfischen Ritters zu Gott beschäftigt. Das Versagen auf der Gralsburg veranschaulicht, welche fatalen Folgen die formale Erziehungskultur und „Höflichkeit“ für das Miteinanderleben haben kann. Denn in dieser Situation wird Parzival durch jenen Erziehungsstil aufgehalten. Dadurch wird seine Stimme im Herzen, dass Unmittelbare und Echte im Menschen zum Schweigen gebracht. Das Befolgen dieser starren, erlernten Regeln führt ihn zum Schluss zum Sturz, zur Verzweiflung und zur Gottesentfremdung. [Ranke 1953: 29]
Zeit der Gottlosigkeit
Seit der Lossagung von Gott ist Parzival alleine unterwegs und weiterhin auf der Suche nach dem Gral. Er möchte sich den Gral erkämpfen und ohne Gottes Gnade das Ziel erreichen. Antriebskraft sind sein Ehrgeiz und das Mitleid für Anfortas. Es ist auffällig, dass der Protagonist nach der Abwendung von Gott im Werk in den Hintergrund tritt. Der Grund könnte ein mittelalterliches Bußemotiv sein. Denn damals musste sich der Sündige so lange von seinem Herrn fernhalten, bis dieser ihm verziehen hat. Ob das von Eschenbach gezielt so geschrieben wurde, oder ein Zufall ist bleibt offen. [Bumke 1991: 147 ff] Tatsache ist jedoch, dass Parzival in der Zeit vor und nach der Lossagung von Gott befleckt war bzw. ist. Die erste Sünde ist der Tod seiner Mutter, die Zweite das Schweigen auf der Gralsburg, die Dritte die Tötung Ithers in seiner gottlosen Zeit und die Vierte die Abwendung von Gott. [Bumke1991: 129-130] Ein Ansatz ist, dass die erste Sünde Parzival die Worte auf der Gralsburg abgeschnitten hat und dadurch kommt es zu dieser unglücklichen Aufsummierung der Sünden. [Bumke 1991: 129] Angeblich hat Parzival fünf Jahre lang keine Kirche besucht und Gott in dieser Zeit auch vergessen. [Bumke 1991: 129] Nach einer längeren, intensiven Reise trifft Parzival erneut im Lager seiner Cousine Sigune ein und jene weist ihm erneut den Weg zur Gralsburg. Schon nach kurzer Zeit verliert Parzival die Spur und ist sehr unglücklich darüber. Kurz darauf trifft er jedoch einen grauen Ritter und dessen Familie. Auch bei diesem beklagt er sich über Gott. Der graue Ritter rät ihm mitzukommen. Denn er ist auf dem Weg zu einem Einsiedler, um Buße zu tun. Da Parzival an einem Karfreitag mit Waffen unterwegs ist, empfiehlt der graue Ritter ihm, mitzukommen. [Czerwinski 1989: 165] Trotz Parzivals Lossagung von Gott und der darauf resultierenden Bedeutungslosigkeit des Karfreitags, begleitet er den Ritter und seine Familie. Denn die Worte des grauen Ritters bringen auch Parzival zum Nachdenken. Zum ersten Mal nach seiner Lossagung denkt er wieder an Gott. (451,9 ff) Er sagt, dass heute vielleicht der Tag gekommen ist, an dem die Hilfe Gottes eintritt. Jene Aussage zeigt, dass Parzival nachdenklich wird, ob er mit seiner kompletten Lossagung und dem Alleingang richtig liegt. Eine innere Stimme sagt ihm, dass er Gott vielleicht noch mal eine Chance geben sollte. Denn mit seiner Distanzierung in den letzten Jahren war er bis dato nicht erfolgreicher.
Wendepunkt durch Trevrizent
Parzival kommt aufgrund des grauen Ritters am Karfreitag zu Trevrizent, seinem Oheim und wird von diesem äußerst freundliche empfangen. Mit einem Sündenbekenntnis tritt Parzival bei ihm ein.
IX. Buch (456, 29-30) | |
„ Her, nu gebt mir rât: | Mein Herr, jetzt helft mir, |
ich bin ein man der sünde hât.“ | ich bin ein Mann, der Sünden hat.“ |
Es ist das erste Mal, das Parzival selbst von einer Sünde spricht. Parzivals Aussage bzw. Einsicht ist von großer Bedeutung, denn es ist ein Anzeichen, dass er bemerkt, dass er mit seiner Lossagung von Gott nicht mehr auf dem richtigen Weg zu sein scheint. Es ist als Wendepunkt seiner Stellung gegenüber Gott zu werten. Von Ort und Ausmaß seiner Sündhaftigkeit hat er zu diesem Zeitpunkt noch keine genaue Vorstellung. [Bumke 1991: 93] Parzival erzählt auch von seinem schweren Hass gegenüber Gott und sagt sogar, dass er einen Krieg gegen ihn führt. (461, 9) In intensiven Gesprächen ergründet Trevrizent die Ursachen von Parzivals Abkehr von Gott und führt ihn auf den Weg der Buße und Reue. Er belehrt ihn über Erbsünde, Gottes Barmherzigkeit, Treue und beschreibt ihn als Inbegriff der Liebe. Außerdem informiert er ihn über die Geheimnisse des Grals und die Geschichte seiner Hüter. Im gleichen Zug rät er Parzival nicht nach dem Gral zu suchen. Man kann ihn nicht suchen, sondern kann nur zu ihm berufen werden. Von Trevrizent erfährt Parzival, dass der leidende Anfortas sein leiblicher Mutterbruder ist. Zusätzlich öffnet der Oheim Parzival die Augen für die Sünden, die er mit dem Tod der Mutter und Ithers auf sich genommen hat. Angesichts der Waffen am heiligen Karfreitag spricht Trevrizent von Hochmut und trifft damit den zentralen Punkt: der Hochmut des Gotteshasses stellt er den Aufruf zur Demut gegenüber. [Bumke 1991: 93]
Vierzehn Tage lang teilt Parzival das asketische Leben Trevrizents. Durch das Empfangen des heiligen Abendmals am Ostersonntag scheidet Parzival frei von Sünden. Danach scheidet er von ihm als ein innerer Gewandelter. [Bumke 1991: 91-92] Das sich ein Wendepunkt in Parzivals Glaubensverlauf vollstreckt, unterstreicht zusätzlich die Textstelle, in der er sagt, dass er seit seinem Aufbruch bei Trevrizent, fest auf Gott vertraut. (741, 25)
Rückkehr zum christlichen Glauben
Der ritterliche Einsiedler Trevrizent trägt mit seiner gründlichen Lehrrede über das Wesen Gottes und den Sündenfall der Menschheit erheblich zu Parzivals Rückkehr zum christlichen Glauben bei. [Ranke 1953: 29] Dieser erklärt ihm die Tiefe der menschlichen Verstricktheit in Sünde und Schuld und die Größe der Liebestat des leidenden Heilands, der seinen Ritterhochmut zurechtweist und sein Mitleiden und zugleich seinen angespannten Willen des Gralssuchers aufsucht. Erst dadurch wird Parzival innerlich reif, durch die von Gottes Rat zugedachte Krönung seines Strebens. Nach langem Kämpfen erreicht Parzival endlich das Gralskönigtum. [Ranke 1953: 30] Die Rückkehr zum Glauben wird für Parzival mit der Berufung zum Gral gekrönt. Als Cundrie ein zweites Mal erscheint, verkündet sie ihm diese freudige Botschaft: „ Wohl dir, Sohn des Gahmuret, Gott will dir jetzt gnädig werden.“ (781, 1-3) Dadurch wird Parzival von der nimmersatten Gier auf der Suche nach dem Gral befreit und bekommt gleichzeitig auch seinen hart erkämpften Seelenfrieden. Parzival ist von dieser Nachricht sehr gerührt und sagt auch, dass Gott nun sehr wohl an ihm durch diese Berufung getan hat. Bis zum Ende der Geschichte bleibt Parzival dem christlichen Glauben und Gott treu.
Anmerkungen
Weitere ähnliche und ergänzende Artikel zu Parzivals Glaubensverlauf:
siehe auch: Die Lehren Herzeloydes
siehe auch: Parzivals Gotteszweifel ...
Fazit
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
[*Haas 1964] Haas, Alois, M.: Parzivals Tumpheit bei Wolfram von Eschenbach, Berlin, 1964 (Philologische Studien und Quellen 21).
[*Bumke 1991] Bumke, Joachim. Wolfram von Eschenbach, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, 1991.
[*Czerwinski 1989] Czerwinski, Peter: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter. Frankfurt/ New York: Campus, 1989.
[*Ranke 1953] Ranke, Friedrich: GOTT WELT UND HUMANITÄT: IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG DES MITTELALTERS, Basel: Benno Schwabe und Co., 1953.
▲ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.