Vergleich der Beziehungen Parzival - Condwiramurs und Gawan - Orgeluse
In diesem Artikel soll es um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der bestehend bleibenden Beziehungen der beiden Protagonisten im Parzival von Wolfram von Eschenbach gehen. Hierzu sollen die jeweils ersten Begegnungen, die Beschreibungen der Damen, der Weg bis zur Hochzeit und die Länge der Beziehungen verglichen werden. [1]
Erste Begegnung
Die jeweils ersten Begegnungen von den Paaren Parzival und Condwiramurs sowie Gawan und Orgeluse sind relativ unterschiedlich. Im Folgenden soll auf die jeweilige Ausgangssituation und die dabei bestehenden Verhältnisse zwischen den männlichen und weiblichen Partien der entstehenden Beziehungen eingegangen werden. Beim Beschreiben der Verhltnisse soll auf die unterschiedlich großen Handlungsspielräume sowie das Ausüben bzw. Besitzen von Kontrolle in Bezug auf den weiteren Verlauf der Beziehung untersucht werden.
Bei Parzival und Condwiramurs ist Condwiramurs in der ersten Begegnung die Figur, die weniger Handlungsspielraum und Kontrolle besitzt als ihr zukünftiger Partner Parzival. Dies ist so, da sich Condwiramurs und ihr gesamtes Königreich in einem Liebeskrieg mit Clâmidê befinden (vgl. 194, 27 - 195, 3) als Parzival eintrifft. Das Land befindet sich aufgrund dieses Krieges in Not (vgl. 180 und 181). Nach Parzivals Eintreffen erklärt Condwiramurs ihm deshalb, dass das Land von Hungersnot geplagt ist (vgl. 190, 7 - 8) und der neuangekommene Ritter bietet seine Hilfe an (vgl. 195, 12/13). Condwiramurs befindet sich also in einer eher passiven Situation, aus der sie sich ohne Parzivals Hilfe nicht befreien könnte ohne weiteres großes Leiden in ihrem Königreich zu verantworten. Parzival ist die aktive Partei, die Condwiramurs hilft, und deshalb im Verhältnis zu diesem Zeitpunkt hierarchisch höher einzustufen ist.
Gawan trifft seine zukünftige Frau Orgelûse de Lôgroys sehr viel später als Parzival die seine. Orgelûse ist die einzige Dame im gesamten Roman, die das Werben eines Ritters zunächst ablehnt bzw. durch Teste, mit denen sie sich u.a. über Gawan lustig macht, in die Länge zieht. Gawan verliebt sich sozusagen auf den ersten Blick in Orgelûse. "Beim Erwachen [dieser] Liebe [...] spielt anfangs der ovidianische Topos vom Auge als Einfallstor der Liebe eine sehr wichtige Rolle" [Emmerling 2003: 189], denn Gawan verliebt sich in Orgelûses äußere Schönheit. Orgelûse gibt ihm jedoch zunächst Kontra und stellt damit generell schnell geschlossene Minneverhältnisse sowie Gawans Liebe zu ihr in Frage:
gert ir mîner minne, | Meine Liebe wollt ihr haben. |
Wie habt ir minne an mich erholt? | Und was habt ihr geleistet, meine Liebe zu verdienen? |
[...] | |
ir mugt wol laster hie bejagn, | Eine peinliche Abfuhr könnt Ihr allerdings hier kriegen, |
muoz ich iu die wârheit sagn. | wenn Ihr denn die Wahrheit von mir hören wollt. |
509, 30 – 510, 24
Diese Textpassage zeigt, dass das Hierarchieverhältnis bei Gawans und Orgelûses erster Begegnung ein anderes ist, als jenes von Parzival und Condwiramurs. Bei ihrer ersten Begenung geht es thematisch sofort um ein mögliches Minneverhältnis zwischen Gawan und Orgelûse, während es bei Parzival und Condwiramurs zunächst um die Rettung ihres Königreiches geht. Daraus folgt, dass Gawans und Orgelûses erste Begegnung darauf basiert, dass er etwas von ihr möchte - nämlich ihre Liebe - während Condwiramurs Parzivals Hilfe benötigt. Dass Orgelûse sich nicht sofort auf Gawan einlässt, sondern sich zunächst über ihn lustig macht und ihn lange dafür arbeiten lässt, bis er ihre Minne erhält, zeigt, dass sie anfangs einen höheren Status in Bezug auf Handlungsspielraum und Kontrolle einnimmt.
Beschreibung der Frauen
Als Parzival und Condwiramurs sich das erste Mal sehen, ist die Beschreibung der Condwiramurs von Begriffen aus dem Wortfeld der Helligkeit, wie zum Beispiel dem Begriff "liehter glast" gekennzeichnet. Ihre Reinheit und Jungfräulichkeit wird hier somit durch die Assoziation mit hellen Farben bildlich dargestellt:
ein minneclîch antlützes schîn, | Von ihrem Antlitz blitzte ihm ein liebenswerter Schein entgegen, |
dar zuo der ougen süeze sîn, | und es ging Süßigkeit in seine Augen |
von der küneginne gienc | von der Königin: |
ein liehter glast, ê sin enpfienc. | ein Leuchten und Gleißen, bevor sie selber ihn begrüßte. |
186, 17 – 20
Im weiteren Verlauf wird Condwiramurs mit ihrem beau corps, ihrem schönen Leib, als die Schönste unter den Schönen beschrieben (vgl. 187, 20 - 23). Sie wird außerdem mit ihrer Cousine Lîâze verglichen, die Parzival während seines Aufenthaltes bei deren Vater Gurnemanz kennengelernt hat: Neben Condiwramurs Erscheinung ist Lîâzes Schönheit nur "ein wint" (188, 6).
Als Gawan Orgelûse das erste Mal sieht, wird sie als "clâre frouwen" (508, 19), sowie als "aller wîbes varwe ein bêâ flûrs" (508, 21) bezeichnet. Von dieser Beschreibung Orgelûse als "La belle fleur über aller Frauen Pracht" wird Condwiramurs jedoch ausgenommen (vgl. 508, 22), sodass ein direkter Vergleich der beiden Frauen vermieden wird.
Beschreibungen der Männer
Beziehungsverlauf bis zur Hochzeit
"Es sind zunächst also ästhetisch-psychologische Beweggründe ausschlaggebend dafür, dass Gawan fest entschlossen ist, in Orgeluses Dienst zu treten. Während des gemeinsamen Weges lernt Gawan Orgeluse zu schätzen und lieben." [Emmerling 2003: 18]
- "Gawans ästethisch-psychologische Motivierung wird im Verlauf der Handlung also noch durch eine ethische Komponente ergänzt: Er vermutet hinter der Maske aus Angst und Verbitterung einen sensiblen und liebenswerten Menschen, und obwohl Orgeluse ihn fortwährend verspottet und verhöhnt, erweist Gawan ihr durch seinen aufopfernden Dienst unwandelbare triuwe." [Emmerling 2003: 189/190)
- "Auch Gawan wird in seinem Kampf auf dem Lit Marveile von (Liebes-)Pfeilen beschossen. Diese abzuwehren, ist zusammen mit Löwenkampf und Steinschlag seine größte Bewährungsprobe (569, 1 – 11), die mit der Erlösung Orgeluses zur endgültigen Lösung des Zauberbanns über Schastel Marveile führt." [Emmerling 2003: 192]
- "All diese Beispiele zeigen, dass eine an Äußerlichkeiten und sinnlichen Effekten orientierte Minne-Entstehung Wolframs Konzept widerspricht, dass wahre Minne aus den inneren Kräften des Menschen erwachsen muss und als dauerhafte und tiefe Bindung zwischen zwei Menschen in die Ehe mündet." [Emmerling 2003: 192]
- Diese Vorstellung findet sich bei Wolfram vor allem in der Beziehung zwischen Gawan und Orgeluse, wenngleich auch die Ehe zwischen Parzival und Condwiramurs ihren hohen Wert erst durch die unverbrüchliche triuwe beider Partner über Jahre der Trennung hinweg bekommt." [Emmerling 2003: 189]
- Die Konsequenz wird in Gawans Aufbruch manifest: Er zieht weiter, um schließlich in seiner Beziehung zu Orgeluse sowohl seine individuellen Wünsche nach leidenschaftlicher Liebe und Sinnlichkeit auszuleben, als auch den gesellschaftlichen Forderungen nach einer öffentlich verantworteten Minnebeziehung gerecht zu werden. Gawans Erlösungstat auf Schastel Marveile zeigt in aller Deutlichkeit, dass der Dienst für die Gesellschaft und für die Partnerin im Idealfall eins sind und zusammen mit inniger gegenseitiger Liebe zum Ziel aller ritterlichen Aktivität führt: einer von gesellschaftlichen Verpflichtungen durchwirkte Liebesehe." [Emmerling 2003: 197]
Beziehungsverlauf nach der Hochzeit
- "Die Ehe ist bei Wolfram allerdings nicht als Endpunkt eines beschwerlichen Weges zu verstehen. In einer Beziehung zwischen Mann und Frau sicher die Ehe lediglich die Dauerhaftigkeit und Unauflöslichkeit, die Ausschließlichkeit und Einzigartigkeit der Verbindung, auf die das Minneverhältnis zielt. Der Prozess der zwischenmenschlichen Bewährung ist bei Wolfram mit dem Tag der Eheschließung nicht zu Ende. Für ihn sind Minne und Ehe vereinbar, was bedeutet, dass Minnedienst sowohl vor als auch nach der Gewinnung der Frau einen wesentlichen Teil der Beziehung zwischen den Liebenden ausmacht." ]Emmerling 2003: 197]
Fazit: Wird eine Beziehung höhergestellt als die andere?
Literaturnachweise
<HarvardReferences/>
[*Emmerling 2003] Emmerling, Vorname: Wolframs neue Minnekonzeption. In: Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Buechern des 'Parzival': Wolframs Arbeit an einem literarischen [...]. Ort, 2003.
- ↑ Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/ New York 2003.