Vergleich der Beziehungen Parzival - Condwiramurs und Gawan - Orgeluse

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In diesem Artikel soll es um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der bestehend bleibenden Beziehungen der beiden Protagonisten im Parzival von Wolfram von Eschenbach gehen. Hierzu sollen die jeweils ersten Begegnungen, die Beschreibungen der Damen, sowie die Wege bis zur Hochzeit und nach der Hochzeit bis zum Ende der Handlung verglichen werden. [1]

Der Weg zur richtigen Frau

Parzivals Minnebegegnungen vor Condwiramurs

Parzival hat insgesamt drei Minnebegegnungen. Die letzte dieser drei Begegnungen führt zu seiner vollkommenen Beziehung mit Condwiramurs; die ersten zwei Begegnungen sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Nachdem Parzival in Buch III auszieht um Ritter zu werden, ist seine erste Begegnung mit einer Frau die mit der Dame Jeschute. Hier verhält sich Parzival aus Unwissen nicht besonders höfisch. Er überrascht Jeschute beim Schlafen und stiehlt ihr Küsse sowie ihren Fingerring:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ir munt er an den sînen twanc.

dâ nâch was dô niht ze lanc,

er druct an sich die herzogîn

und nam ir och ein vingerlîn.

Ihren Mund zwang er an seinen.

Und danach dauerte es nicht mehr lang,

so drückte er die Herzogin an seinen Leib

und er nahm ihr auch noch jenen Fingerring weg.

131, 13 – 16


Relativ kurz nach Parzivals Begegnung mit Jeschute, trifft Parzival auf Gurnemanz, der Parzival sittliches Benehmen beibringt (vgl. 170, 3 - 173, 6). Als Parzivals Lektion beendet ist, drückt Gurnemanz den Wunsch einer Beziehung zwischen seiner Tochter Lîâze, die gleichzeitig die Cousine Condwiramurs ist, aus, indem er zu ihr sagt: "du solt di'n küssen lâzen, disen ritter, biut im êre" (175, 26/27). Vierzehn Tage lang wird Parzival nun umworben, doch:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
bî sîme herzen kumber lac

anders niht wan umbe daz:

er wolt ê gestrîten baz,

ê daz er dar an wurde warm,

daz man dâ heizet frouwen arm.

Bei seinem Herzen aber lag ein Kummer,

das war nichts anderes als dies:

Er wollte vorher richtige Kämpge bestehen,

ehe er sich - so nennt man das halt -

wärme in den Armen einer Dame.

176, 30 - 177, 4


Die Begegnung mit Lîâze ist demnach noch zu früh: Parzival ist noch kein Ritter, der sich bewährt hat. Erst als er Condwiramurs trifft, ist der Zeitpunkt richtig. Am Anfang von Buch IX wird auch deutlich, dass Parzival Lîâze nicht in Liebe verbunden war (vgl. 179, 23 - 29).

Gawans Minnebegegnungen vor Orgeluse

Ähnlich wie Parzival hat Gawan zwei Begegnungen mit Frauen, bevor er auf Orgeluse trifft. Die erste Beschreibung zum Thema Gawan und die Minne befindet sich im Buch XII: Obilot, die junge Tochter von Lyppaut, bittet Gawan in ihren Minnedienst (vgl. 369, 22 - 30). Dieser beruft sich darauf, "wie Parzivâl wîben baz getrûwt dan gote" ("wie Pârzival mehr Vertrauen in die Frauen gesetzt hatte als in Gott", 370, 18/19) und nimmt den Minnedienst an (vgl. 370, 25 - 30). Nach nicht allzulanger Zeit bricht Gawan jedoch wieder auf und lässt Obilot weinend zurück (vgl. 397, 15 - 20).

Gawans zweite Minnebegegnung ist rein körperlicher Art. Im Buch XIII wird Gawan auf der Burg Schanpfanzun von Antikonie empfangen. Beide fühlen sich körperlich zueinander hingezogen und schnell kommen sie sich näher: Gawan "greif ir undern mantel dar" ("griff unter ihren Mantel", 407, 2). Diese "stürmische Vereinnahmung Antikonies erfährt [...] zwar keinerlei Tadel; allerdings kann diese privat gelebte Leidenschaftlichkeit auch nicht Basis einer dauerhaften Minnebeziehung sein". [Emmerling 2003: 197] Eine wahre Minnebeziehung kann nach Wolframs Verständnis nur "aus den inneren Kräften des Menschen erwachsen" [Emmerling 2003: 192] und dementsprechend ist dieses Minneverhältnis auch nur von kurzer Dauer. Die beiden werden von einem Ritter endeckt, der befürchtet, Antikonie würde von Gawan vergewaltigt (vgl. 407, 19). "Die Konsequenz wird in Gawans Aufbruch manifest: Er zieht weiter, um schließlich in seiner Beziehung zu Orgeluse sowohl seine individuellen Wünsche nach leidenschaftlicher Liebe und Sinnlichkeit auszuleben, als auch den gesellschaftlichen Forderungen nach einer öffentlich verantworteten Minnebeziehung gerecht zu werden." [Emmerling 2003: 197]

Beschreibung der Frauen

Condwiramurs

Als Parzival und Condwiramurs sich das erste Mal sehen, ist die Beschreibung der Condwiramurs von Begriffen aus dem Wortfeld der Helligkeit, wie zum Beispiel dem Begriff "liehter glast" gekennzeichnet. Ihre Reinheit und Jungfräulichkeit wird hier somit durch die Assoziation mit hellen Farben bildlich dargestellt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ein minneclîch antlützes schîn, Von ihrem Antlitz blitzte ihm ein liebenswerter Schein entgegen,
dar zuo der ougen süeze sîn, und es ging Süßigkeit in seine Augen
von der küneginne gienc von der Königin:
ein liehter glast, ê sin enpfienc. ein Leuchten und Gleißen, bevor sie selber ihn begrüßte.

186, 17 – 20


Im weiteren Verlauf wird Condwiramurs mit ihrem beau corps, ihrem schönen Leib, als die Schönste unter den Schönen beschrieben (vgl. 187, 20 - 23). Sie wird außerdem mit ihrer Cousine Lîâze verglichen, die Parzival während seines Aufenthaltes bei deren Vater Gurnemanz kennengelernt hat: Neben Condwiramurs Erscheinung ist Lîâzes Schönheit nur ein wint (188, 6).

Orgeluse

Als Gawan Orgeluse das erste Mal sieht, wird sie als clâre frouwen (508, 19), sowie als "aller wîbes varwe ein bêâ flûrs" (508, 21) bezeichnet. Von dieser Beschreibung Orgeluses als "La belle fleur über aller Frauen Pracht" wird Condwiramurs jedoch ausgenommen (vgl. 508, 22), sodass ein direkter Vergleich dieser beiden Frauen vermieden wird. Orgeluse ist demnach äußerlich von makelloser Schönheit wie Condwiramurs. Innerlich kämpft sie jedoch mit dem Tod ihres Ehemannes, dem Ritter Cidegast, welcher durch den König Gramoflanz verursacht wurde, sowie mit der Verarbeitung der darauffolgenden einjährigen Gefangenschaft durch denselben (vgl. 606, 6 - 13). Wie hoch Orgeluse ihren Mann schätzte und wie tief dementsprechend ihre Verletzung sein muss, zeigt sich an späterer Stelle, als Orgeluse Gawan von ihrer Vergangenheit erzählt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ine mac nimêr verliesen Mehr Freuden kann ich nicht verlieren,
freuden, denne ich hân verlorn als ich an Cidegast verloren habe,
an Cidegast dem ûz erkorn. der Krone aller Männer.

612, 28 – 30

Vergleich

Im Gegensatz zu Condwiramurs, die sich Parzival sehr schnell verbunden fühlt und ohne emotionalen Ballast dargestellt wird, hat Orgeluse schon einen geliebten Menschen verloren und kämpft mit Trauer- und Rachegefühlen. Diese Gefühle führen zu Orgeluses anfänglichem Fehlverhalten gegenüber Gawan und ihrer Verbitterung, welche im Verlauf des Artikels noch näher beschrieben werden wird. Auch wenn Orgeluses Gefühlsregungen zu vorübergehenden Charakterfehlern führen, zeigen sie jedoch, "wie sehr auch [sie] diese von Wolfram an oberster Stelle gesetzte Tugend, die triuwe, verkörpert." [Emmerling 2003: 150] Condwiramurs, die ebenfalls das Epitom der triuwe ist, da sie z.B. Parzival während seiner jahrelangen Abwesenheit durchweg treu bleibt, und Orgeluse stehen also sowohl in Bezug auf ihre beschriebene Schönheit als auch auf ihre Charaktereigenschaften auf einer Stufe. Sie sind beide gleich schön und tugendhaft. Dies wird z.B. in folgender Aussage der Königin Ginover in Buch XIII bestätigt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
âne Parzivâles wîp Nur für Parzivâls Frau mache ich eine Ausnahme
unt ân Orgelûsen lîp und für den Leib der Orgelûse,
sone erkenne ich ûf der erde sonst kenne ich keine unter den Getauften,
bî toufe kein so wêrde. die so edel wäre wie jene Damen.

649, 27 - 30

Die Erste Begegnung

Die jeweils ersten Begegnungen von den Paaren Parzival und Condwiramurs sowie Gawan und Orgeluse sind relativ unterschiedlich. Im Folgenden soll auf die jeweilige Ausgangssituation und die dabei bestehenden Verhältnisse zwischen den männlichen und weiblichen Parteien der entstehenden Beziehungen eingegangen werden. Beim Beschreiben der Verhältnisse sollen die unterschiedlich großen Handlungsspielräume sowie das Ausüben bzw. Besitzen von Kontrolle in Bezug auf den weiteren Verlauf der Beziehung untersucht werden.

Parzival begegnet Condwiramurs

Parzival und Condwiramurs begegnen sich in Buch IV. Condwiramurs ist in der ersten Begegnung die Figur, die weniger Handlungsspielraum und Kontrolle besitzt als ihr zukünftiger Partner Parzival. Dies ist so, da sich Condwiramurs und ihr gesamtes Königreich Brôbarz in einem Liebeskrieg mit Clâmidê befinden (vgl. 194, 27 - 195, 3) als Parzival eintrifft. Das Land befindet sich aufgrund dieses Krieges in Bedrängnis (vgl. 180 und 181). Nach Parzivals Eintreffen erklärt Condwiramurs ihm deshalb, dass das Land von Hungersnot geplagt ist (vgl. 190, 7 - 8) und der neuangekommene Ritter bietet seine Hilfe an (vgl. 195, 12/13). Condwiramurs befindet sich also in einer eher passiven Situation, aus der sie sich ohne Parzivals Hilfe nicht befreien könnte ohne weiteres großes Leiden in ihrem Königreich zu verantworten. Parzival ist die aktive Partei, die Condwiramurs hilft.

Andererseits wird beschrieben, wie Parzival am Anfang der ersten Begegnung zunächst kein Wort herausbringt ("saz sîn munt gar âne wort", 188, 21) und Condwiramurs deshalb in eine aktive Position gedrängt wird, in der sie als wirtîn die Aufgabe hat, ihren gast zum Reden zu bringen.

Gawan trifft Orgeluse

Gawan trifft seine zukünftige Frau Orgeluse de Lôgroys in Buch X, also sehr viel später als Parzival die seine. Orgeluse ist die einzige Dame im gesamten Roman, die das Werben eines Ritters zunächst ablehnt bzw. durch Teste, mit denen sie sich u.a. über Gawan lustig macht, in die Länge zieht. Gawan verliebt sich sozusagen auf den ersten Blick in Orgeluse. "Beim Erwachen [dieser] Liebe [...] spielt anfangs der ovidianische Topos vom Auge als Einfallstor der Liebe eine sehr wichtige Rolle" [Emmerling 2003: 189], denn Gawan verliebt sich in Orgeluses äußere Schönheit. Die Angebetete gibt ihm jedoch zunächst Kontra und stellt damit generell schnell geschlossene Minneverhältnisse sowie Gawans Liebe zu ihr in Frage:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
gert ir mîner minne, Meine Liebe wollt ihr haben.
Wie habt ir minne an mich erholt? Und was habt ihr geleistet, meine Liebe zu verdienen?
[...] [...]
ir mugt wol laster hie bejagn, Eine peinliche Abfuhr könnt Ihr allerdings hier kriegen,
muoz ich iu die wârheit sagn. wenn Ihr denn die Wahrheit von mir hören wollt.

509, 30 – 510, 24


Diese Textpassage zeigt, dass das Hierarchieverhältnis bei Gawans und Orgeluses erster Begegnung ein anderes ist, als jenes von Parzival und Condwiramurs. Bei ihrer ersten Begegnung geht es thematisch sofort um ein mögliches Minneverhältnis zwischen Gawan und Orgeluse, während es bei Parzival und Condwiramurs zunächst um die Rettung ihres Königreiches geht. Daraus folgt, dass Gawans und Orgeluses erste Begegnung darauf basiert, dass er etwas von ihr möchte - nämlich ihre Liebe - während Condwiramurs im Gegensatz dazu Parzivals Hilfe benötigt. Dass Orgeluse sich nicht sofort auf Gawan einlässt, sondern sich zunächst über ihn lustig macht und ihn lange dafür arbeiten lässt, bis er ihre Minne erhält, zeigt, dass sie anfangs mehr Handlungsspielraum sowie Kontrolle besitzt. Allerdings wird im Verlauf der Handlung deutlich, dass Orgeluse Gawan doch nicht so überlegen ist, wie es zunächst den Eindruck macht, da Gawan ehrenvoll und ritterlich an seiner Zuneigung zu ihr festhält, während sie sich nicht sehr höfisch und damenhaft verhält. Durch Gawans kontinuierliches Beharren auf seiner Liebe und dem Aushalten ihres Hohns, schafft er es letztendlich ihre ehrliche Liebe zu gewinnen und heilt sie von dem Trauma des verstorbenen Ehemannes.

Beziehungsverlauf bis zur Hochzeit

Parzival und Condwiramurs

Nach der ersten Begegnung am Tage, findet die zweite Begegnung dieses zukünftigen Ehepaares bei Nacht statt. Condwiramurs kann vor lauter Kummer nicht schlafen und sucht Trost bei Parzival. Die Szene wird sehr unschuldig beschrieben (vgl. 192, 1f) und sie schlafen zusammen in einem Bett, ohne dass mehr zwischen den beiden geschieht. Nun klagt Condwiramurs Parzival ihr ganzes Leid: Clâmidê möchte Condwiramurs ehelichen, doch sie weigert sich vehement, da er in der Vergangenheit ihren Cousin Schenteflûrs erschlagen hat (vgl. 194, 27 - 195, 6). Sie bringt Parzival also bereits kurz nach der ersten Begegnung tiefes Vertrauen entgegen und erhält im Gegenzug Parzivals Versprechen, sie zu schützen. Es ist bemerkenswert, dass Condwiramurs hier diejenige ist, die Parzival aktiv aufsucht und nicht andersherum. Ebenso nennenswert ist, dass Parzival hier "bereitwillig die Rolle des Beschützers über[nimmt] [...] ohne Lohn für seine Hilfeleistung zu fordern." [Emmerling 2003: 299]

Für Condwiramurs zieht Parzival nun am nächsten Tag in den Krieg gegen Kingrûn. Parzival gewinnt "sîn êrste swertes strît" (197, 3) mit Leichtigkeit und verdient sich so das Eheversprechen von Condwiramurs:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
si sprach: 'in wirde niemer wîp sie sprach: >> Ich will
ûf erde decheines man, auf Erden keinen anderen zum Mann nehmen
wan den ich umbevangen hân.' als den, den ich hier in meinen Armen halte.<<

199, 26 – 28


Die Tatsache, dass Parzival den Kampf gegen Kingrûn zwar gewonnen hat, der Kampf gegen den eigentlichen Herrscher hinter dem Krieg, Clâmidê, aber noch aussteht, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich bei dieser Heirat um eine Liebesheirat handelt und nicht um den Lohn, den sich Parzival ausschließlich durch seinen Dienst verdient. [Emmerling 2003: vgl. 299] Wie später auch in Bezug auf das Paar Gawan und Orgeluse deutlich wird, ist bei Wolfram der "Dienst für die Gesellschaft und für die Partnerin im Idealfall eins [...] und [führt] zusammen mit inniger gegenseitiger Liebe zum Ziel aller ritterlichen Aktivität [...]: einer von gesellschaftlichen Verpflichtungen durchwirkte Liebesehe." [Emmerling 2003: 197] Parzival rettet das Königreich aus seiner Not und ist demnach gut für das Königreich. Condwiramurs Eheversprechen und die anschließende Hochzeit begründen sich darauf, dass der Dienst für das Königreich und die Gesellschaft einen ebenso guten Dienst für sie als Frau und Königin bedeutet. Die ehrliche Liebe sowie der positive Effekt auf die Gesellschaft bedeuten, dass "die Beziehung zwischen Parzival und Condwiramurs alle Voraussetzungen für eine Verflechtung von gesellschaftlich verantworteter höfischer Minne und personaler Bindung sowie für die Vereinbarkeit von Minne und Ehe erfüllt." [Emmerling 2003: 304]

Gawan und Orgeluse

Gawans überschwängliches Angebot, Orgeluses Minneritter zu werden, welches er direkt bei der ersten Begegnung unterbreitet (vgl. 509, 1 - 9) mag zunächst auf ästhetischen Motiven begründet sein, doch während "des gemeinsamen Weges lernt Gawan Orgeluse zu schätzen und lieben" [Emmerling 2003: 18] und das, obwohl sie ihm zu Beginn dieses Weges nichts als Hohn und Spott entgegenbringt. Gawan vermutet jedoch "hinter der Maske aus Angst und Verbitterung einen sensiblen und liebenswerten Menschen, und [...] erweist [...] ihr durch seinen aufopfernden Dienst unwandelbare triuwe." [Emmerling 2003: 189/190] Demzufolge verfolgt Gawan während seines Minnedienstes das Ziel, diesen Menschen hinter der Maske hervorzulocken und Orgeluse von ihrer Verbitterung in Bezug auf den Tod ihres Ehemannes durch Gramoflanz zu befreien. Orgeluse hingegen sieht in Minneverhältnissen wie dem zu Gawan zunächst nur den Sinn, einen Ritter zu finden, der Gramoflanz besiegen und so ihren Ehemann rächen kann (vgl. 606, 15/16).

Es zeigt sich, dass Gawan mit Orgeluse ein anderes Minneverhalten verfolgt, als mit Obilot und Antikonie. Während er diese beiden jeweils ohne großes Zögern zurückließ und weiterzog, beweist er Orgeluse immer wieder seine triuwe, indem er ihre Aufgaben erledigt und ihren Spott erträgt. Selbst als Gawan im Schastel marveile gegen Clinschors Zauber ankämpfen muss, siegt er ("Der sig is iwer hiute.", 577, 1), was verdeutlicht, dass das Bestehen von Minne-âventiuren im besten Fall zum Vorteil der Gesellschaft ist. [Emmerling 2003:vgl.197]

Schließlich führt Gawan eine Aufgabe Orgeluses aus, durch die er auf Gramoflanz trifft. Bei dieser Begegnung erklärt Gramoflanz, Orgeluse könne aufgrund der Geschehnisse der Vergangenheit in Bezug auf Gawan und Gramoflanz nicht anders handeln, als sie es derzeitig tut (vgl. 606, 5f). Er beteuert: "ich muoz iu herzenlîche klagen" ("Ihr tut mir von Herzen leid", 606, 15), da er davon ausgeht, dass er Gawan im Kampfe besiegen und Gawan Orgeluses aufrichtige Liebe nie erhalten wird. Als sich jedoch herausstellt, dass Gramoflanz noch eine Rechnung mit Gawans Vater offen hat, entscheidet er sich dafür, den Zweikampf erst vor ruhmreichen Publikum auszutragen (vgl. 608, 18 - 610, 24). Mit der Abmachung den Kampf in den kommenden Tagen zu bestreiten trennen sich die beiden Ritter.

Bei Gawans Rückkehr wird Gawan nun von Orgeluse erwartet, die sich für ihr zuvoriges Verhalten entschuldigt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
dô sprach si 'hêrre, solher nôt Da sprach sie: >>Herr, solcher Plagen,
als ich hân an iuch gegert, wie ich sie euch abverlangt habe,
der wart nie mîn wirde wert. bin ich mit all meiner Würde nicht wert.
für wâr mir iwer arbeit Glaubt mir,
füeget sölich herzeleit, Eure Not läßt mein Herz jene Leiden spüren,
diu enpfâhen sol getriwez wîp die eine treue Freundin
umb ir lieben friundes lîp.' um des Geliebten lieben Leib empfinden muß.

611, 24 - 30


An dieser Stelle kehrt Gawan nun das bisher übliche Verhältnis zu Orgeluse um und gibt ihr Kontra, anstatt sofort in eine neue Art von Minnebeziehung einzulenken. Er weißt Orgeluse direkt daraufhin, dass sie ihm mit ihrem Spott Unrecht getan hat (vgl. 612, 5/6) und tadelt sie dafür. Erst jetzt ist Orgeluse bereit, Gawan soweit zu vertrauen, dass sie ihm offen von ihrem Schmerz um ihren Mann Cidegast erzählt (vgl. 612, 26f). Daraufhin akzeptiert Gawan Orgeluses Entschuldigungen ("frouwe, ich hân ûf iuch verkorn", 614, 26). Schon allein die Tatsache, dass Gawan die Entschuldigungen erst einmal akzeptieren muss, bevor sich die Beziehung weiter entwickeln kann, zeugen davon, dass sich hier die Hierarchieverhältnisse verschieben und Orgeluse und Gawan aufgrund seiner Souveränität nun auf einer von beiden Seiten akzeptierten Augenhöhe stehen. Durch Gawans Selbstbehauptung in dieser Szene macht Wolfram deutlich, dass eine dauerhafte Minnebeziehung nur auf der Basis "gegenseitige[n] Geben[s] und Nehmen[s]" [Emmerling 2003: 92] bestehen kann.

Im weiteren Verlauf wird klar, dass Gawan eigentlich nicht gegen den König Gramoflanz kämpfen möchte und es ihm danken würde, wenn dieser vom Kampf absähe (vgl. 708, 15 - 20). Durch die entstehende Liebe zwischen Gramoflanz und Gawans Schwester Itonje, beschließt König Artus den Kampf zu verhindern ("ich wil den kampf undervarn", 716, 9). Gemeinsam mit Gramoflanz' Onkel Brandelidelîn gelingt es ihm tatsächlich, alle beteiligten Parteien dazu zu bewegen, den Kampf um der Liebe willen zu unterlassen (vgl. 726, 9f). Obwohl Gawan somit Orgeluses letzte Aufgabe nicht erfolgreich bestreiten kann, erklärt sie einige Verse später, dass ihr Leib und Land nun voll und ganz Gawan gehören sollen:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
dô sprach diu herzoginne

daz Gâwân het ir minne

gedient mit prîse hôch erkant,

daz er ir lîbs und über îr lant

von rehte herre waere.

da nahm die Herzogin das Wort und sagte,

daß Gâwân um ihrer Liebe willen

genügend ruhmreiche Taten vollbracht habe

und daß sie ihn darum als den rechten Herrn

über ihren Leib und ihr Land ansehe.

730, 15 - 19


Orgeluse ist also zur Hochzeit mit Gawan bereit, obwohl dieser sein letztes Minneabenteuer in ihrem Namen nicht zu Ende ausführen konnte. Durch das Absagen des Kampfes umgeht Gawan den möglichen Tod, welcher ihn am Ausleben seines Liebesglücks mit Orgeluse hindern würde. Sowohl Orgeluse als auch Gawan bejahen diese Entscheidung. Deshalb schreibt Emmerling: "Eigentliches Ziel [Wolframs] Gawan-Erzählung ist es, dem herkömmlichen Minne-Aventiure-System, das den Tod des Ritters als unausweichlich hinnimmt, eine menschlichere Alternative gegenüberzustellen. Die tragende Säule in Wolframs Lösungsvorschlag ist die Frau als Partnerin des um Minne dienenden Ritters." [Emmerling 2003: 87] Orgeluses Kooperation in Bezug auf den Kampf und ihr Ablassen von Rache gegenüber Gramoflanz zeigen, dass ihre neue Priorität nicht mehr die Vergangenheit und die Konventionen sind, sondern ihr zukünftiger Ehemann Gawan. "Indem sie die Minnegewährung nicht von der Bewährung ihres Ritters im Kampf abhängig macht, schafft sie die Voraussetzungen für ein Rittertum, in dem andere Werte als der reine prîs-Gewinn eine Rolle spielen." [Emmerling 2003: 87] Orgeluse und Gawan eröffnen hiermit nun die Möglichkeit einer echten Partnerschaft.

Die Hochzeit der beiden findet kurz nach Orgeluses Ansprache zusammen mit einigen anderen Hochzeiten statt. "nu darf niemen sprechen wâ [s]choener hôchgezît ergienc." (730, 30 - 731, 1), heißt es bei Wolfram abschließend.

Für nähere Informationen zu den Hochzeiten der beiden Paare sei an dieser Stelle auf den separaten Artikel Das Ritual der Hochzeit in der höfischen Literatur und im Parzival verwiesen.

Beziehungsverlauf nach der Hochzeit

Parzival und Condwiramurs

Eine detaillierte Ausführung der Hochzeitsnacht von Parzival und Condwiramurs findet sich im separaten Artikel Die Vermählung Parzivals mit Condwiramurs - Trinoctium Castitatis, der sich v.a. mit der Enthaltsamkeit der beiden in den ersten drei Nächten befasst.

Parzival und Condwiramurs sind ein Paar, bei dem "der schmerzliche Teil ihrer Beziehung" [Emmerling 2003: 304] erst nach der Hochzeit beginnt, denn es steht ihnen eine fast fünfjährige Trennung (vgl. 799, 2) bevor. Während Gawan und Orgeluse einen langen, schwierigen Weg bis zu ihrer Hochzeit haben, ist der Weg zur Hochzeit bei Parzival und Condwiramurs vergleichsweise einfach, doch an ihrem endgültigen Glück sind sie damit noch nicht angekommen. Wie seinen Vater Gahmuret zieht es Parzival nach kurzem Hochzeitsglück wieder fort, denn es drängt ihn nach âventiure. [Emmerling 2003: 304] Die Ehe von Parzival und Condwiramurs ist demnach "nicht als Endpunkt eines beschwerlichen Weges zu verstehen. [...] Der Prozess der zwischenmenschlichen Bewährung ist bei Wolfram mit dem Tag der Eheschließung nicht zu Ende." [Emmerling 2003: 197]

Parzival lässt seine Frau also zunächst zurück, doch während der Zeit, die sie getrennt verbringen, bricht er seine triuwe nicht. Es gibt viele Szenen, in denen er sich an Condwiramurs erinnert. Diese Erinnerungsbilder sind als "Symbol für die tiefe Verbundenheit Parzivals gegenüber seiner Frau zu verstehen." [Emmerling 2003: 304] Besonders bezeichnet ist hierbei die Blutstropfenszene zu Anfang von Buch VI, bei der Parzival von seiner Erinnerung so überwältigt wird, das er in "eine Art Versenkungszustand [verfällt], der erlebnismystische Züge trägt." [Emmerling 2003: 305] Durch die Blutstropfenszene wird Parzivals Bindung zu Condwiramurs besiegelt und diese Verbundenheit wird während der fünfjährigen Trennung nicht schwächer. [Emmerling 2003: vgl. 307] Auf diese Weise wird die Erinnerung an Condwiramurs, die kurz nach der Trennung noch schmerzliche Trauer hervorruft, mit der Zeit eine Kraftquelle für den Ritter auf der Suche nach dem Gral. Dies ist so, weil sie als "Konstante in Parzivals Leben [...] den nötigen Halt [gibt] auf einem Weg, der seine Existenz in ihren Grundfesten erschüttert." [Emmerling 2003: 307]

Auf der einen Seite erreicht "die Ehe zwischen Parzival und Condwiramurs ihren hohen Wert erst durch die unverbrüchliche triuwe beider Partner über Jahre der Trennung hinweg" [Emmerling 2003: 189], auf der anderen Seite ist diese Ehe durch die Trennung jedoch "keine realisierte, sondern eine gedachte" [Emmerling 2003: 309] und wird in den Gedanken der Figuren idealisiert.

Die endgültige Erfüllung findet diese Beziehung erst nach der Hochzeit von Gawan und Orgeluse und nach Parzivals Berufung zum Gralskönig. Cundrîe la surziere verkündet Parzival in Buch XV, dass die Zukunft für ihn eine Vereinbarung des Grals und seiner Familie vorsieht:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
du solt des grâles hêrre wesen.

Condwîr amûrs daz wîp dîn

und dîn sun Loherangrîn

sint beidiu mit dir dar benant.

dô du rûmdes Brôbarz daz lant,

zwên süne si lebendec dô trouc.

du sollst der Herr des Grâls sein.

Condwîr âmûrs, deine Frau,

und dein Sohn Loherangrîn

sind beide mit dir dahin berufen.

Als du das Land Brôbarz verließest,

da trug sie in ihrem Leib zwei lebendige Söhne.

781, 16 - 21


Nach dieser Ansprache brechen Feirefiz und Parzival auf um die Gralssuche ein für allemal zu beenden. Erst nachdem Parzival auf Munsalvaesche die Frage stellt, die zu stellen er bei seinem ersten Besuch der Gralsburg versäumt hat, und in der Folge zum Gralskönig berufen wird, sehen sich Parzival und Condwiramurs wieder. Das erfolgreiche Bestehen des Gralsabenteures und somit das Erkennen und Erfüllen von Parzivals Schicksal als Gralskönig sind demnach die Vorraussetzungen dafür, dass Parzivals und Condwiramurs ihre Ehe nun endlich wieder konventionell als Paar, das an der Seite des jeweils anderen lebt, fortführen können.

Als Condwiramurs vom Gral und Parzival erfährt, übernimmt sie kurzzeitig die aktive Rolle der Frau, die in Richtung Munsalvaesche reitet um ihren Mann wiederzusehen (vgl. 796, 28 - 30). Die Rollenverteilung verschiebt sich jedoch wieder in Richtung Parzival als den aktiven Part, als er sie in dem Wald, in dem die Blutstropfenszene stattgefunden hat, abholt ("dâ solte Parzivâl si holn", 797, 11) und sie dort im Schlaf überrascht. Parzival ist bei Cundwiramurs mehr als herzlich willkommen: si kusten sich (801, 5) und Condwiramurs spricht:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
nu solt ich zürnen: ine mac.

gêrt sî diu wîle unt dirre tac,

der mir brâht disen umbevanc,

dâ von mîn trûren wirdet kranc.

ich hân nu des mîn herze gert:

sorge ist an mir vil ungewert.

Ich müßte dir böse sein, ich kann es nicht.

Gesegnet sei dir Zeit und der Tag,

der mir diese Umarmung geschenkt hat,

die macht alles Traurigsein verschwinden.

Ich hab, was mein Herz verlangt,

Unglück muß mit leeren Händen fort.

801, 9 - 14


Fünf Jahre nach ihrer Hochzeit sind Parzival und Condwiramurs also endlich vereint und leben fortan glücklich zusammen als Gralskönig und -königin innerhalb der Gralsgesellschaft.

Gawan und Orgeluse

Nach der Hochzeit von Gawan und Orgeluse verschwindet das Paar von der Bildfläche der Handlung und Parzivals Handlungsstrang rückt wieder in den Vordergrund. Mit der Hochzeit ist der Handlungsstrang, der sich auf das Paar Gawan und Orgeluse konzentriert, abgeschlossen und wird nicht weiter kommentiert als Gawan z.B. in Buch XV wieder erwähnt wird (vgl. 756, 12f.). Im Gegensatz zu Parzival und Condwiramurs haben Gawan und Orgeluse ihren schwierigen Weg und ihre Bewährungsphase schon vor der Hochzeit absolviert, sodass hier die Ehe tatsächlich als Ende des komplizierten Teils der Liebesgeschichte fungiert. Es wird nun als etablierter Fakt gesehen, dass Gawan und Orgeluse ein Paar sind, welches zusammengehört und zusammenbleibt. Deshalb ist bis zum Ende des Werkes kein weiterer Kommentar des Erzählers notwendig.

Literaturnachweise

<HarvardReferences/> [*Emmerling 2003] Emmerling, Sonja. Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Büchern des >>Parzival<<: Wolframs Arbeit an einem literarischen Modell. Tübingen, 2003.

  1. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/ New York 2003.