Die literarische Funktion der Orient-Episoden im Parzival
Dieser Artikel soll sich mit den orientalischen Figuren im Parzival beschäftigen. Vor allem ihre Darstellung und Funktion sollen dabei genauer betrachtet werden und auf die These einer Annäherung von Orient und Okzident auf der Basis eines gleichen ritterlich-höfischen Wertesystems überprüft werden.
Bedeutung von Körpern
Im Mittelalter ist die Kultur auf Sichtbarkeit und Deixis angelegt. Körper und ihre Bewegungen sind daher als kulturelle Zeichen zu lesen, auf die sich das Gestensystem als dritte Fundamentalkategorie der Kommunikation stützt. [Peters 1992: 63-86] Deshalb müssen Körper-Konstruktionen im epischen Konstrukt immer als Zeichen analysiert werden, denen kommunikative Funktion inhärent ist.
Körperimago
Die orientalischen Figuren im Parzival mit ihren Körpern geben als Konstrukte fremder Identität Informationen über die eigene Identitätsbildung im Kontrast zum Fremden. Auffällig ist dabei die Regel der Kalokagathie, also die Entsprechung von äußerer Erscheinung und innerem Wert.Das bedeutet, dass das Kriterium der Schönheit von repräsentativer Natur ist und damit über den sozialen oder inneren Status der Figur Ausschluss gibt.Vor allem die Analogie der Tugendhaftigkeit dargestellt durch einen schönen Körper lässt sich immer wieder in höflichen Epen finden, wie auch im Parzival. Eine gewisses Strahlen, ebenfalls ein typisches Schönheitsmerkmal, belegt beispielsweise innere tugendhafte Vollkommenheit, da ie das göttliche Licht reflektieren. [Salama 2014: 3ff.]
Karnahkarnanz
Karnahkarnanz ist der erste Ritter, der Parzival begegnet und damit fundamental wichtig für eine Entwicklung und seine Identitätsentwicklung zum Ritter. Dabei ist besonders sein Äußeres bei dieser ersten Begegnung von herausragender Bedeutung. Im Mittelpunkt steht dabei die Erhabenheit des Kriegers, die sich durch seinen Glanz manifestiert:
Original | Übersetzung |
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ern hete sô liehtes niht erkant.
ûfem touwe der wâpenroc verwant. mit guldîn schellen kleine vor iewederm beide wârn die stegreife erklenget unt ze rehter mâze erlenget.
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Er hatte noch nie etwas so glänzend Lichtes gesehen.
Bis auf den Tau hinab fiel lang der Waffenrock. Von glitzernden goldenen Glöckchen vor jedem Bein klingelten die Steigbügel, die Riemen in exakt geschmackvoller Länge.
(122, 1- 6) |
Dabei stellt Knapper fest, dass Wolfram sich eben in dieser glanzvollen Darstellung von seiner französischen Vorlage trennt und zudem auch die Namensgebung änderte. Verkürzt dargestellt analysiert er den Namen Karnahkarnanz in zwei Teile, erstens: mythischer Glücksglanz, der besonders guten Menschen von den Göttern verliehen wird; und zweitens: der Graf der von jenseits des Sees stammt. Daraus schließt er, dass es sich bei dem Ritter nur um einen besonders tugendreichen Ritter aus dem Orient handeln kann, der Parzival seinen Weg in die Zivilisation weist. [Knäpper 2011: 279 f.] Der Begriff Glücksglanz stammt hierbei aus dem altiranischem und ist ein avestisches Konzept, welches eine lichthafte feurige Kraft benennt, nach der die Menschen streben, die sie allerdings von den Göttern verliehen bekommen.[Stausberg 2002: 178f.] Wolfram lässt nun diesen orientalischen Glücksglanz mit der Lichtmetapher (Schönheit der adligen Körper ) verschmelzen. Christen und Heide können durch besonders ehr- und tugendhafte Taten diesen transzendentalen Glanz erlangen. Beweis für diese Verschmelzung von Orientalischem und Okzidentalischem Konzepten der Auserwähltest ist der Ritter Karnahkarnanz und beweist damit eine Vereinigung von Morgen und Abendland unter ritterlich-höfischen Konzeptionen. [Knäpper 2011: 282] MIt der Benennung dieses - an einer zentralen Stelle des Romans erscheinenden- Ritters bezieht sich Wolfram somit nicht auf ein christliches, sondern vielmehr auf ein elementares Motiv der iranischen Religion und Herrschaftslegitimation. Wolfram bedient ein Motiv, das für orientalische Herrscher und Helden wie über die avestischen Verhältnisse hinaus prägend ist. Der >Glücksglanz< ist ebenfalls an der Seite von Rittern und Helden der iranischen Epen zu finden. […] Durch die Übertragung des <Glücksglanzes < auf [okzidentale Figuren im Parzival] schafft Wolfram eine Tradition des Austausches und der Nähe zwischen Ost und West. Durch die Einbindung von Bestandteilen der orientalischen Religion und Herrschaftslegitimation in den christlichen Kulturkreis , der weiterhin als Dominante fortbesteht, versucht Wolfram die Fremdartigkeit des Orients zu überwinden. [Knäpper 2011: 283f.]
Belacane
Die erste Frau von Gahmuret entspricht in spezieller Weisen dem typischen Schönheitsideal: ist iht liehters denne der tac / dem glîchet niht diu künegin (24, 6f.). Damit negiert Wolfram das abendländische Schönheitsideal aber das transzendentale Strahlen behält er bei: Belacânes liehten blic (32, 25). Tugendhaftigkeit ist damit nicht länger über die Hautfarbe eingeschränkt, sondern auch dunkle Körper können strahlen, beispielsweise durch ihre Augen. (Vgl Knapper) Vielmehr erscheint hier die dunkle Hautfarbe der Königin als Glanz zu fungieren und löst damit komplett die Verbindung von Helligkeit und Glanz auf: nâch swarzer varwe was ir schîn (24,11). Damit wird die Lichtmetaphorik des Okzident durchbrochen und durch ein Oxymoron der schwarzen Helligkeit ersetzt, das die schwarze Haut zugleich ästhetisiert und nobilitiert. [Schmid 2004: 23] Wolfram geht noch weiter und drängt Äußerlichkeiten der weiblichen Figuren immer weiter in den Hintergrund zu Gunsten ihres wîplîchen sin (24, 8), wie Tugend, Reinheit, Treue usw. Damit wird eine Vergleichbarkeit aller Frauen geschaffen, auf Basis eines nach innen verlagerten Schönheitsideals, dass nicht mehr auf einer Kontrastieren von hell und dunkel als Analogie von Gut und Böse fundiert. Damit öffnet Wolfram den weiblichen Ästhetikbegriff zu Gunsten einer Vergleichbarkeit von Orient und Okzident indem er die äußerlichen Unterschiede gleich aus dem Ideal ausschließt.[Salama 2014: 5.]
Obwohl sie nicht getauft ist und demnach als Fremde bezeichnet werden müsste, kann sie dennoch eine soziale Rolle innerhalb der christlichen Gesellschaft einnehmen, die einer höfischen Dame. Ihr internalisiertes habituiertes Wissen unterscheidet sich sich nicht von den okzidental-christlich höfischen Manieren und Tugenden einer höfischen Dame (28, 10 ff.). '[Salama 2014: 29]' das bewiest, dass dem höfisch-ritterliche Kulturkonzept eine gewisse Internationalität inhärent ist und somit das Fremde zumindest an das Eigene annähern kann. Die für beide Kulturen gültigen Regeln höfischer Zivilisation überbrücken im literarischen Kunstwerk zumindest zeitweise die Grenzen zwischen der okzidental-christlichen und der orientalischen-heidnischen Welt […] [Mitsch 199: 92].
Feirefiz
Pfeifers Körper ist an sich schon ein Zeichen der Verbindung von Abend- und Morgenland: eins suns, der zweier varwe was, / an dem got wunders wart nein: / Wz und swarzer varwe er schein (57, 16ff.) Obwohl er ein Heide ist, scheint seine Ritterliche Ausbildung vollkommen zu sein, repräsentiert durch kostbare Kleidung und Rüstung, sein vorbildliches Verhalten im Kampf mit seinem Bruder und seinem Minnetaten. Feirefiz, Parzival und Gahmuret werden als ein Leib dargestellt und bilden so in ihrer Dreiheit eine Einheit, die Assoziationen an die göttliche Trinität erweckt, die in transformierter Form hier die Einheit zwischen Christen und Heiden offenbart. Damit dehnt sich die Gotteskundschaft auf Christen und Heiden aus und Feirefizs als orientalischer Körper mit christlichem Vater und als vollendeter Ritter, im Zuge des westlichen Werteparadigmas,ist integrierbar im christlichen Sippenverband und damit letzendlich auch ins christliche Weltbild. [Salama 2014: 7 ]Verbindendes Glied ist hier deutlich Gamurehts art, die in beiden Söhne weiter lebt. Sie führt bei beiden Kriegern zu ihren Aventiurefahrten und damit zu ihrer Segnung, die der Grundstein der Integration Feirefiz in den christlichen Sippenverband legt. Während die Frauen vergleichbar werden durch eine Fokussierung auf innere Tugenden, sind die Männer durch ihre ritterlichen Tugend aneinander angleicht und stellen so die Verbindung von Orient un Okzident dar.
Feirefiz ist insofern eine interessante Figur im Bezug auf die Fragestellung des Artikels, weil er nicht nur in den Handlungsräumen der westlichen Welt fungiert, sondern sie sogar besser zu verstehen und anzuwenden weiß als beispielsweise Parzival. Er dringt jedoch nicht nur in den okzidentalen-christlichen Raum ein sondern, erkämpft sich eine soziale Rolle in ihm, indem er sich taufen lässt. Damit transformiert er sich von einer Exklusions-Identität zu einer Inklusions-Identität, den den westlichen Raum bis weit in den östlichen Raum eindringen lässt und ihn damit die Grenze zwischen Orient und Okzident fundamental verschiebt.[Salama 2014: 31.Es gehört zu der Dynamik dieser Figur, sich zu einem Instrument des Integrierens und Vereinen [Müller 2008 : 63]. zu machen. Grundlage dieser Grenzgänger-Figur ist sicherlich seine Verwandtschaft, die im sowohl christliche als auch heidnische Merkmale einbringt. Dadurch ist die Begegnung zwischen Parzival und Feirefiz nahezu unumgänglich und führt letztendlich dazu, dass beide sich im Anderen selber erkennen und ihre gesamte Identität erschließen. Das geschieht aber eben nicht durch eine Abgrenzung sondern durch die Erkenntnis, dass sie ein Körper sind. Die beweist noch einmal die These einer Verschmelzung von Abend- und Morgenland.
Cundrîe
Im Vergleich zu der französischen Vorlage hat Wolfram Cundrîe und ihren Bruder mit Hundeschnauzen, zottigen Gesichtern, Eberzähnen, struppigen Haaren, Bärenohren, Löwenkrallen und einer affenartigen Haut ausgestattet. Sie erscheinen damit wie Fabelwesen und Wisbey führt auf, dass sie damit dem Volk der Hundeköpfigen (Cynokephalen) aus dem Osten entstammen. Damit reiht sich die Figur der Cundrie in den Topos der Häßlichkeit der im Orient beheimateten Völker ein und weist sich als solche aus dem Orientstammende Frau aus. [Kolb 1963: 42] Dabei sind die beiden Geschwister angehörige eines Stammes, der seine signifikanten Missbildungen durch eine Verfehlung zu Zeiten Adams erhalten hat ( 518,1-24). Damit wird offenkundig, dass es sich bei Cundrîe und ihrem Bruder nicht etwa einzelne verunstaltete Individuen handelt, sondern ihr ganzer Stamm so gezeichnet ist:
Original | Übersetzung |
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diu küneginne Secundille,
[…] diu het in ir rîche hart unlougenlîche von alter dar der liute vil mit verkêrtem Antlitzes zil: si truogen vremdiu wilden mâl. […] sît daz ir bêde wârt ein blout,
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Die Königin Secundille
[…] die hatte in ihrem Reich, das ist gar nicht zu leugnen seit alten Zeiten viele von den Leuten, bei denen auf so verkehrte Weise das, was sonst das Menschenantlitz ist, gebildet war: Sie trugen wahrlich fremde, wilde Zeichen.
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Ihre Abstammung befähigt sie zu vielen Aufgaben, die niemand in der Gralsgesellschaft sonst übernehmen könnte. Sie spricht alle Sprachen, in Geometrie, Astronomie, Dialektik, Rhetorik ist sie bewandert und vor allem ihre pharmazeutischen Kenntnisse sind von unschätzbaren Wert für ihre Mitmenschen, vor allem für den siechenden Anfortas. Sein Krankenlager strotzt nur so vor orientalischen Erzeugnissen: pigment und zerbenzînen smac, müzzel bunt arômatâ (789, 25f.), drîakl und amber tiure (789, 29), cardemôm, jeroffel, muscât (790, 2) und zusätzlich viele wundersame Edelsteine (791, 1-30). Das unsagbare Leid des Anfortas kann nicht mit dem herkömmlichen Wissen behandelt werden, dafür muss eine Verbindung zum sagenumwobenen Orient geschaffen werden, in dem solche wundersamen Heilmittel entsprechend der mittelalterlichen Ansichten über den Osten vorlagen. Die literarische Konstruktion von Cundrîe zerstört die Korrelation von schön -höfisch / häßlich - unhöfisch und so steht sie als das verbindende Element von Westen und Osten, sie vollzieht einen Wissenstransfer der östlichen Kenntnisse in die höfische Welt und betreibt damit eine Inklusion des Orients.[Ridder 2000: 9-19] Dass auch ihr Bruder Malcrêatiure enormes Wissen über die Astronomie inne hat (520, 3), beweist, dass die Gelehrsamkeit nicht nur auf die Figur der Cundrie beschränkt ist sondern dass sie systematisch auf den Osten übertragen ist. Zusätzlich scheint […] die in der äußerlichen Form unordentliche, im Herzen jedoch treue und hilfreiche Cundrîe - die [Wolfram] in einer die Vorurteile seiner Zuhörerschaft provozierenden Weise die unattraktivsten Elemente der heidnischen Welt verkörpern läßt, die filii Caini maledicti - eine mildtätige und keineswegs dämonische Rolle in einem Prozeß weltweiter Versöhnung spielen zu lassen. [Wisbey 1971: 213] Da Cundrîes Genealogie in einen biblischen Ursprung eingebettet ist, wird offenkundig, dass Wolfram ihre Fremdartigkeit mit christlichen Vorstellungen verbindet. So Inkludiert er sie und ihre Sippe durch eine Einbettung in den göttlichen Schöpfungsplan und den christlichen Horizont. [Salama 2014: 8.] Ähnlich wie bei der Figur von Belacâne wird das höfische Schönheitsideal der Frau gebrochen und durch jene des moralisch gerechtfertigten Seins[Jauß XXXX:168] ersetzt. Wieder rücken Werte wie triuwe (312, 3) und Gelehrsamkeit in den Vordergrund und kratzt so zumindest an der starren Hässlichkeitsstigmatisierung. Ihr hybrid konstruierter Fremd-Körper bestärkt umso mehr ihre Funktionalität als Grasbotin, deren Äußerungen und Prophezeiungen besondere Aufmerksamkeit erfordern. [Salama 2014: 11]
Cundrîe zeichnet sich im Besonderen durch ihre Mobilität und dem damit einhergehenden Zugang zu unterschiedlichen Räumen aus. Auch sie ist eine Inklusions-Identität, übernimmst sie ja durchaus mehrere unterschiedliche soziale Rollen, wie beispielsweise als Botin oder Heilerin. Bezeichnenderweise machen gerade ihre orientalischen Wurzeln, als die Grundlage ihrer ehemaligen Exklusions-Identität sie überhaupt fruchtbar für ihre Rollen in der christlichen Welt. Allerdings ist sie durch ihre Hybridität aus jeglicher Minnebeziehung ausgeschlossen, was sie zumindest auf den ersten Blick wieder ausschließt. Allerdings ist diese Exklusion ein notwendiges Moment, damit sie ihre Rollen überhaupt ausüben kann. Dadurch ist es ihr möglich allen genealogischen Verstrickungen zu entgehen und so vollkommen losgelöst von der Gemeinschaft dieser zu dienen. Damit ist es ihr möglich, sich über bestimmte Grenzen des höfischen Wertesystems hinauszusetzen, wie beispielsweise die Verfluchung von Parzival. Da sie ihre Identität nicht über das Gefühl der Zusammengehörigkeit definieren kann wird die Figur Cundrîe zu einem […] grenzüberschreitendem Kommunikationsmedium […] [Salama 2014: 32] funktionalisiert. Diese 'Obdachlosigkeit ist Folge ihres hybriden Körpers, der ihr jegliche Minnebeziehung negiert und sie so auch nicht in das hierarchische Gefüge der Artus- oder der Gralsgesellschaft eingegliedert werden kann. Sie ist weder eine Exklusions-Identität noch eine Inklusions-Identität sondern erschein als hybrider Körper in ihrer Ausstattung, Zugehörigkeit und Funktion.
Identität
Die Körper der orientalischen Figuren weise alle spezifische einmalige Merkmale auf, sodass sie als subjektkonstituierende Elemente angesehen werden können, die sie vom Rest der Figuren in bezeichnender Weise abheben, nämlich in einer gewissen Andersartigkeit oder Fremdheit zum restlichen Figurenkörper. Niklas Luhmanns Systemtheorie differenziert zwischen INklusions- und Exklusionsindividuum. Grundsätzlich vermag sich das Individuum im Mittelalter und die integrale Gesamtheit einzubringen.[Luhmann 1989: 158 ] Diese Integration verläuft mit Bordieus Worten über bestimmte körperliche Habitusformen (Verhältnis zwischen Körper und Erkenntnis). Demnach entsteht eine Identität, die sich integriert durch optisch in. Das bedeutet, dass bestimme soziale Rollen innerhalb der Gesellschaft übernommen werden und Identität durch Zugehörigkeit zu dieser definiert wird. Wechselseitig entsteht die Exklusives-Identität durch optisch out wenn das eigene Ich in keiner der vorherrschenden sozialen Rollen schlüpfen kann und sich so aus der Gesellschaft ausschließt. [Assman XXXX 219 ff.]
Der Begriff heide belegt doppelte Funktion in Bezug auf Identität. Er führt dazu, dass heiden und die damit undifferenziert benannten Nicht-Christen keinerlei Rolle in der christlichen Gesellschaft übernehmen können und deshalb ausgegrenzt werden. Sie sind für alle sozialen Gruppen in der christlichen Welt ungeeignet, weil sie nicht getauft sind. Daraus ergibt sich, dass das Fremde als Mangel am Eigenen definiert wird. Wenn das Fremde sich aber über das Fehlen des Eigenen definiert, dann ist die Auseinandersetzung mit dem Anderen gleichzeitig immer eine Strategie der eigenen kulturellen Identitätsbildung und Sicherung.[Schotte 2009: 15] Kommt es aber dann der These dieses Artikels folgend überhaupt zu einer Annäherung von Orient und Okzident in Bezug auf Identitäten?
Fazit
Die Körper der orientalischen Figuren werden durch sichtbare Zeichen als Fremde im Roman eingeführt. Allerdings werden diese Figuren mit einem höfisch-ritterlichen Kontext überzogen, sodass offenbart wird, dass der höfische Tugendkodex universalgültig ist und die Differenzen zwischen Orient und Okzident verschwimmen lassen. Dadurch ergibt sich eine neuer Zugang zum Fremden, der eine Auflösung der Kalokagathia und der Einheit von Innen und Außen befürwortet. Entgegen stark stereotypischer vorgezeichneter Figuren werden hier Körper konstruiert, die sich durch ihre individuelle äußerliche Körperphysiognomie und durch ihr traditionsdurchbrechendes grenzüberschreitendes Verhalten auszeichnen. Sie beweisen eine Verschränkung und Wechselwirkung des Einen im Anderen und symbolisieren so die Vernetzung von Orient und Okzident und deren Auflösung ineinander.[Salama 2014 : 33f.] „Dem Orient“ widerfährt hier eine Entzauberung, die zu einer Verbindung zweier Kulturkonzepte unter einer bindenden höfisch-ritterlichen Kultur führt. [Goetz 1967: 7] Die Andersartigkeit des Morgenlandes ist zwar noch nicht vollkommen verschwunden, dient aber nicht mehr als Abgrenzungsmerkmal zum Abendland. vielmehr offenbart die Erzählung Wolframs den Orient „als Verlängerung des Abendlandes.“[Noltze 1995: 117]
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences /> [*Goetz 1967] Goetz, Hermann: Der Orient der Kreuzzüge in Wolframs Parzival, in: Archiv für Kulturgeschichte, hrsg. von Herbert Grundmann, Köln & Graz 1967, S. 1-42.
[*Noltze 1995] Noltze, Holger: bî den dûht in diu wîle lanc – Warum langweilt sich Gahmuret bei den Môren?, in: Dorothee Lindemann u.a. (Hrsg.): bickelwort und wildiu moere. FS für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag, Göppingen 1995, S. 109–119.
[*Peters] Peters, Ursula: Historische Anthropologie und mittelalterliche Literatur. Schwerpunkte einer interdisziplinären Forschungsdiskussion, in: Johannes Janota u.a. (Hrsg.):Festschrift für Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd. 1 Tübingen 1992, S. 63-86.
[*Ridder] Ridder, Klaus: Körperinszenierung und Wiesenkonzepte in höfischen Roman des Mittelalters, in: Mitteilungen des Zentrums für interdisziplinäre Forschungen Bielefeld, Heft 1 (2000), S. 9-19.
[*Salama] Salama, Dina: Formen und Funktionen orientalischer Körper im Parzival Wolfram von Eschenbach, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Bd. 151:1 (2014), S. 1-34.
[*Wisbey 1971] Wisbey, Davis A.: Wunder des Ostens in der 'Wiener Genesis' und in 'Wolframs 'Parzival' , in: L.P Johnson u.a. (Hrsg.): TITEL FEHLT Cambridger Colloquium 1971, Berlin 1974.