Die literarische Funktion der Orient-Episoden im Parzival

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Dieser Artikel soll sich mit den orientalischen Figuren im Parzival beschäftigen. Vor allem ihre Darstellung und Funktion sollen dabei genauer betrachtet werden und auf die These einer Annäherung von Orient und Okzident überprüft werden. Dabei soll die Frage gestellt werden auf welcher Grundlage diese Annäherung geschieht, dabei werden drei Untersuchungskritierien beachtet werden: Ritterlich-höfisches Wertesystem, Genealogie und Religion. ( Kellner, 41), Genealogie)

Im Mittelalter ist die Kultur auf Sichtbarkeit und Deixis angelegt. Körper und ihre Bewegungen sind daher als kulturelle Zeichen zu lesen, auf die sich das Gestensystem als dritte Fundamentalkategorie der Kommunikation stützt. [Peters 1992: 63-86] Deshalb müssen Körper-Konstruktionen im epischen Konstrukt immer als Zeichen analysiert werden, denen kommunikative Funktion inhärent ist.

Die Körper der orientalischen Figuren weise alle spezifische einmalige Merkmale auf, sodass sie als subjektkonstituierende Elemente angesehen werden können, die sie vom Rest der Figuren in bezeichnender Weise abheben, nämlich in einer gewissen Andersartigkeit oder Fremdheit zum restlichen Figurenkörper. Niklas Luhmanns Systemtheorie differenziert zwischen INklusions- und Exklusionsindividuum. Grundsätzlich vermag sich das Individuum im Mittelalter und die integrale Gesamtheit einzubringen.[Luhmann 1989: 158 ] Diese Integration verläuft mit Bordieus Worten über bestimmte körperliche Habitusformen (Verhältnis zwischen Körper und Erkenntnis). Demnach entsteht eine Identität, die sich integriert durch optisch in. Das bedeutet, dass bestimme soziale Rollen innerhalb der Gesellschaft übernommen werden und Identität durch Zugehörigkeit zu dieser definiert wird. Wechselseitig entsteht die Exklusives-Identität durch optisch out wenn das eigene Ich in keiner der vorherrschenden sozialen Rollen schlüpfen kann und sich so aus der Gesellschaft ausschließt. [Assman XXXX 219 ff.]

Der Begriff heide belegt doppelte Funktion in Bezug auf Identität. Er führt dazu, dass heiden und die damit undifferenziert benannten Nicht-Christen keinerlei Rolle in der christlichen Gesellschaft übernehmen können und deshalb ausgegrenzt werden. Sie sind für alle sozialen Gruppen in der christlichen Welt ungeeignet, weil sie nicht getauft sind. Daraus ergibt sich, dass das Fremde als Mangel am Eigenen definiert wird. Wenn das Fremde sich aber über das Fehlen des Eigenen definiert, dann ist die Auseinandersetzung mit dem Anderen gleichzeitig immer eine Strategie der eigenen kulturellen Identitätsbildung und Sicherung.[Schotte 2009: 15] Kommt es aber dann der These dieses Artikels folgend überhaupt zu einer Annäherung von Orient und Okzident in Bezug auf Identitäten?


Bâruc von Baldac

Der Bâruc wird im epischen Konstrukt als höchster Herrscher der Welt vorgestellt, dem Zwei Drittel der Welt untertan sind:

Original Übersetzung
im wart gesagt, ze Baldac,

waere ein sô gewaltig man,

daz im der erde untertan

du zwei teil waeren oder mêr.

[…]

vil Künneke waren sîne man,

mit krôntem lîbe undertân.


Ihm war gesagt worden,

in Baldac gebe es einen Mann, der sei so mächtig,

daß ihm die zwei Teile der untertan seien und sogar noch mehr.

[…]

Viele Könige waren seine Vasallen,

gekrönte Häupter waren ihm untertan.


(13,16-24)

Religion als Integrationsmodell

Wichtiger im Zusammenhang mit der These erscheint aber die Belegung der geistlichen Spitzenfunktion des Orients durch den Barûc: heidenschen orden man dort siht / ze Bakdac nement se ir Bâbestreht (13, 28 f.) Durch die hier offenbarte Binde- und Lösegewalt (bâbestreht 13, 29) wird er als obersten Würdenträger der heidnischen Religion in Analogie zum christlichen Papst gesetzt. Damit findet eine komplexe Übertragung von weltlicher Herrschaft und vasallitischer Bindung auf den Orient statt. Die Strukturen der orientalischen Religion wird hier eindeutig in Beziehung zu denen der christlichen Glaubensgemeinschaft gesetzt, was vor der Folie der christlichen Identität, die sich eben durch ihre Taufe zum Fremden abgrenzt, als besonders brisant darstellt. Wolfram vollzieht hier auf Grundlage einer Parallelisieren eine Verschränkung von Orient und Okzident, sodass […] das Ferne des Orients in den Kategorien der eigenen Ordnung als vertraut erscheinen kann.[Kellner 2009: 29]


Auch die Bestattung Gahrmurets manifestiert nochmals die Annäherung in der Ausstattung des Grabes. Das prunkvolle Begräbnis in Baldac bekräftigt das Treueverhältis zwischen Orientalischen Fürst und Okzidentalen "vasallischem" Ritter[Raucheisen 1997:65] :

mittelhochdeutsch Übersetzung
Er wart geleit ze Baldac.
diu kost den bâruc ringe wac.
mit golde wart gehêret,
grôz rîcheit dran gekêret
mit edelem gesteine,
dâ inne lît der reine.
[…] […]
ein kriuze nâch der marter site,
als uns Kristen tôt lôste, liez man stôzen im ze trôste,
ze scherm der sêle, überz grap.

(106, 29- 107,8)

Der Bâruc lässt ihn äußerst großzügig und mit einer großen Toleranz begraben, verdeutlicht durch das Kreuz. Raucheisen bestimmt ihn deswegen zum vorbildlichen Herrschertypus.[Raucheisen 1997:65]


Karnahkarnanz

Karnahkarnanz ist der erste Ritter, der Parzival begegnet und damit fundamental wichtig für seine Entwicklung zum Krieger und Identitätsentbildung.

Höfisch-Ritterliches Wertesystem als Integrationsmodell

Dabei ist besonders sein Äußeres von Karnahkarnanz bei dieser ersten Begegnung von herausragender Bedeutung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Erhabenheit, eine innere tugendhafte Vollkommenheit des Kriegers, die sich durch seinen Glanz manifestiert, der das göttliche Licht reflektiert [Salama 2014: 3ff.]:

Original Übersetzung
ern hete sô liehtes niht erkant.

ûfem touwe der wâpenroc verwant.

mit guldîn schellen kleine

vor iewederm beide

wârn die stegreife erklenget

unt ze rehter mâze erlenget.



Er hatte noch nie etwas so glänzend Lichtes gesehen.

Bis auf den Tau hinab fiel lang der Waffenrock.

Von glitzernden goldenen Glöckchen

vor jedem Bein

klingelten die Steigbügel,

die Riemen in exakt geschmackvoller Länge.


(122, 1- 6)

Knäpper offenbart, dass sich Wolfram sowohl in der körperlichen Konstruktion als auch in seiner Namensgebung von seiner französischen Vorlage distanziert. Er analysiert den Namen Karnahkarnanz als orientalisch und deckt auf, dass er auf einem altiranischen Wort basiert, welches übersetzt mythischer Glücksglanz bedeutet.[Knäpper 2011: 279 f.] Dieser Glücksglanz ist Basis eines avestischen Konzeptes, als lichthafte feurige Kraft, die besonders herausragenden Menschen von den Göttern verliehen wird.[Stausberg 2002: 178 f.] Wolfram integriert damit ein orientalisches Konzept von äußerlicher und innerlicher Entsprechung in die Regel der christlichen Kalokagathie. [1] Die Synthese des östlichen Glücksglanzes mit der westlichen Lichtmetapher am Beispiel eines orientalischen Kriegers beweist, dass sowohl Christen als auch Heiden durch tugendhafte Taten diesen transzendentalen Glanz erlangen können. Hier wird nicht nur ein Beweis für die Verschmelzung von orientalischen und okzidentalischen Konzepten erbracht [Knäpper 2011: 282], sondern auch ein Beleg für eine ganz ähnliche traditionelle körperliche Darstellung von Idoneität. [Denn] der >Glücksglanz< ist ebenfalls an der Seite von Rittern und Helden der iranischen Epen zu finden […] [Knäpper 2011: 283f.??? STIMMT DIE SEITENZAHL]und damit ein Motiv der orientalischen Idoneität, welche als Konzept weit über den avestischen Kulturkreis hinaus prägend war. Damit zeigt sich also nicht nur die Übertragung des ritterlich-höfischen Kodex auf den Orient, sondern es offenbart sich, dass beide Wertesysteme ähnliche Wurzeln haben und so ein Traditionsaustausch auf Basis dieses kulturell übergreifenden Paradigmas möglich ist.


Belacane

Durch Gahrmurets Aventiure-Reisen gelangt er in das Land Zazamac, welches von der dunkelhäutigen König Belachen regiert wird und sich im Krieg befindet (16, 20- 17, 20).

Höfisch-Ritterliches Wertesystem als Integrationsmodell

Der Körper von Belacâne ist in besonderer Weise spezifisch und weist sie auf den ersten Blick durch ihre Hautfarbe als Fremde aus dem christlichen Kulturkreis aus. Allerdings vollzieht Wolfram an ihr eine Transformation des höfischen Frauenbildes. Denn obwohl er bemerkt, dass ihre Hautfarbe dunkel ist: ist iht liehters denne der tac / dem glîchet niht diu künegin (24, 6f.), negiert er dieses abendländische Schönheitsideal der hellen Hautfarbe durch das transzendentale Strahlen der Königin, welches auf eine besondere Tugendhaftigkeit ihrerseits hinweist und sie so nobilitiert:nâch swarzer varwe was ir schîn ( 24, 11) und Belacânes liehten blic (32, 25). Da im gleichen Abschnitt von ihrem unübertreffbaren wîplîchen sin (24, 8) gesprochen wird, offenbart sich, dass vorbildliches weibliches Verhalten nicht länger über die Hautfarbe definiert und relativiert ist. Wolfram erschafft hier ein Oxymoron der schwarzen Helligkeit, […] das die schwarze Haut zugleich ästhetisiert und nobilitiert [Schmid 2004: 23] und somit die etablierte christliche Tradition der Lichtmetaphorik von Hell - Gut und Dunkel - Böse negiert. Wolfram geht noch weiter und drängt Äußerlichkeiten der weiblichen Figuren immer weiter in den Hintergrund zu Gunsten ihres wîplîchen sin (24, 8). Denn obwohl der Erzähler Belacanes Schönheit oft lobt, ist GAhrmuert von ihr zuerst nicht angetan (17, 24 ff.;19, 17 ff.; 20, 4 ff.) Seine Zuneigung beginnt erst ab dem Augenblick, wo er von ihren weiblicehen Tugenden erfährt. (28, 10-19).Rüdiger Schnell verweist auf das Bestreben der höfischen Literatur, Liebe über innere Werte zu begründen [Schnell 1985: 241-274] und bestätigt damit da sich hier zeichnende Bild. Damit wird eine Vergleichbarkeit aller Frauen geschaffen, auf Basis eines nach innen verlagerten Schönheitsideals, dass nicht mehr auf einer Kontrastieren von hell und dunkel als Analogie von Gut und Böse fußt.[Salama 2014: 5] Damit öffnet sich der weibliche Ästhetikbegriff zu Gunsten einer Inklusion vom Orient, indem eine Exklusion der äußerlichen Unterschiede aus dem Idealvorstellungen von Weiblichkeit vollzogen wird. Dem entsprechend verliebt sich Gahmuret auch nicht auf Grund Belacânes herausragender Schönheit in sie, sondern aus einer emotionalen Teilnahme heraus. Ihre Notlage, ihre Schönheit, ihre Frömmigkeit, ihre weibliche Wesensart und ihre Treue erwecken in Gahmuret Gefühle für die Königin. Damit ist eine glaubhafte Liebe zwischen den beiden erst möglich und offenbart die grenzüberschreitende Kraft dieses neuen höfischen Weiblichkeits- und Minnebegriffes.

Religion als Integrationsmodell

In der Figur von Belacane zeigt sich aber nicht nur eine Anlogie zu westlichen höfischen Damen, sondern auch zum Christentum: ir Kirsche was ein reiner touf (28, 14). Durch ihre vorbildliche triuwe vollzieht sich hier eine Taufe [Kellner 2009: 31], die darauf hinweist, dass nicht nur der sakramentale, formale Akt der Weihe einen Menschen in die Gemeinschaft der Christen aufzunehmen vermag, sondern auch einen nach innen verlagerte Taufe, bedingt durch eine spezifische Idoneität. "In (Wolframs ) Zeit gab es kein höheres Lob für Ungläubige, nie zuvor wurde es in mittelhochdeutscher Literatur ausgesprochen." [2]

Die ambivalente Konstruktion der Belacane-Figur zeigt auf, dass die Königin, obgleich ihrer körperlichen Fremdheit, sehr wohl eine soziale Rolle innerhalb der christlichen Gesellschaft einnehmen kann, die einer höfischen Dame. Ihr internalisiertes habituiertes Wissen unterscheidet sich sich nicht von den okzidental-christlich höfischen Manieren und Tugenden einer höfischen Dame (28, 10 ff.). [Salama 2014: 29] Durch geringfügige Änderungen des Weiblichkeitsparadigmas der okzidentalen Welt ist es [den] für beide Kulturen gültigen Regeln [der] höfischer Zivilisation im literarischen Kunstwerk zumindest zeitweise [möglich,] die Grenzen zwischen der okzidental-christlichen und der orientalischen-heidnischen Welt [zu überbrücken]. [Mitsch 199: 92].

Feirefiz

Genealogie als Itegrationsmodell

Feirefiz Körper ist an sich schon ein Zeichen der Verbindung von Abend- und Morgenland: eins suns, der zweier varwe was, / an dem got wunders wart nein: / Wz und swarzer varwe er schein (57, 16 ff.) Der inneren genealogische Verschränkung von Osten und Westen [Kellner 2009: 35] wird durch eine äußere Synthese von Schwarz und Weiß entsprochen. Genealogie spielt hier also als integratives Modell eine wichtige Rolle für die Verschwendung der zwei Kulturen. Von besonderer Bedeutung ist dabei dass die genealogische Verbindung Westen und Osten über die Vereinigung des Blutes als Naturordnung inszeniert und gedeutet werden kann. [...]Feirefiz hat die Rolle des Grenzgänger zwischen Orient und Okzident im Blut, sie ist ihm in seiner Elternfarbigkeit geradezu auf den Leib geschrieben [...]. [Kellner 2009: 35] Die Genealogie des Kriegers ist aber auch religiös zu unterbreiten, da Feirefiz, Parzival und Gahmuret werden als ein Leib dargestellt werden und somit in ihrer Dreiheit eine Einheit bilden, die Assoziationen an die göttliche Trinität erweckt, die in transformierter Form hier die Einheit zwischen Christen und Heiden offenbart. Damit dehnt sich die Gotteskindschaft auf Christen und Heiden aus und Feirefizs, als orientalischer Körper mit christlichem Vater und als vollendeter Ritter, ist in den christlichen Sippenverband integrierbar und damit letzendlich auch in das christliche Weltbild. [Salama 2014: 7] Grundlage dieser Grenzgänger-Figur ist sicherlich seine Verwandtschaft, die im sowohl christliche als auch heidnische Merkmale einbringt. Dadurch ist die Begegnung zwischen Parzival und Feirefiz nahezu unumgänglich und führt letztendlich dazu, dass beide sich im Anderen selber erkennen und ihre gesamte Identität erschließen. Das geschieht aber eben nicht durch eine Abgrenzung sondern durch die Erkenntnis, dass sie ein Körper sind. Die beweist noch einmal die These einer Verknüpfung von Abend- und Morgenland.

Höfisch-Ritterliches Wertesystem als Integrationsmodell

Der Heide erscheint als der gewaltigste und schönste Ritter des ganzen Epos.

Obwohl er ein Heide ist, scheint seine Ritterliche Ausbildung vollkommen zu sein, repräsentiert durch kostbare Kleidung und Rüstung, sein vorbildliches Verhalten im Kampf mit seinem Bruder und seinem Minnetaten.  734, 29 / 735, 2 736, 25   736 , 7

Im Kampf mit seinem Bruder beweist er höchste Ritterlichkeit, er lobt Parzivak für seine Stärke, bietet ihm eine Pause an, gesteht Parzival den Sieg zu und kommuniziert auf höchsten Niveau, indem er seinen Namen zuerst nennt. Diplomatie und Entgegenkommen des Heiden beweist Großzügigkeit indem er ihm Ländereien schenkt (Müller: doppelter Sieg: Physisch und ideologisch, durch überlegene Menschlichkeit Ulrich Müller: Feirefiz anschevin - Überlegungen zur Fiktion einer Romangestalt Wolframs von Eschenbach, in: Negritude et Germaine. L' Afrique norie das la litterature d'expression Alemanne. 12ieme Congres de l'Association des Germanisten de l'enseignement superieur .Dakar, 12-15 avril 1979. Dakar 1983 S.37-48) Ritterliche Tugenden vollendet in ihm Muster alles höfischen Rittertum (Naumann der wilde und der edle beide S.90) vorbildlicher Rittertypus auch in sittlicher Beziehung idealtypus: milte und triuwe (752, 24 ff.) 28, 14 --> vergleich mit chris [Raucheisen 1997:71-75]

Religion als Integrationsmodell

Feirefiz ist insofern eine interessante Figur im Bezug auf die Fragestellung des Artikels, weil er nicht nur in den Handlungsräumen der westlichen Welt fungiert, sondern sie sogar besser zu verstehen und anzuwenden weiß als beispielsweise Parzival. Er dringt jedoch nicht nur in den okzidentalen-christlichen Raum ein sondern, erkämpft sich eine soziale Rolle in ihm, indem er sich taufen lässt (814, 1-818, 19). Kellner folgert, dass die Nähe zum Christum, durch die kiusche und Tränentaufe Belacanes in ihrem Sohn zum sakramentalen Vollzug. Durch diese Inklusion scheint das Heidnische im Christlichen aufzugehen [Kellner 2009: 35] und transformiert Feirefiz von einer Exklusions-Identität zu einer Inklusions-Identität, den den westlichen Raum bis weit in den östlichen Raum eindringen lässt und ihn damit die Grenze zwischen Orient und Okzident fundamental verschiebt.[Salama 2014: 31]Es gehört zu der Dynamik dieser Figur, sich zu einem Instrument des Integrierens und Vereinen [Müller 2008 : 63]. zu machen.[3]. Ein leid ein Blut usw. 738 11f. 742 16f.

Cundrîe

Genealogie als Itegrationsmodell

Im Vergleich zu der französischen Vorlage hat Wolfram Cundrîe und ihren Bruder mit Hundeschnauzen, zottigen Gesichtern, Eberzähnen, struppigen Haaren, Bärenohren, Löwenkrallen und einer affenartigen Haut ausgestattet. Sie erscheinen damit wie Fabelwesen und Wisbey führt auf, dass sie damit dem Volk der Hundeköpfigen (Cynokephalen) aus dem Osten entstammen. Damit reiht sich die Figur der Cundrie auf den ersten Blick in den Topos der Häßlichkeit, der im Orient beheimateten Völker, ein und weist sich als somit aus dem Orientstammende Frau aus. [Kolb 1963: 42] Die beiden Geschwister sind Angehörige eines Stammes, der seine signifikanten Missbildungen durch eine Verfehlung zu Zeiten Adams erhalten hat ( 518,1-24). Da Cundrîes Genealogie in einen biblischen Ursprung eingebettet ist, wird offenkundig, dass Wolfram ihre Fremdartigkeit mit christlichen Vorstellungen verbindet. So Inkludiert er sie und ihre Sippe durch eine Einbettung in den göttlichen Schöpfungsplan und den christlichen Horizont. [Salama 2014: 8.]

Original Übersetzung
diu küneginne Secundille,
[…]  

diu het in ir rîche

hart unlougenlîche

von alter dar der liute vil

mit verkêrtem Antlitzes zil:

si truogen vremdiu wilden mâl.

[…] sît daz ir bêde wârt ein blout,



Die Königin Secundille
[…]   

die hatte in ihrem Reich,

das ist gar nicht zu leugnen

seit alten Zeiten viele von den Leuten,

bei denen auf so verkehrte Weise das,

was sonst das Menschenantlitz ist, gebildet war:

Sie trugen wahrlich fremde, wilde Zeichen.


(519, 2-9 )

Ihre Abstammung befähigt sie zu vielen Aufgaben, die niemand in der Gralsgesellschaft sonst übernehmen könnte. Sie spricht alle Sprachen, ist bewandert in Geometrie, Astronomie, Dialektik, Rhetorik und vor allem ihre pharmazeutischen Kenntnisse sind von unschätzbaren Wert für ihre Mitmenschen, vor allem für den siechenden Anfortas. Sein Krankenlager strotzt nur so vor orientalischen Erzeugnissen: pigment und zerbenzînen smac, müzzel bunt arômatâ (789, 25f.), drîakl und amber tiure (789, 29), cardemôm, jeroffel, muscât (790, 2) und zusätzlich ist Anfortas Bett mit viel wundersamen Edelsteinen geschmückt (791, 1-30). Das unsagbare Leid des Gralskönigs kann nicht mit dem herkömmlichen okzidentalen Wissen behandelt werden, deshalb muss eine Verbindung zum sagenumwobenen Orient geschaffen werden, in dem wundersamen Heilmittel, entsprechend der mittelalterlichen Ansichten über den Osten, vorlagen. Die Figur Cundrîe fungiert als verbindendes Element von Westen und Osten, sie vollzieht einen Wissenstransfer der östlichen Kenntnisse in die höfische Welt und betreibt damit eine Inklusion des Orients.[Ridder 2000: 9-19] Dass auch ihr Bruder Malcrêatiure enormes Wissen über die Astronomie inne hat (520, 3), beweist, dass die Gelehrsamkeit nicht nur auf die Figur der Cundrie beschränkt ist sondern dass sie systematisches Merkmal des Ostens ist.

Höfisch-Ritterliches Wertesystem als Integrationsmodell

Die körperliche Konstruktion von Cundrîe beinhaltet aber noch weitere Funktionen. Wolfram korreliert ihre äußere Missbildung mit einer inneren Schönheit und Tugendhaftigkeit und Zerstört so die traditionell westliche Analogie schön -höfisch / häßlich - unhöfisch. Vielmehr kontrastiert er fast schon ironisch ihre Hässlichkeit und ihre tragende Rolle im Prozess der weltumspannenden und systemübergreifenden Versöhnung.[Wisbey 1971: 213] Ähnlich wie bei der Figur von Belacâne wird das höfische Schönheitsideal der Frau gebrochen und durch jene des moralisch gerechtfertigten Seins[Jauß XXXX:168] ersetzt. Wieder rücken Werte wie triuwe (312, 3) und Gelehrsamkeit in den Vordergrund und durchkreuzen so den starren Wahrheitsanspruch der okzidentalen Hässlichkeitsstigmatisierung.

Wolfram nutzt Cundrîes hybride Form noch weiter, um aus ihr eine Figur der Grenzübergänge zu machen. Die Gralsbotin hat innerhalb des Werkes die größte Mobilitätsmöglichkeiten und zeichnet sich durch den damit einhergehenden Zugang zu unterschiedlichen Räumen aus. Sie vermittelt zwischen Orient und Okzident, zwischen Gralsgesellschaft und Artushof und hat auch persönlichen Kontakt zu wichtigen Figuren wie Parzival. Bezeichnenderweise machen gerade ihre orientalischen Wurzeln, als die Grundlage ihrer ehemaligen Exklusions-Identität, sie überhaupt fruchtbar für eine Inklusion in die christliche Welt. Allerdings zeichnet sie sich nicht nur durch eine äußerliche Hybridität aus, sondern viel mehr auch durch eine innere, scheint sie doch in keiner der von Luhmann in seiner Systemtheorie aufgemachten Kategorien von Inklusions- oder Exklusionsindividuum [Luhmann 1989: 158] vollständig zu passen. Sie ist in besonderes starke Weise in alle vorkommenden Räume im epischen Konstrukt eingebunden und hat auch in allen Welten Aufgaben zu erledigen, als Botin oder Heilerin, und vermag sich so in die integrale Gesamtheit einzubinden. Doch sie ist genauso fundamental aus all diesen Räumen ausgeschlossen, kann sie sich doch weder dem Artushof noch der Gralsgesellschaft anschließen oder eine eigene Familie gründen, denn ihre Äußerlichkeit schließt sie aus jeglicher Minnebeziehung aus. Diese soziale oder genealogische Obdachlosigkeit macht ihre Figur allerdings erst fruchtbar für das epische Konstrukt, als grenzüberschreitende[s]' Kommunikationsmedium[Salama 2014: 32] und ihre Körpergestaltung profiliert umso mehr ihre Funktionalität als Gralsbotin, deren Äußerungen und Prophezeiungen besondere Aufmerksamkeit erfordern. [Salama 2014: 11]

Die Annäherung von Orient und Okzident bedarf also solcher hybrider Figuren, die durch ihre Wurzeln in beiden Welten einen Transfer von Wissen, Kultur und Grenzen vorantreiben können. Auch Cundrîe unterliegt, wenn auch in minimierter Weise dem ritterlich-höfischen Wertesystem, treibt sie doch die weltweite Versöhnung maßgeblich voran. ...






Fazit

Die Körper der orientalischen Figuren werden durch sichtbare Zeichen als Fremde im Roman eingeführt. Allerdings werden diese Figuren mit einem höfisch-ritterlichen Kontext überzogen, sodass offenbart wird, dass der höfische Tugendkodex universalgültig ist und die Differenzen zwischen Orient und Okzident verschwimmen lassen kann. Dadurch ergibt sich eine neuer Zugang zum Fremden, der eine Auflösung der Kalokagathia und der Einheit von Innen und Außen und der christlich - heidnisch / gut - böse Dichotomie [Kellner 2009: 27] befürwortet. Entgegen stark stereotypischer vorgezeichneter Figuren werden hier Körper konstruiert, die sich durch ihre individuelle äußerliche Körperphysiognomie und durch ihr traditionsdurchbrechendes grenzüberschreitendes Verhalten auszeichnen. Sie beweisen eine Verschränkung und Wechselwirkung des Einen im Anderen und symbolisieren so die Vernetzung von Orient und Okzident und deren Auflösung ineinander.[Salama 2014 : 33f.] „Dem Orient“ widerfährt hier eine Entzauberung, die zu einer Verbindung zweier Kulturkonzepte unter einer bindenden höfisch-ritterlichen Kultur führt. [Goetz 1967: 7] Die Andersartigkeit des Morgenlandes ist zwar noch nicht vollkommen verschwunden, dient aber nicht mehr als Abgrenzungsmerkmal zum Abendland. vielmehr offenbart die Erzählung Wolframs den Orient „als Verlängerung des Abendlandes.“[Noltze 1995: 117] ' ... malt das Bild einer übereuropäischen, fast überreligiösen, einheitlichen Bedeutung des Rittertums und der höfischen Sitte."[Raucheisen 1997:75]


Anmerkungen

  1. Diese Regel besagt, dass die äußerliche Schönheit von repräsentativer Natur ist und damit über den sozialen oder inneren Status der Figur Ausschluss gibt.[Salama 2014: 3ff.] .
  2. Kellner stellt allerdings fest, dass sich dies Passagen, die sich auf eine Annäherung Belacanes zum Christem einer eindeutigen Interpretation entziehen. Denn Belacane beschließt auf Grund des Briefes von Gahmuret sich zugleich taufen zu lassen. Damit offenbart sich die Taufe für sie nur als Mittel zum Zweck um Gahrmuet an sich zu binden und deckt somit ihre innere Distanz zum Christentum auf. Raucheisen 1997:68] Korrespondiert hier die innere Ferne zum Christentum mit der Bereitschaft zum äußeren Vollzug des Sakraments, so wurde [vorher] die innere Nähe zum Christentum als Pendant zur Taufe inszeniert. Die Episoden um Belacane umkreisen die Problematik von Nähe und Distanz zwischen Heiden und Christen, ohne diese eindeutig zu perspektivieren. [Kellner 2009: 31 f.] .
  3. Da Feirefiz gegen Ende des epischen Konstruktes die Missionierung des Ostens einleitet, stellt sich die Frage ob das genealogische Modell der Integration nur zur Stärkungen der christlichen Dominanz dient. Dieser Eindruck wird durch die Taufe des Feirefiz relativiert, die ähnlich wie bei seiner Mutter nur ein Instrument seines Begehrens ist. (814, 1- 181, 23) In den sichtbaren Zeichen auf seinem Körper bleibt also die Heterogenität des Orient und Okzident erhalten. Dies offenbart dass es Wolfram vielmehr um eine Verknüpfung des Heterogenen geht und nicht um eine Auflösung des Fremden im Eigenen.[Kellner 2009: 35-38]

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences /> [*Goetz 1967] Goetz, Hermann: Der Orient der Kreuzzüge in Wolframs Parzival, in: Archiv für Kulturgeschichte, hrsg. von Herbert Grundmann, Köln & Graz 1967, S. 1-42.

[*Kellner 2009] Kellner, Beate: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolframs von Eschenbach Pazival, in: Ludger Grenzmann u.a. (Hrsg.): Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. I. Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden), Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 4, Berlin New York 2009, S. 23-49.

[*Noltze 1995] Noltze, Holger: bî den dûht in diu wîle lanc – Warum langweilt sich Gahmuret bei den Môren?, in: Dorothee Lindemann u.a. (Hrsg.): bickelwort und wildiu moere. FS für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag, Göppingen 1995, S. 109–119.

[*Peters 1992] Peters, Ursula: Historische Anthropologie und mittelalterliche Literatur. Schwerpunkte einer interdisziplinären Forschungsdiskussion, in: Johannes Janota u.a. (Hrsg.):Festschrift für Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd. 1 Tübingen 1992, S. 63-86.

[*Ridder 2000] Ridder, Klaus: Körperinszenierung und Wiesenkonzepte in höfischen Roman des Mittelalters, in: Mitteilungen des Zentrums für interdisziplinäre Forschungen Bielefeld, Heft 1 (2000), S. 9-19.

[*Salama 2014] Salama, Dina: Formen und Funktionen orientalischer Körper im Parzival Wolfram von Eschenbach, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Bd. 151:1 (2014), S. 1-34.

[*Wisbey 1971] Wisbey, Davis A.: Wunder des Ostens in der 'Wiener Genesis' und in 'Wolframs 'Parzival' , in: L.P Johnson u.a. (Hrsg.): TITEL FEHLT Cambridger Colloquium 1971, Berlin 1974.