Die Symbolik des Grals(Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Funktion und der Symbolik des Grals in Wolframs Parzival. Dabei handelt es sich in der mittelalterlichen Dichtung um einen himmlischen Gegenstand, der in der Lage ist seinem Besitzer irdisches und himmlisches Glück zu verleihen.
Forschungsstand
Seit Anbeginn haben die Versuche den Gral symbolisch oder historisch zu erklären und seine Herkunft und Bedeutung zu ermitteln die Parzival-Forschung geprägt. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschung davon ein wenig distanziert. Bereits die erste ausführliche Analyse aus dem Jahre 1809 befasste sich mit dem heiligen Gral und es wurde, wie überhaupt bis ins 20. Jahrhundert, auf dessen ausschließlich christlich konnotierte Funktion hingewiesen.[Dallapiazza 2009: S. 90.] Hierbei wäre es wichtig zu erwähnen, dass Wolfram sehr stark von der französischen Gralskonzeption beeinflusst wurde; vor allem haben die Quellenuntersuchungen zu dem Ergebnis geführt, dass der Conte du Graal von Chrétien als Vorlage für Wolfram gedient hat. Dennoch gehört die Frage nach dem Ursprung der Gralsage zu den schwierigsten Stoffproblemen der Artusforschung.[Bumke 2004: S. 158 ff.]
Geschichte des Grals
Im Vergleich zum Conte du Graal bei Chrétien hat der Gral bei Wolfram eine Geschichte, aus der sich Aspekte seiner Bedeutung erkennen lassen. Die Geschichte des Grals beginnt am Anfang der Heilsgeschichte, bei den sogenannten Neutralen Engeln, die im Kampf zwischen Gott und Luzifer eine neutrale Position eingenommen haben und von Gott gezwungen wurden, zum Gral niederzufahren (471,15ff.) Der heidische Gelehrte Flegetanis hat später den Namen des Grals in den Sternen gelesen und sein Wissen vom Gral in einer arabischen Schrift niedergeschrieben. Diese Schrift wurde dann von Kyot in Toledo entdeckt und von ihm ins Lateinische übersetzt. So soll Wolfram vom Gral erfahren haben.[Bumke 2004: S. 140f.]
Der Gral bei Wolfram von Eschenbach
In Wolframs Parzival wird der Gral zunächst „ein dinc, daz hiez der Grâl “(235,23)[1] genannt, was Wolfram jedoch im Verlauf des Romans für das Publikum konkretisiert. Es soll sich hierbei um einen Stein handeln, der einem Edelstein gleichzusetzen ist und den Namen Lapsit exillis (469,7) trägt.[Dallapiazza 2009: S.88.] Der Gral wird in einem Tempel (816,15) aufbewahrt und nur bei besonderen Anlässen in feierlicher Prozession gezeigt (807,16ff). Dabei besteht seine Wunderkraft unteranderem darin, dass er Speisen und Getränke in beliebiger Fülle spendet (238,8ff) und dabei alle irdischen Herrlichkeiten übertrifft (235,24). Außerdem verleiht sein Anblick immerwährende Jugendfrische (469,18ff) und derjenige, der ihn erblickt hat, kann in der folgenden Woche nicht sterben (469,14ff). Der Gral ist so schwer, dass ihn „diu falschlîch menscheit“ nicht anzuheben vermag. Er lässt sich nur von einer „kiuschen“ Jungfrau tragen (477,15ff). Außerdem bleibt er bei einer bewussten Suche nach ihm verborgen und kann nur von einem „unwizzende“ gefunden werden (250,26ff). Ferner bleibt er für Heiden unsichtbar (810,3ff; 813,9ff) und der Phönix verbrennt durch seine Kraft und entsteht aus seiner Asche in seiner vorherigen Schönheit (469,8ff). Der Gral besitzt noch weitere Eigenschaften, die seine Verbindung zum Himmel kennzeichnen. So wird ihm seine Kraft von „ein kleine wîze oblât“, die jeden Karfreitag eine weiße Taube vom Himmel bringt und auf einen Stein niederlegt, verliehen (469,29ff). Ebenso faszinierend ist, dass von Zeit zu Zeit eine Schrift auf dem Gral erscheint, die nach dem Lesen wieder entschwindet. Sie offenbart die Namen derjenigen, die zum Gral berufen sind oder teilt dadurch wichtige Nachrichten mit (468,12ff; 470,21ff).[Bumke 1966: S. 62.] Wie bereits erwähnt stammen alle diese Eigenschaften des Grals ausschließlich von Wolfram. Keiner der aufgezählten Punkte lässt sich unverändert auf Chrétiens Gral übertragen.[Bumke 1966: S. 64.ff] Eine differenzierte Betrachtung der Erzähltechnik, die Wolfram hinsichtlich des Grals anwendet findet man in: Erzählen und Erklären des Grals.
Die Symbolik des Grals
Der Vergleich zum Conte du Graal
Vergleicht man Wolframs Darstellung des Grals mit der im Conte du Gaal so wird deutlich, dass Wolfram wesentliche Punkte verändert und mit vielen Details angereichert hat. Chrétien beschreibt den Gral als eine mit Edelsteinen verzierte Goldschale, von der ein übernatürliches Licht ausgeht. Außerdem verbindet Chrétien den Gral mit einer blutenden Lanze. Im Vergleich dazu gehört die Lanze bei Wolfram nicht zum religiösen Symbolkreis des Grals. Sie ist lediglich ein medizinisches Instrument, eine Erinnerung an die Sünden Anfortas beziehungsweise ein Symbol für den ihm auferlegten Schmerz. Die Herauslösung des Grals aus der Verbindung zur Lanze verdeutlicht, worauf es Wolfram in erster Linie ankam. Der Gral steht über der eigentlichen Erzählung und ist in seinem Wesen von ihr unerreichbar. Das ist die Voraussetzung für seine über die Parzivalgeschichte hinausführende Symbolbedeutung. Ebenso dienen ihr offensichtlich die verschiedenen Wunderkräfte, die sich zum Teil in der Handlung nicht bewähren können. Sowohl christliche als auch orientalische und zuletzt märchenhaft-magische Aspekte sind in Wolframs Gralvorstellung zusammengeflossen und ihre Deutung ist bis heute nicht eindeutig geklärt. [Bumke 2004: S. 137f.]
Funktion und Symbolik
Man kann feststellen, dass der Gral für Parzival die Erfüllung seines Lebensweges darstellt. Wenn Parzival zu der Einsicht gelangt, dass er den Gral durch seine Anstrengungen nicht erlangen kann, sondern dass er von der Gnade geleitet werden muss, dann symbolisiert der Gral die göttliche Lenkung. Dabei ist ein weiterer Aspekt zu beachten. Wolfram hat die Tragbarkeit des Grals an die Sündenfreiheit gebunden. So muss Anfortas Krankheit als eine Strafe für die Übertretung der von Gott bestimmten Ordnung gedeutet werden. Als ein Symbol der Demut ist der Gral ein Inbegriff des neuen Wesens Parzivals und seiner Wendung von der Hochmut zur Demut. Mit der Erlangung des Grals wird Parzival in eine neue Gemeinschaft aufgenommen. Das Bild dieser Gemeinschaft ist ein Entwurf einer bis daher nie dagewesenen menschlichen Ordnung. Eine Gesellschaftsutopie, in der das bisherige Ideal des höfischen Rittertums eine neue religiöse Enthüllung erfährt. Man kann darauf schließen, dass Wolframs Gralgemeinschaft zum Teil ein Abbild der zeitgenössischen Ritterorden darstellt. Dabei ist der Dualismus zwischen Welt und Gott in dem utopischen Gralreich im Vergleich zur bestehenden Gralgemeinschaft aufgehoben. Demzufolge ist ritterliches Leben und höfische Form in der Übereinstimmung mit Gottes Willen möglich. Der Gral fungiert dabei als ein sichtbares Zeichen für die Harmonie von Diesseits und Jenseits. Die Bedeutung des Grals beschränkt sich nicht nur auf den christlichen Bereich. Darauf deuten die Kreuzzugselemente im Bilde des Grals. Durch die Taufe und durch die Vermählung Feirefiz' mit der Gralträgerin erschließt sich der Gralbezirk nach Osten hin. Es scheint als wollte sich der Orient mit dem Okzident unter dem Zeichen des Grals sich erneut vereinen. So mündet das Rittermärchen in die christliche Heilsgeschichte. Der Gral wird somit zum Symbol der Endzeit.
Literaturnachweise
- ↑ Alle Textstellen-Angaben aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
<HarvardReferences /> [*Dallapiazza 2009]Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach – Parzival. Berlin, 2009.
[*Bumke 2004]Bumke, Joahim: Wolfram von Eschenbach. Stuttgart, 2004.
[*Bumke 1966]Bumke, Joahim: Wolfram von Eschenbach. Stuttgart, 1966.