Der Literaturexkurs (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Der Literaturexkurs ist einer der vier großen Exkurse in Gottfrieds von Straßburg „Tristan“. Er gilt als die erste kritische Dichterschau in deutscher Sprache und ist deshalb einer der meistdiskutierten Stellen des Romans.[1]

Einordnung in den Handlungsverlauf

Der Literaturexkurs ist der zweite große Exkurs im Tristan. Nachdem Tristan von seinen Entführern in Cornwall ausgesetzt worden war, trifft er im Wald zuerst zwei Pilger und im Anschluss königliche Jäger. Um sich zu schützen gibt er sich als Kaufmann aus stammt aus::Parmenien aus, der sich auf einer Bildungsreise befindet. Durch seine Vorführung, das Wild zu zerlegen, beeindruckt er die Jäger so sehr, dass sie ihn Marke vorstellen. Auch dieser bewundert die Fähigkeiten des jungen „Kaufmanns“ und so wird Tristan bald der Günstling Markes. Währenddessen sucht Rual nach seinem Ziehsohn. Nach dreieinhalb Jahren gelangt er nach Cornwall und hört dort von dem außergewöhnlichen jungen Mann. Auch er gibt sich als Kaufmann aus und gelangt an den Hof Markes. Tristan und Rual finden einander wieder und Rual berichtet Tristan daraufhin, wer er wirklich sei. Marke ist hocherfreut über den neu gefundenen Neffen und man beschließt, Tristan zum Ritter zu schlagen. Tristan ist an dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere angekommen.[Huber 2000: 61] Kurz nach Beginn der Beschreibung der Zeremonien zur Schwertleite setzt Gottfried den Literaturexkurs.

Aufbau und Inhalt

Tomas Tomasek gliedert den Exkurs in zehn Teile.[Tomasek 2007: 141f.] Dagegen betont Mazzadi den Aufbau nach Schema einer lateinischen Sermo und gliedert den Exkurs nach Lob, Darstellung, Tadel, Belehrung.[Mazzadi 2000: 137] Huber wiederum beschreibt den Teil der Dichterschau als Triptychon. [Huber 2000: 61f.]. Der folgende Aufbau richtet sich weitestgehend nach Tomasek.

Aus mout, gout, bescheidenheit und höfschem sin gebildete Kleider (V. 4555-4588)

Gottfried unterbricht die kurz zuvor begonnene Beschreibung der Schwertleite mit einem für die Exkurse in seinem Romans typischen Mittel: Er richtet sein Wort an den Leser und leitet dadurch den Exkurs ein:

Swer mich nu vrâget umbe ir cleit,
und umbe ir cleider rîcheit,,
wie diu zesamene wurden brâht,,
des bin ich kurze bedâht,,
dem sage ich, als daz maere giht.,

Die Kleidung der Ritter und Tristans für die Schwertleite beschreibt Gottfried allegorisch. Sie bestehen aus mout, gout, bescheidenheit und höfschem sin, die zusammen prächtig wirken.

Erster Unfähigkeitstopos (V. 4589-4620)

Nach der Darstellung der Kleider müsste Gottfried nun über die ritterlichen Prunk berichten. Doch dazu fehlen ihm die Worte: Wie gevahe ich nu min sprechen an. Er erklärt, es sei so viel über ritterlichen Prunk geschrieben worden, dass er zetriben (V. 4618) worden ist. Gottfried, der Tradition der lateinischen Rhetorik folgend,[Müller-Kleimann 1990: 8] könne den Beschreibungen nichts mehr hinzufügen, das besser sei und das seinem Bericht einen Gewinn bringen könnte. Mit der Unfähigkeitsbehauptung greift Gottfried ein Mittel auf, welches in der geistigen Dichtung der Zeit geläufig war.[2] Außerdem stellt er damit die Kraft des Wortes infrage, etwa in der deutschen Dichtung und ihrem literarischen Selbstverständnis zu nie zuvor Dagewesenem. [Huber 2000: 61]

Dichterschau

Statt nun die Beschreibung der Schwertlete fortzufahren, beginnt Gottfried mit der berühmten Dichterschau, in der er sein dichterisches Verständnis darlegt, indem er bereits bestehende Dichtung analysiert.[Mazzadi 2000:145]. Die Kritik erfolgt dabei vorsichtig und taktvoll, doch auch mit Ironie.[Wolf 1989: 104] Sie ist, wie zuvor erwähnt, nach dem Schema einer lateinischen Sermo aufebaut.[3]

Lob Hartmanns von Aue (V. 4621-4637)

Als erstes steht das Lob: Hartman der Ouwaere, âhî, wie der diu maere beide ûzen unde innen mit worten und mit sinnen.[4] Hartmans Worte sind lûter und reine (V. 4628), mit seiner Sprache formt er den Sinn seiner Erzählung so gut, dass swer guote rede ze guote und ouch ze rehte kan verstân, der muoz dem Ouwaere lân sîn schapel und sîn lôrzwî.
Hartmann ist als laut Gottfried der Standard des Dichters,[Tomasek 2007: 144]weil er das Ideal der Klarheit erfüllt.[Mazzadi 2000: 145ff.].

Tadel eines Unbekannten (V. 4638-4690)

Dem Lob folgt der Tadel durch eine Darstellung von vindaere wilder maere, der maere wildenaere (V. 4665f.). Die Worte des/der nicht genannten Dichter[s][5] ensîn vil wol getwagen,/sîn rede ensî ebene unde sleht (V. 4660f.). Er ist also nicht fähig, das Ideal der Klarheit zu erfüllen, erkennt aber nicht und macht sich Hoffnung ûf daz lôrschapelekîn (V. 4643). Für die Ausführung seiner Meinung verwendet Gottfried eine sehr bildhafte Sprache, mit der er den Unbekannten anschaulich kritisiert:

[Dichter]die mit den ketenen liegent
und stumpfe sinne triegent,
die golt von swachen sachen
den kinden kunnen machen
und ûz der bühsen giezen
stoubîne mergriezen:
die bernt uns mit dem stocke schate,
niht mit dem grüenem meienblate,
mit zwîgen noch mit esten.
ir schate der tuot den gesten
vil selten in den ougen wol.

Erwähnenswert ist auch der Neogolismus bickelworten (V. 4641), mit dem Gottfried vermutliche den willkürlichen Umgang mit der Sprache kritisiert.[6]

Lob Bliggers von Steinach und Heinrichs von Veldeke (V. 4691-4750)

Dem Tadel folgt durch ein weiteres Lob zweiter Autoren der belehrende Moment.[Mazzadi 2000: 151] Gottfried erläutert anhand Bliggers von Steinach und Heinrichs von Veldeke wie Klarheit seiner Meinung sein sollte. Biligger von Steinach ist ein verwaere (V. 4691). Er benutzt liebelich Worte, er hât den wunsch von worten(V. 4697). Seine Sprache ist so vollkommen und fein, dass Gottfried der Meinung ist, Zauberfeen hätten sie gesponnen. Nach weiteren bildlichen Auschmückungen der Fähigkeiten Billigers,(-V. 4722) etwa dass er Verspaare zusammenfügt als ob si dâ gewahsen sîn (V. 4717) wendet sich Gottfried dem Dichter von Veldeke zu. wol (V. 4728) sang er von der minne, seine wîsheit (V. 4730) nam er vom Quell des Pegasus. Heinrichs von Veldeke Verdienst, war es jedoch, als erster auf Deutsch dichten: er inpfete daz erste rîs/in tiutischer zungen(V. 4738f.) und ist für die erste Blüte und für die Ausbreitung der Dichtung.

Lob Reinmars von Hagenau und Walthers von der Vogelweide (V. 4751-4820

Nach der Epik wendet sich Gottfried der Lyrik zu. Er beginnt mit einem unbestimmten Lob aller Lyriker (V. 4751-4786) bevor er sich Reinmar von Hagenau widmet.Wâ sî der sô vil naeme/wannen ir daz wunder kaeme/sô maneger wandelunge (V. 4787 - 4789.) fragt Gottfried und vergleicht Reinmar mit Orpheus (V. 4790ff.). Für den Nachfolger Reinmars, Walther von der Vogelweide, sind die folgenden Verse bestimmt. Gottfried preist seine Kunst, Meldodie und Fähigkeit den Gesang zu variieren (V. 4793-4808). Am Ende des Abschnitts wünscht sich der Autor, die Minnesäger mögen ihre Trauer und Klage in Freude verwandeln und daz geschehe bî mînen tagen!(V. 4809-4820).

Zweiter Unfähigkeitstopos (V. 4821-4858)

Gottfried beendet die Dichterschau mit der Aussage, er habe gebildeten Menschen nun genug vom Können ausgezeichneter Menschen erzählt (V. 4821ff.) und erklärt dann, dass es ihm angesichts der manegen schône redenden (V. 4841) die Sprache verschlagen habe und er deshalb weiter nicht von der Schwertleite Tristans berichten könne. Die ironischen Andeutungen hält Glauch für einen Ausdruck des tatsächlichen Dilemmas Gottfrieds. [Glauch 2003: 157]. Kern dagegen deutet sie als eine innovatorische Strategie, die als Zwischensegment im Literaturexkurs den Anlass für den folgenden Musenanruf bietet.[Kern 2000: 23]

Anruf der Musen (V. 4859-4907)

Er wolle etwas tun, beginnt Gottfried den nächsten Abschnitt, deiswâr daz ich nich nie getete (V. 4860).[7] Voller Anspielungen auf die antike Mythologie sendet Gottfried mit kunstvoller Sprache[Tomasek 2007: 149] ein Gebet zum Helikon an Apollo und die Musen. Er bittet sie, ihm die Kraft zu geben seine Arbeit nach den in der Dichterschau definierten Kriterien der Durchsichtigkeit und Liebe fortführend zu können. Außerdem wünscht er sich seine Sprache in der Erzählung so anwenden zu können, dass der Sinn auf den Leser wirkt.

Über den Musenanruf wurde viel und ausführlich diskutiert. Einen Überblick bieten etwa [Krohn 2008: 108] und [Mazzadi 2000:156 Anm. 69].

Keine üblichen Beschreibungsklischees im Falle einer Inspiration und Rückkehr zum Ausgangspunkt(V. 4908-4974)

Bevor Gottfried nun zur eigentlichen Handlung zurückkehrt, beschreibt er hypothetisch den Weg den er gehen würde, wenn er alle Gaben bekommen würde, um die er gebeten hatte. Es folgt eine Abkehr Gottfried von der Beschreibungstechnik, die sich an der Imitatio der Antike und an Heinrich von Veldeke orientiert. Hypothetisch erwägt Gottfried in den weiteren Versen die Möglichkeit, Tristan in der Nachfolge Heinrichs von Veldeke und Vergils als konventionellen Ritter anzukleiden- und verwirft dann diese Version. Um Tristan „tristanhaft“ [Wolf 1989: 111] zu schildern, ist neue Kunst nötig, über welche eben Gottfreid verfügt. [8]

Der Literaturexkurs und der Prolog

Der Literaturexkurs ist in vielerlei Hinsicht mit dem Prolog verknüpft. Beide weisen ein besondere persönliche Tonlage, kunsttheoretische Inhalte sowie eine Loslösung vom Handlungsstrang auf.[Peifer 1971: 117]Außerdem sind Prolog und Literaturexkurs die einzigen Stellen im Roman, an denen der Gottfried in "die Handlung [nicht nur] als kommentierender Erzähler, sondern in seiner Eigenschaft als Autor"[Peifer 1971: 117] eingreift. Alois Wolf sieht in ihm die programmatischen Fortsetzung von Maximen des Prologs [Wolf 1989: 100ff.], Andere sprechen von einem "zweiten Prolog"[9] Nachdem Gottfried im Prolog theoretische Überlegungen zu der Frage, was gute Dichtung allgemein uns insbesondere für ihn ausmache, angestellt hat, geht er nun im zur Praxis über und untersucht, inweit reale Werke von Zeitgenossen seinen Ideal-Vorstellungen entsprechen. " [...] [D]ie Reflexion [verschiebt] sich hier [...] vom Feld der Rezeption auf das der Produktion."[Huber 2000:61] Wie im Prolog spricht Gottfried außerdem sein Publikum als edele herzen an.(V. 4682, 4769)


Anmerkungen

  1. Vgl.: dazu[Tomasek 2007: 140]. Einen guten Überblick biete auch [Wolf 1989: 92 Anm. 29]
  2. Vgl. dazu die Ausführungen bei [Fromm 1967: 337]
  3. Zu Merkmalen in der lateinischen Rhetorik vgl.: [Lausberg 1973]
  4. Zur Problematik der Übersetzung des Wortes siehe etwa [Hahn 1973: 425ff.] und ,[Müller-Kleimann 1990: 25f]
  5. Ein Großteil der Forscher ist davon ausgegangen, dass Gottfried hier Wolfram von Eschenbach meint. Gegen diese Annahme spricht u.a. die eben zitierte Stelle, die im Plural steht. Einen Überblick über die immer noch nicht geklärte Frage, "Wolfram von Eschenbach oder nicht?" bietet [Tomasek 2007: 145f.]
  6. Vgl. dazu etwa [*Nellmann: 1994]
  7. Gottfried hat hier untertrieben. Laut Krohn ist diese Musenanrufung die Einzige der deutschen Literatur des Mittelalters.[Kern 2000: 23]
  8. Vgl. dazu die weiteren Ausführungen bei Wolf
  9. Vgl. etwa: [Tomasek 2007: 140]

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Fromm 1967]Fromm, Hans: Tristans Schwertleite, in: DVjs 41 (1967), S. 333-350.
  • [*Glauch 2003]Glauch, Sonja: Inszenierungen der Unsagbarkeit. Rethorik und Reflexion im höfischen Roman, in: ZfdA (2003), S. 148-176.
  • [*Hahn 1973] Hahn, Ingrid: Zu Gottfrieds von Straßburg Literaturschau, in: Gottfried von Strassburg, hg. von Alois Wolf. Darmstadt 1973 (Wege der Forschung 320), S. 147 -181.
  • [*Huber 2000] Huber, Christoph: Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde, Eine Einführung, Berlin 2000.
  • [*Kern 2000] Kern, Peter: Isolde, Helena und die Sirenen. Gottfried von Straßburg als Mythograph, in: Oxford German Studies 29 (2000), S. 1-30.
  • [*Krohn 2008] Krohn, Rüdiger: Kommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan, Band 3, Stuttgart 2008.
  • [*Lausberg 1973] Lausberg, Heinrich: Handbuch der literatischen Rethorik, Eine Grundlegung der Literaturwisschenschaft, München 1973.
  • [*Nellmann: 1994] Nellmann, Eberhard: Dichtung ein Würfelspiel?, Zu 'Parzival' 2,13 und 'Tristan' 4639, in: ZDA 123, 4 (1994), S. 458-66.
  • [*Mazzadi 2000] Mazzadi, Patrizia: Autorreflexion zur Rezeption: Prolog und Exkurse in Goffrieds “Tristan“, Trieste 2000 (Quaderni di Hesperides. Serie Saggi 2).
  • [*Müller-Kleimann 1990] Müller-Kleimann, Sigrid: Gottfrieds Urteil über den zeitgenössischen deutschen Roman. Ein Kommentar zu den Tristanversen 4619-4748, Stuttgart 1990 (Helfant Studien 6).
  • [*Peifer 1971] Peifer, Lore: Zur Funktion der Exkurse im 'Tristan' Gottfrieds' von Straßburg, Göppingen 1973 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 31).
  • [*Tomasek 2007] Tomasek, Thomas: Gottfried von Straßburg, Stuttgart 2007.
  • [*Wolf 1989] Wolf, Alois: Gottfried von Strassburg und die Mythe von Tristan und Isolde, Darmstadt 1989.