Der Minne-Diskurs (Reinhart Fuchs)
Minne-Diskurs im Reinhart Fuchs, Beziehung zwischen Reinhart und Hersant. Hinführung/ Kontextualisierung Textstellen. Übersetzungen.
Analysekriterien:
- Spezifikum der Fabel: menschlich-tierisch, in diesem Fall besonders bezogen auf die Repräsentation von Begehren: 'sittlich'/höfisch/katholisch-'animalisch', Minne-Diskurs im Reinhart Fuchs ein Aushandeln dessen?
- Markierung von Geschlechtlichkeit
- Historische Realität der Minne-Beziehungen?
Markierung der Weiblichkeit Hersants vs. geschlechtliche Indifferenz
- Im Gegensatz zu vielen anderen Tierfiguren, wie etwa der Meise [Link] wird Hersants Weiblichkeit stark markiert: Ehe (und damit einhergehende Zweitnennung nach Isengrin), Minnesang durch Reinhart, spätere Vergewaltigung und 'Entehrung'
- Verweis auf höfische Geschlechterbeziehungen: Hersant ist eine hohe Dame und Beraterin von Isengrin, Mitregentin
- aber auch radikale, sprachliche Egalisierung: Sowohl Erzählstimme als auch Reinhart sprechen sie nicht geschlechtlich markiert ("gevaterin") an (Herschaftsfähigkeit)
- bei Wölfen und Füchsen Geschlecht nicht so leicht am Körper abzulesen wie bei Hühnern [Link?] -> Szene Spiegelbilder im Brunnen. Darstellung der Geschlechterunterschiede als imaginiert und nur 'im Kopf existent', wenn sich die Männer im Spiegelbild mit ihren Frauen verwechseln?
Reinharts Werben um die Wölfin Hersant
- Minne-Funktion: Ausdruck eines nicht sexuell konnotierten Wohlwollens, sogar Beklagen der Unmöglichkeit des Geschlechtsverkehrs
- eigentlich spricht Minnesänger auch den Part der Frau, lässt auch bei Ablehnung nicht nach
- Reinhart behält Rolle des Minnesängers bei, "rüde Zurückweisung Hersants" reduziert auf das Sexuelle --> Herabsetzung Wölfe als animalisch-primitiv (Widerspruch zu adeliger Stilisierung der Wolfsehe! Vorwegnahme der Vergewaltigung?)
- Einvernehmlichkeit Isengrins
- keine spracliche geschlechtliche Markierung Hersants durch Reinhart
- Isengrin als Gegenbild zu Reinhart: glaubt wirklich an katholische Ideale (Glaube an Hersants Treue in Verletzung), Reinhart nur zur Täuschung, Opportunismus
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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,got gebe evch, herre, gvten tac. | "Herr, Gott soll Euch einen guten Tag schenken. |
swaz ir gebietet vnde ich mac | Was auch immer Ihr befehlt und womit |
evch gedinen vnde der vrowen min, | ich Euch und meiner Herrin dienen kann. |
des svlt ir beide gewis sin. | Dessen könnt Ihr beide Euch sicher sein. |
ich bin dvrch warnen her zv ev kvmen, | Ich bin hierhergekommen, um Euch zu warnen, |
wan ich han wol vernumen, | als ich erfahren habe, |
daz evdt hazzet manic man. | dass viele Menschen Euch hassen |
wolt ir mich zv gesellen han? | Wollt Ihr mich als Partner haben? |
(V. 389-393)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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sin wip nam er bi der hant | Seine Frau nahm er [Isengrin] an der Hand |
vnde bevalch si Reinharte sere | und übergab sie inständig Reinhart |
an sine trewe vnde an sine ere. | (und) dessen Treuepflicht und dessen Tugend. |
Reinhart warb umb di gevatterin sin. | Reinhart warb um seine Gevatterin/Freundin. |
do hat aber er Ysengrin | Nun hatte aber Isengrin |
einen vbelen kamerere. | einen bösen Kammerdiener. |
hi hebent sich vremde mere | Jetzt kommen die merkwürdigen Geschichten auf |
Reinhart sprach zv der vrowen: | Reinhart sagte zu der hohen Dame: |
'gevatere, mochtet ir beschowen | 'Gevatterin, bitte seht |
grozen kvmmer, den ich trage: | den großen Kummer, den ich trage: |
von eweren minnen, daz ist min elage, | Von dem Minnedienst an Ihnen, der mein Bestreben ist, [?] |
bin ich harte sere wunt.' | leide ich sehr stark.' |
'Tv zv, Reinhart, dinen mvnt!' | 'Mach zu, Reinhart, deinen Mund!' |
sprach er Ysengrinis wip, | sprach Isengrins Frau, |
'min herre hat so schonen lip, | Mein Mann hat einen so schönen Körper, |
daz ich wol frvndes schal enpern. | dass ich gewiss auf einen Geliebten verzichten kann. [?] |
(V. 416-431)
Vergewaltigung Hersants
- Schlüsselszene Vergewaltigung: Parodie der Minne? Unmöglichkeit der Abwesenheit (männlich-dominanter) Sexualität? Tatsächliche Intime Verhältnisse zwischen 'Hoher Dame' und Minnesänger in historischer Realität? (Aber Reinhart entspricht nicht normativem Bild von Maskulinität und körperlicher Stärke, ist Hersant körperlich unterlegen, überlistet sie)
-> Ausdruck eines Zusammenbruchs einer Ordnung? (Satire ja auch beispielsweise an Klosterleben/Justiz angewandt)
- Definitive Markierung Weiblichkeit auf Inhaltsebene
- Vorangegangene Kastration Isengrins: ebenfalls geschlechtliche Markierung, Selbstverschuldung durch Naivität des Wolfes. Humor in Bezug auch auf Isengrins 'Seeligkeit' -> Mönche glauben, er sei einer von ihnen, Vergleich mit Beschneidung. Schwarzer Humor auch in Bezug auf adeliges Eheverhältnis: Jammer Hersants über Kastration ihres Mannes richtet sich gegen sie selbst? (Animalismus, Sexualität, s. o.: Tendenz zu Primitivität)
- Aufbrechen der Trennung Ehe und Minne
[- Im Text mehrmals nur angedeutetes Eingehen auf Fuchsfrau, Erkennen im Brunnen, tiefe Verbundenheit - hier Ideal der Trennung Minne-Ehe umgesetzt? Humor: Reinhart springt nur nach sich selbst, Narzissmus, Egoismus, "männliches Phantasma der selbstreferentiellen Inkorporation des Weiblichen", Eignung Fabel gegen Homosexualitätsverdacht]
Literaturverzeichnis
- Schilling, M. (1989). Vulpekuläre Narrativik. Beobachtungen zum Erzählen im 'Reinhart Fuchs'. Zeitschrift Für Deutsches Altertum Und Deutsche Literatur, 118(2), 108-122. Retrieved May 20, 2020, from www.jstor.org/stable/20657904
- Schul, Böth, Mecklenburg: "Abenteuerliche Überkreuzungen : Vormoderne intersektional." (2017)