Der Minne-Diskurs (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel stellt den Minne-Diskurs in dem Tierepos Reinhart Fuchs kritisch dar. Besonders wird die Beziehung zwischen Isengrin und Hersant analysiert und beobachtet, wie diese zur Notzucht der Wölfin führt. Außerdem wird die Brunnenszene dargestellt, in der der traditionelle Minnesang parodiert wird.

Sozio-kulturelle Kontextualisierung der "Minne"

Dem zentralen Begriff der Minne kommt im Mittelhochdeutschen eine ganze Bandbreite von Bedeutungen zu. Das Wort "Minne" fand in Verben, in Adjektiven und etlichen substantivischen Komposita seine Anwendung. So konnte man "minnen", konnte "minne-lich" oder gar ein "minne-diep" sein. "Minne" kann die unterschiedlichsten Alternativen einer generellen "Liebe" sein. Das Bedeutungsspektrum reicht von Beschreibungen über Liebes-Werben bis hin zum eigentlichen Liebes-Akt mit allerlei handfesten sexuellen Handlungen. Dieses überaus pluralistische Bedeutungsspektrum hat zur Folge, dass diese Wortfamilie in den unterschiedlichsten Kontexten des alltäglichen Lebens angewandt wurde. Die höfische Minne ist als ritterlich-adelige Liebeslyrik Ausdruck eines meist nicht sexuell konnotierten Wohlwollens eines (ritterlichen) Minnesängers gegenüber einer höfischen, hochgestellten Frau. Weiter gibt es auch Kontexte, in denen der Werbende explizit um eine Belohnung in Form von sexuellen Handlungen bemüht war. Der Minnesang, zu dem die 'Hohe Minne' gehört, ursprünglich aus Frankreich, entstand ab Mitte des 12. Jahrhunderts und wurde Teil einer europaweiten Hofkultur.

'Die Hohe Minne'

Trotz ausschweifender Verehrung der Dame beklagen die Texte der öffentlichen Vortragskunst in typisierten Mustern ohne subjektiven Ausdruck die Unmöglichkeit einer tatsächlichen sexuellen Vereinigung. Der Ausdruck der Anziehung ist im Rahmen der Vasallität Teil des Dienstes an den Herrschenden und der kulturell fokussierten Triebbeherrschung, die Teil der Codizes der höfischen Klasse waren. Diese dienen, ähnlich der "kultivierten Gewalt", der Kommunikation und Selbstvergewisserung zwischen Gleichgesinnten. [Dietl 2009:42f] Während die Themen Intimität, Liebe und Begehren reflektiert und verhandelt werden, soll die Beharrlichkeit des Sängers nach andauernder Zurückweisung durch die Hofdame dessen Wert steigern (Minneparadox). Die kontinuierliche Arbeit an der Kunst des Werbens galt demnach als Tugend, die den Charakter des Minnesängers formt und auszeichnet.

Der Minne-Diskurs im Tierepos Reinhart Fuchs referiert auf diese Tradition, weicht jedoch mit kritischem Blick von ihr ab. Das zeigt sich auf den Ebenen des Handlungsverlaufs und der Sympathielenkung und wird zudem durch die Tatsache verstärkt, dass es sich bei den Figuren um Tiere handelt. Der Minnedienst des Fuchses an der adeligen Wölfin Hersant ist der Beginn einer weiteren List Reinharts: der Vergewaltigung dieser und der damit einhergehenden Demütigung Isengrins. Damit veranschaulicht der Minne-Diskurs im Reinhart Fuchs beispielhaft die zeitgenössische Ständekritik und Satire der christlich-höfischen Liebes- und Sexualmoral Heinrich des Glîchezâres.

Die Legitimation der Minne in der Brunnenepisode

Die Frau des Reinhart Fuchs tritt nie in Erscheinung, folglich bleibt dem Rezipienten vorenthalten, ob diese existiert. Sie tritt in der Handlung an keiner Stelle persönlich auf, sondern wird nur in wenigen Szenen erwähnt (RF, V. 839; 1754). Beispielsweise fordert der Eber von Reinhart Fuchs eine Strafe vor dem Hoftag: „ich verteile im ere vnde gvt / vnde zv echte sinen lip / vnde zv einer witwen sin wip / vnde ze weisin div kint sin.“ (RF, V. 1752-1755). Die Beziehung zwischen Reinhart Fuchs und seiner Gattin wird lediglich in der Brunnenepisode sichtbar. Hierbei sieht Mecklenburg eine klare Abgrenzung von Ehe und Minne, die durch den literarischen Diskurs konstruiert wird [Mecklenburg 2017: 97]. Die Komik und Satire des Reinhart Fuchs wird durch die Brunnenaventiure unterstrichen. In dieser Szene blickt Reinhart in einen Brunnen und meint, seine Frau zu sehen. Auch Kurt Ruh schreibt dem Reinhart Fuchs „Erkenntnistrübungen“ zu, die durch die Minne ausgelöst werden [Ruh 1980:21]. Es bleibt jedoch nicht bei dem bloßen Blick in den Brunnen, Reinhart geht einen Schritt weiter und springt in ihn hinein: „durch starke minne tet er daz / dô wurden im die ôren naz“ (RF, V. 849 f.). Durch das bloße Erblicken des Spiegelbildes seiner Frau wird die „stärkere emotionale Bindung“ [Mecklenburg 2017: 97] zu jener verdeutlicht. Die starke Hoffnung auf die Vereinigung mit seiner Ehefrau entfacht in Reinhart Fuchs eine emotionale Lust, eins mit der Ehefrau zu sein. Durch diese ausgeprägte emotionale Reaktion überwiegen in ihm die tierischen Triebe gegenüber der Vernunft. Diese Situation ähnelt einer emotionalen Überflutung, die dem menschlichen Erfahren von Emotionen gleicht, denn Menschen werden in ihrem Handeln ebenfalls von Emotionen geleitet und gesteuert. Der Vers: „div was ime lieb alsam der lib,“ (RF, V. 840) verweist auf die geteilte Liebe für sich, als auch auf seine Ehefrau. Jedoch gesteht sich Reinhart nicht die vollkommene Liebe für seine Frau ein, die folgenden Verse dienen ihm als Legitimation dieser Ansicht: „wan daz er sih doh niht wollte unthaben, / ern mvoste frivundinne haben, / wande minne git hohen muot; / davon duhte si in guot (RF, V. 841 – 844). Mecklenburg stellt fest, dass der Sprung in den Brunnen „durch den Wunsch nach Nähe zur geliebten Frau“ motiviert ist [Mecklenburg 2017: 98]. Laut Mecklenburg gebe es keine „auf die vorhergehende oder nachfolgende Handlung bezogene Motivation“ [Mecklenburg 2017: 98]. Merkwürdig erscheint, dass Reinhart sich mit sich selbst verbindet, obwohl „die Verbindung mit dem Gegengeschlechtlichen“ zunächst im Vordergrund steht [Mecklenburg 2017: 98]. Es bleibt offen, ob Reinhart wegen sich selbst oder seiner Frau den Sprung in den Brunnen wagt. Diese Vorstellung von der „selbstreferentiellen Inkorporation des Weiblichen“ [Mecklenburg 2017: 98] ist nach Mecklenburg nur dadurch möglich, da die Protagonisten durch Tiere dargestellt werden [Mecklenburg 2017: 98]. Dies würde sonst in einem „Konflikt mit der für das Mittelalter normativen Intersektion von ›Geschlecht‹ und ›Sexualität‹ und so unter einen Homosexualitätsverdacht geraten“ [Mecklenburg 2017: 98]. Kühnel sieht die Brunnenszene jedoch als eine narzisstische Episode, in der Reinhart von seinem eigenen Minnesang eingefangen wird (Vgl. [Kühnel 1995: 53]). „The real love of the poet's life is not the absent lady in the poem, but the poem itself and the poet” [Kühnel 1995: 54]. Dieses Zitat verdeutlicht die Liebe von Reinhart Fuchs zum Minnesang, der nicht die abwesende Dame, sondern das Dichten sowie den Dichter selbst in den Mittelpunkt stellt. Gleichzeitig stellt Kühnel fest, dass der Dichter das einzige Objekt ist, welches die Hingabe des Dichters verdient [Kühnel 1995: 54].

Reinhart reflektiert sein irrtümliches Handeln jedoch nicht und gibt sich der Situation hin [Mecklenburg 2017: 98]: „in dem bvrnen er lange swam, / vf einen stein er do qvam, / da leit er vf daz hovbet. / swer des niht gelovbet, / der sol drvmme niht geben. / Reinhart wande sin leben / weizgot da versprungen han (RF, V. 851 – 857). Hierbei lässt sich nur erahnen, wie lange Reinhart in dem Brunnen bleibt und woran er in dieser Zeit denkt. Sei es an die Liebe zu seiner Frau oder pragmatisch gesehen, einen Ausweg aus dem Brunnen zu suchen. Um den Gedanken von Mecklenburg zu folgen, wird die Geschlechterdifferenz aufgelöst und lediglich in „der eigenen Imagination“ [Mecklenburg 2017: 98] aufrechterhalten. Zur weiteren Analyse des Reinhart Fuchs wird auf die Figurencharakteristik verwiesen.

Inhalt der moralischen Demontage Isengrins

Reinhart und Isengrin schließen einen Gesellenbund, der den Plan Reinharts unterstützt, die Wölfin Hersant anzuwerben. Auf der Nahrungssuche erspäht Reinhart einen Bauern, der einen Schinken auf dem Rücken trägt. Der gerissene Reinhart spielt dem Bauern vor, gelähmt zu sein. Er versucht ihn so von dem Schinken wegzulocken. Nachdem Reinhart die Wolfsfamilie wiederfindet, erfährt er, dass Isengrin den Schinken allein verspeist hat und er als Mittel zum Zweck ausgenutzt wurde.

Die Wolfsfamilie als adelige Familie

Die Lebensformen des mittelalterlichen Adels werden auf die Wolfsfamilie übertragen. Im Text deuten darauf in der Episode der Begegnung des Fuchses mit der Familie (RF, V. 385)[1] folgende Anhaltspunkte:

  • Als Anrede für Isengrin verwendet Reinhart den Titel "herre" (RF, V. 389). Dieser unterscheidet sich von den Familienbezeichnungen, mit denen der Fuchs alle vorangegangenen Tiere angesprochen hat. Beispiele hierfür sind etwa "neve" (RF, V. 315) für den Kater oder "gevater" (RF, V. 178) für die Meise. Auch Hersant spricht Reinhart mit ihrem Adelstitel "vrowen" (RF, V. 391) an, der 'hohe Dame' bedeutet und in der Zweitnennung die Ehe zwischen den beiden Wölfen schließen lässt.
  • Reinhart bietet sich als "geselle[]" (RF, V. 396) an, er gibt an, der Familie dienen zu wollen. (RF, V. 390-393)
  • Nach dem Angebot zieht sich die Wolfsfamilie zurück und bespricht sich. Isengrin lässt sich von seiner Frau, die als Mitregentin ein Entscheidungsrecht hat, beraten. (RF, V 402-403)
  • Wie oben bereits erwähnt, markiert der Minnesang (RF, V. 409) die höfische Standeszugehörigkeit der Familie.
  • Ein zusätzlicher Hinweis auf den adeligen Stand der Familie ist die Jagd, zu der Isengrin mit seinen Söhnen aufbricht (RF, V. 414f.). Sie gilt als privilegierte Freizeitbeschäftigung im Mittelalter, ist im Fall der Wölfe jedoch überlebensnotwendig. (RF, V. 443f.)


Nach Reinharts vorangegangenen "Fehlaventiuren" [Ruh 1980:18], schließt er mit Isengrin einvernehmlich einen Gesellenvertrag ab und macht sich damit zum Diener und Mitglied der Familie. Der Herr Wolf übergibt ihm feierlich seine Ehefrau und macht sich auf die Jagd. Dabei werden Reinharts schlechte Absichten bereits vom Erzähler antizipiert:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
sin wip nam er bi der hant Seine Frau nahm er [Isengrin] an der Hand
vnde bevalch si Reinharte sere und übergab sie feierlich Reinhart
an sine trewe vnde an sine ere. (und) dessen Treuepflicht und dessen Tugend.
Reinhart warb vmb di gevatern sin. Reinhart warb um seine Gevatterin.
do hat aber er Ysengrin Nun hatte aber Isengrin
einen vbelen kamerere. einen bösen Kammerdiener.
hi hebent sich vremde mere. Von hier an kamen merkwürdige Geschichten auf.

Reinhart Fuchs, V. 416-422

Reinharts Minnesang

Die Formulierungen aus Reinharts Minne-Diskurs sind vom deutschen Nachdichter des 'Roman de Renard' übernommen [Ruh 1980:15]:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Reinhart sprach zv der vrowen: Reinhart sagte zu der hohen Dame:
'gevatere, mochtet ir beschowen 'Gevatterin, bitte seht
grozen kvmmer, den ich trage: den großen Kummer, den ich trage:
von eweren minnen, daz ist min clage, Wegen dem Minnedienst an Ihnen, das ist meine Klage,
bin ich harte sere wunt.' leide ich sehr stark.'

Reinhart Fuchs, V. 423-427

Hersants Zurückweisung

Als Reaktion erhält Reinhart von Hersant jedoch eine grobe Zurückweisung, die gegen die Tradition der höfischen Minne verstößt:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
'Tv zv, Reinhart, dinen mvnt!' 'Mach zu, Reinhart, deinen Mund!'
sprach er Ysengrinis wip, sprach Isengrins Frau,
'min herre hat so schonen lip, 'Mein Mann hat einen so schönen Körper,
daz ich wol frvndes schal enpern. dass ich bestimmt auf einen Geliebten verzichten kann.

Reinhart Fuchs, V. 416-431

Fortsetzung von Reinharts Minnesang

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Reinhart aber sprach: Reinhart entgegnete:
,vrowe, ich so! dir liber sin, "Dame, ich müßte dir eher zusagen-
wer ez an den seiden min, ginge mir das Glück in Erfüllung-
zdanne ein kvnic, der sine sinne als ein König, der
bewant hat an dirre minne Eure Liebe suchte
vnde ivch zv vnwerde wolde han.' und Euch doch nur auf unwürdige Weise besitzen wollte."

Reinhart Fuchs, V. 434-439

Nach den Regeln der 'Hohen Minne' beklagt Reinhart die Unmöglichkeit der "minne" (RF, V. 448) zwischen ihm und der Wölfin, wobei er auf die Ständeordnung verweist. Als Isengrin von der Jagd zurückkehrt, verhält sich Reinhart, als wäre nichts geschehen (RF, V. 428-431). Die Erzählinstanz bezeichnet ihn dabei ironisierend als "hobischere" (RF, V. 441). Der Begriff - ursprünglich wertneutral oder positiv verwendet für Männer, die Frauen hofieren - wird im Reinhart Fuchs erstmals negativ konnotiert [Erlei 2010:353f.].

Die problematische Beziehung zwischen Isengrin und Hersant

Zweifellos muss auch die Beziehung zwischen Isengrin und Hersant näher betrachtet werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Rolle des Reinhart Fuchs in der Beziehung ebenfalls wird. Relativ zu Beginn des Textes, schlägt Reinhart Fuchs dem Wolf Isengrin ein Gemeinschaftsverhältnis vor, welches die Klugheit des Fuchses und die Kraft des Wolfes miteinander vereint (RF, V. 389 - 401). Der Erzähler offenbart bereits wenige Verse später, dass Reinhart die Liebe zur Wölfin Hersant und den Minnedienst an ihr verfolgt (RF, V. 407 – 409). Die Wölfin Hersant wird durch eine „Entscheidungssituation“ in die Gesamtheit des Textes eingeführt [Mecklenburg 2017: 92]: „do giene Isengrim sidt spredten / mit sinem wibe vnde mit sinen svnen zwein“ (RF, V. 402 f.). Hiermit erscheint die Konstellation der Wolfsfamilie auf einer gleichberechtigten Basis zwischen Isengrin, Hersant und den beiden Söhnen zu beruhen. Formal gesehen, wird Reinhart Fuchs zu einem Mitglied der Familie, durch den Begriff gevater [Mecklenburg 2017: 93], der im Neuhochdeutschen mit den Begrifflichkeiten, „Gevatter, Nachbar, Freund“ übersetzt wird. Diesem Begriff wird eine Doppeldeutung zugeschrieben, der einerseits die Freundschaft zwischen Reinhart und Isengrin beschreibt sowie die Partnerschaft zwischen Reinhart und den beiden Söhnen [Mecklenburg 2017: 93]. Dadurch dass Reinhart später Hersant als dessen gevateren (RF, V. 1203) bezeichnet, wird „ein Näheverhältnis etabliert“ [Mecklenburg 2017: 93]. Dieses Verhältnis gleicht einer „Form des nicht sexuell konnotierten Wohlwollens“ [Mecklenburg 2017: 93]. Dadurch geht die Nähebeziehung zu Hersant von Isengrin aus und nicht von Reinhart Fuchs, der lediglich eine Art Bündnis zwischen den beiden Männern aufbauen will [Mecklenburg 2017: 93]. Im Bezug auf die Geschlechtsidentität der Wölfin, kann durch ihre „machtbezogene Positionierung im Außenverhältnis eine geschlechtsindifferente Herrschaftsfähigkeit zugesprochen werden“ [Mecklenburg 2017: 93]. Das Konzept des Minnesangs beruht auf den „entscheidenden Zuschreibungen des männlichen Adels von Begehren und Machtausübung“ [Mecklenburg 2017: 94], diese werden im Reinhart Fuchs jedoch in ihr „Gegenteil verkehrt“ [Mecklenburg 2017: 94]. Laut Mecklenburg heißt es, dass

"der Werbende […] der Umworbenen freiwillig die Macht zur Annahme oder Ablehnung des nur verbal artikulierten männlichen Begehrens zu[weist] und verzichtet im Falle der Ablehnung sowohl auf die gewaltsame Durchsetzung seines Begehrens als auch auf eine emotionale Abwendung von der Umworbenen" [Mecklenburg 2017: 94].

Mecklenburg verdeutlicht, dass Hersant die Werbung von Reinhart nicht ablehnt (RF, V. 424 – 427), weil sie „ihr gesellschaftliches Ansehen verlieren würde“ [Mecklenburg 2017: 94], sondern verweist auf ein „adliges Männlichkeitsideal“ [Mecklenburg 2017: 94], das von körperlicher Überlegenheit markiert ist: „min herre hat so schonen lip, / daz ich wol frvndes schal enpern. / wold aber ich deheines gern, / so werest dv mir doch zv shwach“ (RF, V. 430–433). Laut Sharon Robertson reagiert Hersant jedoch nicht nach dem traditionellen Weg des Minnesangs (Vgl. [Robertson 1987: 396]). Reinhart spricht in seiner Minnerede (RF, V. 423 – 427) von „Trauer und Schmerz, die durch die unerfüllte Liebe ausgelöst werden“ [Kühnel 1995: 44]. Reinhart gibt nach der ersten Absage nicht auf und versucht weiterhin Hersant anzuwerben (RF, V. 434 – 439). In diesen Versen parodiert Reinhart die niederen Triebe eines Königs, obwohl er selbst jene Triebe erfüllen möchte (Vgl. [Kühnel 1995: 45]). Weiterhin versteckt er seine eigene Lust, indem er der Dame verspricht, dass sie durch seine Liebe Erfüllung erfährt (Vgl. [Kühnel 1995: 45]). Dadurch, dass Hersant auf die Werbung von Reinhart reagiert (RF, V. 428), tritt sie aus der typischen Rolle der umworbenen Dame heraus, die normalerweise eine „stille, passive Dame“ darstellt (Vgl. [Kühnel 1995: 45]).

Das Männlichkeitsideal wird kurz darauf von Isengrin gebrochen, da er ohne Beute von einem Raubzug zurückkehrt. Der Wolf klagt nun zur Verwunderung vor Reinhart und des Rezipienten vor Hersant über die ergebnislose Tat: „mirn wart nie svlcher not kvnt«, / er sprach: »ieglicher hirte hat sinen hvnt“ (RF, V. 447 f.). Die Klage von Isengrin deutet darauf hin, dass er als theoretisch körperlich überlegener Wolf nicht gegen die Hunde ankommt. Diese Möglichkeit nutzt Reinhart nun, um den Schinken von dem Bauern mit vorgetäuschter Schwäche zu erbeuten (RF, V. 460 – 467). In diesem Fall erbeutet Reinhart den Schinken mit List und Verstand und kehrt das Männlichkeitsideal von körperlicher zu geistiger Gewalt um. Jedoch brechen Isengrin und Hersant das „triuwe- Verhältnis“ [Mecklenburg 2017: 95] zwischen ihnen und Reinhart, da sie den erbeuteten Schinken fressen und Reinhart leer ausgeht. Hersant erwidert zuvor Reinharts Werbung mit einer schroffen Absage (RF, V. 427), sie reagiert nun auf den gemeinsam erbeuteten Schinken gemäß dem „sprachlichen Register der höfischen, sich in Bezug auf die strukturellen Machtverhältnisse in Geschlechterbeziehungen normgerecht unterordnenden Dame“ [Mecklenburg 2017: 95]. Mecklenburg stellt hier fest, dass ihre Antwort (RF, V. 494 – 498) ironisch zu verstehen sei, da Reinhart Fuchs körperlich der Wölfin unterlegen wäre [Mecklenburg 2017: 95].

Die körperliche Unterlegenheit des Fuchses wird im weiteren Verlauf des Tierepos deutlich, da er jeweils gegen Isengrin und Hersant „mit einer List gegen die beiden“ [Mecklenburg 2017: 95] vorgeht (RF, V. 520), ohne selbst körperliche Gewalt anzuwenden [Mecklenburg 2017: 95]. Im Umkehrschluss erklären diese Handlungen, mit welcher List und Schlauheit der Fuchs seine Probleme löst. Mecklenburg verweist folgend auf die Gevatterschafts-Beziehung zwischen Reinhart und Isengrin, wodurch Reinhart in die Familie der Wölfe aufgenommen wird [Mecklenburg 2017: 95]. Jedoch brechen Isengrin und Hersant die Treueverpflichtung, wodurch sich Isengrin nicht beklage, „wenn er nun regelmäßig auf genau dieser Ebene ausgetrickst wird“ [Mecklenburg 2017: 95]. Isengrin erfährt mehrfach körperliche und geistige Demütigungen. Kurt Ruh teilt die „moralische Demontage (verweis auf Der Fuchs und die Wölfe (Reinhart Fuchs)“ Isengrins in sieben Szenen ein [Ruh 1980: 22]. Weiterhin werden die aussagekräftigsten Episoden besprochen. Die erste Episode behandelt die Tonsur von Isengrin (RF, V. 635 – 720). Isengrin wird durch den Geruch der geräucherten Aale vor Reinharts Bau gelockt und wartet vor diesem. Nachdem Isengrin zwei Aale als Zeichen der Versöhnung verspeist hat, verbrüht Reinhart Isengrins Haupt und Haar mit kochendem Wasser. Laut Ruh beinhalte eine Bruderschaft das Tragen einer Tonsur [Ruh 1980: 22]. Folglich geht aus dieser Tat hervor, dass Reinhart Fuchs keine Bruderschaft im Sinn hat und auf die trügerische Intension hinweist.

Es folgt die Episode am Fischweiher, in der Isengrin seinen Schwanz verliert (RF, V. 721 – 822). Reinhart und Isengrin finden einen Eimer an einem Loch in der Eisdecke und binden den Eimer am Schwanz des Wolfes fest. Dieser friert im Eis fest, worauf am nächsten Tag, ein Ritter vorbekommt und Hunde auf Isengrin hetzt. Der Ritter holt zum letzten Hieb aus und verfehlt Isengrins Körper, trennt jedoch seinen Schwanz ab. Der Wolf kann nun ohne Schwanz fliehen. Hierauf folgt die Brunnenszene (RF, V. 823 – 1060), in der Reinhart in einem Brunnen gefangen ist. Isengrin, der wie Reinhart seine Gattin Hersant im Spiegelbild des Brunnens erblickt (RF, V. 870 – 872), springt darauf ebenfalls hinab. Isengrin beginnt erneut dem Spiegelbild seiner Ehefrau sein Leid zu klagen [Mecklenburg 2017: 98]: „er begonde Hersante sin laster sagen / vnde von sinem schaden clagen. / vil lvte hvlete Ysengrin, / do antworte im der don sin“ (RF, V. 877–880). Isengrin kümmert sich jedoch nicht um das Leid seiner Ehefrau oder seinen Söhnen, sondern hält an seinem persönlichen Leid fest und erwartet „[…] ein auf seinen Emotionsausdruck reagierendes Handeln“ [Mecklenburg 2017: 98]. Reinhart nutzt die Torheit von Isengrin aus und bringt den entgeisterten Wolf dazu, in den Eimer des Hebelmechanismus des Brunnens zu steigen. Reinhart entkommt und Isengrin bleibt im Brunnen zurück. Die Mönche hätten Isengrin erschlagen, wenn er keine Tonsur erfahren hätte und wenn er nicht beschnitten gewesen wäre: „ja ist nach der alten e / dirre wolf Ysengrin besniten“ (RF, V. 1012 f.). Die Episode am Fischweiher und die Versöhnung durch die Tonsur tragen dazu bei, dass Isengrins Leben verschont wird. Die zum Beginn negativ verstandene List Reinharts kehrt sich somit zum Positiven für Isengrin um. Die letzte Episode, welche die Schande der Wolfsfamilie zuspitzt, handelt von der Notzucht der Wölfin Hersant (RF, V. 1154 – 1238). Die Wölfin jagt Reinhart hinterher, um ihre Unschuld zu beweisen (RF, V. 1159 f.). Dieser wedelt mit seinem Schwanz und verwirrt somit Hersant, die ihm hinterher in einen Dachsbau springt und feststeckt (RF, V. 1170 f.). Reinhart, der durch ein zweites Loch den Dachsbau verlässt, nutzt die Gelegenheit und begattet Hersant vor den Augen Isengrins (RF, V. 1173 – 1176).

Die dargestellten Szenen zeigen, dass Reinhart Fuchs ohne die Ausübung von körperlicher Gewalt die kräftigeren Wölfe ausspielt und besonders Isengrin mehrfach demütigt. Mecklenburg stellt dies ebenfalls fest (Vgl. [Mecklenburg 2017: 95]). Dadurch, dass Isengrin mehrmals auf die Tücken von Reinhart hereinfällt und weder sein noch das Handeln von Reinhart Fuchs reflektiert und oft seine Schwäche und Misserfolge vor Hersant und seinen Söhnen beklagt (RF, V. 529 – 533; 565 – 576; 604 – 626; 1038 – 1048), wirkt er lernunfähig und unterliegt Reinhart auf körperlicher sowie auf geistig, emotionaler Ebene (Vgl. [Mecklenburg 2017: 95]). Die Demütigung und Schwäche des Wolfes ermöglichen es Reinhart, um Hersant zu werben und deren gesamten Familie, durch die Notzucht zu entehren. Hersant hingegen bleibt „auf ein Männlichkeitskonzept fixiert, […] deren äußerer Ausdruck eine am Körper ablesbare Gewaltfähigkeit“ aufweist [Mecklenburg 2017: 95]. Deswegen wäre Hersant prinzipiell zum Ehebruch bereit, wenn ihr Mann die nötige Gewaltfähigkeit nicht mehr besäße [Mecklenburg 2017: 95]. Reinhart Fuchs greift jedoch, wie mehrmals bereits erwähnt worden ist, nicht auf körperliche Gewalt zurück, sondern nutzt seinen Verstand, um Isengrin systematisch zu demütigen und zu schwächen. Mecklenburg sieht Reinhart Fuchs als ein „Paradebeispiel für die Möglichkeit der Selbstermächtigung eines Mannes, der nicht dem Normativ körperlich gewaltfähiger Maskulinität entspricht“ [Mecklenburg 2017: 96]. Deswegen erscheint die paradoxe Art des Reinhart Fuchs, die nicht die körperlich überlegende Männlichkeitskonstruktion als dominierend darstellt, sondern „[…] eine Ausübung sexualisierter Gewalt, die sich zur Kompensation von Körperkraft-Defiziten anderer Mittel bedienen darf“ [Mecklenburg 2017: 96]. Paradox ist hierbei, dass sexuelle Gewalt weiterhin körperliche Gewalt miteinschließt. Dies schließt auch die Methoden, die Reinhart Fuchs nutzt, mit ein, welche nicht nur auf einer geistigen, intellektuellen Weise geschehen, sondern auch eine physische und sexuelle Ausbeutung vollzieht. Hierbei bleibt fraglich, ob das Brechen der Gevatterschaft, jene obszöne Gewalt rechtfertigt.

Fazit

Der Minnesang wird in Reinhart Fuchs als Parodie des klassischen Minnesangs eingesetzt. Die typischen Geschlechterrollen im Minnesang werden von Heinrich dem Glîchezâren gebrochen. Reinhart folgt zwar der zugeschriebenen Rolle, Hersant hingegen bricht mit den traditionellen Formen des Minnesangs. In der ursprünglichen Form des Minnesangs ist der Sänger üblicherweise der aktiv Handelnde, während die Dame, die es zu umwerben gilt, passiv und ruhig bleibt.

Der Bruch des Minnesangs erfolgt durch die Ablehnung von Reinhart durch die Wölfin. Diese Ablehnung stellt einen klaren Bruch mit den traditionellen Formen des Minnesangs dar und verdeutlicht den Misserfolg der Werbung. Die körperliche Unterlegenheit des Fuchses ist aus Sicht von Hersant der Grund der Ablehnung. Jedoch begeht Reinhart durch die Fortsetzung der Werbung selbst einen Einschnitt. Zusätzlich parodiert Reinhart die niederen Triebe eines Königs – gezeichnet durch seine körperliche Dominant- im Gegensatz zu Reinharts körperlicher Unterlegenheit. Durch die mehrfachen Demütigungen des körperlich Überlegenen Isengrin, nimmt Reinhart dem Wolf sein Machtpotenzial und dreht das Männlichkeitsideal der Wölfin um.

Die Brunnenepisode wird bewusst parodiert, da der Sänger dem eigenen Gesang zum Opfer fällt. Das umworbene Objekt ist hierbei keine Dame, sondern der Sänger selbst, der Freude durch die Dichtung erfährt. Unbeantwortet bleibt hierbei die Motivation des Fuchses, ob er sich nach seiner Frau sehnt oder aus Selbstverliebtheit entsteht. Deutlich ist, dass Reinhart unabhängig von seiner Motivation in dem Minnesang gefangen bleibt (Vgl. [Kühnel 1995: 53]). Dies zeigt exemplarisch, dass aufgrund der emotionalen Reaktion, die tierischen Triebe dem menschlichen Verstand überwiegen. Grundsätzlich bricht der Autor mit den Traditionen des Minnesangs und erfindet eine eigene Form des Gesangs, der auf einer Interaktion zwischen Sänger und Umworbener beruht.

Quellenverzeichnis

  • [*Dietl 2009] Dietl, C. (2009). Violentia und potestas (pp. 41-54). Walter de Gruyter.
  • [*Erlei 2010] Erlei, S. (2010). " Höfisch" im Mittelhochdeutschen: die Verwendung eines Programmworts der höfischen Kultur in den deutschsprachigen Texten vor 1300 (Vol. 22). Peter Lang.
  • [*Kühnel 1995] Kühnel, Irmeli S.: ‚Reinhart Fuchs‘. A gendered reading, Göppingen 1995 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 634).
  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: mir ist lait, daz der man min / ane zagel muz wesen (V. 1058f.). Zur Überlagerung von Animalität, Geschlecht und Emotion in Heinrichs Reinhart Fuchs, in: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘. Vormoderne intersektional, hg. von Susanne Schul, Mareike Böth und Michael Mecklenburg, Aventiuren (12), Göttingen 2017, S. 73-98.
  • [*Robertson 1987] Robertson, Sharon Short. ‚Medieval Acculturation: Man-Animal Relationship in the Germanic Middle Ages.‘ Diss. University of Michigan, 1987.
  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Grundlagen der Germanistik (25), Berlin 1980, S. 13-33.
  1. Alle Versangaben des Artikels beziehen sich auf Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg., übers. und erläutert von Karl-Heinz Göttert, bibliographisch ergänzte Ausg., Stuttgart 2005 (Reclams Universal-Bibliothek 9819).