Fuchs und Meise (Reinhart Fuchs)

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In diesem Artikel steht die Episode von Fuchs und Meise (RF, V. 177–219) des Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrich dem Glîchezâren im Mittelpunkt. Die beiden Figuren werden charakterisiert und sowohl die List Reinharts, als auch die Gegenlist der Meise betrachtet.

Inhalt der Episode

Reinhart, der beim Hahn Scantecler gescheitert ist und so um seine Mahlzeit gebracht wurde, trifft nun auf die Meise, die er auf einem Baum erblickt. Sofort kommt ihm wieder eine hinterlistige Idee in den Sinn und verlangt einen Kuss von ihr, um ihm ihre Treue unter Beweis zu stellen. Doch die Meise ist misstrauisch und zweifelt an Reinhart, da sie schon so viel Schlechtes von ihm gehört hat:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
die meyse sprach: ,Reinhart, Die Meise sagte: „Reinhart,
mir ist vil manic ubel [ ] art mir ist schon so viel Böses
von dir gesaget dicke. über dich erzählt worden.

(RF, V. 189–191)[1]

Darauf will sie sich auf den Kuss einlassen, jedoch nur unter der Bedingung, dass Reinhart seine Augen schließt. Erst dann wolle sie ihn dreimal aufs Maul küssen. Insgeheim freut Reinhart sich schon auf seine Mahlzeit, doch die Meise durchschaut ihn. Anstatt ihn zu küssen, nimmt sie ein Stück Dreck und wirft es zu ihm hinunter, worauf er beginnt danach zu schnappen. So offenbart sich der Meise das längst Vermutete: Die Bosheit und die Hinterlist Reinharts, denen sie durch ihre Gegenlist entkommen kann:


Mittelhochdeutsch Übersetzung
ein mist sie vnder irn fvz nam, Sie nahm ein Stück Mist in ihre Kralle,
von aste ze aste si qvam sprang von Ast zu Ast
vnde liez ez im vallen an den mvnt. und ließ es Reinhart ins Maul fallen.
do wart ir vil schire chvnt Da wurde ihr sofort
irz gevatern schalkeit: die Hinterhältigkeit ihres Vetters vor Augen geführt:
die zene waren ime gereit, Er bleckte seine Zähne,
daz mist er do begripfte, dass ihm, als er den Mist packte,
sin gevater im entwischte. seine Cousine entwischte.
er hat harte grozen vliz So hatte er sehr großen Aufwand
vm einen swachen inbiz. für eine erbärmliche Mahlzeit aufgebracht.

(RF, V. 203–212)


Traurig und enttäuscht, weil er mit seiner Verschlagenheit abermals nicht ans Ziel kommt, gibt Reinhart auf und kann nicht glauben, dass er von einem Vögelchen betrogen werden konnte.

Einordnung der Episode in den Gesamtzusammenhang

Die Episode gehört zu einer Reihe von Szenen, in der die kleineren Tiere im Zentrum stehen und in welchen Reinhart als Verlierer hervorgeht und von den jeweiligen Tieren ausgetrickst bzw. besiegt wird. Liest man das Tierepos sukzessivlogisch, so gehört die Episode zum Vorspiel, dem Teil I und Teil II folgen [Bertau 1983: 20]. Liest man es simultanlogisch, d.h. die Episoden gliedern sich nach den Taten Reinharts, findet die Szene ihren Platz in Teil A, dem die Teile B und C folgen [Bertau 1983: 22]. Außerdem kritisiere der Verfasser, Heinrich der Glîchezâre "in der Maske der Tiere und ihres Unheils unheilvolle Verhältnisse des staufischen Staates und der höfischen Welt" [Bertau 1983: 28]. Neben dem Raben ist die Meise, das einzige Tier, das nicht beim Hoftag erscheint und Anklage gegen Reinhart erhebt. Eine Begründung dafür liefert Büttner: "Es fehlen nur Rabe und Meise, vermutlich weil der Dichter diese beiden Vögel bei der Heilung des Königs nicht zu verwenden wusste" [Büttner 1891: 59].

Charakterisierung der Meise

Die Meise ist eines der kleineren Tiere, mit denen sich Reinhart Fuchs anlegt. Sie ist ebenso klug wie Reinhart und weiß, wie ihr Gegenüber tickt. So ist sie schon zu Beginn der Episode skeptisch gegenüber den Absichten des Fuchses, wenn sie sagt, ihr sei schon so viel Negatives über ihn zu Ohren gekommen: „Reinhart, mir ist vil manic ubel [ ] art von dir gesaget dicke“ (RF, V. 189–191). Auch im weiteren Verlauf, lässt sich die Meise nicht durch Reinharts Schmeicheleien beirren. Zwar gibt sie vor, ihn Küssen zu wollen, doch die Meise durchschaut Reinhart und wirft ihm stattdessen Mist ins Maul, wonach dieser wiederum schnappt. Dieses Verhalten bestätigt der Meise die Verschlagenheit Reinharts. Die Meise geht somit schlauer als ihr Gegenpart aus der Episode hervor. In seinem Artikel sagt Hübner, dass "Schlauheit [...] demnach zunächst in der aktionalen Kontrolle über die Deutung der Handlungssituation [besteht]" [Hübner 2016: 28].

Charakterisierung Reinharts

Betrachtet man die Vorherige Episode mit dem Hahn, bleibt festzuhalten, dass Reinhart auf Nahrungssuche ist, was zugleich das Motiv für seine Absicht ist. Dieser Meinung ist auch Ruh: "Zudem ist das Movens der Fuchs-Aventiure nicht êre, sondern Hunger"[Ruh 1980: 17]. Er hat nach Aussage der Meise furchterregende Augen: "ich vurchte din ovgenblidte, di sint grvelich getan" (RF, V. 192 f.). Als ihm die Meise begegnet, versucht er gleich sie zu bezirzen und sie auf diese Weise hereinlegen zu können, "[e]r biedert sich als Gevatter an [...]"[Ruh 1980: 17f.], dies zeigt vor allem die die Begrüßung "gevater min" (RF, V. 177). Doch sein Ruf eilt ihm voraus, weshalb die Meise von Anfang an misstrauisch reagiert. Im weiteren Verlauf bezieht er sich immer wieder auf Gott und den Begriff der Treue. Und so geht Reinhart als Verlierer aus der Episode hervor.

Verwandtschaft, triuwe und Minne-Diskurs

Die Meise ist eines der wenigen weiblichen Tiere, die im Reinhart Fuchs eine Rolle spielen, weshalb in dieser Episode vor allem der Minne-Diskurs, das Verwandtschaftsverhältnis, so wie der triuwe-Begriff wichtig sind. Bei genauerer Betrachtung kann man das Geschlecht der Meise nicht eindeutig festlegen. Dass es sich bei der Meise um eine weibliche Figur handelt, könnte man laut Mecklenburg daran festmachen, weil Reinhart von ihr einen Kuss fordert [Mecklenburg 2017: 86]. Andererseits könnte mit dem Kuss auch eine Begrüßungsformel unter Verwandten gemeint sein, "[...] denn die Ansprache der Meise als gevater (RF, V. 178) legt in gleicher Weise einen Bezug auf 'Genealogie' nahe, insofern der Kuss als Begrüßung zwischen Verwandten verstanden werden müsste, ohne dass damit eine Aussage über die Geschlechtlichkeit der beiden Figuren einhergeht" [Mecklenburg 2017: 86]. Wirft man außerdem einen Blick ins Wörterbuch [Hennig 2014], kann man feststellen, dass für die Verwandtschaftsbezeichnung "gevater", die im Reinhart Fuchs verwendet wird, sowohl für die weibliche als auch die männliche Form gleich lauten.

Gescheiterte Täuschung und Gegenlist

Um dem Leser den Handlungserfolg (hier der Meise) plausibel zu machen, sei es außerdem nötig, den Co-Akteur leichtgläubig und unvorsichtig darzustellen [Hübner 2016: 88f.]. Der Co-Akteur ist hier Reinhart. Er zeichnet sich zum einen durch seine Leichtgläubigkeit und Unvorsichtigkeit aus, weil er glaubt, die Meise falle auf seine Avancen herein und er könne sie so fressen. Der Meise ist Reinharts Ruf jedoch schon vorher bekannt. Außerdem werde seine geplante List schon durch die Beteuerungen gegenüber der Meise aufgedeckt [Büttner 1891: 8].

Zudem ist Reinhart in dieser Episode "physisch deutlich stärker als sein Widersacher, die Meise, einzustufen. Dies ist entscheidend, da so Reinhart's Schlauheit nicht für den Handlungserfolg ausreicht und er der Meise unterliegt".[Huebner 2016: 87] Ähnlich wie in den Episoden zuvor zeigt sich, dass Reinhart vor allem gegen körperlich unterlegene Gegner Probleme hat seine Listen erfolgreich durchzuführen, was auch auf diese Auseinandersetzung mit der Meise zutrifft.

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences />

  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: mir ist lait, daz der man min / ane zagel muz wesen (V. 1058f.). Zur Überlagerung von Animalität, Geschlecht und Emotion in Heinrichs Reinhart Fuchs, in: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘. Vormoderne intersektional, Göttingen 2017, S. 73-98.
  • [*Hübner 2016] Hübner, Gert: Schläue und Urteil, Handlungswissen im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme, Heidelberg 2016, S. 77-96.
  • [*Hennig 2014] Hennig, Beate: Kleines mittelhochdeutsches Wörterbuch, Berlin 2014.
  • [*Büttner 1891] Büttner, Hermann: Studien zu dem Roman de Renart und dem Reinhart Fuchs (Band 2), Straßburg 1891.
  • [*Bertau 1983] Bertau, Karl: 'Reinhart Fuchs'. Ästhetische Form als historische Form, in: ders.: Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, München 1983, S. 19-29.
  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 13-33.
  1. Alle Versangaben beziehen sich auf Textausgabe Heinrich der Glîchezâre (1976): Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, Stuttgart: Reclam.