Moral und Gewissen (Reinhart Fuchs)
Dieser Artikel behandelt die Moral von Reinhart dem Fuchs bzw. jene übergeordnete Moral des gesamten Tierepos, welche Reinhart als Protagonist durch seine fragwürdigen Taten produziert. Betrachtete Dimensionen sind also, um zunächst die Moral von Reinhart zu klären, 1) inwiefern Reinhart einem Moralkodex unterworfen ist, wie es bei Menschen der Fall ist, und 2) in welcher Weise Reinhart vielleicht keiner Moral unterworfen ist, da es sich bei ihm um ein Tier handelt, welches versucht zu überleben. Weiterhin, um die Moral des gesamten Epos zu klären, ist die Frage, inwiefern Reinhart, 3) als ein Akteur des besseren Wohles der Gesellschaft handelt, indem er mit seinen Taten, gegen den unrechtmäßigen Herrscher, den König Vrevel (Der Löwe Vrevel (Reinhart Fuchs)) arbeitet, oder 4) ob er nur für sich selbst agiert.
Reinhart als anthropomorpher Akteur
Nimmt man an, dass es sich bei Reinhart um einen anthropomorphen Akteur handelt, so geschieht die Trennung von der tierischen und das gleichzeitige Hervortreten der menschlichen Seite, immer dann, wenn Reinhart sich nicht mehr nur um seines Lebens willen verteidigt oder andere überlistet, um zu Nahrung zu kommen, sondern dann wenn die Moral in Form von Abwesenheit in Erscheinung tritt. Erst dann wenn Reinhart, eine Heimtücke an den Tag legt die unschuldigen Tieren, die sich lediglich paaren und fressen, fremd ist, offenbart sich, dass es sich hier nicht nur um ein armes Tier handelt, welches sich wehrt, sondern um eine Art Rachefeldzug.
Inhalt der Episode
Zunächst wird die Textstelle heran gezogen, in der der Löwe durch Reinhart den Tod findet (V. 2168-2183).
Reinhart hat sich zuvor erfolgreich von allen Anklagepunkten befreit, indem er die Ankläger mit Hilfe des Königs ärztlicher Behandlung aus dem Weg räumte. Doch selbst seinen Helfern, dem Elefant, dem Kamel und dem Löwen, bleibt seine Hinterlistigkeit und Boshaftigkeit nicht erspart:
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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er sprach: ,herre, ich will eu geben einen tranc, | Er sagte: "Herr, hier ist ein Getränk, |
so sit ir ze hant genesen.' | das wird Euch sofort auf den Weg der Genesung bringen. |
der kunic sprach: ,daz sol wesen.' | Der König antwortete: "So soll es geschehen." |
("Reinhart Fuchs" V. 2168–2170)
Obwohl der Ameisenkönig schon einige Zeit zuvor von Reinhart aus dem Gehörgang des Königs entfernt worden war, wartet der König Vrevel weiterhin gutgläubig auf die verhießene Genesung. Der Löwe hat augenscheinlich seine Mündigkeit aufgegeben und überlässt sein Schicksal weiterhin seinem Arzt Reinhart.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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do brov er des kuniges tot. | Da braute er des Königs Tod zusammen. |
Reinhart was ubele unde rot, | Reinhart war böse und blutrünstig, |
daz tet er da vil wol schin: | wie er jetzt gänzlich deutlich machte: |
er vergab dem Herren sin. | er vergiftete seinen Herrn. |
daz sol niman clagen harte; | Es soll sich aber niemand beklagen: |
waz want er han an Reinharte? | was dachte sich jener woran er an Reinhart ist? |
("Reinhart Fuchs" V. 2171–2176)
Die Frage wird aufgeworfen inwiefern der König durch Selbstverschulden in diese missliche Lage geraten ist.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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iz ist noh schade, wizze krist, | Gott weiß es ist sehr schade, |
daz manic loser werder ist | dass so mancher Betrüger bei Hof |
ze hove, danne si ein man, | geachteter ist, als ein Mann, |
der nie valsches began. | der nie etwas falsches getan hat. |
swelch herre des volget ane not | Alle Herren die freiwillig diesem Beispiel folgend |
unde teten sie deme den tot, | den Tod finden, |
daz weren gute mere. | wären gute Nachrichten. |
("Reinhart Fuchs" V. 2177–2183)
Das Handeln des Fuchses-zwei Ansätze
1. amoralisches Handeln Reinharts
Reinhart handelt in vielen Situationen amoralisch schlau, er hintergeht andere Tiere bewusst, schadet ihnen, bzw. tötet diese sogar aufgrund von Handlungszielen wie Rache, Ehebruch oder Machtgewinn. Diese Ziele fallen nicht unter das Naturrecht auf Selbsterhaltung. Sein Handeln lässt sich nicht legitimieren. Im Gegensatz zu den anderen Tieren, die instinktiv ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen, wie es für sie als Tiere typisch ist, agiert der Fuchs eher menschlich. Sein menschliches Handeln übertrifft das tierische an Bestialität. [Huebner 2016]
Vor allem die Vergewaltigung (Sexuelle Gewalt im Reinhart Fuchs) Hersants zeigt die Dreistigkeit Reinharts besonders deutlich. Reinhart empfindet keinerlei Reue für seine Tat und hat auch kein schlechtes Gewissen, sondern obendrein bittet er Frau Hersant bei ihm zu bleiben (vgl.V.1178). Weiter sagt er noch, er habe nichts Böses getan (vgl.V.1202). Dies legt nahe, dass Reinhart keinen Sinn für Moral hat und er sich keiner Schuld bewusst ist.
2. Reinhart als Sympathieträger
Trotz allem kann Reinhart je nach Interpretation und Vorstellungen des Lesers auch zur Identifikationsfigur werden. Zur Vermeidung einer eventuellen Antipathie mit dem Fuchs dient seine Schlauheit, mit der auf das Laster der Leichtgläubigkeit und Unvorsichtigkeit seiner Co-Akteure reagiert.[Huebner 2016]
Am Anfang des Epos hingegen verliert Reinhart zunächst gegen den Hahn, die Meise, den Raben und den Kater . Diese Episoden sind ganz bewusst für den Anfang des Epos vorbehalten, da durch seine Rolle als "Opfer" Mitleid beim Leser hervorgerufen werden kann. Diese Symphatie ist laut Kurt Ruh wichtig, da seine zukünftigen Handlungen ausdrücklich hinterlistig und gemein sind. "Dem Erfolglosen mit reichen Gaben werden sie nie verwehrt." [Ruh 1980:18] Dies soll bedeuten, dass Reinhart somit einige "Pluspunkte" sammelt, um nicht direkt am Anfang als der Böse dazustehen und damit eine Möglichkeit zur Entwicklung vom Verlierer zum Sieger überhaupt möglich ist.
Des Weiteren ergibt sich so für Reinhart die Chance, ein Bündnis mit dem Wolf Isengrin einzugehen, dem er in den nächsten Episoden den größten Schaden und Schmerz zufügt. Ohne diese anfangs entwickelte Symphatie für Reinhart wäre wohl kein Pakt zustande gekommen.
Dass diese Symphatie im Laufe der Episodensammlung nicht vollends schwindet, erklärt sich mit dem Argument, dass es hier Tiere miteinander zu tun haben. Somit schwindet "die Entwertung moralischer Kategorien" [Mecklenburg 2017:81] Deshalb sind seine Taten noch eher "vertretbar", da die Figuren als Tiere nicht nach menschlichen Trieben, sondern eben nach tierischen Trieben handeln, wobei den "dem Fuchs zugeschriebenen menschengleichen Eigenschaften eben doch der appetitus des Raubtiers hindurchbricht." [Mecklenburg 2017:81]
<HarvardReferences />
- [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: Abenteuerliche Überkreuzungen
<HarvardReferences />
- [*Hübner, Gert]: Schläue und Urteil. Handlungswissen im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme, hg. von Friedrich M. Dimpel und Hans Rudolf Velten, Heidelberg 2016</ref>
Fazit
Reinharts amoralisch schlaue Handeln ist in der amoralischen Welt erfolgreich, amoralisch unschlaues Handeln führt hingegen zum Misserfolg Huebner 2016. Daher gibt es - je nach Interpretation und persönlichen Vorstellungen des Lesers - zwei unterschiedliche Ansätze die Figur Reinharts zu bewerten: Aus einer moralischen Sichtweise kann Reinhart vom Leser einerseits verachtet werden, andererseits jedoch sogar zu einer Identifikationsfigur werden.