Gewalt und Herrschaft (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel thematisiert den Zusammenhang von Gewalt und Herrschaft in Heinrich des Glîchezâren Tierepos Reinhart Fuchs.[1] Hierfür werden die unterschiedlichen Gewaltausübungen untersucht und in einem weiteren Schritt in Bezug zur Herrschaft des Löwen Vrevels und Reinharts gesetzt. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der Verschiebung der Herrschaftsgefälle durch Reinhart und seine kvndikeit.

Definition "Gewalt" und "Herrschaft"

Um die Thematik untersuchen zu können, sind zunächst die Begrifflichkeiten zu definieren. Mhd. hêrschaft bezeichnet nicht nur die "Herrschaft" an sich, sondern kann mit vielen Begriffen übersetzt werden, die anzeigen, wie Herrschaft ausgeübt wird und aus was sie sich konstituiert: "Gewalt", "Würde", "Macht", "Erhabenheit".[2]
Das Politiklexikon verweist darauf, dass "Herrschaft" ein "Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten" beschreibe. Herrschaft zeichne sich dabei durch ein auf Dauer angelegtes, legitimes Verhältnis aus, dass gewissen Regeln unterworfen ist (Befehl und Gehorsam). Insbesondere die Rechtmäßigkeit von Herrschaft kann auf drei Ursprünge zurückgeführt werden und verdient im Zuge der Untersuchung des RF genaue Beachtung. Nach Max Weber unterscheidet man
A) Charismatische Herrschaft: hierbei wird die Herrschaft dadurch legitim, dass man an den Herrschenden glaubt. Durch Eigenschaften (Kraft, Klugheit, Rhetorik etc.) und Verhaltensweisen muss der Herrschende sich ständig behaupten, um seinen Herrschaftsanspruch nicht zu verlieren.
B) Traditionelle Herrschaft: hier stehen Traditionen und gegebene Ordnungen im Fokus. Sie begründen die Autorität und Rechtmäßigkeit. Als Beispiel ist die Monarchie aufzuführen.
C) Legale Herrschaft: der Herrscher wird bei dieser Form durch Satzung und Recht legitimiert.[3]

Schon die Übersetzung des mhd. hêrschaft hat gezeigt, dass unter anderem eine Übersetzung mit "Gewalt" möglich ist. Somit scheinen schon im Sprachgebrauch Parallelen zwischen Gewalt und Herrschaft zu bestehen.
Gewalt bezeichnet allgemein, "den Einsatz von physischem und psychischem Zwang gegenüber Menschen, sowie die physische Einwirkung auf Tiere oder Sachen." (Quelle) Es ist darauf hinzuweisen, dass für die Untersuchung am RF auch die psychische Einwirkung auf Tiere von Bedeutung ist. Weiterhin ist eine Differenzierung zwischen Gewaltausübung, bei der man a) Schaden zufügt, b) das Gegenüber dem eigenen Willen unterwirft oder c) Gegengewalt als Reaktion auf vorausgegangene Gewalt ausübt, möglich. Gewalt kann zuletzt auch im Sinne von Staatsgewalt verstanden werden und im Kontext von Gebiets- und Personalhoheit angewandt.[4]

Gewalt im Reinhart Fuchs


Sexuelle Gewalt


Psychische Gewalt


Physische Gewalt


Gegengewalt

Ameisen --> teilweise Übersetzung ab V. 1281

kvndikeit als Gewalt?

Gewalt steht oft im Zusammenhang mit Stärke und Körpergröße. Wie die obigen Beispiele (werden noch eingetragen) zeigen, muss Gewalt jedoch nicht ausschließlich mit diesen Qualitäten und Eigenschaften assoziiert werden. Der Reinhart Fuchs eröffnet für die Gewaltthematik ein Spannungsfeld, das vor allem auf kvndikeit als Teil der Gewaltausübung untersucht werden muss. Inhaltlich dient hierbei die Textstelle, in der Reinhart der Vergewaltigung angeklagt und verteidigt wird. Die Textstelle ist dem zweiten Hauptteil zuzuordnen und ereignet sich kurz nach der Vergewaltigung selbst (RF V.1170-1192). Als Auftakt zum Gericht- und Hoftag des Herrscher Vrevel wird der Vorwurf vorgetragen (RF V.1365-1385). Reinhart wird neben einiger anderer Verbrechen, die er im ersten Hauptteil begangen hatte, der Vergewaltigung Hersantes angeklagt. Da er in persona abwesend ist, wird er von dem Dachs Krimel verteidigt:
RF V.1388-1394

Mittelhochdeutsch Übersetzung
diese rede ist vngelovblich Dieser Vorwurf ist unglaubwürdig
vnde mag wol sin gelogen. und kann nur gelogen sein.
wi mochte si min neve genotzogen? Wie konnte mein Neffe sie vergewaltigen?
ver Hersant di ist grozer, dan er si. Frau Hersante ist größer, als er es ist.

Die Körpergröße wird hierbei als Voraussetzung für Gewaltausübung herangezogen. Folglich, so die Argumentation Krimels, kann Reinhart auch keine sexuelle Gewalt ausgeführt haben. Die Belege für Reinhart als Täter sind vielfältig und aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob Größe und Stärke die einzigen Maßstäbe für Gewaltausübung darstellen. So verweist Kurt Ruh[5] auf einen Zusammenhang zwischen der "körperlichen Schädigung und moralischer Demontage" Isengrins. Zum einen stellt die moralische Demontage eine Form der psychischen Gewalt dar. Diese kann insbesondere durch kvndikeit erwirkt werden. So führt beispielsweise das Wissen über die Vergewaltigung der Ehefrau zu einem psychischen Zusammenbruch Isengrins. Zum anderen kann kvndikeit kann körperliche Gewalttaten vorbereiten und ist somit Teil der Gewaltausübung.

Herrschaft im Reinhart Fuchs


Der Löwe Vrevel als charismatischer Herrscher? - "potestas", "violentia" und "vis"

Nachdem der erste Hauptteil in der Wolf-Fuchs Auseinandersetzungen eine Reihung an physischen und psychischen Gewalttaten erzählt, hat der zweite Hauptteil den Hoftag Vrevels zum Thema. Dieser zweite Hauptteil wird durch einen direkten Bezug zu der vorangegangenen Gewalt eröffnet, indem er erläutert, dass sich dies alles "in eime lantvride" (RF V.1239) ereignet.
RF V.1239-1246

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Ditz geschah in eime lantvride, Das spielte sich während eines Landfriedens ab,
den hatte geboten bi der wide den hatte bei der Todesstrafe
ein lewe, der was Vrevil genant, ein Löwe, der Vrevel genannt wurde, befohlen,
gewaltic vber daz lant. mächtig/gewaltig (?) über das Land.
keime tier mochte sin kraft gefrvmen, Keinem Tier konnte seine Stärke nützen,
izn mveste vur in zv gericht kvmen. musste es doch vor ihm zu Gericht kommen.
si leisten alle sin gebot, Sie alle befolgen seinen Befehl,
er was ir herre ane got. er war ihr Herrscher, ausgenommen Gott.

Landfriedensangebote dienten während der Staufer-Zeit häufig als Herrschaftsinstrument. So konnte durch sie "die Möglichkeit eines individuellen gewaltsamen Konfliktaustrags in der Fehde unterbunden werden", da sich die beteiligten Parteien der potestas des Herrschers unterwerfen mussten.[6] Auch im Reinhart Fuchs soll die Fehde zwischen dem Fuchs Reinhart und dem Wolf Isengrin richterlich verhandelt und somit weitere individuelle Auseinandersetzungen verhindert werden. Die Textstelle dient der Einführung der Figur Vrevels als Herrscher und Richter.
Die nachfolgende Handlung erzählt zunächst unter welchen Bedingungen es zum Landfrieden gekommen ist. Grundsätzlich thematisiert der zweite Hauptteil den Hoftag Vrevels und seine Herrschaftsausübung. Was für ein Herrscher ist Vrevel und welchen Stellenwert hat Gewalt in seiner Machtstellung? Hierfür sei zunächst der Blick auf den Namen geworfen. Kurt Ruh führt an, dass die Namensänderung von "Nobel" zu "Vrevel" die einzige gewesen sein, die Heinrich der Glîchezâre vorgenommen habe. Der Grund hierfür sein die Charakteränderung die mit der neuen Namensgebung einhergehen.[7] So werden dem Herrscher neben den Eigenschaften "Mut" und "Kühnheit" vor allem negative Qualitäten zugesprochen: mhd. vrevel wird im nhd. mit "Gewalt", "Vergehen" und "Bosheit" übersetzt.[8] Hervorzuheben ist, dass Vrevel in jedem Fall gewisse Attribute zugesprochen werden, die seiner Herrschaft durchaus charismatische Züge verleihen. Die charismatische Herrschaft zeichnet sich dadurch aus, dass der Herrschende sich immer wieder beweisen und um die rechtmäßige Anerkennung seiner Untergebenen kämpfen musste. Hierfür sind "Mut" und "Kühnheit" von Bedeutung. Wird der Herrscher als schwach oder kränklich wahrgenommen, verliert er seine Legitimation. Im RF erkrankt der Herrscher Vrevel. Darüber hinaus führt Reinhart den König im weiteren Handlungsverlauf immer wieder vor. Er kann seinen Anspruch demnach nur noch selten durch sein "Charisma" erhalten und muss auf Gewalt zurückgreifen.

Reinhart verändert das Herrschaftsgefüge


Reinhart - Isegrin

Brunnenszene --> teilweise Übersetzung

Reinhart - Vrevel

RF V.1468-1471

Mittelhochdeutsch Übersetzung
er sprach: "kvnik, vernim, was ich dir sage: ...
dv scholt wizzen gewerliche, ...
dir hoenet Reinhart din riche ...

RF V.1977-1978

Mittelhochdeutsch Übersetzung
"ia", sprach der kvnic, "meister min, "Ja", sagte der König, "mein Herrscher/Arzt (?),
swi dv mich heizest, also wil ich sin." was du mir befiehlst, das werde ich machen.

Überlegung/Anmerkung für mich: In der Übersetzung von Göttert wird "meister" mit "Meister" übersetzt. Laut Wörterbuch ist auch die Übersetzung "Arzt" möglich. Jetzt stellt sich hier die Frage, welche Übersetzung in dem Kontext besser passt. Da Reinhart als Arzt auftritt, wäre diese Rollenzuschreibung geeignet. Auf der anderen Seite übt Reinhart Macht aus und "befiehlt", was wiederum für die Übersetzung als "Meister/Gebieter" sprechen würde.

Literatur

  1. Alle weiteren Versangaben beziehen sich auf: Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg. und übersetzt von Karl-Heinz Göttert, Reclam, Stuttgart 1976.
  2. Henning, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 6. Auflage, Berlin: De Gruyter, 2014, S.147.
  3. Schubert, Klaus et.al.: Herrschaft, in: Das Politiklexikon, Bd.7, Bonn 2018, https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17608/herrschaft (zuletzt abgerufen am 03.01.2021).
  4. Schubert, Klaus et.al: Gewalt, in: Das Politiklexikon, Bd.7, Bonn 2018, https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17566/gewalt (zuletzt abgerufen am 03.01.2021).
  5. Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S.22.
  6. Dietl, Cora: ‚Violentia‘ und ‚potestas‘. Ein füchsischer Blick auf ritterliche Tugend und gerechte Herrschaft im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters, hg. von Henrike Lähnemann und Sandra Linden, Berlin 2010, S.43.
  7. Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S.23.
  8. Henning, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 6. Auflage, Berlin: De Gruyter, 2014, S.423.