Geschlechterverhältnisse (Reinhart Fuchs)

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Der vorliegende Artikel bietet eine ausführliche Erörterung der Geschlechterverhältnisse in Heinrichs des Glîchezære Reinhart Fuchs. Es werden die wichtigsten weiblichen und männlichen Figuren beleuchtet. Des weiteren werden einige signifikante Interaktionen zwischen den Charakteren analysiert, um die Verhältnisse zwischen den einzelnen Geschlechtern in Rheinhart Fuchs darzustellen.

Die Bedeutung des Geschlechts und der Geschlechterverhältnisse in Reinhart Fuchs

Um die Geschlechterverhältnisse im Tierepos Reinhart Fuchs beleuchten zu können, muss zuerst der Begriff Geschlecht genauer definiert werden. Generell ist zwischen Gender und Sex zu unterscheiden. Unter Sex versteht man das anatomische Geschlecht, mit Gender ist das sozial determinierte Geschlecht gemeint (vgl. [Sieber 2015: 117 f.]). "Stereotype körperliche Merkmale" [Sieber 2015: 118] gehören zudem bereits der Kategorie Gender an. In Reinhart Fuchs spielt das anatomische Geschlecht der Charaktere keine Rolle. Demnach ist im Zuge dieses Artikels unter Geschlecht immer Gender zu verstehen.

In Reinhart Fuchs sind sowohl männliche als auch weibliche Tierfiguren vertreten. Für die Analyse ihrer Charaktere und ihrer Handlungen ist es von Vorteil, wenn ihre Geschlechter berücksichtigt werden. Oftmals kommen, aufgrund von Geschlechternormen, den Tierfiguren ganz bestimmte Attribute zu (vgl. [Sieber 2015: 121]). Auch werden gesellschaftliche Position und das Verhältnis zu den anderen Tieren durch das Geschlecht des Wesens beeinflusst. Inwiefern sich dieser Gedanke tatsächlich auf den Epos Reinhart Fuchs anwenden lässt, wird im weiteren Verlauf untersucht.

Unterteilung / Überleitung

Im Laufe des Epos treten Tierfiguren auf, die in unterschiedlichster Weise im Verhältnis zueinander stehen. Als bedeutenden Unterscheidungspunkt ist das Verhältnis von Mann und Frau, die in einer ehelichen Beziehung zueinander stehen, von dem Verhältnis der ledigen Charaktere und ihren Mitmenschen abzugrenzen.

Die Rolle von Mann und Frau im ehelichen Verhältnis

In diesem Abschnitt wird das eheliche Verhältnis von Mann und Frau dargestellt. In diesem Zusammenhang wird eine Unterteilung vorgenommen. Das eheliche Verhältnis von den Tieren ist von dem ehelichen Verhältnis der Menschen zu differenzieren.

Tiere

Der Fokus des Tierepos liegt selbsterklärend auf der Beziehung der Tiere. Die wichtigsten vorkommenden Ehepaare sind Hahn und Henne, sowie Wolf und Wölfin.

Hahn und Henne: Herr Scantecler und Frau Pinte

Der Hahn Scantecler ist, als einzige männliche Tierfigur im Stall, das Oberhaupt. Es gibt zwar viele weitere Hennen, jedoch ist die Henne Frau Pinte die "Musterhenne" <HarvardReferences /> [Ruh 1980: 17] des Hahns Scantecler. Verstärkend kommt hinzu, dass sie die einzig namentlich genannte Henne ist. Es ist folglich davon auszugehen, dass es sich bei Frau Pinte um die 'Haupthenne' handelt. Das Verhältnis von Hahn und Henne ist durch eine klare Rollenverteilung gekennzeichnet. Wie zuvor erwähnt, ist Herr Scantecler das Oberhaupt und verfügt so über jegliche Entscheidungs- und Handlungsgewalt. Auch erzählerisch wird das Augenmerk auf den Hahn gelegt. Er wird zuerst (namentlich) genannt und die anderen Figuren sind narrativ von ihm abhängig Notiz an mich: Quellenangabe? (vgl. [Glichezare 2005: V.39]). Dennoch nimmt Frau Pinte eine gewichtige Rolle im Geschehen ein. Um dies zu verdeutlichen, wird eine der frühen Textstellen aus Reinhart Fuchs herangezogen.

Reinhart Fuchs schleicht sich eines Morgens auf der Suche nach Nahrung in den Hühnerstall des Bauern Lanzelin, wo der Hahn Scantecler und seine Hennen zu Hause sind. Bereits zuvor haben die Stallbewohner mit Reinharts Absichten und Listen Bekanntschaft gemacht. Auch wird der Hahn Scantecler zuvor durch seinen Traum im Schlaf gewarnt. Als die Henne Frau Pinte ihn bemerkt, versetzt sie alle in Alarmbereitschaft. Ihr Mann Scantecler nimmt sie jedoch nicht ernst.


Mittelhochdeutsch Übersetzung [1] <HarvardReferences /> [V. 75-85, 89-90]
vrowe Pinte sprach: ,er vnde trvot, Frau Pinte sagte: ,Herr und Vertrauter,
ich sach sich regen in ienem chruot: ich habe gesehen, wie sich etwas in dem Gestrüpp bewegte:
mich entrigen mine sinne: mein Sinne warnen mich
hi ist ich enweiz was vbeles inne. hier geht wer weißt was Übles vor sich.
der riebe got beschirme dich! Der liebe Gott beschütze dich!
mir gat vber erklich. mir geht es wirklich schlecht
mir grovwet so, ich vurchte, wir mir drängt sich der Gedanke auf, ich befürchte,
ze noten komen, daz sag ich dir.' dass wir in Bedrängnis geraten, das sage ich dir.'
Scantecler sprach: ,sam mir min lip, Scantecler sagte: ,Bei meinem Leben,
mer verzaget ein wip, ein einziges Weib fürchtet sich mehr,
danne tvn viere man. als vier Männer zusammen.

(...)

vor Pinte sprach: ,lazet ewern zorn Frau Pinte sagte: ,Hört auf euch aufzuregen
vnde vliget vf disen dorn.' und fliegt auf den Ast da.'


Weiter appelliert Frau Pinte an ihren Mann daran zu denken, dass ihre gemeinsamen Kinder noch sehr klein seien und wie es ihr ergehen würde, wenn er sie zur Witwe machte. Daraufhin fliegt Scantecler auf einen Ast <HarvardReferences /> (vgl. [Glichezare 2005: V.91-99]).

Aus Scanteclers Sicht herrscht keine all zu große Gefahr. Er gibt sich gelassen und "glaubt (...), die konkreten Warnungen Pintes eitel-souverän kommentieren zu dürfen" [Ruh 1980: 17.]. Als Reinhart seine List an dem Hahn anwendet, fällt dieser sogleich darauf rein. Schnell lässt er jede Vorsicht fallen, als er mit seinem Vater verglichen wird. Der Ehrbegriff und die Aufrechterhaltung des guten Rufs der Familie scheinen ihm mehr zu bedeuten, als das Vorhandensein der Gefahr auf Laib und Leben. Reinhart lässt ganz bewusst den Begriff der Treue fallen. Er hofft, dass er den stolzen Hahn in seiner Ehre kränken kann und dass dieser sich dem widersetzt, indem er Mut beweist und zu ihm herab fliegt. Als genau dies eintritt, schnappt Rheinhart sich den Hahn Scantecler. In diesem Moment fängt die Henne Pinte laut an zu schreien und ruft somit den Bauern herbei. So gelingt es dem Hahn mit dem Leben davon zu kommen (vgl. [Glichezare 2005: V.104-151]). Der Hahn Scantecler verkörpert das stereotype Auftreten eines Mannes: scheinbar allen überlegen und von sich selbst überzeugt. Damit geht auch ein egoistisches Verhalten einher. Trotz seiner vorherigen Erfahrungen mit dem Fuchs, die Warnung in Form seines Traums und die Warnungen seiner Frau lässt er sich nicht in seiner Männlichkeit beirren. Es wird deutlich, dass die genannte Attribute einen hohen Stellenwert für die Handlungsentscheidungen des Hahns haben. Egoistisch ist er, da er die Worte seiner Frau an sie und die Kinder zu denken sogleich vergisst, als es um sein eigenes Wohl geht. Ganz eindeutig fehlt es dem Hahn an Vernunft und Klugheit. Hätte er statt seines Egoismus und seiner grenzenlosen Selbstüberzeugung Vernunft und Verstand walten lassen, wäre die Begegnung mit Reinhart anders verlaufen. Die Henne Pinte nimmt wie angekündigt, trotz der fehlenden Entscheidungsmacht, eine gewichtige Rolle ein. Sie scheint die Defizite ihres Mannes in gewisser Form auszugleichen. Sie nimmt die Gefahrensituation vollständig wahr. Auch fällt sie nicht auf Reinharts List herein. Trotz ihrer offensichtlichen Zuneigung zu ihrem Mann lässt sie nicht zu, dass dieser mit seinen sorglosen Worten sie in ihrem Bewusstsein trübt. Die weibliche Tierfigur der Pinte ist gekennzeichnet durch Intelligenz und Vernunft. Ein weiteres stereotypisches Merkmal könnte ihre fehlende Besonnenheit sein. Sie schreit und ängstigt sich. Jedoch kann man dieses Verhalten in Anbetracht der Tatsache, dass ihnen einer ihrer schlimmsten Feinde entgegentritt, durchaus als moderat bezeichnen.

Einen wichtigen Gesichtspunkt gilt es noch zu beachten. Der/Die Leser*in bekommt durchaus den Eindruck, dass der Hahn Scantecler und die Henne Pinte sich gegenseitig achten. Sie kommunizieren in respektvoller Weise miteinander. Dennoch ist ein klares Machtverhältnis auszumachen. Ein bedeutungsvolles stereotypisches Merkmal der Frau ist die fehlende Macht- und Gewaltfähigkeit (vgl. [Mecklenburg 2017: 94]) . In Bezug auf das Ehepaar Hahn und Henne spielt die Gewalt zwar keine Rolle, sehr wohl aber das Machtverhältnis. Da die Henne Pinte ihrem Mann zwar zureden kann, ihn jedoch zu nichts zwingen kann, ist Scantecler in der Lage, sich ihren Bitten zu widersetzen. Der Hahn Scantecler ist sich seiner Position und auch seiner Macht bewusst. Diese Überlegenheit ist außerdem der Grund für den vorläufigen Rückzug Scanteclers auf einen Ast. Denn mit dem ehelichen Machtverhältnis geht geht auch eine Schutzpflicht für die Ehefrau und die Kinder einher. Diese Pflicht ermöglicht es dem Hahn sich auf den Ast in Sicherheit zu begeben, ohne dass er darum zu fürchten braucht feige zu wirken oder einem Kampf mit dem Feind aus dem Weg zu gehen (vgl. [Mecklenburg 2017: 91]).

Wolf und Wölfin: Herr Isengrin und Frau Hersant

Im Laufe der Geschichte trifft der Protagonist Reinhart auf die Wolfsfamilie. Zunächst wird er auf den Wolf Isengrin aufmerksam, dieser tritt narrativ zuerst auf. Erst im Anschluss daran wird die Wölfin Hersant erwähnt. Jedoch geschieht dies, anders als beim Wolf, nicht namentlich, sondern sie wird als Frau vom Wolf Isengrin betitelt (vgl. [Glichezare 2005: V.385-403]). Die primäre erzählerische Präsentation der Wolfsfamilie erweckt folgenden Eindruck: Der Wolf Isengrin erfüllt die stereotypischen Charakteristika eines Mannes. Er ist stark und als Oberhaupt seiner Herde, verfügt er über die Entscheidungs- und Handlungsgewalt. Seinen Wunsch sich der Herde anzuschließen bringt Rheinhart, der die vermeintliche Rollenverteilung der Herde instinktiv zu durchschauen scheint, beim Wolf Isengrin vor. In den folgenden Textstelle wird der Versuch Reinharts den Wolf von seinem Anliegen zu überzeugen aufgeführt:

Mittelhochdeutsch Übersetzung [V.385-401]
Do Reinhart die not vberwant, Als Reinhart aus der Notlage entkommen war,
vil schire er den wolf Ysengrin vant. traf er bald darauf auf den Wolf Isengrin.
do er in von erst ane sach, Weil er ihn zuerst erblickte,
nv vernemet, wie er do sprach: nun hört euch an, was er sprach:
,got gebe evch, herre, gvten tac. „Gott schenke Euch einen guten Tag, mein Herr.
swaz ir gebietet vnde ich mac Ich kann tun was auch immer Ihr verlangt und
evch gedinen vnde der vr'owen min, Euch und meiner Herrin dienen,
des svlt ir beide gewis sin. dessen sollt ihr euch beide sicher sein.
ich bin dvrch warnen her zv ev kvmen, Ich bin zu euch gekommen, weil ich euch warnen will
wan ich han wol vernumen, denn ich habe mit Sicherheit gehört,
daz evch hazzet manic man. dass Euch manch einer hasst.
wolt ir mich zv gesellen han? Wollt ihr mich zum Diener haben?
ich bin listic, starc sit ir, Ich bin listig, Ihr seid stark,
ir mochtet gvten trost han zv mir. Ihr könntet guten Schutz durch mich haben.
vor ewere kraft vnde von minen listen Von eurer Stärke und von meine Gerissenheit
konde sich niht gevristen, könnte man sich nicht schützen
ich konde eine bvrc wol zebrechen.', ich könnte selbst eine Burg zerstören.“

Fortführend wird dem Rezipienten Rheinharts wirkliche Absicht, die Minne an der Wölfin Hersant, mitgeteilt (vgl. [Glichezare 2005: V.407-408]). Dies mag außerdem der Grund sein, weshalb er explizit auch die Wölfin in seine Rede mit einbezieht. Des weiteren wird bei dem Wolfsehepaar, im Unterscheid zu dem Ehepaar Hahn und Henne, das Bild des männlichen alleinigen Oberhauptes verworfen, als Isengrin sich an seine Frau und seine Söhne wendet, um Reinharts Angebot zu beraten. (vgl. [Glichezare 2005: V.402-403]). Neben dem Wolf Isengrin hat auch die Wölfin Hersant ein Mitbestimmungsrecht. Die Entscheidung Reinharts Bündisangebot anzunehmen wird "gemeinschaftlich und einstimmig" getroffen (vgl. [Mecklenburg 2017: 93]). An dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Machtverhältnis von Mann und Frau in dieser Konstellation atypisch ist. Der Wolf Isengrin scheint nicht die alleinige Entscheidungsmacht zu haben. Zur genaueren Differenzierung ist es ratsam, das Außenverhältnis und das Innenverhältnis des Ehepaares zu trennen. Im Hinblick auf das Außenverhältnis scheint es so zu sein, dass der Wolf Isengrin und die Wölfin Hersant "eine geschlechtsindifferente Herrschaftsfähigkeit" [Mecklenburg 2017: 93] zugeschrieben werden kann. Bezüglich des Innenverhältnisses gilt weiterhin die Norm, dass der Wolf Isengrin alleiniger Besetzer der Machtposition ist. Dies lässt sich damit begründen, dass der Wolf Isengrin dem Fuchs Rheinhart für die Dauer seiner Abwesenheit die Verfügungsgewalt und Schutzpflicht gegenüber der Wölfin Hersant überträgt. (vgl. [Mecklenburg 2017: 93]). Demnach muss er im Innenverhältnis über mehr Macht als seine Frau verfügen. Wäre diese autonom, würden die Verantwortungen für sie bei ihr liegen und nicht, über ihren Kopf hinweg, von Mann zu Mann gewiesen werden.
Die beiden Figuren lassen sich nicht nur als Ehepaar analysieren. Auch Mann und Frau für sich weisen ihre besonderen Merkmale auf. So wendet Reinhart seine Listen am Wolf Isengrin auf dieselbe Weise an, wie er es bereits beim Hahn getan hat. Er schmiert dem Wolf sprichwörtlich Honig ums Maul, indem er geschickt das männliche Ego des Wolfes manipuliert. In den Versen 97-99 sagt er zu dem Wolf, dass dieser stark sei. Und dass Rheinhart von dieser Stärke profitieren würde. Der Wolf Isengrin lässt sich von diesen Worten und der Verlockung von Rheinhart profitieren zu können becircen. Abermals lässt der Verstand des Mannes zu Wünschen übrig. Und dies in zweierlei Hinsicht. Zum einen sollte das, was Rheinhart anmerkt auch für den Wolf nur allzu ersichtlich sein. Dass der Wolf dem Fuchs körperlich überlegen ist, ist eine Gegebenheit, die nicht erst durch Reinharts Anmerkung ihre Existenzberechtigung erlangt. Zum anderen - und dies hängt unweigerlich mit dem ersten Argument zusammen - hätte der Wolf Isengrin bemerken müssen, dass Rheinhart mit dieser Bemerkung etwas zu bezwecken versucht. Dies tut er aber nicht und so überhört der Wolf das, was für ihn hätte eine Art versteckte Warnung sein sollen hinter Reinharts Rede, nämlich dass dieser listig und gewissen ist. Als weitere Besonderheit kann genannt werden, dass bezüglich der Konstellation Isengrin-Hersant nicht - wie bei Hahn und Henne - von einem Schwächeausgleich gesprochen werden kann. Die Wölfin Hersant ist ihrem Ehemann geistig nicht überlegen. Auch sie stimmt dem Bündnis zu und so wird Rheinhart als Vetter in der Familie begrüßt (vgl. [Glichezare 2005: V.404 f.]).
Generell kann das Wolfsehepaar nicht derart konsequent in die stereotypischen Schubladen der einzelnen Geschlechter unterteilt werden, wie es noch bei Huhn und Henne der Fall war (vgl. [Mecklenburg 2017: 93]). Hier ist die Begriffsklärung zu Beginn des Artikels zu berücksichtigen. Wenn man die Komponente "sex" berücksichtigt, muss festgestellt werden, dass sich Wolf und Wölfin vom Körperbau nicht so stark unterscheiden, wie das andere Tier-Ehepaar. Im Bezug auf die Größe und Stärke von Isengrin und Hersant, schienen sie für den Leser geradezu indifferent. Zieht man die Komponente "Gender" hinzu, so ist die Unterscheidung eindeutiger vorzunehmen. Durch die erläuterten Merkmale wird deutlich, dass das gesellschaftliche Geschlecht der Wölfin Hersant ganz eindeutig weiblich ist und das des Wolfes Isengrin männlich.

Menschen

Wenn auch in der Unterzahl, gibt es menschliche Figuren in Rheinhart Fuchs. Es handelt sich um zwei Ehepaare. Zum einen der Bauer Lanzerin und seine Frau. Zum anderen der Priester und seine Frau. In diesem Kapitel wird die Differenz zu dem ehelichen Geschlechterverhältnis im Tierreich aufgezeigt.

Der Bauer und seine Frau

Der Bauer Lanzelin und seine Frau Ruozela werden zu Beginn der Erzählung eingeführt. Zuerst wird der Bauer Lanzelin namentlich genannt und erst im Anschluss, von ihm erzählerisch abgeleitet seine Frau (vgl. [Glichezare 2005: V.19 f.]), vgl. ([Mecklenburg 2017: 87]). Die folgende Textstelle soll einen detaillierten Einblick in das eheliche Verhältnis der beiden Figuren geben.


Mittelhochdeutsch Übersetzung <HarvardReferences /> [*V. 28-36]
babe Rvnzela zv im sprach: Das (alte) Mütterchen Ruozela sagte zu ihm:
,alder govch Lanzelin ,Alter Narr Lanzelin
nv han ich der hvener min nun habe ich zehn von meinen Hühnern
von Reinharte zehen verlorn an Reinhart verloren.
daz mvet mich vnde ist mir zorn.' das ärgert mich und macht mich wütend.'
meister Lanzelin was bescholten, Meister Lanzelin war zutiefst gedemütigt worden,
daz ist noch vnvergolten; und das ist noch immer ungebüßt.
doch er des niht enliez, Aber er zögerte nicht
er tete, als in babe Rvnzela hiez. zu tun, was ihm das Mütterchen Ruozela befohlen hatte.

Auffällig ist, dass die Konstruktion des Machtverhältnisses zwischen diesen beiden Eheleuten nicht den mittelalterlichen gesellschaftlichen Normen entspricht. Dies wird auch durch eine Bemerkung des Erzählers im Text deutlich (vgl. [Glichezare 2005: V.34 f.]). Der verbale Umgang zwischen Mann und Frau ist keineswegs respektvoll. Es ist aber nicht der Mann, der seine Macht missbraucht, sondern die Frau die "ihrem Ehemann gegenüber verbal aggressiv ist" [Mecklenburg 2017: 87]. Dieser ordnet sich demütig unter und tut, was ihm seine Frau befiehlt. Durch diese devote Handlungsart fällt er unweigerlich aus dem stereotypen Verhaltensmuster des Mannes heraus, was die atypische Konstellation des Geschlechterverhältnisses zwischen den beiden Figuren unterstreicht.

Der Priester und seine Frau

Als zweites menschliches Ehepaar treten der Pfarrer und seine Frau in das Geschehen ein. Erneut wird der Mann erzählerisch als erstes eingeführt und die Frau wird ihm zugehörig als seine Frau genannt (vgl. [Glichezare 2005: V.34 f.]). Auch ihr Verhältnis ist gekennzeichnet durch eine normwidrige Konstellation. Auch hier ist es die Frau, die die Machtposition einnimmt. Die Szene in der sich die Situation zuspitzt wird abermals durch eine von Reinharts Listen eingeleitet. Rheinhart stellt dem Kater Diepreht eine Falle und lockt ihn in das Haus der Pfarrers-Eheleute. Die Frau bemerkt einen Eindringling, hält diesen für den Fuchs Rheinhart und alarmiert ihren Mann. Dieser soll den vermeintlichen Rheinhart erwischen. Als es ihm misslingt, bekommt er den Zorn seiner Frau zu spüren. Diese schlägt erst mit der Hand, dann mit einem Holzscheit auf ihn ein. Nur das Eingreifen der Kammerfrau verhindert, dass sie ihn zu Tode prügelt. (vgl. [Glichezare 2005: V.1687-1723] Wesentlich ist, dass die Grenzüberschreitung von Macht und Gewalt ein solches Ausmaß annimmt, dass das Ehepaar selbst nicht in der Lage ist, die Situation unter Kontrolle zu bringen (vgl. [Mecklenburg 2017: 88]). Die Position die der Mann in diesem Geschlechterverhältnis einnimmt wird noch akzentuiert, indem es kein Mann ist, der als Drittes dazwischentritt, sondern eine Frau: Die Kammerfrau (vgl. [Mecklenburg 2017: 88]). Weiter wird das Bild des normwidirgen Verhältnisses gezeichnet, als der Pfarrer seine Frau um Verzeihung bittet.

Zwischenfazit

Noch ausformulieren!

Im ersten Schritt der Analyse der Geschlechterverhältnisse in Reinhart Fuchs wurden die Figuren in ehelichen Verhältnissen näher beleuchtet. Aus den einzelnen Betrachtungen ergibt sich ein Gesamtbild, das sie wie folgt zeichnen lässt:
Es besteht ein signifikanter Unterschied zwischen den Tier-Ehepaaren und den Menschen-Ehepaaren. In Anbetracht der außer textlichen Normen, die zur Entstehungszeit des Tierepos, im Mittelalters, herrschten, lässt sich dieser Unterschied festmachen. Die ehelichen Beziehungen der Tiere sind summa-summarum normkonform, wohingegen die ehelichen Beziehungen der Menschen mit den Konventionen brechen.



- - Tiere: Frauen geben sich stereotypisch damenhaft (Hersant nur in Teilen) und kennen ihre Grenzen im Machtgefüge. Sind vernünftig (Hersant prüfen) und klug - Tiere: Männer sind egoistisch, haben übersteigerte Selbstüberzeugung, Mangel an Intelligenz und Vernunft

Menschen: - Verschobene Rollenverteilung. Geschlechterverhältnis vertauscht ? * - Mann ist devot und scheint sich seiner gesellschaftlichen Position nicht bewusst zu sein, er hat in Beziehung zu seiner Frau keines der typischen Attribute eines Mannes - Frau ist jähzornig, überschreitet Machtgrenze, dreht Gewalt- und Machtverhältnis um (Bezug zu *),


Tiere und Menschen: - Frauen: Haben das stereotype Merkmal der fehlenden emotionalen Kontrolle. Wichtig: Bei Tieren (Henne) ist dies eine Charakterschwäche, bei Menschen ist diese extreme Schwäche der Katalysator für Gewaltausbrüche - Männer: Unterscheiden sich signifikant.

Handelte es sich bei den Emotionsausbrüchen der Frau des Bauern Lanzelin noch um verbale Gewalt, so wird dies durch das Verhalten der Pfarrersfrau weiter gesteigert (Kennzeichen: Mecklenburg!)

Die Rolle alleinstehender Geschlechter

Im vorliegenden Abschnitt werden die Geschlechterverhältnisse in Reinhart Fuchs derjenigen Tierfiguren betrachtet, die in keinem eheliche Verhältnis zu einer anderen Tierfigur stehen. Im Laufe der Erzähung trifft der Protagonist Reinhart auf eine Vielzahl solcher Tierfiguren. Dennoch werden lediglich exemplarisch einzelne Tierfiguren genauer betrachtet. Der Grund dafür liegt in der narrativen Darstellung dieser Kategorie von Tieren in Reinhart Fuchs.

Der Mann: Der Löwe Vrevel

Neben dem Wolf Isengrin und dem Fuchs Reinhart repräsentiert der Löwe Vrevel das männliche Ensemble. Für eine detaillierte Charakterisierung des Löwen sei auf den zugehörigen Artikel verwiesen. Nachfolgend werden die Eigenschaften des männlichen Charakteristikums betrachtet. Als König des Tiervolkes verfügt der Löwe Vrevel auf eklatante Weise über die Machtposition schlechthin. Schnell wird klar, dass auch der König von den stereotypen Merkmalen des Mannes behaftet ist, wie die bereits analysierten männlichen Tierfiguren. Er tritt als ein "schwacher, willkürlicher und skrupelloser König" <HarvardReferences /> [Neudeck 2016: 16] auf. Seine Schwäche bezieht sich nicht auf seine Anatomie, sondern auf seinen Verstand. Seine Handlungen sind durchgängig gekennzeichnet von Willensschwäche. Wobei die Willensschwäche darin liegt, dass er seinen egoistischen Wünschen nachgibt, statt den, seiner Machtposition innewohnenden, Pflichten nachzukommen. Dies zeigt sich besonders gut an der Stelle des Geschehens, als "sich der König zunächst als Gerichtsherr [erweist], der das Verfahren gegen den Fuchs ordnungsgemäß leitet [...] Er droht ihm auch [...] rechtskonform mit Verbannung und Tod. Doch sobald [Reinhart] [...] Heilung [des Königs] verspricht, bricht sich der Egoismus des kranken Herrschers Bahn" [Neudeck 2016: 22]. Dem Löwen Vrevel fehlt es an essentiellen Eigenschaften eines Königs. Er ist sich weder seiner Verantwortung bewusst, noch handelt er nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne des Tiervolks, sondern lediglich in seinem eigenen Sinne.

Die Frau

Zum Zwecke der Analyse der alleinstehenden Frau werden die zwei einzigen Figuren, die in diesem Spektrum liegen, näher beleuchtet.

Das Kamel

Das Kamel aus Thuschalan ist das einzige Tier des Hoftag-Geschehens, das eindeutig als weiblich markierte wird. Dies ist mit dem grammatischen Geschlecht zu belegen. "olbente" [Glichezare 2005: V.1438] bezeichnet das weibliche Kamel, wohingegen "olbent" die Bezeichnung gewesen wäre, hätte es sich um ein männliches Kamel gehandelt. [Mecklenburg 2017: 86]

Die Meise

Zwischenfazit

Es ist eindeutig zu beobachten, dass in der erzählten Welt der Ausdruck von Geschlecht und die Ehe unerlässlich mit einher gehen. In dem Tierepos treten entweder Tierfiguren auf, die einen Ehepartner haben oder es treten Tierfiguren auf, die keinerlei sexuelle Beziehung zu einer anderen Figur pflegen.

Eine Zwischenposition: Der Fuchs Rheinhart

Die Problematik der Einordnung der Tierfigur

Der Fuchs Reinhart und die Wölfe

Inwiefern der Schauplatz der Interaktion zwischen der Wölfin Hersant und Reinhart eigentlich der Interaktion zwischen dem Wolf Isengrin und Reinhart dient, wird im folgenden erläutert. Selbst die Stelle der Vergewaltigung Hersants ist dem sozial determinierten Geschlecht zuzuordnen. Auch hier spielt ihr anatomisches Geschlecht eine untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es um

Sowohl Hersant als auch Isengrin begehen damit einen großen Fehler. Denn sie gehen über das, was Reinharts eigentliches Anliegen war hinaus. Dieser bat um ein Kriegsbündnis zwischen dem Fuchs und den Wölfen. Die Wölfe aber machten ihn jedoch zum Vetter. Daraus entsteht folglich in seiner Doppelbedeutung eine Freundschaftsbeziehung zwischen Rheinhart und Isengrin und eine Patenschaft Rheinharts in Bezug auf die Wolfssöhne. [*Vgl. Mecklenburg; 2017 : 93] "Die Einladung zur Aufnahme einer Nähebeziehung zu seiner Frau geht also von Isengrin selbst aus." [*Mecklenburg; 2017 : 93]

Zwischenfazit

Fazit

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences />

  • [*Sieber 2015] Sieber, Andrea: Gender Studies, Berlin/München/Boston 2015, S. 117 - 121.
  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, in: Höfische Epik des deutschen Mittelalters, Berlin 1980, S. 17.
  • [*Glichezare 2005] Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg., übers. und erläutert von Karl-Heinz Göttert, bibliographisch ergänzte Ausg., Stuttgart 2005 (Reclams Universal-Bibliothek 9819)
  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: mir ist lait, daz der man min / ane zagel muz wesen (V. 1058f.). Zur Überlagerung von Animalität, Geschlecht und Emotion in Heinrichs Reinhart Fuchs, in: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘. Vormoderne intersektional, hg. von Susanne Schul, Mareike Böth und Michael Mecklenburg, Göttingen 2017 (Aventiuren 12), S. 73-98.
  • [*Neudeck 2016] Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik. Reflexionen des Politischen in europäischer Tierepik, Berlin / Boston 2016, S. 10–26.
  1. [1], Alle Originaltexte, die im Zuge einer Übersetzung Gegenstand dieses Artikels sind, stammen, falls nicht anders gekennzeichnet, aus: Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg., übers. und erläutert von Karl-Heinz Göttert, bibliographisch ergänzte Ausg., Stuttgart 2005 (Reclams Universal-Bibliothek 9819)