Musik und Gesang (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Tristans Ausbildung

Tristan wird schon in seiner frühesten Jugend ins Ausland geschickt, um Fremdsprachen zu lernen, schnell beginnt er auch Bücher zu lesen. Die musikalische Ausbildung beginnt für Tristan mit dem Saitenspiel.

Under disen zwein lernungen
der buoche unde der zungen
sô vertete er sîner stunde vil
an iegelîchem seitspiel.
dâ kêrte er spâte unde vruo
sîn emezekeit sô sêre zuo,
biz er es wunder kunde. (V. 2093 - 2099)

Erst anschließend übt er sich in der Kriegskunst und im Reiten, also Dingen, die überlebensnotwenig sind für einen Ritter. Es folgen Studien der Jagd und weitere Reisen. Rual formt auf diese Art und Weise das höfische Ritterideal in der Figur des Tristan neu, indem er Tristan so ausbildet, dass die Maßstäbe für die Gesamtheit der höfischen Ritter deutlich höher sind, als vor Tristans Ausbildung. An dieser Reihenfolge und Hierarchie der Auflistung sieht man welchen Stellenwert schon früh das Wort und die Musik in Tristans Leben hat und kann schon erahnen, welche Wichtigkeit diesen Größen in seinem weiteren Leben anheim fallen. Später im Roman erfahren wir, dass Tristan sich durchaus auch in der Musiktheorie auskennt, neben dem praktischen Musizieren.

daz beste daz er kunde,
sô schuollist, sô hantspil,
daz ichniht sunder zalen wil,
daz leite er ir besunder vür (V. 7966 - 7969)

Isoldes Ausbildung

Isolde wiederum wird ebenfalls seit frühester Kindheit in Buchwissen und Saitenspiel von einem Hauslehrer unterrichtet. Doch scheint es, dass ein anderer Schwerpunkt gesetzt ist, denn Isoldes Mutter wurde vom selben Lehrer vor allem in Wissenschaften, also Alchemie ausgebildet. Es ist anzunehmen, dass die jüngere Isolde diese Materie ebenfalls in aller Ausführlichkeit erlernt. Isolde ist in jedem Fall durch ihre bisherige Ausbildung zur frouwe erzogen worden. Erst als Tristan einen neuen Maßstab der Höfischheit durch sein Können mit nach Irland bringt, zeigt sich, dass Isolde noch nicht edel genug ist.

Isoldes Vervollkommnung durch Tristan

Als Gegenleistung für die Heilung Tristans durch die Königin Isolde, beginnt dieser die jüngere Isolde in seinen Künsten zu unterrichten. Isolde lernt schnell und wissbegierig. Hauptsächlich im Musizieren vermittelt Tristan Isolde neue Fähigkeiten. Ihre Fertigkeiten werden feiner, ihre Sinne für die Musik geschärft. Doch auch in Sittenlehre, welche feinen Anstand und Gottesnähe vermittelt, unterrichtet Tristan Isolde. Isolde wird also erst durch das Können Tristans und durch dessen Anwesenheit in Irland und am irischen Hof zur vollkommenen frouwe und zu einem besseren Idealbild.


Der folgende Abschnitt zeigt, dass Tristans Kunst, die er an Isolde weitergibt, es erst möglich macht, dass sich das Liebesglück entwickelt und die zwei Seelen zu einem Ganzen verschmelzen. Isolde wäre nicht ohne Tristan, denn er macht sie zur erhabenen frouwe; Tristan wäre nicht ohne Isolde, denn sie bringt mit dem Liebestrank die Liebe.

Musik und Gesang als Ausdruck der erfüllten Liebe

Während dem Aufenthalt in der Minnegrotte beschäftigt sich das Paar intensiv mit seiner Liebesthematik. In der freien Natur, außerhalb ihrer Grotte erzählen sie sich Geschichten von unerfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und mythologischen Figuren, die an ihrer Liebe scheitern oder zu Grunde gehen. Diese Geschichten machen Tristan und Isolde so traurig, dass sie sich in die Minnegrotte zurückziehen und zusammen musizieren. Zuerst wird an diesem Modell deutlich, dass es der Liebe außerhalb eines hermetischen Raums, in diesem Fall die Allegorie der Minnegrotte, der Liebe und den Liebenden schlecht ergeht, dass dort Gefahren und Kummer auf alle Beteiligten warten, an welchen sie scheitern müssen, und Dinge stattfinden, sogar schon in der reinen Reflexion, die traurig stimmen. Im abgeschlossenen Raum der Grotte können die äußeren Einflüsse aber keinen Schaden anrichten. Tristan und Isolde finden sich ganz mit sich allein und frei von jeder Norm in der Materie ihrer Zuneigung und Sexualität. Das Einzige, was mit in diesen Raum darf ist der Klang der Musik und des Gesangs. Alle melancholischen Erinnerungen sind in die Außenwelt verbannt. Musik ist hier Ausdruck „äußerster“ Intimität. Was immer der eine harft, erwidert der andere angemessen mit seiner Stimme. Es werden die wohl lyrischsten und zartesten „Instrumente“ verwendet. Die Harfe wird im Mittelalter eher mit den Fingern gestrichen als gezupft und die Stimme kann sich beinahe jeder Stimmung anpassen. Es entsteht ein sphärischer Klang, der von den Liebenden erzeugt wird und der sie einschließt. Das Paar bildet in seinem Musizieren eine Einheit, ein vollständiges Ganzes. Musik kann hier guten Gewissens auch als Metapher für den Geschlechtsakt in der Abgeschiedenheit der Grotte angesehen werden. Sie geben sich einander völlig hin und verschmelzen. Ganz so wie Harfenklang und Gesang miteinander eins werden. Musik ist gleichsam Ausdruck reinster Liebe, als auch romantischster Sexualität. Dieser Moment des Romans hat nichts mehr mit der triebigen Entjungferung Isoldes auf dem Schiff zu tun, die nicht einmal näher Beschrieben wird. Hier wird die harmonische Vereinigung der Körper und der Seelen beschrieben, wie sie noch keinmal zuvor erwähnt wurde. Tristan und Isolde sind am Ziel ihrer Liebesidylle angelangt. diu wâre wirtinne diu haete sich dar inne alrêrste an ir spil verlân. (V. 17229 - 17231) Interessanterweise haben beide die Kunst zu musizieren wie oben beschrieben in der höfischen Gesellschaft erlernt, wobei Isolde viel von Tristan gelehrt bekam, während sie ihn gesund pflegte. Somit wird also der Grundstein für erfolgreiche Liebe auch am Hofe gelegt. Dies muss einer der Gründe sein, warum sich beide auf dem harmonischen Höhepunkt ihres Gemeinsamseins zurück in die Gesellschaft sehnen, die ja ihre gemeinsame Existenz, wie das Musizieren, konstituierte und somit untrennbar, trotz allen Widrigkeiten, mit Tristan und Isolde verknüpft ist. Wenige Verse später verlassen sie ihren Schutzraum, den sie auch nicht mehr brauchen, denn die innigste Vereinigung haben sie bereits erlebt und treten in die Welt der „Sterblichen“ ein, wodurch sie sich gleichzeitig wieder verwundbar gegenüber Allem machen, dass nicht gleich inniglich liebt.