Musik und Gesang (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Dieser Artikel wird sich damit beschäftigen, wie sich Musik und Gesang im Tristan-Stoff zur Minne verhalten. Im Zentrum der Fragestellung steht dabei, welchen Einfluß Musik auf das Minnen hat und ob der Gesang des Liebespaares als Ausdruck der Absolutheit ihrer Liebe dienen kann. Desweiteren muss betrachtet werden, inwiefern für das gemeinsame Musizieren (und somit auch gemeinsames Lieben) die Erziehung der Protagonisten eine Rolle spielt und inwieweit Tristan Isolde dabei prägt. Abschließend möchte ich noch beleuchten, welche Bedeutung Musik für Tristan und Isolde in ihrer von einander isolierten Rolle hat. Gibt es also einen Unterschied zwischen seiner Musik und ihrem Gesang?

Einswerdung des Liebespaares durch Musik

Tristans Ausbildung

Tristan wird schon in seiner frühesten Jugend ins Ausland geschickt, um Fremdsprachen zu lernen, schnell beginnt er auch Bücher zu lesen. Die musikalische Ausbildung beginnt für Tristan mit dem Saitenspiel.

Under disen zwein lernungen
der buoche unde der zungen
sô vertete er sîner stunde vil
an iegelîchem seitspiel.
dâ kêrte er spâte unde vruo
sîn emezekeit sô sêre zuo,
biz er es wunder kunde. (V. 2093 - 2099)

Erst anschließend übt er sich in der Kriegskunst und im Reiten, also Dingen, die überlebensnotwenig sind für einen Ritter. Es folgen Studien der Jagd und weitere Reisen. Rual formt auf diese Art und Weise das höfische Ritterideal in der Figur des Tristan neu, indem er Tristan so ausbildet, dass die Maßstäbe für die Gesamtheit der höfischen Ritter deutlich höher sind, als vor Tristans Ausbildung. An dieser Reihenfolge und Hierarchie der Auflistung sieht man welchen Stellenwert schon früh das Wort und die Musik in Tristans Leben haben und kann sofort erahnen, welche Wichtigkeit diesen Größen in seinem weiteren Leben noch haben werden. Später im Roman erfahren wir, dass Tristan sich durchaus auch in der Musiktheorie auskennt, neben dem praktischen Musizieren.

daz beste daz er kunde,
sô schuollist, sô hantspil,
daz ichniht sunder zalen wil,
daz leite er ir besunder vür (V. 7966 - 7969)

Isoldes Ausbildung

Isolde wiederum wird ebenfalls seit frühester Kindheit in Buchwissen (sie kann also auch Latein) und Saitenspiel von einem gelehrt von::Hauslehrer unterrichtet.

die lêrte er dô und alle wege
beidiu buoch und seitspil. (V. 7726 f.)

und

diu schoene si kunde
ir sprâche dâ von Develîn,
si kunde franzois und latîn,
videlen wol ze prîse
in welhischer wîse. (V. 7984 - 7988)

Doch scheint es, dass ein anderer Schwerpunkt gesetzt ist, denn Isoldes Mutter wurde vom selben Lehrer vor allem in Wissenschaften, also Alchemie ausgebildet.

der was der küniginne
meister unde gesinde
und haete sî von kinde
gewitzeget sêre
an maneger guoten lêre,
mit manegem vremedem liste,
den sî von im wiste. (V. 7708 - 7714)

Es ist anzunehmen, dass die jüngere Isolde diese Materie ebenfalls in aller Ausführlichkeit erlernt. Isolde ist in jedem Fall durch ihre bisherige Ausbildung zur frouwe erzogen worden. Erst als Tristan einen neuen Maßstab der Höfischheit durch sein Können mit nach Irland bringt, zeigt sich, dass Isolde noch nicht edel genug ist.

Isoldes Vervollkommnung durch Tristan

Als Gegenleistung für die Heilung Tristans durch die Königin Isolde, beginnt dieser die jüngere Isolde in seinen Künsten zu unterrichten.

und kanstu keiner lêre
und keiner vuoge mêre
danne ir meister oder ich,
des underwîse sî durch mich.
dar umbe wil ich dir dîn leben
und dînen lîp ze miete geben
wol gesund und wol getân. (V. 7851 - 7857)

Isolde lernt schnell und wissbegierig. Hauptsächlich im Musizieren vermittelt Tristan Isolde neue Fähigkeiten. Diese werden feiner, ihre Sinne für die Musik geschärft.

daz allerbeste, daz si dô
under allen sînen listen vant,
des underwant si sich zehant
und was ouch vlîzec dar an,
swes s'in der werlde began. (V. 7974 - 7978)

Doch auch in der morâliteit (V.8008 f.) , der Sittenlehre, welche feinen Anstand und Gottesnähe vermittelt, unterrichtet Tristan Isolde. Isolde wird also erst durch das Können Tristans und durch dessen Anwesenheit in Irland und am ertönt in::irischen Hof zur vollkommenen frouwe und zu einem noch besseren Idealbild.

hie von sô wart ir wol gesite,
schône und reine gemuot,
ir gebaerde süeze unde guot. (V. 8024 - 8026)

Der folgende Abschnitt zeigt, dass Tristans Kunst, die er an Isolde weitergibt, es erst möglich macht, dass sich das Liebesglück entwickelt und die zwei Seelen zu einem Ganzen verschmelzen. Isolde wäre nicht ohne Tristan, denn er macht sie zur erhabenen frouwe; Tristan wäre nicht ohne Isolde, denn sie bringt mit ihrem musikalischen Pendant die Möglichkeit zum Einswerden in der Liebe.

Absolute Liebe als Resultat von Musik und Gesang

Während des Aufenthalts in der Minnegrotte beschäftigt sich das Paar intensiv mit seiner Liebesthematik. In der freien Natur, außerhalb ihrer Grotte erzählen sie sich Geschichten von unerfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und mythologischen Figuren, die an ihrer Liebe scheitern oder zu Grunde gehen.

dâ sâzen sî z'ein ander an
die getriuwen senedaere
und triben ir senemaere
von den, die vor ir jâren
von sene verdorben wâren. (V. 17183 - 17186)

Diese Geschichten machen Tristan und Isolde so traurig, dass sie sich in die Minnegrotte zurückziehen und zusammen musizieren.

Sô s'aber der maere denne
vergezzen wolten under in,
sô slichen s'in ir clûse hin
und nâmen aber ze handen,
dar an s'ir lust erkanden,
und liezen danne clingen
ir harpen unde ir singen (V. 17200 - 17206)

Zuerst wird an diesem Modell deutlich, dass es der Liebe und den Liebenden außerhalb eines hermetischen Raums, in diesem Fall der Allegorie der Minnegrotte, schlecht ergeht, dass dort Gefahren und Kummer auf alle Beteiligten warten, an welchen sie scheitern müssen, und wo Dinge stattfinden, sogar schon in der bloßen Reflexion in Form von Geschichtenerzählungen, die traurig stimmen. Im abgeschlossenen Raum der Grotte können die äußeren Einflüsse aber keinen Schaden anrichten. Tristan und Isolde finden sich ganz mit sich allein und frei von jeder Norm in der Materie ihrer Zuneigung und Sexualität. Das Einzige, was mit in diesen Raum darf ist der Klang der Musik und des Gesangs. Alle melancholischen Erinnerungen sind in die Außenwelt verbannt. Musik ist hier Ausdruck „äußerster“ Intimität. Was immer der eine harft, erwidert der andere angemessen mit seiner Stimme.

sweder ir die harphen genam,
sô was des anderen site,
daz ez diu notelîn dermite
suoze unde senelîche sanc. (V. 17214 - 17217)

Es werden die wohl lyrischsten und zartesten „Instrumente“ verwendet. Die Harfe wird im Mittelalter eher mit den Fingern gestrichen als gezupft und die Stimme kann sich beinahe jeder Stimmung anpassen. Es entsteht ein sphärischer Klang, der von den Liebenden erzeugt wird und der sie einschließt. Das Paar bildet in seinem Musizieren eine Einheit, ein vollständiges Ganzes. Sie geben sich einander völlig hin und verschmelzen. Ganz so wie Harfenklang und Gesang miteinander eins werden. Musik ist nun Ausdruck reinster Liebe und die Liebenden befinden sich nun überhalb ihrer sexuellen Leidenschaft [Sziráky: S. 508 f.].

ouch lûtete ietweder clanc
der haphen unde der zungen,
sô s'in ein ander clungen,
sô suoze dar inne,
als ez der süezen Minne
wol z'einer clûse wart benant:
la foissiure a la gent amant. (V. 17218 - 17224)

Dieser Moment des Romans hat nichts mehr mit der triebigen Entjungferung Isoldes auf dem Schiff zu tun, die nicht einmal näher beschrieben wird. (s. V. 12044 - 12049) Hier wird die harmonische Vereinigung der Körper und der Seelen beschrieben, wie sie noch keinmal zuvor erwähnt wurde. Tristan und Isolde sind am Ziel ihrer Liebesidylle angelangt.

diu wâre wirtinne
diu haete sich dar inne
alrêrste an ir spil verlân. (V. 17229 - 17231)

Interessanterweise haben beide die Kunst zu musizieren, wie oben beschrieben, in der ertönt in::höfischen Gesellschaft erlernt, wobei Isolde viel von Tristan gelehrt bekam, nachdem er wieder gesund war. Somit wird also der Grundstein für erfolgreiche Liebe durch höfische Erziehung gelegt. Dies kann einer der Gründe sein, warum sich beide auf dem harmonischen Höhepunkt ihres Gemeinsamseins zurück in die Gesellschaft sehnen, die ja ihre gemeinsame Existenz, sowie ihr Musizieren, konstituierte und somit untrennbar, trotz allen Widrigkeiten, mit Tristan und Isolde verknüpft ist. Wenige Verse später verlassen sie ihren Schutzraum, den sie auch nicht mehr brauchen, denn die innigste Vereinigung haben sie bereits erlebt und treten in die Welt ein, wodurch sie sich gleichzeitig wieder verwundbar gegenüber Allem machen, dass nicht gleich inniglich liebt.

Tristans Musik

An mehreren Stellen im Roman wird die Wirkung von Tristans musikalischem Können deutlich. Diese Stellen sollen hier betrachtet und deren Bedeutung kontextualisiert werden.

Tristan und die Norweger

Zum ersten Mal beeindruckt Tristans Musik die norwegischen Händler. Diese kommen überein, dass sie Tristan, aufgrund seiner feinen Künste entführen wollen, um ihre eigene Ehre durch Tristans Können zu vermehren.

ouch sang er wol ze prîse
schanzûne und spaehe wîse,
refloit und stampenîe.
alsoher cûrtôsîe
treip er vil und sô vil an,
biz aber die werbenden man
ze râte wurden under in:
kunden s'in iemer bringen hin
mit keiner slahte sinnen,
sî möhten sîn gewinnen
grôzen vrumen und êre. (V. 2293 - 2303)

Tristans höfische Gesinnung und insbesondere seine Musikalität wird ihm hier zum Verhängnis. Sein Gesang und das Geigenspiel werden hier zum Motiv, weswegen ihn die Norweger entführen. Tristans Musik ist Impetus für den ganzen restlichen Verlauf seines Lebens, denn ohne sie wäre er nicht an Markes Hof gelangt [Sziráky: S. 486].

Tristan und Marke

Bevor Marke Tristan zum ersten Mal sieht hört er ihn, wie er zusammen mit der Jagdgesellschaft musiziert.

und alle ir horn nâmen
und hürneten vil schône
mit ime in sîme dône.
er vuor in vor ze prîse,
si nâch in sîner wîse
bescheidenlîchen unde wol.
diu burc diu wart gedoenes vol. (V. 3216 - 3222)

Hier dient seine Musik wieder dazu die Handlung voran zu treiben. Tristan gelingt es mit seiner Musik im Positiven auf sich aufmerksam zu machen. Umso wirksamer muss Tristans Musik sein, weil sie in vremdem horndone (V. 3248) erschallt, also aufgrund der Fremdheit künstlerisch überformt ist, so dass ihm auch niemand in seinem musikalischen Können folgen kann. Er sticht somit als außerordentlicher Künstler am Hofe heraus und kann sich in die Gesellschaft integrieren: Integration also aufgrund von Individualität [Sziráky: S. 486].

sîne noten und sîne ursuoche,
sîne seltsaene grûeze
die hapfete er sô süeze
und machete sÎ schoene
mit schoenem seitgedoene,
daz iegelîcher dâ zuo lief,
dirre jenem dar nâher rief. (V. 3566 - 3572)

Außerdem tritt Tristan hier als orphetische Gestalt in Erscheinung, die es vermag die höfische Gesellschaft durch sein süeze[s] Spiel für sich zu gewinnen. Wiederum eine Form von Integrationsprozess in den gesellschaftlichen Lebensbereich, in dem er erfolgreich sein wird.

Isoldes Musik

Isoldes musikalische Wirkung wird folgender Maßen beschrieben:

si sang ir pastûrele,

(...)

wol unde wol und alze wol.
wan von ir wart manc herze vol
mit senelîcher trahte. (V. 8072 - 8077)

Isolde erreicht also mit ihrem Gesang direkt das Herz, jenes Minneorgan, das schon im Prolog (edelen herzen V. 47) beschrieben wird. Beinahe lässt Isoldes Fähigkeit sie als Liebesgöttin erstrahlen, denn nicht einmal Tristan erreicht das Herz so direkt. Er zieht die Menschen aufgrund seiner vremede[n] Musik und höfischen Kunst in seinen Bann. Isoldes tougenliche sanc (V. 8122) dringt in die edele herzen. Darin liegt ein Teil ihrer Schönheit, welche somit nicht nur rein optisch ist, sondern auch auf einer transzendierteren seelischen Ebene [Sziráky: S. 502] erfahren werden kann. Dass Isolde als Sirene bezeichnet wird,

diu junge süeze künegîn,
alsô zôch sî gedanken în
ûz maneges herzen arken,
als der agestein die barken
mit der Syrênen sange tuot.
si sanc in maneges herzen muot (V. 8107 - 8112)

darf nicht negativ ausgelegt werden. Denn die Herzen, welche sie erreicht, zieht sie zwar an, da aber ihre Musik Ausdruck der Minne ist und somit aus ihrem edelen herzen kommt und für Liebe nur edele herzen empfänglich sind (s. Prolog), kann Isoldes tougenliche sanc auch nur auf edele herzen wirken, wo sie, die Sirene, überhaupt keinen Schaden anrichten könnte [Sziráky: S. 499, 502 f.].

Fazit

Wir sehen also, dass Musik und Gesang in Gottfrieds von Straßburg Tristan eine Reihe von Bedeutungen hat, die von großer Wichtigkeit für die Handlung und die transzendente Ebene des Romans sind. Einerseits gelingt es dem Liebespaar tatsächlich durch Musik völlig eins zu werden, miteinander und mit dem Minneideal. Andererseits gelingt es Gottfried durch die Wirkung der Musik im Roman, eine Vorstellung von völligem Einswerden zu vermitteln. Eine Absolutheit, die nicht in konkrete Worte gefasst werden kann, suggeriert er somit geschickt durch das Mittel der Musikalität in der Minnegrotte. Im harmonischen Klang-Werden der Protagonisten und im im-Einklang-schwingen werden sie selbst Musik, verlieren so gleichsam ihre materielle Hülle und können sich für die kurze Phase der zeitlosen Minnegrottesituation auch seelisch vereinen, ähnlich wie später im Liebestod. Musik dient zudem handlungskonstituierend, gewissermaßen als Impetus des Romans durch ihre Anzeihungskraft. Ohne sie würde Tristans Karriere als Ritter und Liebhaber nicht beginnen. Des Weiteren obliegt der Musik im Tristan eine integrative Aufgabe: Tristan kommt als Fremder an den Hof Markes und ihm gelingt es gerade durch die außergewöhnliche Fremdartigkeit seiner Musik die Menschen zu beeindrucken, wodurch sie sich seiner annehmen und ihn in die höfische Gesellschaft integrieren. Isoldes Musik wirkt noch direkter auf die Menschen. Sie erreicht mit ihrem Gesang die Herzen und verzaubert sie dadurch. Man kann der Musik im Tristan eine gewisse Zauberkraft zuschreiben - eine Macht die es vermag Menschen zu beeinflussen. Zuletzt ist die Musik in jeder Beziehung minne: Es geht um die Vereinigung von Seelen und um zwischenmenschliche Beziehungen. Sei es die Minnegrottesituation, oder Tristans Integration am Hofe. Am Ende wirkt Musik als Anziehungskraft, als Zaubermittel der minne. Sie ist Ausdruck der Liebe, Ausdruck der edelen herzen und wirkt auch genau auf diese.

Literatur

  • Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
  • [*Sziráky] Sziráky, Anna: Éros - Lógos - Musiké. Gottfrieds "Tristan" oder eine utopische renovatio der Dichtersprache und der Welt aus dem Geiste der Minne und Musik, Bern [u.a.] 2003 (Wiener Arbeiten zur germanistischen Altertumskunde und Philologie).