Folgen und Verfolgen (Neidhart)

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Dieser Artikel bietet einen Überblick über das Motiv des Folgens und Verfolgens bei Neidhart und beleuchtet darauf aufbauend welche Arten des Folgens, aber auch des Verfolgens, auftreten.

Das Motiv des Folgens ist bei Neidhart zentral, wobei im Artikel auch herausgearbeitet werden soll, wie und wozu anderen Personen gefolgt wird respektive andere Personen verfolgt werden. Dies soll an verschiedenen Textbeispielen herausgearbeitet werden.

Einführung Folgen

Definition

Jagt man das Verb folgen durch das Internet, werden einem direkt mehrere verschieden Vorschläge und Möglichkeiten zur Verwendung des Wortes geliefert. Wichtig für die Analyse werden hier vor allem die oftmals unmittelbaren Assoziationen mit dem Wort folgen sein. Diese sind:

(1) nachgehen oder nachkommen

(2) in der gleichen Weise oder ähnlich wie jemand handeln

(3) einer Aufforderung oder einem Rat entsprechend handeln respektive diesem gehorchen

[1]

Leitfragen für Analyse und Interpretation

Aus diesen Bedeutungsmöglichkeiten ergeben sich schlussendlich Fragestellungen, welche, basierend auf der Analyse ausgewählter Neidhart Lieder, betrachtet und beantwortet werden sollen:

(1) Warum folgen die Frauen in den Dialogliedern dem Sänger? Und folgen die Frauen dann dem falschen Mann?

(2) Die dörper - Wer sind die Verfolger des Sängers?

(3) Folgt der Sänger den falschen Frauen?

(4) Sind für das Motiv des Folgens Unterschiede zwischen Sommer- und Winterliedern erkennbar?

Folgen in Neidhart Liedern

Um den großen Überbegriff des Folgens, die damit verbundenen Bedeutungsmöglichkeiten sowie die erarbeiteten Fragestellungen zielführend zu behandeln, wird der große Überbegriff zunächst in zwei große Punkte, Folgen in Sommerliedern und Folgen in Winterliedern, aufgeteilt. Innerhalb dieser zwei Schwerpunkte werden die zentralen Aspekte des Folgens aufgearbeitet, wobei basierend auf Leitfrage (2) die dörper vorgestellt werden, um ein besseres Verständnis für diesen Personenverbund und die nachfolgenden Erläuterungen zu bekommen. Somit wird ein eigentlicher Punkt des Verfolgens aus Verständnisgründen vorgezogen.
Abschließend soll ein umfassender Vergleich im Hinblick auf das Motiv des Folgens gezogen werden, inwieweit sich Unterschiede, Gemeinsamkeiten oder Auffälligkeiten zwischen Sommer- und Winterliedern feststellen lassen.

Folgen in Sommerliedern

In vielen Sommerliedern, explizit in den Dialogliedern, wird der Sänger meist von jungen Mädchen umschwärmt; sie wollen ihm und seinem Gesang folgen. "Der Sänger wird zum Objekt des Begehrens, wobei sich bei den Frauen eine leichtgläubige Verführbarkeit offenbart." [Hübner 2008: 58f.] Die Dialoglieder bilden einen zentralen Teil der Neidhart'schen Sommerlieder. Neben der Fokussierung auf die Dialoglieder, ist zu beachten, dass Neidharts Lieder grundsätzlich durch einen Natureingang zu Beginn des Liedes gekennzeichnet sind. In den Sommerliedern wird dieser Natureingang im Hinblick auf das Motiv des Folgens interessant, denn der Sänger ruft zum Folgen in die angepriesene und blühende Natur auf.

Sowohl die Dialoglieder als auch der Natureingang sollen im Folgenden nun genauer beleuchtet werden.

Folgen in Dialogliedern

Die Dialoglieder lassen sich in Gespielinnen-Dialoge und Mutter-Tochter-Dialoge unterteilen, wobei in den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen miteinander in einen Dialog treten. Mutter-Tochter-Dialoge stellen hingegen eine Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter dar, wobei die Mutter eine entgegengesetzte Position im Vergleich zu ihrer Tochter einnimmt. Eine der beiden Damen, meistens die Tochter, agiert in diesen oft naiv; Hintergrund ist die Verführung durch den Sänger. Die Mädchen glauben dabei an die echte, höfische Liebe. Sie verkennen jedoch, dass es sich hierbei nur um Verführung handelt. Dies liefert eine erste Antwort im Hinblick auf Leitfrage (1), warum die Frauen dem Sänger folgen.
Um eine Vorstellung der Dialoglieder zu bekommen, ist es wichtig den "gemeinsamen thematischen Vorstellungshintergrund beider Frauendialogliedtypen zu kennen. Hierbei handelt es sich um die Pastourellensituation (Begegnung von Ritter und Mädchen in freier Natur) mit zwei für Neidhart kennzeichnenden Besonderheiten: 1. der Umkehrung des Werbungsschemas: die Werbung geht von den weiblichen Figuren aus, 2. der subjektiven Perspektive: das Pastourellengeschehen ist nie objektiv erzählter Liedinhalt, sondern wird im Gespräch gespiegelt, teils erst als Wunsch oder Absichtserklärung." [Schweikle 1990: 72] Beide, für Neidhart, besonderen Kennzeichen spielen eine wichtige Rolle, um das Motiv des Folgens in den Dialogliedern zu verstehen. Die Verehrung einer Frau, wie es etwa im Minnesang oder auch in Neidharts Winterliedern zu finden ist, dreht sich hier - es ist das Bauernmädchen, welches dem Sänger nachfolgen will. Die eigentliche Aktion des Folgens findet in den Liedern jedoch noch gar nicht statt. Von den Bauernmädchen wird gegenüber ihrer Gesprächspartner allerdings der Wunsch oder die Absichtserklärung geäußert.

Mutter-Tochter-Dialoge

"Grundkonstellation in den Mutter-Tochter-Dialogen ist eine Auseinandersetzung zwischen einer tanz- und liebeslustigen Tochter und ihrer Mutter zur Zeit des nahenden Sommers und der beginnenden Tanzsaison mit ihren erotischen Gefährdungen. Sie warnt [...] eindringlich vor dem ritterlichen Favoriten der Tochter, dem "von Riuwental" und empfiehlt dagegen reiche und v.a sozial passende Partner." [Schweikle 1990: 74] Aus Sicht der Mutter folgt die Tochter also dem falschen Mann. Sie bevorzugt für ihre Tochter einen Mann aus demselben Stand und empfiehlt dem Bauernmädchen einen bäuerlichen Bewerber, also sozial passenden Partner, zu heiraten. Diesem Rat wird jedoch keine Folge geleistet - "die Warnung der Mutter wird in den Wind geschlagen. Diese Dialogform findet man in den folgenden Neidhart-Liedern: SL 2, 6-8 ,13 ,15-19, 21, 23, 24. Zu einem Rollenwechsel, bei dem die Mutter die Funktion der Tochter übernimmt, kommt es in den Sommerliedern 1, 3, 9." [Ruh 1984: 112]

Neben den Befürchtungen der Mutter, die Tochter folge dem "Falschen", versucht die Mutter das Vorhaben "der Tochter, an der Tanzsaison mit erotischen Gefährdungen teilzunehmen, durch Verbote, Bitten [...] und Warnungen zu verhindern. Oder auch vorhersehbaren üblen Folgen durch Ratschläge vorzubeugen. Dabei verweist sie ganz besonders auf konkrete Folgen" [Schweikle 1990: 74] des Folgens. Die Mutter will dabei die naiv erscheinenden Absichten ihrer Tochter verhindern; dies bleibt jedoch erfolglos. Die Tochter folgt schlussendlich scheinbar lieber dem Ruf des Reuentalers als dem Rat ihrer Mutter. Es kommt zum "zornigen Zurückweisen der Lehren, dem Bestehen auf dem ritterlichen Favoriten und der Ablehnung des der Mutter genehmen Bewerbers." [Schweikle 1990: 75] Dieses Verhalten zeigt sich beispielsweise sehr schön in Sommerlied 18, Strophe IV. Das Bauernmädchen beharrt auf ihren Absichten, wodurch sich dann sowohl in Strophe IV als auch in Strophe V ein Resignationsverhalten der Mutter erkennen lässt. All ihre Verbote, Bitten, Ratschläge und Warnungen, stoßen bei ihrer Tochter auf taube Ohren.


Sommerlied 18

Strophe IV

Vers 1-7

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Der muoter der wart leit, Der Mutter war es leid,
daz diu tohter niht enhorte, daz si ir vor geseit; dass die Tochter nicht gehorchte, was sie ihr zuvor gesagt hatte.
iz sprach diu stolze meit: Da sagte das übermütige Mädchen:
"ich han im gelobt: des hat er mine sicherheit. "Ich habe es ihm versprochen: deshalb hat er mein Treuegelöbnis.
waz verliuse ich da mit miner eren? Warum sollte ich denn damit meine Ehre verlieren?
jane wil ich nimmer widerkeren, Jawohl, ich will nicht wieder zurückkehren,
er muoz mich sine geile sprünge leren." er wird mir seine glücklichen Sprünge beibringen."
Folgen, vor welchen die Mutter warnt, wären beispielsweise eine ungewollte Schwangerschaft oder auch die Gewaltanwendung durch den Sängers. Die Tochter ignoriert diese Warnungen aber oder nimmt sie lediglich unhinterfragt zur Kenntnis. Dies zeigt sich exemplarisch in der fünften Strophe des Sommerlieds 18, in welchem die Folgen einer Partnerschaft mit dem Sänger relativ deutlich auf den Punkt gebracht werden (Vers 5-7). Strophe V
Vers 1-7
Diu muoter sprach: "wol hin! Die Mutter sprach: "So geh!
verstu übel oder wol, sich, daz ist din gewin: dir wird es wohl oder übel so ergehen, schau, aber das ist dann dein Glück:
du hast niht guoten sin. du hast keine gute Einschätzungsgabe.
wil du mit im gein Riuwental, da bringet er dich hin: Willst du mit ihm ins "Reuetal" gehen, dann bringt er dich dorthin:
also kan sin treiros dich verkoufen. So kann er dein Tanz für sich verkaufen.
er beginnt dich slahen, stozen, roufen Er beginnt dich zu schlagen, zu schubsen, zu verprügeln
und müezen doch zwo wiegen bi dir loufen." und es werden dann zwei Wiegen bei dir laufen.


In Sommerlied 18, Strophe II, Vers 3-6 "beeindruckt selbst die mütterliche Warnung vor den Verführungsabsichten des Reuentalers, der im letzten Sommer erst ein Mädchen geschwängert habe, die Tochter nicht."[Hübner 2008: 58]

SL 18 Strophe II

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Diu muoter rief ir nach; Die Mutter rief ihr nach,
si sprach: "tohter, volge mir, niht la dir wesen gach! sie sprach: "Tochter, folge meinem Ratschlag, handle nicht voreilig!
weistu, wie geschach Weißt du doch,
diner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? wie es deiner Freundin Jiuten und ihrer Mutter letztes Jahr erging?
der wuohs von sinem reien uf ir wempel, Ihr wuchs der Bauch aufgrund seines Tanzes
und gewan ein kint, daz hiez si lempel: und sie bekam ein Kind, dass sie Lempel nannte:
also lerte er si den gimpelgempel." also lehrte er sie den seinen Tanz.


Die mütterlichen Warnungen, welche sogar anhand eines ihres bekannten Vorfalls ausgeführt werden, werden zurückgewiesen. Der Sänger hatte ihr zuvor neue rote Schuhe geschenkt, wodurch der Eindruck entsteht, dass dem naiven Bauernmädchen durch einfache Verführungen und Geschenke der Kopf verdreht wird - das Folgen wird nicht mehr hinterfragt. Und wie sich in SL 18, Strophe III, Vers 7 zeigt: Die Tochter folgt dem Rat ihrer Mutter auf keinen Fall.

SL 18 Strophe III

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
"Muoter, lat iz sin! Mutter, lass es sein!
er sante mir ein rosenschapel, daz het liehten schin, Er schickte mir einen Rosenkranz, der zauberte einen leichten Glanz
uf daz huobet min, auf meinen Kopf,
und zwene roten golzen brahte er her mir über Rin: und zwei rote Eisenhosen brachte er mir mit über den Rhein:
die trag ich noch hiwer an minem beine. die trage ich noch heute an meinen Beinen.
des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. Was er mich bat, dass kennt kein anderer.
ja volge ich iuwer raete harte kleine." Ja, deshalb folge ich eurem Rate auf keinen Fall."

"Doch selbst die alte Bäuerin bleibt in Neidharts Liedern nicht immer die kluge Figur. [...] Einige Texte, Sommerlied 1, 3 und 9, verkehren die Rollen so, dass die Mutter zum Gegenstand des Spotts wird: Als <geile Alte> will sie, von der Minne betört, zum Tanz",[Hübner 2008: 58f.] um dem Gesang des Reuentalers zu folgen. Hier ist es nun die Tochter, welche versucht, sie davon abzuhalten.
Sommerlied 1Strophe I
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Ein altiu diu begunde springen Eine Alte sprang los,
hôhe alsam ein kitze enbor: si wolde bluomen bringen. wie ein Zicklein hoch enmpor: sie wollte Blumen bringen.
"tohter, reich mir mîn gewant: "Tochter, reich mir mein Gewand:
ich muoz an eines knappen hant, ich muss an eines jungen Ritters Hand,
der ist von Riuwental genant. der nach dem Reuental benannt ist
Strophe II
"Muoter, ir hüetet iuwer sinne! "Mutter, achtet auf eure Sinne!
erst ein knappe sô gemuot, er pfliget niht staeter minne." Der Ritter wird dran denken, euch Treue in der Liebe zu pflegen."
"tohter, lâ mich âne nôt! "Tochter, lass mich mich in Ruhe!
ich weiz wol, waz er mir enbôt. Ich weiß wohl, was er mir versprochen hat.
nâch sîner minne bin ich tôt. Durch die Sehnsucht nach seiner Liebe sterbe ich.
traranuretun traranuriruntundeie." Traranuretun traranuriruntundeie."
Strophe III
Dô sprach's ein alte in ir geile: Da rief sie fröhlich zu einer anderen Alten:
"trûtgespil, wol dan mit mir! ja ergât ez uns ze heile. "Freundin, los, dahin mit mir! Und wird es glücklich ergehen.
wir suln beid nâch bluomen gân. Wir sollen beide nach Blumen gehen.
war umbe solte ich hie bestân, Warum sollte ich hier bestehen bleiben,
sît ich sô vil geverten hân? seit ich so viel Gefährtinnen habe?
traranuretun traranuriruntundeie." Traranuretun traranuriruntundeie."

Der Wunsch dem Reuentaler zu Folgen respektive der Versuch den jeweilig anderen davon abzuhalten, lässt sich folglich also sowohl auf die Mutter als auch auf die Tochter projizieren. Die Tochter ist jedoch weitaus häufiger das "Opfer" der sängerischen Verführungen. Auffällig ist jedoch, dass das blinde Folgen des Minnesangs oft kaum mehr zu verhindern ist; die Tochter, beziehungsweise die Mutter, agieren töricht und naiv. Da in den Mutter-Tochter-Dialogliedern entweder die Mutter oder in wenigen Fällen die Tochter das Vorhaben, dem Sänger zu folgen, verhindern wollen und dabei sogar sinnvolle und verständliche Warnungen aufbringen, lässt sich durchaus eine Antwort auf Leitfrage (1) finden. Neben den intensiven Warnungen und dem törichten Verhalten der Frauen sind auch die Risiken des Folgens, etwa in SL 18, Strophe V, Vers 5-7 nicht von der Hand zu weisen. All diese Argumente lassen den Schluss zu, dass die vom Sänger, erkaufte, erzwungene und höfisch vorgespielte, Liebe doch nur Verführung ist. Somit kann man festhalten, dass die Frauen durchaus dem "falschen" Mann folgen, welcher die Schwächen der Frauen ausnutzt.
Gespielinnen-Dialoge

Die Gespielinnen-Dialoge "kreisen wie die Mutter-Tochter-Gespräche um Tanz- und Liebesverlangen",[Schweikle 1990: 76] wobei hier zwei Dorfmädchen in einen Dialog treten. Im Mittelpunkt steht erneut die Ablehnung ständisch passender Bewerber (SL25, III-V), wobei der Sänger als höfischer Bewerber in den Mittelpunkt rückt. So werden "dessen höfisches Benehmen, sein Gesang, Tanz usw. gepriesen." [Schweikle 1990: 76] Ähnlich wie in den Mutter-Tochter-Dialogen, folgen in den Gespielinnen-Dialogen die Bauernmädchen eher den Vorzügen des Reuentalers, anstatt sich auf einen Liebespartner desselben Standes einzulassen. Dadurch nimmt das Motiv des Folgens wieder eine zentrale Rolle ein, denn die Bauernmädchen wollen aufgrund der Verführungen des Reuentalers diesem folgen - die Verführungen werden jedoch naiverweise erneut nicht hinterfragt, sondern lösen ein "blindes Nachfolgen" aus. Diese Gründe für das Folgen der Frauen, im Hinblick auf Leitfrage (1), lassen erneut lässt den Schluss zu, dass die Damen dem "Falschen" folgen wollen. Erneut sind falsche Verführungen und höfisches Auftreten des Sängers Gründe für die Folgeabsichten.

Aufforderung zum Folgen und Tanzen in der Natur

Freuden, wie die Ankunft des Frühlings oder die Schönheit der Natur, sind oft der maßgebliche Anlass zum Tanz in der Natur. Denn "auch der Tanz spielt eine bedeutsame Rolle in Neidharts Liedern. Insbesondere in den Sommerliedern ist er ein Hauptanliegen der Mädchen, oft der Vorwand, mit dem "ritter" oder "knappen" "von Riuwental" in Kontakt zu kommen." [Schweikle 1990: 112] Das Tanzen an sich ist eng mit dem Thema des Folgens konnotiert, da das Nachfolgen oder gemeinsame "Strömen" zum Tanz zentral in den Sommerliedern ist. Oft steht bei Neidhart der Tanz "reien" im Mittelpunkt, heutzutage besser bekannt unter dem Name Reigen. Der Reigen bezeichnet Tänze, welche "von mehreren sich einheitlich bewegenden Tänzern gemeinsam geschritten oder gesprungen werden" [2] Die bildliche Vorstellung diese Tanzes löst unmittelbar eine Verbindung zum Folge-Verhalten bei Neidhart aus. Es wird zunächst ein Tanzpartner gesucht, wobei beim anschließenden Tanz dann den Bewegungen des Tanzpartners oder der anderen Tänzer gefolgt wird. Durch Aufforderungen des Sängers an die Mädchen ihm zum Maitanz unter den Linden zu folgen, wie etwa in SL 14, erhalten die Themen Natureingang und des Tanz eine enge Verknüpfung, wodurch beide Themen ein Folge-Verhalten bei den bäuerlichen Damen auslösen.

Folgen in Winterliedern

In den Winterliedern spielt eher das Motiv des Verfolgens eine bedeutendere Rolle, worauf im Verlauf des Artikels noch verstärkt eingegangen wird. Dennoch lassen sich wichtige Merkmale der Neidhart'schen Winterlieder in Verbindung mit dem Folgen analysieren. Auch die Winterlieder sind durchgehend von einem Natureingang gekennzeichnet, wobei dieser eher von Klagen über den vergangenen Sommer und Konflikten des Sängers mit den dörpern handelt. Die Winterlieder 1-10 müssen jedoch etwas unabhängig betrachtet werden, da sich das lyrische Ich hier nicht im Gegensatz zu seinen Widersachern befindet.

Die "dörper" - Wer sind Verfolger des Sängers?

Die vorgezogene Leitfrage (3) wirft erstmal die Frage auf, wer die dörper überhaupt sind. Die dörper treten zwar vereinzelt auch in den Sommerliedern auf, jedoch werden sie in den Winterleidern zu den Konkurrenten des Sängers um "die Gunst der Umworbenen und sind deshalb steter Anlass seines Leids." [Hübner 2008: 51f.] Die dörper kennzeichnet arrogantes und selbstbewusstes Auftreten, welches durch ihren Prunk mit Waffen und Kleidern unterstützt wird. Es kommt oftmals zu Streitigkeiten mit dem Sänger, aber auch untereinander. Wichtig für das Verständnis ist hierbei, das es sich bei den dörpern um Dorfbewohner handelt, wobei die vom Sänger umworbenen Frauen, Bauernmädchen sind. Das "Beuteschema" das Reuentaler wechselt im Vergleich zu den Sommerliedern also nicht, die dörper werden aber zu Konkurrenten des Sänger "weil die Umworbene eben eine der ihnen ist, ein Bauernmädchen." [Hübner 2008: 51f.]

dörperkonforme Lieder (WL 1-10)

"Der Sänger versucht sich - als Rollenfigur des Armen, aber sich höfisch Benehmenden aus Riuwental (WL 5,VI; 9,VII)- ins dörpertreiben einzureihen, ruft zu Tanz und anderen Winterfreuden (Schlittenfahrt, WL3) auf, trifft Tanzanordnungen (WL 4,II,III), beobachtet die Gruppierungen und nimmt selbst teil." [Schweikle 1990: 82] Dadurch entsteht fast der Eindruck, als könnte man die Winterlieder 1-10 gar den Sommerliedern zuordnen. Denn bis auf die winterlichen Klagen, steht der Sänger im Einklang mit den dörperlichen Verhaltensweisen - "die dörper sind noch nicht zum 'Feindbild' typisiert." [Ruh 1984: 123] Für das Motiv des Folgens sind WL 1-10 insofern interessant, dass der Sänger den dörpern nicht eins zu eins identisch folgt. Er versucht sich allerdings in ihr Treiben einzuordnen, in dem er zum sozialen Treiben beiträgt. Dieser Versuch des Einordnens kann sehr gut als eine etwas abgeschwächte Form des Folgens betrachtet werden.

Sänger folgt dörpern im Verhalten

In den restlichen Winterliedern, den sogenannten dörperkontroversen Liedern, ist der Sänger vom vom dörpertreiben ausgeschlossen. Der im Gegensatz zu den dörpern stehende Sänger verfolgt das Ziel, die Gunst der bäuerlichen Schönheiten zu gewinnen - im Vergleich zu den Sommerliedern gehen die Folgeabsichten nun aber nicht mehr unmittelbar von der Damenwelt aus. Aufgrund der Konkurrenzsituation durch die dörper, und deren Gewalt und Lärm, scheitert der Sänger Winterlied um Winterlied. Um diesem Scheitern entgegenzuwirken, versucht der Sänger den dörpern auch hin und wieder im Verhalten zu folgen. "Denn er agiert entweder nach dem Unterwerfungsmuster der höfischen Liebe (was auch auf dem Dorf nicht zum gewünschten Erfolg führt) oder nach dem Handgreiflichkeitsmuster der Bauern (was sein eigenes Verhalten unhöfisch macht). [Hübner 2008: 54] Der Sänger reiht sich also in die Verhaltensweisen seiner Konkurrenten ein und missachtet dabei sogar teilweise seine höfischen Verhaltensweisen. Jedoch stellt sich auch hier nicht der gewünschte Erfolg ein. Ursache für dieses, dem Sänger eigentlich fremde Verhalten, ist das Scheitern seiner Annäherungsversuche und der dadurch entstehende Misserfolg im Werben um diverse Bauernmädchen. Das Folgen des Sängers erscheint aus diesem Blickwinkel fast wie ein letzter, verzweifelter Versuch endlich erfolgreich zu sein, auch wenn dies bedeutet seine eigenen Werte und Normen nicht mehr einzuhalten.

Folgen der "vrouwen"

Das gescheiterte Folgen einer Frau zieht sich für den Sänger wie ein roter Faden durch die Neidhart'schen Winterlieder, wobei die Konkurrenzsituation als auch der Misserfolg bei den Frauen, den Sänger zum Verzweifeln bringen. Passende Beispiele hierfür sind etwa Winterlied 24 und Winterlied 27.

Winterlied 24 Strophe II

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Alsô hât diu vrouwe mîn daz herze mir betwungen, Meine Herrin hat mir so sehr das Herz gebrochen,
daz ich âne vröude muoz verswenden mîne tage. dass ich meine Tage freudlos verbringen muss.
ez vervaehet niht swaz ich ir lange hân gesungen. Es nützte nichts, dass ich sie so lange besungen habe.
mir ist alsô maere daz ich mêre stille dage. Mir ist es deshalb eine Lehre, sodass ich künftig verstumme.
ich geloube niht des daz sî mannen immer werde holt. Ich glaube nicht, dass sie jemals an anderen Männer wieder Gefallen finden wird.
wir verlisen, swaz wir dar gesingen unde gerûnen, ich und jener Hildebolt. Es war umsonst, was wir ihr gesungen und geflüstert haben, ich und jener Hildebolt.

In Winterlied 24, Strophe II wird das Leid und die Melancholie des gescheiterten Sängers sehr gut erkennbar. Sein Aufwand, sein Gesang und seine Bereitschaft "seiner Herrin" zu folgen, bleiben schlussendlich erfolglos. "Die Umworbene belohnt den Sänger nicht dafür, dass er ihr mit seinen Liedern dient." [Hübner 2008: 51] Der Grund hierfür wird im Anschluss vor allem in Strophe III des Winterlieds 24 deutlich, in dem er von seinem Widersacher Willeger berichtet wird, welcher beim Tanz nicht von der Seite einer Frau zu drängen gewesen war. "Der dörper beansprucht also als seine Herrin just jene, um die der Sänger lange und beständig, aber vergeblich dient." [Hübner 2008: 52] Die Enttäuschung über das gescheiterte Folgen in Winterlied 24 stellt aber keinen Einzelfall dar - nein, die Freudlosigkeit des Sängers, bedingt durch den Winter und die Ablehnung der Frauen, steht auch in vielen anderen Winterliedern im Mittelpunkt (vgl. WL 13, Strophe I-II)
Winterlied 27 Strophe I
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Mirst von herzen leide, Mir ist von Herzen Leid,
daz der küele winder dass der kalte Winter
verderbet schoener bluomen vil: viele schöne Blumen verdirbt:
so verderbet mich ein senelichiu arebeit. ebenso wie der Liebesdienst mich zu Nichte macht.
dise sorge beide Diese zwei Sorgen
dringent mich hin hinder bringen mich hin und wieder
ze ende an miner vreuden zil. ans Ende meiner Zuversicht.
owe, daz diu guote mit ir willen daz vertreit, Oh weh, dass die Schöne mit ihrem Willen das verträgt,
sit si wol geringen mac weil sie alle meine Schmerzen
alle mine swaere! gewiss verringern kann!
hei, gelebte ich noch den tac, Ach, erlebe ich noch den Tag
daz si gnaedic waere! an dem sie mir gnädig wird!

Auch Winterlied 27, Strophe I ist vom Leid des Sänger gekennzeichnet. Erneut war sein Werben erfolglos; es bleibt nur sein Hoffen darauf eines Tages die Wertschätzung und Zuneigung seiner besungenen Dame zu bekommen. Das Leid des Sängers zeigt sich in den Eingängen der Winterliedern immer etwas unterschiedlich, die Enttäuschung und die Freudlosigkeit bleibt jedoch meist identisch und geht auf das gescheiterte Folgen zurück. Doch was sind eigentlich die konkreten Ursachen dieses Scheiterns? Wichtig festzuhalten wäre vor allem, dass sie die Ursachen vielschichtig sind. Das in den Sommerliedern, durch die Warnungen der Mutter, bereits angerissene Problem einer Ehe von Personen aus unterschiedlichen Ständen, spielt auch in den Winterliedern eine wichtige Rolle. Dies wird auch in WL 27, Strophe VII deutlich. " Denn da der Bauernbursche und das Bauernmädchen durchaus denselben sozialen Rang haben, wirft das indirekt die Frage auf, ob das Mädchen denn überhaupt ein passendes Werbungsobjekt für den Sänger darstellt." [Hübner 2008: 52f.] Ähnlich wie Leitfrage (1) lässt sich so auch Leitfrage (4) durchaus bejahend bewerten. Denn der Sänger tritt in den dörperkontroversen als höfischer Werber auf, jedoch stoßen sowohl seine Verhaltensweisen als auch der Minnesang bei den Damen auf kein großes Interesse. Die dörper treten im Umgang mit anderen Frauen zwar ab und an grob auf - die Grundlage des gemeinsamen Standes setzt sich beim Tanz allerdings schlussendlich durch. In den Winterliedern werden Verführungstechniken des Reuentalers nicht genauer ausgeführt, die Bauernmädchen agieren hier aber weniger naiv. Im Vergleich mit den Sommerliedern folgen sie also nicht blind einem fremden, verführenden Sänger, welcher sie womöglich schlecht behandelt und einen schlechten Ruf im Hinblick auf die Ehe mit Bauernmädchen hat. Eventuell löst aber auch das Vorhandensein einer großen dörperlichen Konkurrenz die Ablehnung der Frauen aus.
Neben der Feststellung, dass der Sänger in seinen Winterliedern eher die falschen Frauen begehrt, ist auch der Lärm der dörper eine wichtige Ursache, welche das Folgen des Sängers erschwert oder zunichte macht. "Die Position des singenden Ichs wird von den Konkurrenten besetzt, ihr Lärm und das vom Sanger-Ich beschriebene laute Auftreten beim Tanz und im Umgang miteinander übertönen den werbenden sanc, seine Stimme dringt nicht zur begehrten Frauenfigur durch." [Haufe 2003: 112f.] Dieser Umstand ist für den Sänger natürlich umso enttäuschender. Denn der Reuentaler definiert sich über seinen Gesang und ist auch stark überzeugt davon, mit diesem Erfolg zu zu haben. Jedoch bekommt er diese Chance in vielen Situationen gar nicht, da sein Gesang durch die dörper übertönt wird. Zudem drohen sie ihm mit gewalttätigen Konsequenzen, falls er selbst nicht verstummt.

Vergleich Folgen in Sommer- und Winterliedern

Der Vergleich zwischen Sommer- und Winterliedern basiert auf Leitfrage (4) und es kann bereits eines vorweggenommen werden - es gibt deutliche Unterschiede im Hinblick auf das Motiv des folgens. Gemeinsamkeiten in Sommer-und Winterliedern sind allerdings insofern erkennbar, dass der Sänger in beiden Liedformen mit höfischen Verhaltensweisen und Verführungen auftritt. Der wichtigste Unterschied ist nun aber der Wechsel des Sängers vom Umworbenen in den Sommerliedern zum scheiternden "follower" in den Winterliedern. Während sich der Sänger das naive Folgen der Bauernmädchen, oder der Mutter des Bauernmädchens, in den Dialogliedern noch zu Nutze macht, enden seine Folge-Absichten in den dörperkontroversen Winterliedern oft enttäuschend und freudlos. Ursache für diese Entwicklung könnte vor allem die stärkere Präsenz der dörper in den Winterliedern sein. Durch die entstehende Konkurrenzsituation und den Lärm der dörper, welcher den Gesang des Sängers unterbindeen, wirkt der Sänger zunehmend isoliert. Dies wird in den Winterliedern dadurch verstärkt, dass die Bauernmädchen sich für Männer aus demselben, also dem bäuerlichen, Stand entscheiden. In den Winterliedern entsteht so fast das Gefühl, dass die dörper und die Bauernmädchen beim Tanz ihre Liebeslust einfach unter sich ausleben wollen, dabei jedoch vom höfischen Minnewerber aus Reuental gestört werden. Wobei dieser dann nicht einsehen will, dass sein Folge-Absichten keinen Erfolg mit sich bringen werden. Die Konsequenz aus diesem sturen Verhalten des Sängers ist die Verfolgung durch die dörper, auf welche nun im zweiten großen Abschnitt eingegangen wird.

Einführung Verfolgen

Definition

Im Vergleich zum Folgen besitzt der Begriff des Verfolgens zwar ähnliche aber doch andere Bedeutungsunterschiede. In der folgenden Analyse möchte ich mich hierbei vor allem auf 4 Bedeutungsmöglichkeiten konzentrieren. Diese sind:

(1) durch Hinterhergehen zu erreichen suchen; nachgehen; folgen

(2) jemanden bedrängen, jemandes Freiheit einengen

(3) gegen jemanden, etwas vorgehen

(4) etwas aufmerksam beobachten

[3]

Leitfragen für Analyse und Interpretation

Durch den Fokus auf diese vier Bedeutungsunterscheidungen, lassen sich für die Analyse die folgenden zentrale Fragestellungen ableiten:

(1) Warum verfolgen die dörper Frauen gewalttätig?

(2) Aus welchen Gründen verfolgen die dörper den Sänger?

(3) Weshalb verfolgen der Sänger und die dörper Gewaltfantasien?

(4) Sind für das Motiv des Verfolgens Unterschiede zwischen Sommer-und Winterliedern erkennbar?

Verfolgen in Neidhart Liedern

Durch den Erfolg des Sängers und dem Folgen der Frauen in den Sommerliedern, ist das Motiv des Verfolgens in den Sommerliedern deutlich weniger präsent. Dadurch entsteht vor allem ein gezielter Fokus auf die Winterlieder.

Verfolgen in Sommerliedern

Das wohl bekannteste Neidhart Motiv, nämlich der Spiegelraub, wird in einem Sommerlied, und zwar Sommerlied 22 am ausführlichsten beschrieben. Der Spiegelraub, welcher sich beim Tanz zuträgt und immer wieder in verschiedenen Liedern aufgegriffen wird, kann in die Kategorie des Verfolgens eingeordnet werden. Während der Sänger verhindert ist, entwendet der dörper Engelmar Friderun, welche vom lyrischen Ich umworben wird, ihren Spiegel und zerbricht ihn. "Das Friderun zugefügte Leid scheint eine Vergewaltigung zu meinen. Der Sänger hält sich als Rächer bereit und die gewaltsame Tat hat all seine Freude zerstört." [Schulze 2018: 103]

Sommerlied 22 Strophe IV, Vers 2-8

wir sulnz ûf dem anger wol wikîsen. Lasst uns auf der Wiese schön tanzen.
Vriderûn als ein tocke Friederun tanzte wie eine Puppe
spranc in ir reidem rocke in ihrem gefälteten Rock,
bî der schar: vor der Schar.
des nam anderthalben Dies beobachtete Engelmar von der anderen Seite
Engelmâr vil tougen war. ganz heimlich.

Strophe VI, Vers 4-8

wie sol ich gebâren? Wie soll ich mich verhalten?
mirst an Engelmâren Engelmar ist mir
ungemach, ungemach,
daz er Vriderûnen da er Friederun
ir spiegel von der sîten brach. ihren Spiegel von der Hüfte riss und brach.

In diesem Lied ist das Motiv des Verfolgens vielschichtig zu beobachten. Engelmar verfolgt Friderun beim Tanz heimlich (mit den Augen) und es kommt zur Verfolgung von Gewalt. In diesem Fall ist das der Spiegelraub, welcher im übertragenen Sinn eine Vergewaltigung meint. Frideruns Freiheit wird durch das Verhalten von Engelmar stark eingeengt und bedrängt, ähnlich wie es Definition (2) angibt. Schulzes Charakterisierung des Sängers, als bereitstehender Rächer, verstärkt die Verfolgungs-Motivik umso mehr, da der Reuentaler nun eine Art Verfolger-Rolle des Täters einnimmt und seine Racheabsichten versucht im Anschluss zu verfolgen. Es ist möglich, dass Sommerlied 22 chronologisch der erste Bericht von dieser Tat ist, dies ist historisch jedoch nicht sicher nachweisbar. Durch verschiedene Anspielungen in der Folge wäre dies aber möglich - das Motiv kommt in fast 15 überlieferten Liedern vor. Möglicherweise entstand durch den Spiegelraub die Abneigung und der Hass zwischen dörpern und Sänger; der Spiegelraub könnte also Auslöser für das Verfolgungsverhalten in den Winterliedern sein.

Verfolgen in Winterliedern

Die Winterlieder sind die wichtigste Grundlage für die Untersuchung des Verfolgens, da trotz einiger dörperkonformer Lieder (WL 1-10), ein Großteil der Winterlieder "dörperkontroverse Lieder sind, in welchen der Sanger vom dörpertreiben ausgeschlossen ist (sog. Friederun-Lieder). Sie sind bestimmt von der satirisch überzeichneten Beschreibung der die höfische maze (Ordnung) missachtenden dörper, die den nach höfischen Normen sich benehmenden Sänger vom Tanzplatz und bei den Mädchen zu verdrängen suchen." [Schweikle 1990: 83] Dadurch entsteht eine Art Verfolgungssituation. Diese Verfolgungssituation führt soweit, dass der Sänger zum Vertriebenen wird, beispielsweise in Winterlied 23, oder auch in Winterlied 24, Strophe VIII von seiner Flucht nach Österreich berichtet.

Verfolgen von Frauen

Die Verfolgung des Sängers durch die dörper, im Zusammenhang mit dem bäuerlichen Tanz, ist wahrscheinlich der zentralste Unterpunkt des Verfolgens. Um diesen richtig aufzuarbeiten, ist jedoch vor allem eine Beschäftigung mit der konkreten Ursache wichtig. Neben der Gewalt gegenüber des Sängers, versuchen die dörper vor allem durch ihre Verhaltensweisen, etwa durch Lärm, die Bauernmädchen davon abzuhalten, dem Sänger zu folgen. Da die dörper die Bauernmädchen als eine von ihnen ansehen, bekommt man das Gefühl, dass sie mit allen Mitteln diese geschlossene Situation der Partnersuche bewahren wollen und dadurch auch zu rabiaten Verhaltensweisen greifen.

von den dörpern ausgehend

Vor allem das gewalttätige Verhalten der dörper ist dem Sänger ein Dorn im Auge, welches durch "rohes, plumpe Benehmen beim Tanz gekennzeichnet ist (WL 2), das aber auch bis zum Schlagen einer Frau (WL 7,IV) und frechen Übergriffen gehen kann." [Schweikle 1990: 81] Schwer zu deuten ist die Brisanz dieser Gewalt - ist das die normale, schroffe Verhaltensart der dörper, welche im Ernstfall sogar Verhüllungen von sexueller Gewalt sind? Oder wird das Benehmen der dörper vom Sänger, aufgrund seiner Misserfolge und Entrüstung über deren unhöfisches Verhalten, überspitzt dargestellt? Wahrscheinlich lassen sich für beide Interpretationen Argumente finden, eine eindeutige Entscheidung fällt aber, wie erwähnt, schwer. Neben konkreten Berichten des Verfolgungsverhaltens durch die dörper, wird ab Winterlied 14 auch immer wieder der Spiegelraub an Friderun aufgegriffen und als schwere Untat eingeordnet. Diese Art der "Frauenverfolgung" hat für den Sänger scheinbar eine enorme Bedeutung, könnte jedoch auch dazu benutzt werden, um die Gewalt der dörper nochmals zu unterstreichen. Ein Akt des Verfolgens und der Bedrängung durch die dörper lässt sich exemplarisch in Winterlied 27 erkennen.
Winterlied 27 Strophe IV

Lanze der beswaeret ein vil stolzez magedin: Lanze bedrängte ein sehr stattliches Mädchen:
eine kleine risen guot eine kleines feines Band
zarte er ab ir houbet, zerrte er ihr vom Kopf,
dar zuo einen bluomenhuot: und gab ihr dafür einen Blumenkranz.
wer het im daz erloubet? Wer hat ihm das erlaubt?

Das Bedrängen der Dame durch Lanze wird in Vers 8 relativ deutlich, wobei es "immer schnell handgreiflich zugeht, und die Bezeichnungen der Handgreiflichkeiten klingen oft - wie hier das Herunterreißen von Schleier und Blumenkränzlein - nach verhüllenden Ausdrücken für sexuelle Gewalt."[Hübner 2008: 52] Im Hinblick auf Leitfrage (1) ist das Verhalten der dörper hauptsächlich auf die Konkurrenzsituation, die grundlegende Bereitschaft Gewalt anzuwenden sowie ein starkes sexuelles Bedürfnis zurückzuführen, welches durch die möglichen sexuell verhüllenden Ausdrücke bekräftigt wird. Dieses gewalttätige Auftreten widerspricht dem Reuentaler, und wird dadurch verstärkt, dass solch ein Vorgehen gegenüber Frauen, im Gegensatz zu seinen höfischen Vorstellungen steht. Das Verhalten der dörper löst im Sänger zweierlei Reaktionen aus: zum einen kündigt er in Winterlied 27, Strophe 6 an, dass er Lanze für diese Tat zu Rechenschaft ziehen will. Grund hierfür ist die erotische Konkurrenzsituation. Zum anderen knüpft es daran an, weshalb der Sänger teilweise auch zum Verfolger der Frauen wird.

vom Sänger ausgehend

Wie im Abschnitt "Sänger folgt dörpern im Verhalten" beschrieben, adaptiert der Sänger ab und an die rabiaten Verhaltensweisen der dörper gegenüber Frauen. Dies widerspricht vollkommen den eigentlichen Ansichten des Sängers, da dies seine Kritik an den dörpern unecht wirken lässt. Diese "Frauenverfolgung" durch den Sänger wirkt wie ein verzweifelter Akt um die Gunst der Frauen. Es wird versucht die dörper mit ihren eigenen Mitteln als Konkurrenten zu verdrängen, dabei vergisst der Sänger jedoch, dass dies sein eigenes Verhalten unhöfisch macht.

Verfolgen von Gewalt vor den eigenen Augen

In den Winterliedern hat man oft das Gefühl, dass der Sänger eher als neutraler Außenstehender und Ausgegrenzter, von den dörpern berichtet. Dabei wird, wie zum Beispiel in Winterlied 27, das Verfolgen der Frauen durch die dörper geschildert oder auch der ihm entgegengebrachte Hass seiner Konkurrenten. Durch das aggressive und gewalttätige Grundverhalten, ist der, das dörper-Treiben, beobachtende Sänger, oft auch in der Lage als Unbeteiligter die Gewalt der dörper untereinander zu beobachten. Ein schönes Beispiel liefert hier Winterlied 24, wo der Sänger, versteckt im Weinfass, die Auseinandersetzung der dörper beobachtet.

Winterlied 24, Strophe Va, Vers 5-6

sie stritten mit einander einen ganczen summer langen tag. Sie stritten miteinander den ganzen langen Sommertag.
das ir geläße sahe herre Neithart, do er in dem vas bey dem wein lag. Herr Neidhart sah ihr Verhalten, da er im Weinfass lag.

Strophe VI, Vers 1-2

Sagte ich nû diu maere wie siz mit ein ander schuofen, Soll ich nun die Geschichte erzählen, wie sie miteinander kämpften,
des enweiz ich niht: ich schiet von danne sâ zehant. so weiß ich das nicht: Ich machte mich sehr schnell davon.

Auch Winterlied 3 eignet sich als Beispiel, "bei der mehrere dörper einen anderen mit einem Dreschflegel und einer Reute attackieren und Ruprecht Eppe ein Ei, das der Auslöser für den Streit ist, an die Glatze wirft." [Schulze 2018: 100]
Durch diese, oft satirischen, Berichte wird einem die dörper-Gewalt bildlich vor Augen geführt. Außerdem wird die Ausgrenzung des Sängers deutlich, welcher in die internen Streitigkeiten nicht involviert ist. Den Streitigkeiten fällt er aber dennoch zum Opfer und wird daher zum Verfolgten.

Sänger wird von dörpern verfolgt

Die Konkurrenzsituation beim Tanz ist der konkrete Auslöser, durch die dörper zum Verfolger des Sängers werden. Konfliktpotenzial liefert hier das Vorgehen des "Minnesängers. Denn er wirbt auf dem Dorf um die Mädchen, als ob sie adelige Damen wären." [Hübner 2008: 52] Das höfische Auftreten und Werben des Reuentalers, in einem eigentlich den Dorfbewohner vorbehaltenem, geschlossenen Milieu der Partnersuche, missfällt den dörpern. Für Leitfrage (2) lässt sich allgemein festhalten, dass "erotische Konkurrenz meist der Auslöser" [Müller 1986: 433] der Gewalt ist und somit Anlass für die Verfolgung des Sängers wird.
Um eine Vorstellung des Verfolgens zu bekommen, eignet sich exemplarisch Winterlied 27.

Winterlied 27, Strophe III, Vers 3-12

so twinget mich ein ander leit, so bedrängt mich noch ein anderer Schmerz,
daz vor allem leide mich so sere nie betwanc, der mich vor all dem Leid noch nie so sehr bedrängte,
swiech dar umbe lache obgleich ich lache
und gebare blide: und mich heiter benehme:
mir hat ein dörper widerseit Ein Dorfbewohner hat sich gegen mich gestellt,
umb anders niht wan umbe den minen üppeclichen sanc. wegen nichts anderem als meinem prächtigen Gesang.
derst geheizen Adeltir, Der wird Adeltir genannt
bürtic her von Ense, und ist geborgen in Ense;
zallen ziten drot er mir jederzeit droht er mir
als einer veizten gense. wie eine fette Gans.

Das Verfolgen durch die dörper löst im Reuentaler grundsätzlich Leid und Unbehagen aus - wie so oft versuchen die dörper das Sänger-Ich zum Verstummen zu bringen. Sein Gesang ist Teil des Frauenwerbens, wobei sich in diesem Fall Adeltir gegen den Sänger stellt. Das Verfolgungsverhalten ist geprägt von Einschüchterungen, Drohungen(s. Vers 11) oder allgemeinen Bedrängungen des Sänger-Ichs. Der Grund des Verfolgens wird in Strophe VI klar. Adeltir erhebt Anspruch auf die Frau, welche der Sänger umworben hatte. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die erotische Konkurrenz um dieselbe Frau, Ursache der Drohungen ist. Zur Gewaltanwendung gegenüber dem Sänger kommt es zwar nicht. Allerdings werden sich in den sogenannten Trutzstrophen konkrete Gewaltfantasien ausgemalt, um den Sänger zum Verstummen zu bringen. Das Verfolgen in Gewaltfantasien ist dementsprechend grundlegend Teil der Verfolgungs-Motivik.
Die tatsächliche Verfolgung des Sänger-Ichs ist dennoch in vielen Winterliedern zu beobachten. So berichtet er sowohl in Winterlied 23 als auch in Winterlied 24, dass er von den dörpern in eine andere Stadt verdrängt wurde. Wichtig sind vor allem geäußerte Drohungen, welche aber auch vom Sänger getätigt werden - sind ein wichtiger Aspekt des Verfolgens. Denn sie lösen oftmals eine Fluchtreaktion beim Sänger aus, so auch in Lied c122 zu beobachten. Nachdem der Sänger die Frau eines dörpers besungen und begehrt hatte, wollen die dörper, dass er das Dorf unverzüglich verlässt. Die Androhung ihn sonst umzubringen, ist Anlass zur Flucht des Sprechers, wobei er hier dann einen Helfer um Rat und Hilfe bittet.
Der letzte wichtige Aspekt des Verfolgens, welcher das Fluchtverhalten des Sängers nachvollziehbarer macht, ist die numerische Überlegenheit der dörper. Das Sänger-Ich wird häufig von "mehreren dörpern bedroht und angegriffen."[Haufe 2003: 115] Vor allem in Winterlied 13 wird diese Form der Oppositionsbildung klar.

Winterlied 13, Strophe III

Engelwan und Uoze Engelwan und Uoze,
die zwene sint mir gehaz die zwei verabscheue ich.
(schaden unde nides muoz ich mich von in versehen) (Vor ihrem Schaden und ihrer feindseligen Gesinnung muss ich mich vorsehen.)
und der geile Ruoze: Und der übermütige Ruoze:
wie tiuwer er sich vermaz, wie teuer er sich im ungehörigem Maße gab,
der bestüende mich durch si! die drie widerwehen forderte mich wegen ihr heraus! Die drei Widersacher
ratent unde brüevent, daz ich ane lon belibe. berieten und prüften, sodass ich ohne Lohn zurück bleibe.
niht envolge ir lere, vrouwe, liebist aller wibe! Folge nicht ihren Worten, Herrin, Schönste aller Frauen.
lone miner jare; laz in leit an mir geschehen! Belohne mich für die Jahre; lass mir kein Leid geschehen!

Engelmar, sowie die drei dörper in Strophe III, "wollen den Sänger am weiteren Minnedienst hindern", [Haufe 2003: 115] wobei sie schon zuvor die begehrte Frau zur Ablehnung des Sängers gedrängt hatten. Das Verfolgen durch die dörper "ist geprägt von haz (WL 13, III, 2), der Sänger erwartet Schaden und eine feindselige Gesinnung (WL 13, III, 3). Die Vier Gegenspieler "bilden eine gegen das Sänger-Ich in Opposition stehende Kongruenzgemeinschaft, welche als Widersacher (WL 13, III, 6) auf die Frauenfigur einwirken und gar auf das Versagen von Lohn drängen." [Haufe 2003: 115] Dies will der Sänger in den letzten beiden Strophen mit einer Aufforderung verhindern. Es zeigt sich, dass das Verfolgen, neben der konkreten Gewaltandrohung, weitere, negative, Nebenwirkungen für den Reuentaler mit sich bringt. Dies wäre hier etwa die Ablehnung durch die Frauenfigur oder in c122 die Flucht aus dem Dorf.
Trotz der Verfolgungsabsichten der dörper, kommt es kaum zur konkreten Gewaltanwendung. Konkrete Gewalt ist höchstens in Trutzstrophen erkennbar, in denen Gewaltfantasien der dörper gegenüber dem Sänger ausgestaltet werden.

in Trutzstrophen

Sowohl das Sänger-Ich als auch die dörper, bekommen in den Winterliedern die Möglichkeit in bestimmten Strophen Gewaltvorstellungen und Gewaltphantasien vorzubringen. Die perversen Vorstellungen des Sängers (z.B. Winterlied 10, Strophen VIa und VIb) treten oft gegen Ende der Lieder auf. "Der Hass des Sängers gegen die dörper richtet sich vor allem auf das konkurrierende Liebeswerben und die sexuelle Annäherung an die von ihm Umworbene, auch auf die Beeinträchtigung des eigenen Singens." [Schulze 2018: 100] Schulze liefert hier eine schlüssige Erklärung für Leitfrage (3), weshalb der Sänger denn Gewaltfantasien verfolgt. Durch die numerische Unterlegenheit bleibt dem Sänger möglicherweise auch nichts anderes übrig als die Ausübung von Gewaltfantasien, da er als Einzelperson kaum eine Chance zur Rache an den dörpern hat.
Die Gewaltfantasien der dörper hingegen werden als Trutzstrophen bezeichnet. "Die Trutzstrophen enthalten Antworten auf die Lieder und sind drohende, spöttische oder scheltende Retourkutschen, wobei der Sprecher meist einer der im Lied dargestellten und verspotteten oder bedrohten dörper ist." [Wachinger 1970: 99] Die letzten beiden Strophen des, bereits oben betrachteten, Winterlieds 27 dienen als exemplarisches Beispiel für zwei Trutzstrophen.
Winterlied 27, Strophe VIIb

Her Nithart, mugt irz lazen? Herr Neidhart, könnt ihr es sein lassen?
iu mac misselingen. Es wird euch misslingen.
nu habt ez uf die triuwe min. Nun schwört es auf meine Treue hin
und mag ich, ez muoz iu bi dem tanze werden leit! oder ich muss euch bei dem Tanze leid antun!
welt ir uf der strazen Wollt ihr euch auf der Straße
vil mit uns gedringen, viel mit uns streiten,
swie breit ab iuwer multer sin, wie breit muss dann euer Brustpanzer sein,
da gelpfe schinet under iuwer ringelehte pfeit, der unter eurem geringelten Kettenhemd glänzend strahlt.
und sult ir sin der tiuvel gar Und ihr sollt gar der Teufel sein,
mit iuwerm glitzeden huote, mit eurem glitzernedem Hut,
zware ich mache in bluotes war wahrlich würde ich euch
mit minem swerte guote. mit meinem stattlichen Schwert blutig machen.

Bei der Konzentration auf die vorletzte Strophe fallen einem, wie so oft, direkt die brutalen Gewaltvorstellungen und Bedrohungen gegenüber dem Sänger auf. Diese Androhungen sollen Wirklichkeit werden, sollte der Sänger sein Besingen und Begehren nicht unterlassen. Das Verfolgen des Sängers erfolgt hier auf einer anderen, eher sprachlichen, Ebene. Dennoch wird auch hier die angedrohte Verfolgung des Sängers durch Adeltir deutlich gemacht. Die Trutzstrophen ähneln sich also meistens im Aufbau; die Hauptaspekte sind Androhungen von Gewalt und Verfolgung. Dies zeigt sich beispielsweise auch "in zwei Trutzstrophen [...] in Winterlied 29. Hier droht Hildemar dem von Riuwental wegen der Verspottung seiner Haube mit handgreiflicher Rache." [Schulze 2018: 99] Drohungen, Gewaltfantasien, Hass auf das Singen des Reuentalers und Retourkutschen können also als konkrete Antworten für den zweiten Teil von Leitfrage (3) aufgefasst werden.

Vergleich Verfolgen in Sommer - und Winterliedern

Die Sommerlieder sind hauptsächlich vom Frauenerfolg des Sängers gekennzeichnet, wodurch das Motiv Folgens hier deutlich präsenter ist. Dennoch bildet vor allem Sommerlied 22 einen wichtigen Aspekt des Verfolgens ab. Gemeinsamkeiten zwischen Sommerlied 22 und den Winterliedern sind vor allem im Hinblick auf die dörper erkennbar. Es kommt zum Verfolgen einer Frau (Friderun), welche der Sänger auch begehrt, durch einen dörper (Engelmar). Die Frau wird gewaltsam attackiert (möglicherweise vergewaltigt) und der Sänger schwingt sich aufgrund von erotischer Konkurrenz zum Verfolger des dörpers auf. All das sind Elemente, welche, so oder so ähnlich, in den Winterliedern immer wieder behandelt werden. Somit kann Sommerlied 22 als inhaltliche Ausnahme in den, eigentlich für den Sänger oft erfolgreichen und harmonischen, Sommerliedern gesehen werden. Ein weiterer wichtiger Zusammenhang zwischen Sommerlied 22 und den Winterliedern ist, dass in den Winterliedern immer wieder das Motiv des Spiegelraubs aufgegriffen wird. Geht man davon aus, dass diese Tat chronologisch vor den Winterliedern geschah, lassen sich durchaus Argumente finden, dass der Spiegelraub Ausgangspunkt für das gegenseitige Verfolgen ist. Und diese Tat den Sänger vor allem in seinen Gedanken verfolgt, da er immer wieder das Bedürfnis hat, diese in seinen Liedern aufzugreifen.

Unterschiede zwischen Sommerliedern und den Winterliedern sind aber auch erkennbar. Das Motiv des Verfolgens ist in den Winterliedern deutlich zentraler. Der Sänger wird zum Verfolgungsobjekt der dörper und beide Partien fantasieren in einzelnen Strophen über brutale Gewaltanwendungen gegenüber der Gegenseite. Ursache hierfür ist natürlich, dass die dörper in den Winterliedern deutlich häufiger auftreten. Dies führt im Umkehrschluss zur Konkurrenzsituation und bringt schlussendlich dauerhaften Misserfolg für den Sänger mit sich. All das löst im Großen und Ganzen die Verfolgung der Frauen, die Verfolgung des Sängers und die Verfolgung der Gegenseite in Gewaltfantasien aus.

Fazit

Abschließend lässt sich festhalten, dass das Motiv des Folgens eher in den Sommerliedern und das Motiv des Verfolgens eher in den Winterliedern zentral ist. Die Motive des Folgens und des Verfolgens haben aber eine große Gemeinsamkeit - der Ausgangspunkt für beide Motive ist sowohl direkt als auch etwas indirekter die Präsenz von Frauen.

Der Aspekt des Folgens von Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Sommerlieder (Dialoglieder), und auch in den Winterliedern ist er präsent. Das Scheitern des Folgens, die Nachahmung des Verhaltens durch den Sänger und der dörper untereinander - all das steht in Verbindung mit der Präsenz, oft ungenannter, Frauenfiguren und der Konkurrenz der Männer um diese.

Das Motiv des Verfolgens ist in den Sommerliedern weit weniger zentral, dennoch entwickelt sich auch in Sommerlied 22 eine Konkurrenzsituation um eine Frau, hier um Friderun. Vor allem in den Winterliedern ist das Verfolgen auf die Konkurrenz um die Bauernmädchen zurückzuführen, da der Sänger aufgrund dessen zum Verfolgten wird und beide Partien ihre Verfolgungsfantasien gegenüber der Gegenseite in brutalen Gedanken ausschmücken.

Ursache dafür, dass die Frauenfiguren so sehr im Mittelpunkt stehen, ist aber vor allem der Sänger. Denn die Konflikte in den Mutter-Tochter-Dialogen und den dörperkontroversen Liedern sind vor allem darauf zurückzuführen, dass der höfisch auftretende Sänger schlichtweg um die falschen Frauen wirbt. Dadurch zieht er die Wut der Mutter und der dörper auf sich, verführt in den Sommerliedern Frauen, welche an die wahre Liebe glauben und scheitert dauerhaft in den Winterliedern. Das wirft nun natürlich die Frage auf, ob der Sänger im falschen Milieu, also auf dem Dorf, oder mit der falschen Vorgehensweise, also von höfischen Normen gekennzeichnet, um Frauen wirbt. Eine klare Antwort lässt sich darauf nicht finden. Allerdings lässt sich festhalten, dass auch der Versuch, den dörpern in deren Vorgehensweise zu folgen, keinen Erfolg gebracht hat. Möglicherweise spielen also beide Aspekte eine Rolle und sind Auslöser für das Folge- und Verfolgeverhalten in Neidharts Liedern.

Folgst du schon deinem Lieblingssänger? Ein Satz, mit welchem man vor 10 Jahren wahrscheinlich noch auf großes Unverständnis gestoßen wäre, ist heute aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Natürlich beziehe ich mich hier auf die Art des folgens (engl.following), welche sich aufgrund diverser Social-Media-Plattformen in unserer heutigen Gesellschaft festgesetzt hat und aus aktueller Sicht nicht mehr wegzudenken ist. Lassen sich bei Neidhart also Parallelen zur heutigen Zeit finden?

Das oftmals naive Folgen in den Dialogliedern, lässt sich natürlich auch heute noch erkennen. Etwa bei unhinterfragten Idealisierungen bestimmter Personen und Idolen oder auch die oftmals bekannte Sturheit von Jugendlichen, die trotz rationaler Warnungen von Bezugsperson, ihren eigenen Weg verfolgen. Das Nachahmen von Verhaltensweisen, wie die dörper oder der Sänger es tun, ist natürlich eine sehr schöner Berührungspunkt mit der heutigen Gesellschaft. Es zeigt sich beim Nachahmen von Idolen, beim Folgen in den sozialen Medien oder beim Anpassen an aktuelle Trends oder Klamotten. Aber es ist auch beim Vergleich mit anderen, um künftigen Misserfolg oder Scham zu verhindern, bemerkbar.

Die Verfolgung von Frauen, wie durch die dörper, ist auch heute noch ein zentraler Aspekt - sei es im Hinblick auf Vergewaltigung, Unterdrückung, Ausnutzung oder mangelnde Gleichberechtigung. Das Verfolgen des Sängers ähnelt in der heutigen Zeit tendenziell dann eher dem Ausgrenzen und dem Verfolgen von Menschen, die nicht der breite Masse entsprechen. Den Punkt des Verfolgens auf heute zu übertragen fällt aber grundsätzlich deutlich schwieriger, da es ein relativ offenes Thema darstellt und somit wohl zu viele unterschiedliche Aspekte in den Fokus rücken würden, welche dann zu weit vom Thema entfernt sind.

Kommentar

"Riuwentaler", "Reuentaler" oder "der von Riuwental/Reuental" = der Sänger

"lyrisches Ich" = der Sänger

"höfische maze" = höfische Ordnung

"haz" = feindselige Gesinnung

"vrouwen" = Frauen, Damen, Mädchen

"sanc" = Gesang, Minnesang

Forschungsliteratur

Primärliteratur

Bennewitz, Ingrid/ Müller, Ulrich/ Spechtler, Franz Victor (Hrsgg.): Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Drucke. 3 Bde, Berlin/ New York 2007 (Salzburger Neidhart-Edition).

Sekundärliteratur
<HarvardReferences /> [*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008.
<HarvardReferences /> [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart: Metzler 1990 (Sammlung Metzler 253). <HarvardReferences /> [*Haufe 2003] Haufe, Hendrikje: Minne, Lärm und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit in Winterliedern Neidharts, in: Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, hg. v. Martin Baisch et al. Göttingen: V & R unipress 2003 (Aventiuren 1), S. 101-122. <HarvardReferences /> [*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409-453. <HarvardReferences /> [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128. <HarvardReferences /> [*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 95–116. <HarvardReferences /> [*Wachinger 1970] Wachinger, Burghart: Die sogenannten Trutzstrophen, in: Formen mittelalterlicher Literatur: Siegfried Beyschlag zu seinem 65.Geburtstag von Kollegen Freu, Tübingen 1970, S.99-108.