Reichston (Walther von der Vogelweide, Cormeau Nr. 2)
Der vorliegende Übersetzungsvorschlag betrifft die ersten beiden Strophen des Reichstons nach der Zählung Cormeaus[1], die auf der kleinen Heidelberger Liederhandschrift (Hs. A) beruht. Mit den Varianten der Handschriften und der diesbezüglichen Diskussion beschäftigt sich auch der Artikel Walther und die Höfe - die Sangsprüche (Otfrid Ehrismann)
Text und Übersetzung
Originaltext nach Cormeau | Übersetzung | |
I | Ich saz ûf einem steine | Beispiel |
und dahte bein mit beine. | Beispiel | |
dar ûf sazte ich den ellenbogen, | Beispiel | |
ich hete in mîne hant gesmogen | Beispiel | |
5 | mîn kinne und ein mîn wange. | Beispiel |
dô dâht ich mir vil ange, | Beispiel | |
wes man zer welte solte leben. | Beispiel | |
dekeinen rât konde ich gegeben | Beispiel | |
wie man driu dinc erwurbe, | Beispiel | |
10 | der deheinez niht verdurbe. | Beispiel |
diu zwei sint êre und varnde guot, | Beispiel | |
daz dicke ein ander schaden tuot. | Beispiel | |
daz dritte ist gotes hulde, | Beispiel | |
der zweier übergulde. | Beispiel | |
15 | die wolte ich gerne in einen schrîn, | Beispiel |
jâ leider des enmac niht sîn, | Beispiel | |
daz guot und weltliche êre | Beispiel | |
und gotes hulde mêre | Beispiel | |
zesame in ein herze komen. | Beispiel | |
20 | stîg und wege sint in benommen: | Beispiel |
untriuwe ist in der sâze, | Beispiel | |
gewalt vert ûf der strâze, | Beispiel | |
fride und reht sint sêre wunt. | Beispiel | |
diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt. | Beispiel | |
Beispiel | Beispiel | Beispiel |
Beispiel | Beispiel | Beispiel |
Beispiel | Beispiel | Beispiel |
Beispiel | Beispiel | Beispiel |
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Beispiel | Beispiel | Beispiel |
I
- Ich saz ûf einem steine
- und dahte bein mit beine.
- dar ûf sazte ich den ellenbogen,
- ich hete in mîne hant gesmogen
- mîn kinne und ein mîn wange.
- dô dâht ich mir vil ange,
- wes man zer welte solte leben.
- dekeinen rât konde ich gegeben,
- wie man driu dinc erwurbe,
- der deheinez niht verdurbe.
- diu zwei sint êre und varnde guot,
- daz dicke ein ander schaden tuot.
- daz dritte ist gotes hulde,
- der zweier übergulde.
- die wolte ich gerne in einen schrîn,
- jâ leider des enmac niht sîn,
- daz guot und weltliche êre
- und gotes hulde mêre
- zesame in ein herze komen.
- stîg und wege sint in benommen:
- untriuwe ist in der sâze,
- gewalt vert ûf der strâze,
- fride und reht sint sêre wunt.
- diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt.
II
- Ich hôrte ein wazzer diezen
- unde sach die vische vliezen,
- ich sach, swaz in der welte was,
- velt, walt, loup, rôr unde gras.
- swaz kriuchet unde vliuget
- und bein zer erden biuget,
- daz sach ich unde sag iu daz:
- der dekeinez lebet âne haz.
- daz wilt und daz gewürme,
- die strîtent starke stürme,
- same tuont die vogel under in,
- wan daz si habent einen sin:
- si dûhten sich zenihte,
- si enschüefen starc gerihte.
- si kiesent künege unde reht,
- si setzent hêrren unde kneht.
- owê dir, tiutsche zunge,
- wie stêt dîn ordenunge,
- daz nû diu mugge ir künec hât,
- und daz dîn êre alsô zergât!
- bekêrâ dich, bekêre,
- die cirkel sint ze hêre,
- die armen künege dringent dich:
- Phillipe, setze den weisen ûf, und heiz si treten hinder sich.
Übersetzungsvorschlag
I
- Ich saß auf einem Felsen,
- ich dachte nach, die Beine übereinander geschlagen.
- Den Ellenbogen darauf gesetzt,
- hatte ich mein Kinn und eine Wange
- in meine Hand geschmiegt.
- Da dachte ich mit großer Sorge
- darüber nach, wie man in dieser Welt leben soll.
- Keinen Rat konnte ich geben,
- wie man drei Dinge erwerben solle,
- ohne das eines davon verderbe.
- Derer zwei sind Ehre und beweglicher Besitz,
- die einander oft schaden.
- Das dritte ist Gottest Wohlwollen,
- wertvoller als die anderen beiden.
- Die wünsche ich mir in einen Schrein,
- doch leider geht es nicht,
- dass Besitz und weltliche Ehre
- und dazu noch Gottes Wohlwollen
- zusammen in ein Herz kommen.
- Stege und Wege sind ihnen genommen:
- Die Untreue ist auf der Lauer,
- Gewalt herrscht auf der Straße,
- Friede und Recht sind verletzt.
- Die Drei haben kein Geleit, bevor die beiden nicht gesund werden.
II
- Ich hörte ein Wasser rauschen
- und sah die Fische schwimmen,
- ich sah, was auf der Welt war,
- Feld, Wald, Laub, Rohr und Gras.
- Alles was kriecht und fliegt
- und sein Bein zur Erde biegt,
- das sah ich und ich sage euch folgendes:
- Keiner lebt ohne Feindschaft.
- Das Wild und die Würmer,
- hatten schon so manchen stürmischen Streit,
- genauso wie die Vögel unter sich,
- aber in einem sind sie sich einig:
- Ohne starke Gerichte
- hielten sie sich für verloren.
- Sie wählten Könige und Recht
- und bestimmten Herren und Knechte.
- Oweh dir, deutschen Ländern,
- wie steht es mit deiner Ordnung?
- Wo jetzt die Mücke einen König hat
- und deine Ehre derart zerfällt.
- Bekehre dich, bekehre!
- Die Königskronen sind zu herrlich,
- sodass die armen Könige dich bedrängen:
- Phillip, setze die deutsche Königskrone auf, und lass sie hinter dich treten.
Quellen
- ↑ Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neubearb. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996, S. 11-12.