Anfortas (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Anfortas ist ein Sohn Frimutels sowie der Bruder von TRevrizent, Schoysiane und Herzeloyde. Somit ist er ein Onkel Parzivals. Außerdem ist Anfortas der Gralkönig. Am Ende des Romans wird er von seiner Herrschaftsposition abgelöst und Parzival wird der neue Gralkönig. Anfortas leidet unter einer Verletzung, die zur Folge hat, dass er stets große Schmerzen erleiden muss und „nicht reiten noch gehen [...] nicht liegen noch stehen" kann (Er mac gerîten noch gegên [...] noch geligen noch gestên 491,1f.[1]). Vor seiner Verwundung war er allerdings ein weit bekannter Ritter, der insbesondere durch seine „Rittertaten aus Liebe“ (mit rîterschaft durch minne, 815,13) große Berühmtheit erlangt hat. Anfortas spielt durch seine Rolle als Gralkönig eine zentrale Rolle im Parzival. Zudem zeigt sich, dass sein Unglück unmittelbar mit dem Glück Parzivals verknüpft ist.

Anfortas am See Brumbane (225,8–226,22)

Parzival begegnet Anfortas zum ersten Mal am See Brumbane. Einige Fischer liegen dort mit ihren Booten vor Anker, wobei ein Fischer Parzival besonders auffällt:

einen er im schiffe sach: Einen sah er im Schiff
den het an im alsolch gewant, der war gekleidet,
ob im dienden elliu lant, als ob er aller Länder Herr wäre:
daz ez niht bezzer möhte sîn. Besser kann man nicht angezogen sein.
gefurriert sîn huot waz pfâwîn. Sein pelzgefütterter Hut war mit Pfauenfedern gearbeitet.

225,8-12


Parzival beschließt den prächtig gekleideten Mann, der wie sich später herausstellen wird der Gralkönig Anfortas ist, zu fragen, wo er eine Herberge für die Nacht finden könne. „Der traurige Mann“ (der trûric man 225,18) beschreibt ihm den Weg zu einer entfernten Burg, in welcher er ihn am Abend selbst beherbergen will. Allerdings rät er ihm achtsam zu sein, denn auf den unbekannten Wegen könne man schnell vom Weg abkommen und sich verirren. Parzival folgt dem Angebot des Fischers und gelangt schließlich zu einer mächtigen Festung, der Gralsburg. Parzival weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es sich bei der Burg um die Gralsburg [[Parzival_auf_Munsalvaesche_(Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival}|Munsalvaesche]] und bei deren Wirt um den Gralkönig Anfortas handelt. Auch der Fischer weiß nicht, dass der Fremden sein Neffe Parzival ist. Jedoch weiß er, dass ein Ritter kommen wird, dem es möglich ist ihn durch eine Frage von seinem Leiden zu befreien. Ihm ist bewusst, dass es sich bei dem Fremden um diesen Ritter handeln muss, denn sonst hätte dieser nicht so nahe nach Munsalvaesche vordringen können.

Anfortas in Munsalvaesche (226,23–248,16)

In der Gralsburg wird Parzival sehr freundlich empfangen. Der Burgherr Anfortas sitzt an einer Feuerstelle in einem sehr festlich beleuchteten Saal und bittet Parzival sich zu ihm zu gesellen. Zahlreiche Ritter befinden sich mit ihnen in dem marmornen, prächtig geschmückten Raum. Es herrscht eine große Anspannung innerhalb der Gralsgesellschaft. Denn nicht nur Anfortas, sondern auch die anwesenden Ritter hoffen, dass der Fremde die Frage stellen wird, die ein Ende der Leiden des Burgherren bedeuten würde. Doch obgleich Parzival die wundersamen Geschehnisse des Abends, wie etwa die von einem Knappen getragene Lanze, an deren Schneide Blut hervortritt, als auch die prachtvolle Zeremonie in welcher der Gral in den Saal gebracht wird, bemerkt, wagt er es nicht Fragen zu stellen. Ebenso die Tatsache, dass der Gral auf unerklärliche Weise Speisen und Getränken jeglicher Art hervorbringt, nimmt er verwundert wahr, äußerst sich allerdings nicht dazu. Der Grund dafür liegt in der Erziehung durch Gurnemanz.

er dâhte ‘mir riet Gurnamanz Er dachte: „Gurnemanz hat mir beigebracht–
mit grôzen triwen âne schranz, er ist mir gut und seine Treue ohne Scharte –,
ich solte vil gevrâgen niht. dass ich nicht viel fragen soll.

239,11-13

Parzival ist der Meinung, dass er auch ohne nachzufragen erfahren wird, was es mit den Geschehnissen auf der Burg sowie der Gralsgesellschaft auf sich hat. Diese strikte, unüberlegte Anwendung, der von Gurnemanz formulierten Verhaltensregeln, bringt schwere Folgen mit sich: Denn was Parzival nicht weiß, ist dass er mit der Frage nach dem Grund für die starken Schmerzen des gelähmten Gralkönigs, diesen von seinem Leid erlösen könnte und Parzival selbst zum neuen Gralkönig ernannt werden würde. Anfortas macht ihm ein großzügiges Gastgeschenk indem er ihm sein Schwert, das ihn in zahlreichen Kämpfen und Gefahren begleitet hat, übergibt. Diese Schwertübergaben, die als eine „Inthronisation des Nachfolgers“[Bumke 2004: S.66] gedeutet werden kann, soll dem Gast Anreiz geben den Wirt nach dem Grund für dessen leidvollen Zustand zu fragen. So berichtet Anfortas ihm, dass das Schwert ihn solange durch die Kämpfe begleitet hat, bis Gott ihn schließlich "ame lîbe hât geletzet"( 239, 27). Parzival stellt die mit großer Spannung von der Gralsgesellschaft erwartete Frage jedoch nicht und dem Burgherrn wird nicht geholfen. Ahnungslos verlässt er am nächsten Morgen die Gralsburg.

Anfortas Leiden (472,21–483,18)

In einem Gespräch zwischen Trevrizent und Parzival wird der Grund für Anfortas jämmerlichen Zustand deutlich: So berichtet der Einsiedler, dass Anfortas die Gesetze des Grals missachtet habe und das Leiden des Gralkönigs eine „von Gott verhängte Sündenstrafe" [Bumke 2004: S.92] sei. Denn Anfortas hat „Liebe außerhalb des Keuschheitsgebots“(minne ûzerhalp der kiusche sinne, 427,29–30) gesucht. Denn den Gralrittern, die auf Munsalvaesche leben, ist weltliche Liebe untersagt. Lediglich dem Gralkönig ist es erlaubt, eine Ehefrau, welche von Gott bestimmt wird, zu haben. Anfortas setzte sich über diese Regelung hinweg, indem er sich selbst seine Geliebte Orgeluse gesucht habe und als deren Minneritter hinauszog.[Bumke 2004:Vgl. S.92] Auf seiner Aventiure wird Anfortas beim Tjostieren von einem vergifteten Speer stark verwundet.

mit einem gelupten sper Mit einem vergifteten Speer
wart er ze tjostieren wunt, wurde er beim Tjostieren verwundet,
sô daz er nimmer mêr gesunt so dass er niemals wieder gesund
wart, der süeze oeheim dîn werden konnte, dein lieber Oheim:
durch die heidruose sîn. Das Eisen fuhr ihm durch die Hoden.

479,8–12

Als der Verletzte mit dem Eisen im Körper in der Gralsburg ankommt, zieht ein Arzt das Speerstück heraus und Anfortas wird zum Gral getragen. Die Gralritter erhoffen sich Hilfe von Gott. Dies bewirkt jedoch, dass Anfortas durch den Blick auf den Edelstein am Leben erhalten wird und er nicht sterben kann. Trevrizent berichtet außerdem von den zahlreichen Versuchen, die unternommen werden, um Anfortas Verletzung zu heilen. So wurde etwa versucht in den vier Flüssen, „die vom Paradies her fließen“ (die vier wazzer ûzem paradîs, 481,23), Gêôn, Fîsôn, Eufrat und Tigris ein Heilkraut zu finden. Außerdem hält sich Anfortas am See Brumbane auf, da das milde Seeklima Abhilfe gegen seine Schmerzen verschaffen soll und die Seeluft zudem den übel riechenden Gestank seiner Wunde mildert. Desweiteren helfen ihm warme Kleidung sowie der Aufenthalt an den Feuerstellen der Gralsburg. Trevrizent stellt eine Verknüpfung her zwischen dem Vergehen seines Bruders und den Sünden Parzivals. Denn beide haben durch hôchvart Fehler begangen, die sie anschließend durch demütiges Verhalten wieder gut zu machen haben.

Diemüet ie hôchvart überstreit Demut hat Hoffart noch immer überwunden.

473,4

Anfortas Heilung (787,1–796,21)

Anfortas Schmerzen sind schließlich unerträglich und er bittet die Gralsgesellschaft ihn nicht länger dem Anblick des Grals auszusetzen, denn er möchte sterben.

sit ihr vor untriwen bewart So wahr ihr keine Verräter seid,
sô loest mich durch des helmes art erlöst mich! Das schuldet ihr dem Adel des Helmes

787,19–21

Dieser Wunsch wird ihm allerdings nicht erfüllt und er wird durch den regelmäßigen Anblick des Grals am Leben gehalten. Sein Leiden wird erst beendet, als die Gralsbotin Kundrie mit Parzival und Feirefiz in Munsalveasche erscheint. Die Brüder treten an das Bett des Gralkönigs und Parzival stellt die Erlösungsfrage: „Oheim, was tut dir weh?“ (oeheim, waz wirret dir, 795,29) Diese Frage führt zu der sofortigen Genesung Anfortas und auch seine Erscheinung verwandelt sich augenblicklich: Der alte, einst unbewegliche Mann erstrahlt plötzlich in jugendlicher Schönheit. Anfortas erscheint nun sogar als ein so schöner Mann, neben dem sogar Parzival zu erblassen droht.

Parzivâls schoen was nun ein wint Parzivals Schönheit war neben seiner ein windiges Ding
und Absalôn Dâvîdes kint, und die des Absalon, Davids Kind,
von Ascalûn Vergulaht, und Vergulahts von Ascalûn
und al den schoene was geslaht, und aller jener, bei denen Schönheit in der Familie lag,
und des man Gahmurete auch die, die man an Gahmuret rühmte
dô man in zogen sach als man ihn so liebenswert herrlich
ze Kanvoleiz so wünneclîch, in Kanvoleiz Einzug halten sah –
ir decheins schoen was der gelîch keines Mannes Schönheit war der gleich,
die Anfortas ûz siechheit truoc. die dem Anfortas von seiner Krankheit blieb.

796,7–15

Auf die Heilung Anfortas folgt unmittelbar die Ernennung Parzivals zum neuen Gralkönig.

Die Bedeutung der Figur Anfortas

Es verwundert, dass Parzival nicht bemerkt, dass der vornehme Mann, den er am See Brumbane trifft, von schweren Leiden gezeichnet ist. Zudem hat der Erzähler „nicht ohne Ironie [...] die ersten Worte, die Parzival an ihn richtet, als Frage formuliert" [Bumke 2004: S. 65]. Dies bleibt allerdings vorerst die letzte Frage, die der Romanheld an den Gralkönig richtet, denn die erlösende Frage stellt er erst bei seinem zweiten Besuch in Munsalvaesche. Es lässt sich somit feststellen, dass das unüberlegte, unreflektierte Verhalten Parzivals, welches auf einer strikten Übernahme von vorgegebenen Verhaltensregeln basiert und das an zahlreichen Stellen des Epos zu beobachten ist, auch in der Beziehung zwischen Anfortas und Parzival stark hervortritt. Denn Parzivals Fehlverhalten auf der Gralsburg hat weitreichende Folgen.

Wie Anfortas einstige Geliebte Orgeluse berichtet, sei es zwischen dem Gralkönig und ihr zu keiner körperlichen Liebe gekommen (616,21f.).[Bumke 2004: Vgl. 105] Somit hat Anfortas, wenn man den Aussagen er ehemaligen Geliebten folgt, nur in Gedanken Sünde begangen. Auf Grund dieser Tatsache verwundert die harte Bestrafung des Gralkönigs durch Gott und die Gesetze der Gralsburg sowie der Umgang mit deren Einhaltung erscheinen zweifelhaft. So wird durch die Figur Anfortas ein negatives Licht auf die Herrschaft des Gralreichs geworfen.

Darüber hinaus betont Trevrizent die Gemeinsamkeiten der Verfehlungen seines Neffens Parzivals mit denen seines Bruders Anfortas. Für den Einsiedler ergeben sich deutliche Parallelen und er sieht in dem sündhaften Verhalten des Romanhelden eine Wiederholung der Fehler seines Bruders: Beide Ritter haben durch hochmütiges Verhalten Misstaten begangen. So verwendet Trevrizent Anfortas Vergehen als Beispiel um Parzival auf sein falsches Handeln hinzuweisen. Hierin kann eine Wiederholung der Ereignisse, ein Motiv der Doppelung, das für den gesamten Parzivalroman bezeichnend ist, festgestellt werden. Zudem entstehen Parallelen zwischen der Bestrafung des Gralkönigs, dem ein Schwert durch die Hoden fuhr und dem Zauberer Clinschor. Denn dieser wurde zur Strafe, da er sich mit der verheirateten Königin Iblis von Sizilien vergnügte, „zwischen den Beinen glatt gemacht" (zwischenn beinn gemachet sleht 657, 21).

Quellenverzeichnis

<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004.

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.