848: Beschluss zur Vertreibung der Muslime aus den langobardischen Herzogtümern: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 15. August 2019, 09:20 Uhr
Verfasser/in: Theresa Jäckh |
Quelle
"Radelgisi et Siginulfi divisio ducatis Beneventani", ed. Ferdinand Bluhm, in: MGH LL 4, S. 221-225, hier: S. 224, übers. TJ. | |
"Et amodo nullum Sarracenum in meum vel populi ac terrae meae adiutorium seu amicitiam habere quaerimus, tam de his, qui in omni provinciae Beneventani principatus sunt, quam et de illis, qui extra omnem Beneventanum provinciam sunt; et nunquam eos contra vos irritans irritare faciam, et nullum eis adiutorium impendam vel impendere faciam; et adiuvabo vos absque omni iniusta dilatione usque ad summam virtutem, sicut melius potuero, cum populo meae partis, ut pariter expellamus de ista provincia nostra omnes Sarracenos quomodocumque potuerimis; et amodo, ut dictum est, nullum Sarracenum recipiam vel recipere permittam, praeter illos qui temporibus domni Siconis et Sicardi fuerunt christiani, si magarizati non sunt. Et praesentaliter, antequam domnus Ludovicus rex cum suo exercitu exeat de ista terra, do in vestram potestatem gastaldum Montellam cum omnibus castellis eius et medium gastaldum Acerentinum, sicut supra dictum est, si ullo valuerimus ingenio." | Sarazene Hilfe oder Freundschaft weder unter meinem Volk noch in meinen Ländern finden soll; sowohl von diesen, die in allen Beneventanischen Provinzen des Prinzipats sind, wie auch von jenen, die außerhalb der ganzen Beneventanischen Provinz sind. Und niemals werde ich diese gegen euch aufhetzen ["irritans irritare"]; und ich werde keine Unterstützung von ihnen nehmen, noch [mit ihnen] drohen. Und ich werde euch ohne jede unrechte Verzögerung bis zur höchsten Vollendung mit dem Volk meines Teils unterstützen, so gut ich kann, damit wir gleichermaßen alle Sarazenen aus diesen unseren Provinzen vertreiben können. Und von nun an, wie gesagt wurde, werde ich keinen Sarazenen aufnehmen, noch erlauben [diese] aufzunehmen, ausgenommen derer, die [schon] in den Zeiten der Herren Sico und Sicard Christen waren und nicht wieder [vom Glauben] abgefallen sind. Und ich gebe hiermit, bevor der Herr König Ludwig mit seinem Heer aus diesem Land ausziehen wird, in eure Befugnis die Gastalde von Montella mit allen seinen Kastellen und die Hälfte der Gastalde von Acerentinus, wie es oben gesagt ist, so gut wir es durch irgendeine Fähigkeit vermögen. |
Autor/in & Werk
Die „Teilung des Dukats von Benevent“ (divisio ducatis Beneventani) ist eine im Namen des Prinzen Radelchis’ I. (reg. 839-851) abgefasste Verfügung, mit der die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen den Langobarden beigelegt wurden. Der Pakt enthält Bestimmungen darüber, wie die friedliche Nachbarschaft zwischen Radelchis in Benevent einerseits und Siconulf (reg. 832-839) in Salerno andererseits hergestellt und dauerhaft aufrechterhalten werden sollte. Die wichtigste Bestimmung des urkundlichen Rechtsgeschäfts umfasst die Neudefinierung der Grenzen und Besitzungen der langobardischen Provinz Benevent. Teile derselben wurden hiermit offiziell an Siconulf und die 839 von ihm in Salerno begründete Linie langobardischer Fürsten abgetreten. Da Radelchis I. dabei formell gesehen Landesteile seiner Provinz an den Herrschaftsbereich des Siconulf vermachte, wurde das Dokument bisweilen auch als Schenkungsurkunde angesehen. Weiterhin schreibt die Verfügung Hoheitsrechte fest und regelt Handlungsnormen zwischen den langobardischen Teilreichen. Die divisio wird daher auch als Kapitular bezeichnet und ist als Teil der leges Langobardorum in den MGH ediert.
Inhalt & Quellenkontext
Der Teilungspakt des Radelchis I. ist in der Edition in 28 Kapitel gegliedert, die neben der feierlichen Beschwörung des Friedens (cap. 1-3), Schutz und Aufsicht über Kirchen und Klöster (cap. 4-8) sowie die Aufteilung und Zuordnung von Machtbefugnissen, Territorium und dessen Bewohner (cap. 9-16) beinhalten. Im Falle der Bevölkerung der nun geteilten Langobardengebiete wird mitunter festgehalten, ob oder unter welchen Umständen flüchtige oder geraubte Einwohner in ihre Gebiete zurückkehren sollten (cap. 15). Außerdem wurden die Zuständigkeiten der Gerichtsbarkeit im Falle von grenzüberschreitenden Rechtskonflikten geregelt (beispielsweise Morde, die von Einwohnern des einen an Einwohnern des anderen Herrschaftsbereiches verübt wurden, cap. 20; oder Eheschließungen zwischen Bewohnern der beiden Herzogtümer, cap. 22).
Kontextualisierung, Analyse & Interpretation
Wie bereits angedeutet, ging dem Friedensschluss ein langer und erbitterter Bürgerkrieg voraus. Die Wurzel des Konfliktes lag darin, dass Radelchis I. im Jahr 839 den Mord an Prinz Sicard (reg. 832-840) verüben ließ, woraufhin Siconulf, der Bruder des Getöteten, nach Salerno floh und dort eine eigene Linie langobardischer Herrschaft für sich beanspruchte. Gleichzeitig lehnte sich die langobardische Provinz Capua gegen Radelchis und seine unrechtmäßige Machtergreifung auf. Zur Unterdrückung dieser Widerstände warb Radelchis die Hilfe muslimischer Söldner an – eine Methode der Kriegsführung, die in Süditalien kurz zuvor erstmals von Andrea II. von Neapel (reg. 834-840) erprobt worden war.[6] Die muslimischen Garden wüteten und plünderten im Dienst des Radelchis in den langobardischen Gebieten, machten Capua im Jahr 841 dem Erdboden gleich. Siconulf stellte ebenfalls sarazenische Söldner in seinen Dienst. Die dadurch in die süditalienischen Gebiete Einzug haltenden Muslime, die sich wesentlich aus den aġlabidischen Provinzen von Ifrīqiya und Teilen Siziliens rekrutiert haben dürften, beanspruchten in kürzester Zeit eigene Herrschaftsgebiete.
Editionen & Übersetzungen
Andreae Bergomatis historia, ed. Georg Waitz, in: MGH SS rer. Lang., Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1878, S. 220-230.
Chronicon Cassinense, ed. Georg Waitz, in: MGH SS rer. Lang., Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1878, S. 467-489.
Codex diplomaticus Cavensis, Bd. 1: aa.792-960, ed. Mauro Schiani / Michele Morcaldi / Silvano De Stefano, Neapel 1873.
Ioannis gesta episcoporum Neapolitanorum, ed. Georg Waitz, in: MGH SS rer. Lang., Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1878, S. 424-435.
Radelgisi et Siginulfi divisio ducatus Beneventani, in: MGH LL 4, ed. Georg Heinrich Pertz, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1868, S. 221-225.
Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751-918 (926). Bd. 3. Die Regesten des Regnum Italiae und der burgundischen Regna. Tl. 1. Die Karolinger im Regnum Italiae 840-887 (888), hrsg. von Johann Friedrich Böhmer, bearb. von Herbert Zielinski, Köln 1991.
Zitierte & weiterführende Literatur
Berto, Luigi Andrea: Oblivion, Memory, and Irony in Medieval Montecassino: Narrative Strategies of the “Chronicles of St. Benedict of Cassino”, in: Viator 38, 1 (2007), S. 45-61.
Conant, Jonathan P.: Anxieties of Violence: Christians and Muslims in Conflict in Aghlabid North Africa and the Central Mediterranean, in: Al-Masāq 27 (2015), S. 7-23.
Di Braco, Marco; Wolf, Kordula: Hindered Passages. The failed Muslim Conquest of Southern Italy, in: Journal for Transcultural Medieval Studies 1,1 (2014), S. 51-73.
Di Branco, Marco; Matullo, Gianmatteo; Wolf, Kordula: Nuove ricerche sull’insediamento islamico presso il Garigliano (883-915), in: Lazio e Sabina 10. Atti del Convegno. Decimo Incontro di Studi sul Lazio e la Sabina, Roma 4-6 giugno 2013, hrsg. Von Elena Calandra, Giuseppina Ghini e Zaccaria Mari (Lavori e Studi della Soprintendenza per i Beni Archeologici del Lazio 10), Rom: Soprintendenza per i Beni Archeologici del Lazio 2014, S. 273-280.
Enzensberger, Horst: Unteritalien seit 774 Enzensberger, in: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 1: Europa im Wandel von der Antike zum Mittelalter, hrsg. von Theodor Schieder, Stuttgart: Klett Cotta 1976, S. 784-804.
Gantner, Clemens: “Our Common Enemies Shall Be Annihilated!” How Louis II’s Relations with the Byzantine Empire Shaped his Policy in Southern Italy, in: Southern Italy as Contact Area and Border Region during the Early Middle Ages: Religious-Cultural Heterogeneity and Competing Powers in Local, Transregional and Universal Dimensions, hrsg. von Klaus Herberst, Kordula Wolf, Köln: Böhlau 2018, S. 295‒314.
Gasparri, Stefano: Il ducato e il principato di Benevento, in: Storia del Mezzogiorno 2,1, Neapel 1988, S. 85-146.
Houben, Hubert: Il Principato di Salerno e la politica meridionale dell'Impero d'Occidente, in: Rassegna storica salernitana NS 4 (1987), S. 59-83.
Houben, Hubert: Il saccheggio del monastero di S. Modesto in Benevento. Un ignoto episodio delle incursioni arabe nel Mediterraneo, in: Medioevo monastico meridionale, hrsg. von Idem (Nuovo Medioevo 32), Neapel: Liguori 1987, S. 55-65.
Houben, Hunert: Benevent und Reichenau. Süditalienisch-alemannische Kontakte in der Karolingerzeit, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 63 (1983), S. 1-19.
Kreutz, Barbara, Before the Normans: Southern Italy in the ninth and tenth centuries (The Middle Ages Series), Philadelpia: University of Pennsylvania Press, 1996.
Marazzi, Federico: ‘Ita ut facta videatur Neapolis Panormus vel Africa’. Geopolitica della presenza islamica nei domini di Napoli, Gaeta, Salerno e Benevento nel IX secolo”, in: Schede medievali. Rassegna dell’officina di studi medievali 45 (2007), S. 159-202.
Martin, Jean-Marie: Guerre, accords ed frontières en Italie méridionale pendant le haut Moyen Age (Sources et documents d'histoire du Moyen Âge 7), Rom: École française de Rome 2005.
Musca, Giosuè: L’emirato di Bari 847-871, Bari: Dedalo 1964.
Obenaus, Andreas: „… Diese haben nämlich die maurischen Piraten verwüstet“. Islamische Piraterie im westlichen Mittelmeerraum während des 9. und 10. Jahrhunderts, in: Schrecken der Händler und Herrscher. Piratengemeinschaften in der Geschichte, hrsg. von Andreas Obenaus, Eugen Pfister, Birgit Tremml, Wien: Mandelbaum 2012, S. 33-54.
Poupardin, René: La date du „Capitulare Hlotharii de expeditione contra Saracenos facienda“, in: Le Moyen Âge 20 (1907), S. 22-25.
Reumont, Alfred: Un documento di Lotario I imperatore riguardo alla difesa di Roma ed al ducato beneventano, in: Archivio storico italiano Ser. 3, 21 (1875), S. 347-349.
Settia, Aldo Angelo: Castelli e villaggi nell'Italia padana. Popolamento, potere e sicurezza fra IX e XIII secolo (Nuovo medioevo 23), Neapel: Liguori 1984.
Zielinski, Herbert: Ein unbeachteter Italienzug Kaiser Lothars I. im Jahre 847, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 70 (1990), S. 1-22.
Zitierempfehlung
Theresa Jäckh, "848: Beschluss zur Vertreibung der Muslime aus den langobardischen Herzogtümern", in: Transmediterrane Geschichte. Kommentierte Quellenanthologie, ed. Daniel G. König, Theresa Jäckh, Eric Böhme, URL: https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/848:_Beschluss_zur_Vertreibung_der_Muslime_aus_den_langobardischen_Herzogtümern. Letzte Änderung: 15.08.2019. Zugriff: 1.11.2024. |
Schlagworte
Diplomatie (Pakt/Friedensschluss); Konversion; Kooperation; Vertreibung; Söldnertum; Süditalien; Langobarden
- ↑ Divisio ducatis Beneventani, ed. Bluhm, S. XLIIf. und S. 221.
- ↑ So Kreutzer, Normans, S. 51; Houben, Potere, S. 192.
- ↑ Z.B. Chronicon Cassinense, ed. Waitz, cap. 12, S. 474 und Chronicon Cassinense I.29, ed. Hoffmann, S. 83f., Andreas von Bergamo, ed. Waitz, cap. 12, S. 227.
- ↑ RI I, 3,1, Nr. 53; Poupardin, Date, S. 22-25; Martin, Guerre, S. 3 bleibt zwischen Mai 848 und 849 unentschieden.
- ↑ Divisio ducatis Beneventani, ed. Bluhm, S. 225.
- ↑ Ioannis gesta episcoporum Neapolitanorum, ed. Waitz, cap. 57, S. 431.
- ↑ Querverweis: 846_Rom/Ostia.
- ↑ Querverweis: 847_al-Balaḏūrī.
- ↑ Querverweis:871_Ludwig II.
- ↑ Settia, Castelli, S. 45f.; Houben, Benevent, S. 7f.
- ↑ Poupardin, Date, S. 22-25; Musca, Bari, S. 38; RI I, 3, 1, Nr. 54.
- ↑ Kreutzer, Normans, S. 51f.
- ↑ Di Braco/Matullo/Wolf, Insediamento islamico.