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{{Kapitel LAT-DE TAB-2|Till Kalkbrenner|Notker Balbulus, ''Gesta Karoli Magni imperatoris'', ed. Hans F. Haefele (MGH SS rer. Germ. NS 12), Berlin: Weidmann, 1959 (1962), lib. 2, cap. 8, S. 59-62. Übersetzung nach Wattenbach, Wilhelm: ''Notker der Stammler. Mönch von Sankt Gallen über die Taten Karls des Großen'' (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 26), Leipzig: Alfred Lorenz, <sup>6</sup>1940, lib. 2, S. 54-58.|5===Autor/in & Werk== | {{Kapitel LAT-DE TAB-2|Till Kalkbrenner|Notker Balbulus, ''Gesta Karoli Magni imperatoris'', ed. Hans F. Haefele (MGH SS rer. Germ. NS 12), Berlin: Weidmann, 1959 (1962), lib. 2, cap. 8, S. 59-62. Übersetzung nach Wattenbach, Wilhelm: ''Notker der Stammler. Mönch von Sankt Gallen über die Taten Karls des Großen'' (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 26), Leipzig: Alfred Lorenz, <sup>6</sup>1940, lib. 2, S. 54-58.|5===Autor/in & Werk== | ||
Notker, genannt Balbulus, der Stammler, war ein in Sankt Gallen wirkender Mönch. Geboren wurde er wahrscheinlich im Jahre 840. Er entstammte einer einflussreichen Grundherrenfamilie, welche bei Jonschwil, nahe Sankt Gallen heimisch war. Informationen über sein Leben lassen sich hauptsächlich aus autobiographischen Bemerkungen in seinen Werken ziehen. Sein Todestag, der 6. April 912, ist das einzige gesicherte Datum seines Lebens.<ref name="ftn1">Ochsenbein und Schmuki, ''Notkere'', S. 17-18. Notkers Todestag war im Nekrolog des Klosters Sankt Gallen vermerkt worden.</ref> Nachdem er früh verwaist war, kam er zuerst in die Obhut eines Kriegers namens Adalbert, bevor er dem Kloster Sankt Gallen beitrat. Dort erhielt er eine umfangreiche Ausbildung und trat als Urkundenschreiber, Bibliothekar und Hospitar in Erscheinung. Besondere Wirkung entfaltete er jedoch als Erzieher und Lehrer für jüngere Mönche.<ref name="ftn2">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Mehrere seiner Schüler bekleideten später hohe Kirchenämter im süddeutsch-alpinen Raum, so zum Beispiel Hartmann (gest. 925), Abt von Sankt Gallen, und Salomo III. (gest. 919/920), Bischof von Konstanz.<ref name="ftn3">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> 1215 gab es den ersten Versuch einer Kanonisierung Notkers durch Abt Ulrich IV. von Sankt Gallen (gest. 1220), im Zusammenhang damit lieferte ein unbekannter Mönch die ''Vita Notkeri Balbuli''. 1513 erfolgte die Seligsprechung.<ref name="ftn4">Stotz, Notker.</ref> | [§1] Notker, genannt Balbulus, der Stammler, war ein in Sankt Gallen wirkender Mönch. Geboren wurde er wahrscheinlich im Jahre 840. Er entstammte einer einflussreichen Grundherrenfamilie, welche bei Jonschwil, nahe Sankt Gallen heimisch war. Informationen über sein Leben lassen sich hauptsächlich aus autobiographischen Bemerkungen in seinen Werken ziehen. Sein Todestag, der 6. April 912, ist das einzige gesicherte Datum seines Lebens.<ref name="ftn1">Ochsenbein und Schmuki, ''Notkere'', S. 17-18. Notkers Todestag war im Nekrolog des Klosters Sankt Gallen vermerkt worden.</ref> Nachdem er früh verwaist war, kam er zuerst in die Obhut eines Kriegers namens Adalbert, bevor er dem Kloster Sankt Gallen beitrat. Dort erhielt er eine umfangreiche Ausbildung und trat als Urkundenschreiber, Bibliothekar und Hospitar in Erscheinung. Besondere Wirkung entfaltete er jedoch als Erzieher und Lehrer für jüngere Mönche.<ref name="ftn2">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Mehrere seiner Schüler bekleideten später hohe Kirchenämter im süddeutsch-alpinen Raum, so zum Beispiel Hartmann (gest. 925), Abt von Sankt Gallen, und Salomo III. (gest. 919/920), Bischof von Konstanz.<ref name="ftn3">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> 1215 gab es den ersten Versuch einer Kanonisierung Notkers durch Abt Ulrich IV. von Sankt Gallen (gest. 1220), im Zusammenhang damit lieferte ein unbekannter Mönch die ''Vita Notkeri Balbuli''. 1513 erfolgte die Seligsprechung.<ref name="ftn4">Stotz, Notker.</ref> | ||
Notker betätigte sich als Dichter, so in den zwei Werken ''De Sancto Stephano'' (um 883) und ''Liber Ymnorum'' (um 884). Beide Werke waren ihm bekannten Bischöfen gewidmet.<ref name="ftn5">Herbers, Notker, Sp. 1032-1035.</ref> Mit dem ''Metrum de vita sancti Galli'' (um 884-890), welches nur in Fragmenten und Zitaten erhalten ist, schuf er ein Werk zur frühen Geschichte seines Klosters.<ref name="ftn6">Herbers, Notker, Sp. 1032-1035; Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Notker verfasste jedoch auch Prosatexte, welche durchaus praktische Zwecke verfolgten. Im sogenannten ''Formelbuch'' kompilierte er zum Beispiel eine Sammlung von Ratschlägen und Urkundenformeln für seinen ehemaligen Schüler, der 890 als Salomo III. zum Bischof von Konstanz und Abt von Sankt Gallen erhoben wurde. Speziell zu diesem Ereignis scheint das Formelbuch erstellt worden zu sein.<ref name="ftn7">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Auch ein unvollendetes ''Martyrologium'' (vermutlich um 896 noch in Arbeit) gehört zu den umfangreicheren Werken Notkers. Darüber hinaus ist ein Korpus an Briefen zwischen Notker und anderen Geistlichen des süddeutsch-alpinen Raums, meist Notkers Schülern, erhalten geblieben.<ref name="ftn8">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Lange einem anonymen St. Galler Mönch zugeschrieben, gehören die ''Gesta Karoli Magni imperatoris'' zu den wichtigsten Werken Notkers. | [§2] Notker betätigte sich als Dichter, so in den zwei Werken ''De Sancto Stephano'' (um 883) und ''Liber Ymnorum'' (um 884). Beide Werke waren ihm bekannten Bischöfen gewidmet.<ref name="ftn5">Herbers, Notker, Sp. 1032-1035.</ref> Mit dem ''Metrum de vita sancti Galli'' (um 884-890), welches nur in Fragmenten und Zitaten erhalten ist, schuf er ein Werk zur frühen Geschichte seines Klosters.<ref name="ftn6">Herbers, Notker, Sp. 1032-1035; Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Notker verfasste jedoch auch Prosatexte, welche durchaus praktische Zwecke verfolgten. Im sogenannten ''Formelbuch'' kompilierte er zum Beispiel eine Sammlung von Ratschlägen und Urkundenformeln für seinen ehemaligen Schüler, der 890 als Salomo III. zum Bischof von Konstanz und Abt von Sankt Gallen erhoben wurde. Speziell zu diesem Ereignis scheint das Formelbuch erstellt worden zu sein.<ref name="ftn7">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Auch ein unvollendetes ''Martyrologium'' (vermutlich um 896 noch in Arbeit) gehört zu den umfangreicheren Werken Notkers. Darüber hinaus ist ein Korpus an Briefen zwischen Notker und anderen Geistlichen des süddeutsch-alpinen Raums, meist Notkers Schülern, erhalten geblieben.<ref name="ftn8">Haefele und Gschwind-Giesinger, Notker, Sp. 1289-1290.</ref> Lange einem anonymen St. Galler Mönch zugeschrieben, gehören die ''Gesta Karoli Magni imperatoris'' zu den wichtigsten Werken Notkers. | ||
==Inhalt & Quellenkontext== | ==Inhalt & Quellenkontext== | ||
Die ''Gesta Karoli Magni imperatoris'' wurden vermutlich zwischen 884 und 887 auf Wunsch Kaiser Karls III. (regn. 876-887 als König des Ostfrankenreiches, ab 881 Kaiser) von Notker verfasst, allerdings nie vollendet, was wahrscheinlich mit der Absetzung des Kaisers im November 887 in Zusammenhang steht.<ref name="ftn9">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIV.</ref> Der Auftrag zum Werk erfolgte wohl im Dezember 883, als sich Karl III. auf dem Rückweg aus Italien befand und sich drei Tage in Sankt Gallen aufhielt. Dort wurde er von den Mönchen festlich bewirtet und mit Gedichten, Gesprächen und Erzählungen unterhalten. Der größte Anteil an dieser Unterhaltung des Herrschers scheint Notker zugefallen zu sein.<ref name="ftn10">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIII.</ref> Dabei muss Notker Karl III. mit seinem anekdotischen Wissen über die Zeit seines Urgroßvaters Karls des Großen beeindruckt haben. Haefele verortet die Entstehung des Werkes, oder zumindest die letzte Bearbeitungsphase, in den Zeitraum nach 885. Dies begründet er mit Notkers Darstellung der Dänen- und Normannenkriege Karls des Großen, welche Notker im Lichte der wenig erfolgreichen, ab 885 geführten Kriege Karls III. beschrieben habe.<ref name="ftn11">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIV.</ref> Das Werk sollte insgesamt drei Teile und eine Vorrede umfassen: Teil I befasst sich mit der Beziehung Karls des Großen zur Kirche und ist größtenteils überliefert, während der fragmentarisch überlieferte Teil II die kriegerischen und außenpolitischen Erfolge des Kaisers abhandelt. Teil III hätte das Privatleben des Kaisers behandeln sollen, wurde anscheinend jedoch nie erstellt.<ref name="ftn12">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XVI.</ref> Bei der Komposition der ''Gesta'' griff Notker nicht nur auf einschlägige Chroniken und Annalen wie die ''Annales Regni Francorum'' zurück, sondern auch auf mündliche Berichte und eventuell auch auf eine ''mappa mundi'', welche in Sankt Gallen verwahrt wurde.<ref name="ftn13">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIII, S. XVIII.</ref> | [§3] Die ''Gesta Karoli Magni imperatoris'' wurden vermutlich zwischen 884 und 887 auf Wunsch Kaiser Karls III. (regn. 876-887 als König des Ostfrankenreiches, ab 881 Kaiser) von Notker verfasst, allerdings nie vollendet, was wahrscheinlich mit der Absetzung des Kaisers im November 887 in Zusammenhang steht.<ref name="ftn9">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIV.</ref> Der Auftrag zum Werk erfolgte wohl im Dezember 883, als sich Karl III. auf dem Rückweg aus Italien befand und sich drei Tage in Sankt Gallen aufhielt. Dort wurde er von den Mönchen festlich bewirtet und mit Gedichten, Gesprächen und Erzählungen unterhalten. Der größte Anteil an dieser Unterhaltung des Herrschers scheint Notker zugefallen zu sein.<ref name="ftn10">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIII.</ref> Dabei muss Notker Karl III. mit seinem anekdotischen Wissen über die Zeit seines Urgroßvaters Karls des Großen beeindruckt haben. Haefele verortet die Entstehung des Werkes, oder zumindest die letzte Bearbeitungsphase, in den Zeitraum nach 885. Dies begründet er mit Notkers Darstellung der Dänen- und Normannenkriege Karls des Großen, welche Notker im Lichte der wenig erfolgreichen, ab 885 geführten Kriege Karls III. beschrieben habe.<ref name="ftn11">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIV.</ref> Das Werk sollte insgesamt drei Teile und eine Vorrede umfassen: Teil I befasst sich mit der Beziehung Karls des Großen zur Kirche und ist größtenteils überliefert, während der fragmentarisch überlieferte Teil II die kriegerischen und außenpolitischen Erfolge des Kaisers abhandelt. Teil III hätte das Privatleben des Kaisers behandeln sollen, wurde anscheinend jedoch nie erstellt.<ref name="ftn12">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XVI.</ref> Bei der Komposition der ''Gesta'' griff Notker nicht nur auf einschlägige Chroniken und Annalen wie die ''Annales Regni Francorum'' zurück, sondern auch auf mündliche Berichte und eventuell auch auf eine ''mappa mundi'', welche in Sankt Gallen verwahrt wurde.<ref name="ftn13">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIII, S. XVIII.</ref> | ||
Das achte und neunte Kapitel des zweiten Buches der ''Gesta'' befassen sich mit den diplomatischen Kontakten Karls des Großen mit der islamischen Welt. Die Quelle berichtet in Kapitel 8 zunächst von zwei persischen Gesandten, die einen gewissen Aaron als ihren Herren angeben. Dabei muss es sich um den Abbasidenkalifen Hārūn al-Rašīd (regn. 170-193/786-809) handeln. Die sogenannten Perser kommen in Italien an und wollen zu Karl weiterreisen, werden jedoch durch das unkooperative Verhalten der lokalen Großen an einer schnellen Durchreise gehindert. Ihre unfreiwillige Rundreise durch das Frankenreich endet jedoch schließlich am Hof zu Aachen, wo die Gesandten sehr gastfreundlich aufgenommen werden. Notker hebt die Pracht des Hofes und die Exklusivität der mitgebrachten Geschenke sowie die fürstlichen Qualitäten Karls, allen voran seine Großzügigkeit und Gastfreundschaft, hervor. Aus der Aufzählung der Geschenke sticht besonders ein Elefant hervor. Im Zuge eines Gastmahles äußern die Gesandten ihre Verwunderung darüber, dass die Großen in Karls Reich seine Macht so wenig achteten, dass sie Gesandten, welche auf dem Weg zu ihrem Herrscher seien, keine Hilfe leisteten. Außerhalb seines Herrschaftsgebietes dagegen werde Karl von allen anderen Völkern gefürchtet und geachtet. In ihrer Heimat, so die Gesandten, fürchteten die Menschen ihn sogar mehr als ihren eigenen Herrn Hārūn. Der erboste Karl bestraft daraufhin die Großen, welche die Reise der Gesandten behindert haben sollen. | [§4] Das achte und neunte Kapitel des zweiten Buches der ''Gesta'' befassen sich mit den diplomatischen Kontakten Karls des Großen mit der islamischen Welt. Die Quelle berichtet in Kapitel 8 zunächst von zwei persischen Gesandten, die einen gewissen Aaron als ihren Herren angeben. Dabei muss es sich um den Abbasidenkalifen Hārūn al-Rašīd (regn. 170-193/786-809) handeln. Die sogenannten Perser kommen in Italien an und wollen zu Karl weiterreisen, werden jedoch durch das unkooperative Verhalten der lokalen Großen an einer schnellen Durchreise gehindert. Ihre unfreiwillige Rundreise durch das Frankenreich endet jedoch schließlich am Hof zu Aachen, wo die Gesandten sehr gastfreundlich aufgenommen werden. Notker hebt die Pracht des Hofes und die Exklusivität der mitgebrachten Geschenke sowie die fürstlichen Qualitäten Karls, allen voran seine Großzügigkeit und Gastfreundschaft, hervor. Aus der Aufzählung der Geschenke sticht besonders ein Elefant hervor. Im Zuge eines Gastmahles äußern die Gesandten ihre Verwunderung darüber, dass die Großen in Karls Reich seine Macht so wenig achteten, dass sie Gesandten, welche auf dem Weg zu ihrem Herrscher seien, keine Hilfe leisteten. Außerhalb seines Herrschaftsgebietes dagegen werde Karl von allen anderen Völkern gefürchtet und geachtet. In ihrer Heimat, so die Gesandten, fürchteten die Menschen ihn sogar mehr als ihren eigenen Herrn Hārūn. Der erboste Karl bestraft daraufhin die Großen, welche die Reise der Gesandten behindert haben sollen. | ||
Im darauffolgenden Kapitel 9 wird über eine weitere Episode des diplomatischen Kontakts zwischen Kaiser und Kalif berichtet. Karl schickt eine Gesandtschaft zum Kalifen. Unter den fränkischen Geschenken befinden sich Jagdhunde von besonderer Wildheit und Geschwindigkeit, welche sich der Kalif explizit gewünscht haben soll. Die Fähigkeiten der Hunde werden bereits am Tag nach der Ankunft der fränkischen Gesandten auf die Probe gestellt, als der Kalif und die Gesandten zur Löwenjagd ausreiten. Die Hunde werden auf den Löwen gehetzt. Während sie diesen festhalten, töten die fränkischen Gesandten das gefährliche Tier mit Schwertern. Der Kalif ist von dieser kleinen Probe fränkischer Stärke, die natürlich auf die Macht Karls zurückverweist, so beeindruckt, dass er nach einem Geschenk sucht, welches dem ihm dargebrachten ebenbürtig ist. Notker lässt den Kalifen ausrufen: | [§5] Im darauffolgenden Kapitel 9 wird über eine weitere Episode des diplomatischen Kontakts zwischen Kaiser und Kalif berichtet. Karl schickt eine Gesandtschaft zum Kalifen. Unter den fränkischen Geschenken befinden sich Jagdhunde von besonderer Wildheit und Geschwindigkeit, welche sich der Kalif explizit gewünscht haben soll. Die Fähigkeiten der Hunde werden bereits am Tag nach der Ankunft der fränkischen Gesandten auf die Probe gestellt, als der Kalif und die Gesandten zur Löwenjagd ausreiten. Die Hunde werden auf den Löwen gehetzt. Während sie diesen festhalten, töten die fränkischen Gesandten das gefährliche Tier mit Schwertern. Der Kalif ist von dieser kleinen Probe fränkischer Stärke, die natürlich auf die Macht Karls zurückverweist, so beeindruckt, dass er nach einem Geschenk sucht, welches dem ihm dargebrachten ebenbürtig ist. Notker lässt den Kalifen ausrufen: | ||
<div style="margin-left:0.5cm;margin-right:0.5cm;">„Gebe ich ihm das Land, das Gott Abraham verhieß und Josua gab, so kann er es doch wegen der weiten Entfernung nicht vor den Barbaren schützen. (…) Aber trotzdem will ich versuchen, in dieser Art seiner Freigiebigkeit zu entsprechen. Ich will das Land in seine Gewalt geben und sein Sachwalter darüber sein.“<ref name="ftn14">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, lib. 2, cap. 9, S. 64: „Si terram promissam Abrahe et exhibitam Iosue dedero illi, propter longiquitatem locorum non potest eam defensare a babaris (…). Sed tamen hoc modo liberalitati eius gratificari temptabo: dabo quidem illam in eius potestatem et ego advocatus eius ero super eam (…).“</ref></div> | <div style="margin-left:0.5cm;margin-right:0.5cm;">„Gebe ich ihm das Land, das Gott Abraham verhieß und Josua gab, so kann er es doch wegen der weiten Entfernung nicht vor den Barbaren schützen. (…) Aber trotzdem will ich versuchen, in dieser Art seiner Freigiebigkeit zu entsprechen. Ich will das Land in seine Gewalt geben und sein Sachwalter darüber sein.“<ref name="ftn14">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, lib. 2, cap. 9, S. 64: „Si terram promissam Abrahe et exhibitam Iosue dedero illi, propter longiquitatem locorum non potest eam defensare a babaris (…). Sed tamen hoc modo liberalitati eius gratificari temptabo: dabo quidem illam in eius potestatem et ego advocatus eius ero super eam (…).“</ref></div> | ||
Der bei Notker berichtete Gesandtenaustausch lässt sich in eine Reihe von Gesandtschaften einordnen, welche zwischen 797 und 808 stattfanden. Bereits 765-768 gab es einen ersten diplomatischen Kontakt zwischen den karolingischen Franken unter Pippin dem Jüngeren (regn. 751-768 als König) und dem Abbasidenkalifat unter al-Manṣūr (regn. 136-158/754-775).<ref name="ftn15">''Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV. cum Continuationibus'', ed. Bruno Krusch (MGH SS rer. Merov. 2), Hannover: Hahn, 1888, cap. 51, S. 191-192. Siehe dazu: McCormick, Pippin III and al-Mansur, S. 221-241.</ref> Knapp dreißig Jahre später unternahm Pippins Sohn einen erneuten diplomatischen Vorstoß in diese Richtung. Die Reichsannalen (''Annales Regni Francorum'') berichten davon, dass Karl der Große 797 eine Gesandtschaft zum Kalifen ausgeschickt hatte.<ref name="ftn16">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 116. Die Reichsannalen berichten dies im Eintrag für das Jahr 801. ''Annales Regni Francorum'', ed. Georg Heinrich Pertz; Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. 6), Hannover: Hahn, 1895, a. 801, S. 114, S. 116.</ref> Die abbasidische Gegengesandtschaft traf in Begleitung der fränkischen Gesandten 801 bei Karl ein, als dieser sich auf der Rückreise aus Rom befand.<ref name="ftn17">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 801, S. 114, S. 116.</ref> Die Geschenke erreichten Aachen etwa ein Jahr später (802). Ihren Transport hatte ein Jude namens Isaak (''Isaac Judeus'') organisiert, welcher 797 als Teil der fränkischen Gesandtschaft aufgebrochen war.<ref name="ftn18">''Annales Regni Francourm'', ed. Pertz und Kurze, a. 802, S. 117.</ref> Die Reichsannalen nennen ebenfalls einen Elefanten unter den Geschenken und geben ihm sogar den Namen ''Abul Abaz'', was eine Transkription des arabischen Namens „Abū l-ʿAbbās“ (Vater des ʿAbbās) darstellt und damit auf die Abbasidendynastie verweist. Die Reichsannalen datieren den Tod des Elefanten auf das Jahr 810.<ref name="ftn19">''Annales Regni Francourm'', ed. Pertz und Kurze, a. 810, S. 131.</ref> | [§6] Der bei Notker berichtete Gesandtenaustausch lässt sich in eine Reihe von Gesandtschaften einordnen, welche zwischen 797 und 808 stattfanden. Bereits 765-768 gab es einen ersten diplomatischen Kontakt zwischen den karolingischen Franken unter Pippin dem Jüngeren (regn. 751-768 als König) und dem Abbasidenkalifat unter al-Manṣūr (regn. 136-158/754-775).<ref name="ftn15">''Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV. cum Continuationibus'', ed. Bruno Krusch (MGH SS rer. Merov. 2), Hannover: Hahn, 1888, cap. 51, S. 191-192. Siehe dazu: McCormick, Pippin III and al-Mansur, S. 221-241.</ref> Knapp dreißig Jahre später unternahm Pippins Sohn einen erneuten diplomatischen Vorstoß in diese Richtung. Die Reichsannalen (''Annales Regni Francorum'') berichten davon, dass Karl der Große 797 eine Gesandtschaft zum Kalifen ausgeschickt hatte.<ref name="ftn16">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 116. Die Reichsannalen berichten dies im Eintrag für das Jahr 801. ''Annales Regni Francorum'', ed. Georg Heinrich Pertz; Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. 6), Hannover: Hahn, 1895, a. 801, S. 114, S. 116.</ref> Die abbasidische Gegengesandtschaft traf in Begleitung der fränkischen Gesandten 801 bei Karl ein, als dieser sich auf der Rückreise aus Rom befand.<ref name="ftn17">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 801, S. 114, S. 116.</ref> Die Geschenke erreichten Aachen etwa ein Jahr später (802). Ihren Transport hatte ein Jude namens Isaak (''Isaac Judeus'') organisiert, welcher 797 als Teil der fränkischen Gesandtschaft aufgebrochen war.<ref name="ftn18">''Annales Regni Francourm'', ed. Pertz und Kurze, a. 802, S. 117.</ref> Die Reichsannalen nennen ebenfalls einen Elefanten unter den Geschenken und geben ihm sogar den Namen ''Abul Abaz'', was eine Transkription des arabischen Namens „Abū l-ʿAbbās“ (Vater des ʿAbbās) darstellt und damit auf die Abbasidendynastie verweist. Die Reichsannalen datieren den Tod des Elefanten auf das Jahr 810.<ref name="ftn19">''Annales Regni Francourm'', ed. Pertz und Kurze, a. 810, S. 131.</ref> | ||
Die Reichsannalen berichten für das Jahr 799 außerdem, dass ein Gesandter des Patriarchen von Jerusalem, des höchsten kirchlichen Würdenträgers im Heiligen Land, im Frankenreich eintraf.<ref name="ftn20">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 799, S. 108.</ref> Der Mönch aus Jerusalem habe Karl den Segen des Patriarchen gespendet und wunderkräftige Geschenke überbracht. Karl habe den Mönch bei sich behalten, bis er ihn Anfang des Jahres 800 zusammen mit Zacharias, einem Priester seines Hofes, zum Patriarchen zurückschickte.<ref name="ftn21">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 800, S. 110.</ref> Noch am Ende desselben Jahres soll Zacharias in Begleitung von zwei Mönchen aus dem Patriarchat wieder zurückgekehrt sein.<ref name="ftn22">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 800, S. 112.</ref> Diese hätten Karl abermals Geschenke überbracht, nämlich, nach Auskunft des Reichannalisten, die Schlüssel zur Grabeskirche und der Stadt Jerusalem sowie eine Fahne.<ref name="ftn23">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 800, S. 112: „Eadem die Zacharias cum duobus monachis (…) de Oriente reversus Romam venit, (…) qui benedictionis causa claves sepulchri Dominici ac loci calvarie claves etiam civitatis et montis cum vexillo detulerunt.“</ref> | [§7] Die Reichsannalen berichten für das Jahr 799 außerdem, dass ein Gesandter des Patriarchen von Jerusalem, des höchsten kirchlichen Würdenträgers im Heiligen Land, im Frankenreich eintraf.<ref name="ftn20">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 799, S. 108.</ref> Der Mönch aus Jerusalem habe Karl den Segen des Patriarchen gespendet und wunderkräftige Geschenke überbracht. Karl habe den Mönch bei sich behalten, bis er ihn Anfang des Jahres 800 zusammen mit Zacharias, einem Priester seines Hofes, zum Patriarchen zurückschickte.<ref name="ftn21">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 800, S. 110.</ref> Noch am Ende desselben Jahres soll Zacharias in Begleitung von zwei Mönchen aus dem Patriarchat wieder zurückgekehrt sein.<ref name="ftn22">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 800, S. 112.</ref> Diese hätten Karl abermals Geschenke überbracht, nämlich, nach Auskunft des Reichannalisten, die Schlüssel zur Grabeskirche und der Stadt Jerusalem sowie eine Fahne.<ref name="ftn23">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 800, S. 112: „Eadem die Zacharias cum duobus monachis (…) de Oriente reversus Romam venit, (…) qui benedictionis causa claves sepulchri Dominici ac loci calvarie claves etiam civitatis et montis cum vexillo detulerunt.“</ref> | ||
Nach der Ankunft der Geschenke des Kalifen im Sommer 802 in Aachen soll Karl nach Auskunft der Reichsannalen eine zweite Gesandtschaft an den Hof des Kalifen gesandt haben.<ref name="ftn24">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 806, S. 122. Die Annalen nennen auch hier erst das Datum der Abreise im Zusammenhang mit der Rückkehr.</ref> Kurz darauf habe im Jahre 803 außerdem eine dritte Gesandtschaft des Patriarchen Karl den Großen erreicht, von der aber nur berichtet wird, dass sich die Mönche im Frankenreich aufgehalten hätten.<ref name="ftn25">Diese Nachricht lässt sich in den ''Annales Maximiniani'' und den ''Annales Iuvavenses Maiores'' finden. Siehe Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 84.</ref> Im Jahre 806 soll dann eine gemischte Gesandtschaft aus Vertretern des Kalifen und des Patriarchen in Begleitung der 802 aufgebrochenen fränkischen Gesandten in Italien eingetroffen sein, die Anfang des folgenden Jahres Karl erreicht habe. Als Vertreter des Kalifen wird ein gewisser ʿAbdallāh (''Abdella'') genannt, der von zwei Mönchen des Patriarchen, Georg und Felix, begleitet wurde.<ref name="ftn26">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 807, S. 123.</ref> Wie bereits im Falle des ersten Gesandtenaustausches (797-802) berichten die Reichsannalen nichts über den Zweck dieses erneuten Austausches. | [§8] Nach der Ankunft der Geschenke des Kalifen im Sommer 802 in Aachen soll Karl nach Auskunft der Reichsannalen eine zweite Gesandtschaft an den Hof des Kalifen gesandt haben.<ref name="ftn24">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 806, S. 122. Die Annalen nennen auch hier erst das Datum der Abreise im Zusammenhang mit der Rückkehr.</ref> Kurz darauf habe im Jahre 803 außerdem eine dritte Gesandtschaft des Patriarchen Karl den Großen erreicht, von der aber nur berichtet wird, dass sich die Mönche im Frankenreich aufgehalten hätten.<ref name="ftn25">Diese Nachricht lässt sich in den ''Annales Maximiniani'' und den ''Annales Iuvavenses Maiores'' finden. Siehe Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 84.</ref> Im Jahre 806 soll dann eine gemischte Gesandtschaft aus Vertretern des Kalifen und des Patriarchen in Begleitung der 802 aufgebrochenen fränkischen Gesandten in Italien eingetroffen sein, die Anfang des folgenden Jahres Karl erreicht habe. Als Vertreter des Kalifen wird ein gewisser ʿAbdallāh (''Abdella'') genannt, der von zwei Mönchen des Patriarchen, Georg und Felix, begleitet wurde.<ref name="ftn26">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 807, S. 123.</ref> Wie bereits im Falle des ersten Gesandtenaustausches (797-802) berichten die Reichsannalen nichts über den Zweck dieses erneuten Austausches. | ||
Für das Jahr 808 lässt sich noch eine letzte Gesandtschaft des Patriarchen an Karl nachweisen. Diese wird in einem Brief Papst Leos III. (sed. 795-816) an Karl erwähnt.<ref name="ftn27">''Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae'', ed. Karl Hampe (MGH Epp. 5: Epistolae Karolini aevi 3), Berlin: Weidmann, 1899, ep. 8, S. 66-67.</ref> Nach 808 ist für die Herrschaftsperiode Karls, der sechs Jahre später starb, keine Gesandtschaft zwischen Kaiser, Kalif und Patriarch mehr dokumentiert. Erst unter Ludwig dem Frommen (regn. 813/814-840 als Kaiser) erscheint im Jahre 831 erneut eine Gesandtschaft aus dem Kalifat, welches zu der Zeit von al-Maʾmūn (regn. 198-218/813-833) beherrscht wurde.<ref name="ftn28">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 111-112.</ref> Diese Gesandtschaft bestand aus Christen und Muslimen und sollte einen nicht näher spezifizierten Friedensvertrag schließen.<ref name="ftn29">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 112-113.</ref> Damit endete der Gesandtenaustausch zwischen abbasidischen Kalifen und fränkischen Königen bzw. Kaisern.<ref name="ftn30">Allerdings kam es möglicherweise noch 293/906 zu einer Gesandtschaft der karolingischen Markgräfin Bertha von Tuszien an den abbasidischen Kalifen al-Muktafī bi-llāh, die allerdings nur in zwei arabisch-islamischen Quellen überliefert ist. Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 14, S. 200-201. </ref> | [§9] Für das Jahr 808 lässt sich noch eine letzte Gesandtschaft des Patriarchen an Karl nachweisen. Diese wird in einem Brief Papst Leos III. (sed. 795-816) an Karl erwähnt.<ref name="ftn27">''Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae'', ed. Karl Hampe (MGH Epp. 5: Epistolae Karolini aevi 3), Berlin: Weidmann, 1899, ep. 8, S. 66-67.</ref> Nach 808 ist für die Herrschaftsperiode Karls, der sechs Jahre später starb, keine Gesandtschaft zwischen Kaiser, Kalif und Patriarch mehr dokumentiert. Erst unter Ludwig dem Frommen (regn. 813/814-840 als Kaiser) erscheint im Jahre 831 erneut eine Gesandtschaft aus dem Kalifat, welches zu der Zeit von al-Maʾmūn (regn. 198-218/813-833) beherrscht wurde.<ref name="ftn28">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 111-112.</ref> Diese Gesandtschaft bestand aus Christen und Muslimen und sollte einen nicht näher spezifizierten Friedensvertrag schließen.<ref name="ftn29">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 112-113.</ref> Damit endete der Gesandtenaustausch zwischen abbasidischen Kalifen und fränkischen Königen bzw. Kaisern.<ref name="ftn30">Allerdings kam es möglicherweise noch 293/906 zu einer Gesandtschaft der karolingischen Markgräfin Bertha von Tuszien an den abbasidischen Kalifen al-Muktafī bi-llāh, die allerdings nur in zwei arabisch-islamischen Quellen überliefert ist. Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 14, S. 200-201. </ref> | ||
Eine ältere, ebenfalls literarische Verarbeitung des Gesandtenaustauschs zwischen dem Kaiser und dem Kalifen lässt sich in Einhards (gest. 840) Karlsvita finden.<ref name="ftn31">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Georg Heinrich Pertz; Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. 25), Hannover/ Leipzig: Hahn’sche Buchhandlung, <sup>6</sup>1911, cap. 16, S. 19.</ref> Diese berichtet von der zweiten Gesandtschaft Karls, welche mit Geschenken für das Heilige Grab und den Ort der Auferstehung aufgebrochen sein soll. Nachdem sie diese überbracht hätten, seien die Gesandten auch zu Hārūn al-Rašīd gekommen und hätten ihm einen Wunsch ihres Herrn ausgerichtet. Was genau sich Karl von Hārūn gewünscht haben soll, wird jedoch nicht berichtet. Der Kalif soll die Wünsche und Erwartungen des Kaisers jedoch übertroffen haben: „So bewilligte er ihnen nicht bloß, was von ihnen begehrt wurde, sondern auch, dass jene heilige und heilsbringende Stätte unter seine [d.h. Karls] Gewalt komme.“<ref name="ftn32">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19: „Non solum quae petebantur fieri permisit, sed etiam sacrum illum et salutarem locum, ut illius potestati adscriberetur, concessit (…).” Übersetzung: Zangl/ Abel, Kaiser Karls Leben, S. 24.</ref> Auf welche heilige Stätte sich diese Stelle genau bezieht, bleibt allerdings unklar. Weiter heißt es nur, dass Hārūn eigene Gesandte mit Geschenken zusammen mit den Gesandten des Kaisers zurückgeschickt habe. An dieser Stelle erwähnt Einhard auch, dass der Kalif einige Jahre zuvor bereits seinen einzigen Elefanten an den Kaiser geschickt habe. | [§10] Eine ältere, ebenfalls literarische Verarbeitung des Gesandtenaustauschs zwischen dem Kaiser und dem Kalifen lässt sich in Einhards (gest. 840) Karlsvita finden.<ref name="ftn31">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Georg Heinrich Pertz; Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. 25), Hannover/ Leipzig: Hahn’sche Buchhandlung, <sup>6</sup>1911, cap. 16, S. 19.</ref> Diese berichtet von der zweiten Gesandtschaft Karls, welche mit Geschenken für das Heilige Grab und den Ort der Auferstehung aufgebrochen sein soll. Nachdem sie diese überbracht hätten, seien die Gesandten auch zu Hārūn al-Rašīd gekommen und hätten ihm einen Wunsch ihres Herrn ausgerichtet. Was genau sich Karl von Hārūn gewünscht haben soll, wird jedoch nicht berichtet. Der Kalif soll die Wünsche und Erwartungen des Kaisers jedoch übertroffen haben: „So bewilligte er ihnen nicht bloß, was von ihnen begehrt wurde, sondern auch, dass jene heilige und heilsbringende Stätte unter seine [d.h. Karls] Gewalt komme.“<ref name="ftn32">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19: „Non solum quae petebantur fieri permisit, sed etiam sacrum illum et salutarem locum, ut illius potestati adscriberetur, concessit (…).” Übersetzung: Zangl/ Abel, Kaiser Karls Leben, S. 24.</ref> Auf welche heilige Stätte sich diese Stelle genau bezieht, bleibt allerdings unklar. Weiter heißt es nur, dass Hārūn eigene Gesandte mit Geschenken zusammen mit den Gesandten des Kaisers zurückgeschickt habe. An dieser Stelle erwähnt Einhard auch, dass der Kalif einige Jahre zuvor bereits seinen einzigen Elefanten an den Kaiser geschickt habe. | ||
Die meisten der weiteren fränkischen Quellen, die vom Gesandtenaustausch zwischen Karl dem Großen und Hārūn al-Rašīd berichten, sind von den Reichsannalen abhängig, so zum Beispiel die ''Annales qui dicuntur Einhardi'', die ''Annales Maximiani'', die ''Chronica sive chronographia universalis'', das ''Chronicon Moissiacense'' und die ''Annales de gestis Caroli Magni imperatoris'' des Poeta Saxo.<ref name="ftn33">Siehe Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 47, Fn. 236.</ref> Die einzige bedeutende Ausnahme stellt das ''Breue commemoratorium'' dar, bei welchem es sich um ein administratives Dokument gehandelt haben muss. Wie weiter unten behandelt, könnte dieses weiteren Aufschluss über den Zweck des Gesandtenaustausches geben. | [§11] Die meisten der weiteren fränkischen Quellen, die vom Gesandtenaustausch zwischen Karl dem Großen und Hārūn al-Rašīd berichten, sind von den Reichsannalen abhängig, so zum Beispiel die ''Annales qui dicuntur Einhardi'', die ''Annales Maximiani'', die ''Chronica sive chronographia universalis'', das ''Chronicon Moissiacense'' und die ''Annales de gestis Caroli Magni imperatoris'' des Poeta Saxo.<ref name="ftn33">Siehe Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 47, Fn. 236.</ref> Die einzige bedeutende Ausnahme stellt das ''Breue commemoratorium'' dar, bei welchem es sich um ein administratives Dokument gehandelt haben muss. Wie weiter unten behandelt, könnte dieses weiteren Aufschluss über den Zweck des Gesandtenaustausches geben. | ||
Auffallend ist, dass der mehrfache Austausch von Gesandten zwischen Karl dem Großen und Hārūn al-Rašīd, über den die fränkischen Quellen so häufig, teils ausführlich und mit Ausschmückungen berichten, in arabischen Quellen nicht dokumentiert zu sein scheint. Anders als arabisch-islamische Quellen aus al-Andalus, die zahlreiche Angaben zu den diplomatischen Beziehungen zwischen dem Frankenreich und dem umayyadischen al-Andalus machen, liefern arabisch-islamische Quellen aus dem abbasidischen Nahen Osten wenig Informationen zu direkten Austauschbeziehungen zwischen dem Franken- und dem Abbasidenreich. Wir finden u. a. Hinweise auf den Import fränkischer Schwerter. Für das Jahr 293/906 ist auch eine – in ihrer Authentizität umstrittene Gesandtschaft der Markgräfin Bertha von Tuszien an den abbasidischen Kalifen al-Muktafī bi-llāh (regn. 289-295/902-908) belegt. Ferner enthält das Werk des al-Masʿūdī eine bis ins 10. Jahrhundert geführte Liste fränkischer Könige, die allerdings über al-Andalus nach Ägypten gelangte und nichts zu direkten Beziehungen zwischen Karolingern und Abbasiden sagt. Arabisch-islamische Werke aus dem Nahen Osten, die über weniger Informationen verfügten, erwähnen Karl zwar durchaus. Über diplomatische Kontakte zwischen den karolingischen Königen und Kaisern und den abbasidischen Kalifen in Bagdad berichten sie allerdings nichts.<ref name="ftn34">König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 198–201. Siehe dazu: Schilling, Karl d. Große in der arabischen Historiographie, S. 201-221.</ref> | [§12] Auffallend ist, dass der mehrfache Austausch von Gesandten zwischen Karl dem Großen und Hārūn al-Rašīd, über den die fränkischen Quellen so häufig, teils ausführlich und mit Ausschmückungen berichten, in arabischen Quellen nicht dokumentiert zu sein scheint. Anders als arabisch-islamische Quellen aus al-Andalus, die zahlreiche Angaben zu den diplomatischen Beziehungen zwischen dem Frankenreich und dem umayyadischen al-Andalus machen, liefern arabisch-islamische Quellen aus dem abbasidischen Nahen Osten wenig Informationen zu direkten Austauschbeziehungen zwischen dem Franken- und dem Abbasidenreich. Wir finden u. a. Hinweise auf den Import fränkischer Schwerter. Für das Jahr 293/906 ist auch eine – in ihrer Authentizität umstrittene Gesandtschaft der Markgräfin Bertha von Tuszien an den abbasidischen Kalifen al-Muktafī bi-llāh (regn. 289-295/902-908) belegt. Ferner enthält das Werk des al-Masʿūdī eine bis ins 10. Jahrhundert geführte Liste fränkischer Könige, die allerdings über al-Andalus nach Ägypten gelangte und nichts zu direkten Beziehungen zwischen Karolingern und Abbasiden sagt. Arabisch-islamische Werke aus dem Nahen Osten, die über weniger Informationen verfügten, erwähnen Karl zwar durchaus. Über diplomatische Kontakte zwischen den karolingischen Königen und Kaisern und den abbasidischen Kalifen in Bagdad berichten sie allerdings nichts.<ref name="ftn34">König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 198–201. Siehe dazu: Schilling, Karl d. Große in der arabischen Historiographie, S. 201-221.</ref> | ||
==Kontextualisierung, Analyse & Interpretation== | ==Kontextualisierung, Analyse & Interpretation== | ||
Bei Notkers Darstellung des karolingisch-abbasidischen Gesandtschaftsaustausches handelt es sich weniger um die historiographische Berichterstattung zur karolingisch-abbasidischen Diplomatie als um eine literarische Verarbeitung derselben. Daher hat ihre Interpretation auf zwei grundlegenden Ebenen zu erfolgen. Zum einen gibt es die Ebene des literarischen Werkes, denn offensichtlich schulden viele Details und Sinnzusammenhänge ihre Erwähnung in der Quelle weniger den historischen Tatsachen als ihrem literarischen Zweck. Zum anderen gibt es die Ebene des Tatsachenberichts, denn wie weiter oben ausgeführt wurde, handelte es sich bei dem Gesandtenaustausch um ein Ereignis, das zumindest von den fränkischen Historiographen als eine historische Tatsache betrachtet wurde. | [§13] Bei Notkers Darstellung des karolingisch-abbasidischen Gesandtschaftsaustausches handelt es sich weniger um die historiographische Berichterstattung zur karolingisch-abbasidischen Diplomatie als um eine literarische Verarbeitung derselben. Daher hat ihre Interpretation auf zwei grundlegenden Ebenen zu erfolgen. Zum einen gibt es die Ebene des literarischen Werkes, denn offensichtlich schulden viele Details und Sinnzusammenhänge ihre Erwähnung in der Quelle weniger den historischen Tatsachen als ihrem literarischen Zweck. Zum anderen gibt es die Ebene des Tatsachenberichts, denn wie weiter oben ausgeführt wurde, handelte es sich bei dem Gesandtenaustausch um ein Ereignis, das zumindest von den fränkischen Historiographen als eine historische Tatsache betrachtet wurde. | ||
Auf der literarischen Ebene könnte man die ''Gesta'' als eine Art Fürstenspiegel betrachten. Dafür spricht, dass das Werk Karl III. zugedacht war, der nach dem Zerfall des Karolingerreiches in der Herrschaftsperiode Ludwigs des Frommen (regn. 813/814-840) als erster Karolingerherrscher wieder alle fränkischen Teilreiche unter seiner kaiserlichen Herrschaft hatte vereinen können. Der als idealer Herrscher inszenierte Karl der Große konnte und sollte so seinem gleichnamigen Urenkel als Vorbild dienen. In dieser Situation entstand ein „lehrhaft[er], anekdotenreich[er], unvollständig auf uns gekommen[er] Tatenbericht vom großen Karl.“<ref name="ftn35">Semmler, Herrscher, S. 44.</ref> Dem Charakter der ''Gesta'' ist es somit geschuldet, dass Notker in seiner Darstellung bestimmte Details wegließ oder veränderte. Der historische Bericht steht allzeit im Dienst des Lehrwertes und büßt so manchmal an Genauigkeit ein. So werden zum Beispiel das Treffen Karls mit den muslimischen Gesandten in Italien und die Ankunft der Geschenke in Aachen einfach in einem Ereignis zusammengelegt. Ebenso ist auch die genaue Zusammensetzung der Gesandtschaft, die nach Angaben der Reichsannalen aus einem Gesandten des Kalifen und einem Gesandten des (aghlabidischen) Emirs Ibrāhīm (Ziyādat Allāh Ibrāhīm b. al-Aġlab, regn. 184-197/800-812) bestand, nicht von Belang. Obwohl sich vermuten lässt, dass es sich bei den Gesandten um Muslime handelte, wird dies nicht explizit erwähnt. Für Notker bestand die Relevanz des Berichtes wohl darin, dem beabsichtigten Adressaten des Werkes vor Augen zu führen, wie mächtig und geachtet der große Karl war. Die Passage illustriert, wie Karl, im Verständnis der Franken der mächtigste Herrscher des Westens, mit Hārūn, dem mächtigsten Herrscher des Ostens, kommunizierte und sich ins Einverständnis gesetzt hatte. Die herausragende Stellung des jeweils anderen wurde durch den Austausch von Geschenken anerkannt. Dieser imperiale Gestus sollte somit dem als Kaiser noch unerfahrenen Karl III. als Vorbild und Anknüpfungspunkt dienen. Auch die Passage, in der die Gesandten des Kalifen in ihrem Fortkommen behindert werden, ist vor dem Hintergrund des lehrreichen Charakters der ''Gesta'' zu betrachten. Die Behinderung der Gesandten und die dadurch ausgelöste, als gerecht dargestellte Bestrafung der Amtsträger dient als lehrreiches Beispiel für den Umgang mit pflichtvergessenen Untergebenen.<ref name="ftn36">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 132.</ref> | [§14] Auf der literarischen Ebene könnte man die ''Gesta'' als eine Art Fürstenspiegel betrachten. Dafür spricht, dass das Werk Karl III. zugedacht war, der nach dem Zerfall des Karolingerreiches in der Herrschaftsperiode Ludwigs des Frommen (regn. 813/814-840) als erster Karolingerherrscher wieder alle fränkischen Teilreiche unter seiner kaiserlichen Herrschaft hatte vereinen können. Der als idealer Herrscher inszenierte Karl der Große konnte und sollte so seinem gleichnamigen Urenkel als Vorbild dienen. In dieser Situation entstand ein „lehrhaft[er], anekdotenreich[er], unvollständig auf uns gekommen[er] Tatenbericht vom großen Karl.“<ref name="ftn35">Semmler, Herrscher, S. 44.</ref> Dem Charakter der ''Gesta'' ist es somit geschuldet, dass Notker in seiner Darstellung bestimmte Details wegließ oder veränderte. Der historische Bericht steht allzeit im Dienst des Lehrwertes und büßt so manchmal an Genauigkeit ein. So werden zum Beispiel das Treffen Karls mit den muslimischen Gesandten in Italien und die Ankunft der Geschenke in Aachen einfach in einem Ereignis zusammengelegt. Ebenso ist auch die genaue Zusammensetzung der Gesandtschaft, die nach Angaben der Reichsannalen aus einem Gesandten des Kalifen und einem Gesandten des (aghlabidischen) Emirs Ibrāhīm (Ziyādat Allāh Ibrāhīm b. al-Aġlab, regn. 184-197/800-812) bestand, nicht von Belang. Obwohl sich vermuten lässt, dass es sich bei den Gesandten um Muslime handelte, wird dies nicht explizit erwähnt. Für Notker bestand die Relevanz des Berichtes wohl darin, dem beabsichtigten Adressaten des Werkes vor Augen zu führen, wie mächtig und geachtet der große Karl war. Die Passage illustriert, wie Karl, im Verständnis der Franken der mächtigste Herrscher des Westens, mit Hārūn, dem mächtigsten Herrscher des Ostens, kommunizierte und sich ins Einverständnis gesetzt hatte. Die herausragende Stellung des jeweils anderen wurde durch den Austausch von Geschenken anerkannt. Dieser imperiale Gestus sollte somit dem als Kaiser noch unerfahrenen Karl III. als Vorbild und Anknüpfungspunkt dienen. Auch die Passage, in der die Gesandten des Kalifen in ihrem Fortkommen behindert werden, ist vor dem Hintergrund des lehrreichen Charakters der ''Gesta'' zu betrachten. Die Behinderung der Gesandten und die dadurch ausgelöste, als gerecht dargestellte Bestrafung der Amtsträger dient als lehrreiches Beispiel für den Umgang mit pflichtvergessenen Untergebenen.<ref name="ftn36">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 132.</ref> | ||
Auf der literarischen Ebene sind weiterhin die verwendeten geographischen und ethnischen Termini zu beachten. Für die gesamte ''Gesta'' lässt sich ein geographisches Ordnungsprinzip der Kapitel feststellen.<ref name="ftn37">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XVIII.</ref> Dies dürfte sicherlich dem großen geographischen Wissen und Interesse der Sankt Galler Mönche im 9. Jahrhundert geschuldet sein, die sich in der bereits erwähnten ''mappa mundi'' der Klosterbibliothek widerspiegeln.<ref name="ftn38">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIX.</ref> Deutlich wird dieses Ordnungsprinzip auch in Aufzählungen innerhalb der Kapitel, darunter der Aufzählung der Völker, welche Karl fürchteten. Es werden zuerst die Völker des Ostens genannt, die Aufzählung schreitet dann gen Westen fort. Den Abschluss bilden, stellvertretend für die Völker des Reiches, die Großen des Frankenreiches. Die ethnischen Begriffe scheinen allesamt der antiken Geographie entlehnt zu sein. So werden die abbasidischen Gesandten als „Legaten der Perser“ (''legati Persarum'') bezeichnet, eine ethnische Terminologie, die sich auch in den ''Annales Regni Francorum'' findet, die von „''legatos Aaron Amir al Mumminin regis Persarum''“ sprechen, dabei allerdings auch den Kalifentitel „Herrscher der Gläubigen“ (''amīr al-muʾminīn'') nennen.<ref name="ftn39">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 801, S. 114.</ref> Die Völker unter Hārūns Herrschaft bezeichnet Notker mit teilweise antiken Namen als Meder, Armenier und Inder und reproduziert damit eine Terminologie, die im Zusammenhang mit den antiken persischen Großreichen bekannt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass fränkische Quellen Muslime pauschal mit den antiken Persern gleichsetzten. Üblicherweise dominieren die Begriffe ''Saraceni'' und ''Mauri''. In der Vorstellungswelt der Franken scheint die muslimische Welt von drei großen Gruppen bewohnt gewesen zu sein: den berbersprachigen Mauren im Westen, den arabischsprachigen Sarazenen im Süden und den Persern im Osten.<ref name="ftn40">Mohr, ''Wissen'', S. 70-71.</ref> Das vermeintlich von Persern bewohnte Gebiet fällt dabei in den Quellen meist mit dem unmittelbaren Herrschaftsgebiet des Abbasiden-Kalifats zusammen. Es ist allerdings auch vorstellbar, dass die Identifizierung des Abbasiden-Kalifats mit den Persern daher rührt, dass man im Frankenreich bereits zur Zeit der Entstehung der Reichsannalen über den Einfluss persischer Eliten auf das Abbasiden-Kalifat informiert war.<ref name="ftn41">Zu diesem Einfluss: Lewis, ʿAbbāsids, S. 15-23.</ref> Auch die Verwendung des Europabegriffs in der Quelle ist eine Erwähnung wert. Die Fürsten des Frankenreiches werden in der vorliegenden Quellenstelle als Fürsten Europas bezeichnet.<ref name="ftn42">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. 60.</ref> Damit ist ein dediziert fränkisch verstandenes Europa gemeint, welches durch den Kaiser des Westens konstituiert war.<ref name="ftn43">Schneidmüller, Europa, S. 10.</ref> Damit konnten nur diejenigen zu Europa gehören, die sich der Vorherrschaft der Franken unterworfen hatten. Dadurch, dass sie sich auf den politisch unbelasteten Begriff aus der Antike verlegten, wichen die hofnahen Schreiber und Dichter der Diskussion um den Charakter des multiethnischen Reiches aus, welche im ausgehenden 8. und dem 9. Jahrhundert aufkam.<ref name="ftn44">Schneidmüller, Europa, S. 10.</ref> | [§15] Auf der literarischen Ebene sind weiterhin die verwendeten geographischen und ethnischen Termini zu beachten. Für die gesamte ''Gesta'' lässt sich ein geographisches Ordnungsprinzip der Kapitel feststellen.<ref name="ftn37">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XVIII.</ref> Dies dürfte sicherlich dem großen geographischen Wissen und Interesse der Sankt Galler Mönche im 9. Jahrhundert geschuldet sein, die sich in der bereits erwähnten ''mappa mundi'' der Klosterbibliothek widerspiegeln.<ref name="ftn38">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. XIX.</ref> Deutlich wird dieses Ordnungsprinzip auch in Aufzählungen innerhalb der Kapitel, darunter der Aufzählung der Völker, welche Karl fürchteten. Es werden zuerst die Völker des Ostens genannt, die Aufzählung schreitet dann gen Westen fort. Den Abschluss bilden, stellvertretend für die Völker des Reiches, die Großen des Frankenreiches. Die ethnischen Begriffe scheinen allesamt der antiken Geographie entlehnt zu sein. So werden die abbasidischen Gesandten als „Legaten der Perser“ (''legati Persarum'') bezeichnet, eine ethnische Terminologie, die sich auch in den ''Annales Regni Francorum'' findet, die von „''legatos Aaron Amir al Mumminin regis Persarum''“ sprechen, dabei allerdings auch den Kalifentitel „Herrscher der Gläubigen“ (''amīr al-muʾminīn'') nennen.<ref name="ftn39">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 801, S. 114.</ref> Die Völker unter Hārūns Herrschaft bezeichnet Notker mit teilweise antiken Namen als Meder, Armenier und Inder und reproduziert damit eine Terminologie, die im Zusammenhang mit den antiken persischen Großreichen bekannt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass fränkische Quellen Muslime pauschal mit den antiken Persern gleichsetzten. Üblicherweise dominieren die Begriffe ''Saraceni'' und ''Mauri''. In der Vorstellungswelt der Franken scheint die muslimische Welt von drei großen Gruppen bewohnt gewesen zu sein: den berbersprachigen Mauren im Westen, den arabischsprachigen Sarazenen im Süden und den Persern im Osten.<ref name="ftn40">Mohr, ''Wissen'', S. 70-71.</ref> Das vermeintlich von Persern bewohnte Gebiet fällt dabei in den Quellen meist mit dem unmittelbaren Herrschaftsgebiet des Abbasiden-Kalifats zusammen. Es ist allerdings auch vorstellbar, dass die Identifizierung des Abbasiden-Kalifats mit den Persern daher rührt, dass man im Frankenreich bereits zur Zeit der Entstehung der Reichsannalen über den Einfluss persischer Eliten auf das Abbasiden-Kalifat informiert war.<ref name="ftn41">Zu diesem Einfluss: Lewis, ʿAbbāsids, S. 15-23.</ref> Auch die Verwendung des Europabegriffs in der Quelle ist eine Erwähnung wert. Die Fürsten des Frankenreiches werden in der vorliegenden Quellenstelle als Fürsten Europas bezeichnet.<ref name="ftn42">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, S. 60.</ref> Damit ist ein dediziert fränkisch verstandenes Europa gemeint, welches durch den Kaiser des Westens konstituiert war.<ref name="ftn43">Schneidmüller, Europa, S. 10.</ref> Damit konnten nur diejenigen zu Europa gehören, die sich der Vorherrschaft der Franken unterworfen hatten. Dadurch, dass sie sich auf den politisch unbelasteten Begriff aus der Antike verlegten, wichen die hofnahen Schreiber und Dichter der Diskussion um den Charakter des multiethnischen Reiches aus, welche im ausgehenden 8. und dem 9. Jahrhundert aufkam.<ref name="ftn44">Schneidmüller, Europa, S. 10.</ref> | ||
Auf der Ebene des Tatsachenberichts stellt sich die Frage nach den Absichten, die Karl der Große im Gesandtenaustausch mit Hārūn al-Rašīd verfolgte. Im Grunde lässt sich die Forschungsdebatte dazu auf fünf mögliche Thesen reduzieren: | [§16] Auf der Ebene des Tatsachenberichts stellt sich die Frage nach den Absichten, die Karl der Große im Gesandtenaustausch mit Hārūn al-Rašīd verfolgte. Im Grunde lässt sich die Forschungsdebatte dazu auf fünf mögliche Thesen reduzieren: | ||
# Karl der Große wollte unbedingt einen Elefanten erwerben. | # Karl der Große wollte unbedingt einen Elefanten erwerben. | ||
# Karl wollte die Herrschaft über das Heilige Land erlangen. | # Karl wollte die Herrschaft über das Heilige Land erlangen. | ||
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# Der Gesandtenaustausch war Teil eines imperialen Gestus, der dem Prestigegewinn diente. | # Der Gesandtenaustausch war Teil eines imperialen Gestus, der dem Prestigegewinn diente. | ||
# Der Gesandtenaustausch hatte zum Ziel, die Situation der Christen im Heiligen Land zu verbessern, insbesondere durch die Instandsetzung der kirchlichen Infrastruktur. | # Der Gesandtenaustausch hatte zum Ziel, die Situation der Christen im Heiligen Land zu verbessern, insbesondere durch die Instandsetzung der kirchlichen Infrastruktur. | ||
Bereits in einer der ältesten Quellen, dem ''Chronicon Moissiacense'', werden die Gesandtschaft von 797 bis 802 und ihr Zweck sehr simpel zusammengefasst. Dieser diplomatische Austausch sei erfolgt, um für Karl einen Elefanten zu beschaffen (''propter elefantum bestiam'').<ref name="ftn45">''Chronicon Moissiacense'', ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 1), Hannover: Hahn, 1826, S. 307: „Et in ipso anno venerunt missi eius quos miserat trans mare in persida ad amormumoli regem Sarracenorum propter elefantum bestiam et ipsum elefantum adduxerunt secum in francia ad aquis sedem regiam.“</ref> Auf den ersten Blick erscheint diese Erklärung sicherlich dürftig. In Anbetracht der Tatsache, dass im Grunde keine anderen fassbaren Resultate der Gesandtschaft in den Reichsannalen verzeichnet sind, verwundert es allerdings nicht, dass der Autor des von den Reichsannalen abhängigen ''Chronicon Moissiacense'' zu einem solchen Schluss kommen konnte. Auch scheint der Elefant Abul Abaz den Autoren der Reichsannalen bedeutsam genug gewesen zu sein, dass sein Tod im Jahre 810 vermerkt wurde.<ref name="ftn46">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 810, S. 131.</ref> Die Umstände seines Todes könnten dabei über die Beweggründe Aufschluss geben, die Karl zu seiner Beschaffung veranlassten: Abul Abaz verstarb nämlich nicht in einer Menagerie in Aachen, sondern in einem Heerlager in Lippeham am Niederrhein. Dort war Karl im Begriff, ein Heer zu versammeln, um gegen die Normannen vorzugehen, die Friesland angegriffen hatten. Da Karl den Elefanten auf diesem Feldzug mit sich führte, ist es zumindest naheliegend, dass er vorgehabt hatte, Abul Abaz in der Schlacht einzusetzen, vermutlich um das gegnerische Heer in Angst und Schrecken zu versetzen.<ref name="ftn47">Hack, ''Abul Abaz'', S. 37.</ref> Vermutlich starb Abul Abaz an einer Rinderseuche, die in diesem Zeitraum für das Frankenreich belegt ist und vermutlich den ganzen Feldzug scheitern ließ.<ref name="ftn48">Hack, ''Abul Abaz'', S. 39-41.</ref> Ob Karl, der fast jährlich in den Krieg zu ziehen pflegte, bereits vorher versucht hatte, den Elefanten als Waffe einzusetzen, lässt sich nicht ermitteln. Auch dürfte ein einzelner Elefant eher eine prestigeträchtige denn eine praktische Waffe gewesen sein. Dies macht es eher unwahrscheinlich, dass in der Beschaffung des Elefanten die Hauptmotivation für den Gesandtschaftsaustausch lag, zumal dieses Motiv höchstens die erste, nicht aber die zweite Gesandtschaft erklären kann. | [§17] Bereits in einer der ältesten Quellen, dem ''Chronicon Moissiacense'', werden die Gesandtschaft von 797 bis 802 und ihr Zweck sehr simpel zusammengefasst. Dieser diplomatische Austausch sei erfolgt, um für Karl einen Elefanten zu beschaffen (''propter elefantum bestiam'').<ref name="ftn45">''Chronicon Moissiacense'', ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 1), Hannover: Hahn, 1826, S. 307: „Et in ipso anno venerunt missi eius quos miserat trans mare in persida ad amormumoli regem Sarracenorum propter elefantum bestiam et ipsum elefantum adduxerunt secum in francia ad aquis sedem regiam.“</ref> Auf den ersten Blick erscheint diese Erklärung sicherlich dürftig. In Anbetracht der Tatsache, dass im Grunde keine anderen fassbaren Resultate der Gesandtschaft in den Reichsannalen verzeichnet sind, verwundert es allerdings nicht, dass der Autor des von den Reichsannalen abhängigen ''Chronicon Moissiacense'' zu einem solchen Schluss kommen konnte. Auch scheint der Elefant Abul Abaz den Autoren der Reichsannalen bedeutsam genug gewesen zu sein, dass sein Tod im Jahre 810 vermerkt wurde.<ref name="ftn46">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 810, S. 131.</ref> Die Umstände seines Todes könnten dabei über die Beweggründe Aufschluss geben, die Karl zu seiner Beschaffung veranlassten: Abul Abaz verstarb nämlich nicht in einer Menagerie in Aachen, sondern in einem Heerlager in Lippeham am Niederrhein. Dort war Karl im Begriff, ein Heer zu versammeln, um gegen die Normannen vorzugehen, die Friesland angegriffen hatten. Da Karl den Elefanten auf diesem Feldzug mit sich führte, ist es zumindest naheliegend, dass er vorgehabt hatte, Abul Abaz in der Schlacht einzusetzen, vermutlich um das gegnerische Heer in Angst und Schrecken zu versetzen.<ref name="ftn47">Hack, ''Abul Abaz'', S. 37.</ref> Vermutlich starb Abul Abaz an einer Rinderseuche, die in diesem Zeitraum für das Frankenreich belegt ist und vermutlich den ganzen Feldzug scheitern ließ.<ref name="ftn48">Hack, ''Abul Abaz'', S. 39-41.</ref> Ob Karl, der fast jährlich in den Krieg zu ziehen pflegte, bereits vorher versucht hatte, den Elefanten als Waffe einzusetzen, lässt sich nicht ermitteln. Auch dürfte ein einzelner Elefant eher eine prestigeträchtige denn eine praktische Waffe gewesen sein. Dies macht es eher unwahrscheinlich, dass in der Beschaffung des Elefanten die Hauptmotivation für den Gesandtschaftsaustausch lag, zumal dieses Motiv höchstens die erste, nicht aber die zweite Gesandtschaft erklären kann. | ||
Die zweite These, dass Karl das Heilige Land unter seine Kontrolle bringen wollte, wurde bereits sehr früh von Historikern formuliert und ist in ihrer Rezeptionsgeschichte ausführlich von Michael Borgolte aufgearbeitet worden: Schon 1739 schloss der Franzose J. Barbeyrac aus den Quellen, dass Karl erfolgreich ganz Palästina in den Besitz der Franken gebracht habe.<ref name="ftn49">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 4-5.</ref> Diese Schlussfolgerung wurde dann im 19. Jahrhundert in Frankreich aufgegriffen und zur staatsrechtlich verfeinerten Protektorats-These weiterentwickelt.<ref name="ftn50">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 5.</ref> Der Begriff des „Protektorats“ über das Heilige Land lässt sich zum ersten Mal 1869 bei Alphonse Couret finden.<ref name="ftn51">Couret, ''Palestine'', S. 237-238.</ref> 1884 und 1907 führten zunächst Paul Riant, dann Louis Bréhier ganze Kataloge von Rechten auf, über welche Karl der Große als „Protektor“ verfügt haben soll.<ref name="ftn52">Riant, Donation, S. 153-154. Bréhier, ''L’èglise'', S. 22-28. Siehe Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 5.</ref> Diesen genauen Beschreibungen fehlt jedoch eine solide Quellenbasis. Darüber hinaus sind sowohl der Begriff als auch das aus dieser Literatur hervorgehende Verständnis des Protektorats anachronistisch.<ref name="ftn53">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 5.</ref> Die These vom Protektorat der Franken über das Heilige Land spiegelt nicht die Quellenlage, sondern vielmehr die außenpolitischen Ambitionen Frankreichs im 19. und frühen 20. Jahrhundert wider. Besonders deutlich wird dies darin, dass bedeutende Vertreter der These, so zum Beispiel Bréhier, das von ihnen postulierte historische Protektorat als Rechtsgrundlage für die Mandatsherrschaft Frankreichs in Syrien nach dem Ersten Weltkrieg verstanden wissen wollten.<ref name="ftn54">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 6-7.</ref> Ende der 1920er Jahre war die These vom Protektorat im Grunde widerlegt. Selbst Bréhier räumte ein, dass es vermutlich kein Protektorat in modernem Sinne gegeben habe, beharrte jedoch darauf, dass Karl der Große eine „patronage moral“ ausgeübt hätte.<ref name="ftn55">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 8-9. </ref> | [§18] Die zweite These, dass Karl das Heilige Land unter seine Kontrolle bringen wollte, wurde bereits sehr früh von Historikern formuliert und ist in ihrer Rezeptionsgeschichte ausführlich von Michael Borgolte aufgearbeitet worden: Schon 1739 schloss der Franzose J. Barbeyrac aus den Quellen, dass Karl erfolgreich ganz Palästina in den Besitz der Franken gebracht habe.<ref name="ftn49">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 4-5.</ref> Diese Schlussfolgerung wurde dann im 19. Jahrhundert in Frankreich aufgegriffen und zur staatsrechtlich verfeinerten Protektorats-These weiterentwickelt.<ref name="ftn50">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 5.</ref> Der Begriff des „Protektorats“ über das Heilige Land lässt sich zum ersten Mal 1869 bei Alphonse Couret finden.<ref name="ftn51">Couret, ''Palestine'', S. 237-238.</ref> 1884 und 1907 führten zunächst Paul Riant, dann Louis Bréhier ganze Kataloge von Rechten auf, über welche Karl der Große als „Protektor“ verfügt haben soll.<ref name="ftn52">Riant, Donation, S. 153-154. Bréhier, ''L’èglise'', S. 22-28. Siehe Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 5.</ref> Diesen genauen Beschreibungen fehlt jedoch eine solide Quellenbasis. Darüber hinaus sind sowohl der Begriff als auch das aus dieser Literatur hervorgehende Verständnis des Protektorats anachronistisch.<ref name="ftn53">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 5.</ref> Die These vom Protektorat der Franken über das Heilige Land spiegelt nicht die Quellenlage, sondern vielmehr die außenpolitischen Ambitionen Frankreichs im 19. und frühen 20. Jahrhundert wider. Besonders deutlich wird dies darin, dass bedeutende Vertreter der These, so zum Beispiel Bréhier, das von ihnen postulierte historische Protektorat als Rechtsgrundlage für die Mandatsherrschaft Frankreichs in Syrien nach dem Ersten Weltkrieg verstanden wissen wollten.<ref name="ftn54">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 6-7.</ref> Ende der 1920er Jahre war die These vom Protektorat im Grunde widerlegt. Selbst Bréhier räumte ein, dass es vermutlich kein Protektorat in modernem Sinne gegeben habe, beharrte jedoch darauf, dass Karl der Große eine „patronage moral“ ausgeübt hätte.<ref name="ftn55">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 8-9. </ref> | ||
Eine gesonderte Erwähnung verdient an dieser Stelle die Arbeit des amerikanischen Orientalisten Francis William Buckler.<ref name="ftn56">Buckler, Francis William: ''Harunu’l-Rashid and Charles the Great''. Cambridge: Mediaeval Academy of America, 1931.</ref> In seiner Monographie zum Thema versuchte er, den Vollzug persisch-muslimischer Herrschaftsinvestituren aus den lateinischen Quellen herauszuarbeiten. Buckler vertrat die Ansicht, dass Hārūn al-Rašīd sich nicht nur als Nachfolger des Propheten, sondern auch der persischen Großkönige verstand und somit alle Herrscher der Welt als seine „Vasallen“ betrachtete, die ihre Macht von ihm erhalten hatten. Deshalb habe er, so Buckler weiter, Karl in der Nachfolge seines Vaters Pippin in die Position eines Gouverneurs (''wālī'') von Jerusalem eingesetzt. Die Investitur sei durch die Gabe von Amtsgewändern vollzogen worden. In der Position des ''wālī'' wäre Karl damit nominell der Untergebene Hārūns gewesen.<ref name="ftn57">Borgolte: ''Gesandtenaustausch'', S. 9-12.</ref> Bucklers These stieß direkt nach ihrer Veröffentlichung auf starke Kritik und wurde außer in Teilen der deutschen Geschichtswissenschaft nicht angenommen.<ref name="ftn58">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 12-13.</ref> | [§19] Eine gesonderte Erwähnung verdient an dieser Stelle die Arbeit des amerikanischen Orientalisten Francis William Buckler.<ref name="ftn56">Buckler, Francis William: ''Harunu’l-Rashid and Charles the Great''. Cambridge: Mediaeval Academy of America, 1931.</ref> In seiner Monographie zum Thema versuchte er, den Vollzug persisch-muslimischer Herrschaftsinvestituren aus den lateinischen Quellen herauszuarbeiten. Buckler vertrat die Ansicht, dass Hārūn al-Rašīd sich nicht nur als Nachfolger des Propheten, sondern auch der persischen Großkönige verstand und somit alle Herrscher der Welt als seine „Vasallen“ betrachtete, die ihre Macht von ihm erhalten hatten. Deshalb habe er, so Buckler weiter, Karl in der Nachfolge seines Vaters Pippin in die Position eines Gouverneurs (''wālī'') von Jerusalem eingesetzt. Die Investitur sei durch die Gabe von Amtsgewändern vollzogen worden. In der Position des ''wālī'' wäre Karl damit nominell der Untergebene Hārūns gewesen.<ref name="ftn57">Borgolte: ''Gesandtenaustausch'', S. 9-12.</ref> Bucklers These stieß direkt nach ihrer Veröffentlichung auf starke Kritik und wurde außer in Teilen der deutschen Geschichtswissenschaft nicht angenommen.<ref name="ftn58">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 12-13.</ref> | ||
Schon Einar Joranson kam 1927 in seiner Kritik der Protektorats-These nicht umhin festzustellen, dass jede Interaktion zwischen Karl und Hārūn politisch belastet gewesen sein musste.<ref name="ftn59">Joranson, Frankish Protectorate, S. 116-121. Siehe dazu: Borgolte: ''Gesandtenaustausch'', S. 8.</ref> Diese Einschätzung lag darin begründet, dass sowohl die karolingischen Franken als auch die Abbasiden im umayyadischen Emirat von Córdoba und dem byzantinischen Kaiserreich gemeinsame Konkurrenten hatten. Nach dem Sturz der Umayyaden-Dynastie durch die Abbasiden in Syrien, dem bisherigen politischen Zentrum des Kalifats, hatte sich der junge Umayyade ʿAbd al-Raḥmān b. Muʿāwiya (regn. 138–172/756–788) nach Al-Andalus geflüchtet, dort die Herrschaft an sich gerissen und das unabhängige Emirat von Córdoba etabliert, welches bis Anfang des 11. Jahrhunderts die Iberische Halbinsel dominierte.<ref name="ftn60">Molina, Umayyads in Spain, S. 847-853.</ref> Bereits die Existenz dieses unabhängigen, von Vertretern der gestürzten Umayyaden-Dynastie regierten Emirats musste eine Bedrohung für die Abbasiden darstellen. Auch Karl der Große stand mit den spanischen Umayyaden im Konflikt, zwischen 778 und 801 führte er immer wieder Krieg gegen die muslimische Macht an seiner Südwestgrenze.<ref name="ftn61">Fleckenstein, Karl, Sp. 956-966. Siehe dazu: [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/812:_Eine_Anweisung_Karls_des_Gro%C3%9Fen_bez%C3%BCglich_immigrierter_Hispani 812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter Hispani].</ref> Von den Umayyaden hatten die Abbasiden den Konflikt mit Byzanz „geerbt“, welcher seit den 630ern, dem Beginn der arabisch-islamischen Expansion, andauerte und immer wieder aufflammte. Byzanz, dessen Lage zwischenzeitlich sehr prekär war, konnte sich 747 mit einem bedeutenden Seesieg vor Zypern einen größeren Spielraum verschaffen. Zur Zeit der besprochenen Gesandtschaften kontrollierte die byzantinische Flotte das östliche Mittelmeer.<ref name="ftn62">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 55.</ref> Auch Karl war immer wieder mit den Byzantinern in Konflikt geraten, was sich noch verschärfte, nachdem er ab 800 die Kaiserwürde für sich beanspruchte. Dieser schwelende Konflikt konnte erst 812 gelöst werden.<ref name="ftn63">Fleckenstein, Karl, Sp. 956-966.</ref> Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus einleuchtend, dass die Gesandtschaften von 797 und 802 dazu dienen sollten, ein Bündnis zu schmieden oder Aktionen gegen die gemeinsamen Konkurrenten zu koordinieren. In zeitgenössischen oder späteren Quellen gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass derartige Themen von den Gesandtschaften besprochen wurden. | [§20] Schon Einar Joranson kam 1927 in seiner Kritik der Protektorats-These nicht umhin festzustellen, dass jede Interaktion zwischen Karl und Hārūn politisch belastet gewesen sein musste.<ref name="ftn59">Joranson, Frankish Protectorate, S. 116-121. Siehe dazu: Borgolte: ''Gesandtenaustausch'', S. 8.</ref> Diese Einschätzung lag darin begründet, dass sowohl die karolingischen Franken als auch die Abbasiden im umayyadischen Emirat von Córdoba und dem byzantinischen Kaiserreich gemeinsame Konkurrenten hatten. Nach dem Sturz der Umayyaden-Dynastie durch die Abbasiden in Syrien, dem bisherigen politischen Zentrum des Kalifats, hatte sich der junge Umayyade ʿAbd al-Raḥmān b. Muʿāwiya (regn. 138–172/756–788) nach Al-Andalus geflüchtet, dort die Herrschaft an sich gerissen und das unabhängige Emirat von Córdoba etabliert, welches bis Anfang des 11. Jahrhunderts die Iberische Halbinsel dominierte.<ref name="ftn60">Molina, Umayyads in Spain, S. 847-853.</ref> Bereits die Existenz dieses unabhängigen, von Vertretern der gestürzten Umayyaden-Dynastie regierten Emirats musste eine Bedrohung für die Abbasiden darstellen. Auch Karl der Große stand mit den spanischen Umayyaden im Konflikt, zwischen 778 und 801 führte er immer wieder Krieg gegen die muslimische Macht an seiner Südwestgrenze.<ref name="ftn61">Fleckenstein, Karl, Sp. 956-966. Siehe dazu: [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/812:_Eine_Anweisung_Karls_des_Gro%C3%9Fen_bez%C3%BCglich_immigrierter_Hispani 812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter Hispani].</ref> Von den Umayyaden hatten die Abbasiden den Konflikt mit Byzanz „geerbt“, welcher seit den 630ern, dem Beginn der arabisch-islamischen Expansion, andauerte und immer wieder aufflammte. Byzanz, dessen Lage zwischenzeitlich sehr prekär war, konnte sich 747 mit einem bedeutenden Seesieg vor Zypern einen größeren Spielraum verschaffen. Zur Zeit der besprochenen Gesandtschaften kontrollierte die byzantinische Flotte das östliche Mittelmeer.<ref name="ftn62">Borgolte, ''Gesandtenaustausch'', S. 55.</ref> Auch Karl war immer wieder mit den Byzantinern in Konflikt geraten, was sich noch verschärfte, nachdem er ab 800 die Kaiserwürde für sich beanspruchte. Dieser schwelende Konflikt konnte erst 812 gelöst werden.<ref name="ftn63">Fleckenstein, Karl, Sp. 956-966.</ref> Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus einleuchtend, dass die Gesandtschaften von 797 und 802 dazu dienen sollten, ein Bündnis zu schmieden oder Aktionen gegen die gemeinsamen Konkurrenten zu koordinieren. In zeitgenössischen oder späteren Quellen gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass derartige Themen von den Gesandtschaften besprochen wurden. | ||
Ein weiterer Grund für die Gesandtschaften könnte sich in einer Erklärung Einhards und im Entstehungskontext von Notkers ''Gesta'' finden. Einhard leitet das 16. Kapitel seiner Karlsvita damit ein, dass er, Karl, „den Ruhm seiner Herrschaft auch noch durch die freundschaftlichen Verbindungen mit mehreren Königen und Völkerschaften“ erhöhen konnte.<ref name="ftn64">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19: „Auxit etiam gloriam regni sui quibusdam regibus ac gentibus per amicitiam sibi conciliates.“ Übersetzung: Zangl/ Abel, Kaiser Karls Leben, S. 24.</ref> Einhard (gest. 840) schrieb seine Vita in den Jahrzehnten nach Karls Tod, er hatte sich jedoch bereits seit 796/797 am Hof aufgehalten.<ref name="ftn65">Fleckenstein, Einhard, Sp. 1737-1739.</ref> Es ist also durchaus denkbar, dass Einhard hier Vorstellungen dokumentiert, welche zu Lebzeiten Karls am Hof zu Aachen gepflegt wurden. Der einleitende Satz lässt sich durchaus so verstehen, dass die freundschaftlichen Außenbeziehungen aus der Perspektive des Hofes den Ruhm des Kaisers mehrten, auch abseits jeden praktischen Nutzens. Besondere Beachtung scheint dabei dem Austausch wertvoller Gaben geschenkt worden zu sein. Sowohl die Reichsannalen als auch Einhards ''Vita'' und Notkers ''Gesta'' enthalten Aufzählungen solcher Geschenke. Die Reichsannalen berichten zweimal vom Elefanten Abul Abaz, bei seiner Ankunft werden weitere, nicht nähere spezifizierte Geschenke genannt.<ref name="ftn66">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 801, S. 116; a. 802, S. 117.</ref> Die Beschreibung der Geschenke, welche 807 von der gemischten Gesandtschaft des Patriarchen und des Kalifen überbracht wurden, fällt weitaus detaillierter aus. Es werden ein prachtvolles Zelt, dessen Materialien und sogar die Schnüre beschrieben, kostbare Seidengewänder, Duftstoffe, Messingleuchter, Salben und Balsam aufgezählt. Eine Wasseruhr, die auch unter den Geschenken ist, erhält sogar eine ausführliche Beschreibung in den sonst so knapp gehaltenen Reichsannalen.<ref name="ftn67">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 807, S. 123-124.</ref> Auch Einhard berichtet von kostbaren Gewändern und Duftstoffen und erwähnt im Nebensatz auch den einige Jahre zuvor erhaltenen Elefanten.<ref name="ftn68">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19.</ref> Notker kombiniert in seinem Bericht Details der ersten Gesandtschaft wie den Elefanten und die Zahl der Gesandten mit Geschenken von der Liste der Reichsannalen für die zweite Gesandtschaft. Die „persischen“ Gesandten sollen einen Elefanten, eine unbestimmte Anzahl Affen, Balsam, Narden, verschiedene Salben, Gewürze, Duftstoffe und Heilmittel nach Aachen gebracht haben.<ref name="ftn69">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, lib. 2, cap. 8, S. 61.</ref> Bei den Affen dürfte es sich um eine Hinzufügung Notkers handeln, um die Liste der Geschenke noch exklusiver erscheinen zu lassen. Dieser Austausch exklusiver Geschenke soll jedoch, laut Notker, auch in die andere Richtung funktioniert haben. So berichten uns die ''Gesta'', dass Karl Hārūn Pferde, friesische Tücher, spanische Maultiere und Jagdhunde geschickt haben soll. Letztere soll sich Hārūn explizit gewünscht haben.<ref name="ftn70">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, lib. 2, cap. 9, S. 63.</ref> Einhard hingegen berichtet in seiner Karlsvita nur von Geschenken Karls für das Heilige Grab und die Auferstehungskirche, jedoch nicht von Geschenken für den Kalifen.<ref name="ftn71">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19.</ref> Sowohl in den Reichsannalen als auch in Einhards und Notkers literarischen Werken kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass ein diplomatischer Austausch inklusive Gabentausch zum Prestigegewinn des Herrschers beitragen konnte. Wenn Karl wirklich Geschenke vom Kalifen erhielt und ihm seinerseits Geschenke schickte, so demonstrierte er einen imperialen Gestus, der dazu dienen sollte, sich selbst auf eine Stufe mit dem Kalifen zu stellen. Damit hätten die Gesandtschaft sozusagen einen Selbstzweck besessen. | [§21] Ein weiterer Grund für die Gesandtschaften könnte sich in einer Erklärung Einhards und im Entstehungskontext von Notkers ''Gesta'' finden. Einhard leitet das 16. Kapitel seiner Karlsvita damit ein, dass er, Karl, „den Ruhm seiner Herrschaft auch noch durch die freundschaftlichen Verbindungen mit mehreren Königen und Völkerschaften“ erhöhen konnte.<ref name="ftn64">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19: „Auxit etiam gloriam regni sui quibusdam regibus ac gentibus per amicitiam sibi conciliates.“ Übersetzung: Zangl/ Abel, Kaiser Karls Leben, S. 24.</ref> Einhard (gest. 840) schrieb seine Vita in den Jahrzehnten nach Karls Tod, er hatte sich jedoch bereits seit 796/797 am Hof aufgehalten.<ref name="ftn65">Fleckenstein, Einhard, Sp. 1737-1739.</ref> Es ist also durchaus denkbar, dass Einhard hier Vorstellungen dokumentiert, welche zu Lebzeiten Karls am Hof zu Aachen gepflegt wurden. Der einleitende Satz lässt sich durchaus so verstehen, dass die freundschaftlichen Außenbeziehungen aus der Perspektive des Hofes den Ruhm des Kaisers mehrten, auch abseits jeden praktischen Nutzens. Besondere Beachtung scheint dabei dem Austausch wertvoller Gaben geschenkt worden zu sein. Sowohl die Reichsannalen als auch Einhards ''Vita'' und Notkers ''Gesta'' enthalten Aufzählungen solcher Geschenke. Die Reichsannalen berichten zweimal vom Elefanten Abul Abaz, bei seiner Ankunft werden weitere, nicht nähere spezifizierte Geschenke genannt.<ref name="ftn66">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 801, S. 116; a. 802, S. 117.</ref> Die Beschreibung der Geschenke, welche 807 von der gemischten Gesandtschaft des Patriarchen und des Kalifen überbracht wurden, fällt weitaus detaillierter aus. Es werden ein prachtvolles Zelt, dessen Materialien und sogar die Schnüre beschrieben, kostbare Seidengewänder, Duftstoffe, Messingleuchter, Salben und Balsam aufgezählt. Eine Wasseruhr, die auch unter den Geschenken ist, erhält sogar eine ausführliche Beschreibung in den sonst so knapp gehaltenen Reichsannalen.<ref name="ftn67">''Annales Regni Francorum'', ed. Pertz und Kurze, a. 807, S. 123-124.</ref> Auch Einhard berichtet von kostbaren Gewändern und Duftstoffen und erwähnt im Nebensatz auch den einige Jahre zuvor erhaltenen Elefanten.<ref name="ftn68">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19.</ref> Notker kombiniert in seinem Bericht Details der ersten Gesandtschaft wie den Elefanten und die Zahl der Gesandten mit Geschenken von der Liste der Reichsannalen für die zweite Gesandtschaft. Die „persischen“ Gesandten sollen einen Elefanten, eine unbestimmte Anzahl Affen, Balsam, Narden, verschiedene Salben, Gewürze, Duftstoffe und Heilmittel nach Aachen gebracht haben.<ref name="ftn69">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, lib. 2, cap. 8, S. 61.</ref> Bei den Affen dürfte es sich um eine Hinzufügung Notkers handeln, um die Liste der Geschenke noch exklusiver erscheinen zu lassen. Dieser Austausch exklusiver Geschenke soll jedoch, laut Notker, auch in die andere Richtung funktioniert haben. So berichten uns die ''Gesta'', dass Karl Hārūn Pferde, friesische Tücher, spanische Maultiere und Jagdhunde geschickt haben soll. Letztere soll sich Hārūn explizit gewünscht haben.<ref name="ftn70">Notker, ''Gesta'', ed. Haefele, lib. 2, cap. 9, S. 63.</ref> Einhard hingegen berichtet in seiner Karlsvita nur von Geschenken Karls für das Heilige Grab und die Auferstehungskirche, jedoch nicht von Geschenken für den Kalifen.<ref name="ftn71">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 16, S. 19.</ref> Sowohl in den Reichsannalen als auch in Einhards und Notkers literarischen Werken kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass ein diplomatischer Austausch inklusive Gabentausch zum Prestigegewinn des Herrschers beitragen konnte. Wenn Karl wirklich Geschenke vom Kalifen erhielt und ihm seinerseits Geschenke schickte, so demonstrierte er einen imperialen Gestus, der dazu dienen sollte, sich selbst auf eine Stufe mit dem Kalifen zu stellen. Damit hätten die Gesandtschaft sozusagen einen Selbstzweck besessen. | ||
Eine bisher wenig bearbeitete Quelle, das ''Breue commemoratorium'', könnte weiteren Aufschluss über Karls Motive geben. Das ''Breue'' stellt eine Kompilation mehrerer Texte in lateinischer Sprache aus dem frühen neunten Jahrhundert dar. Gefunden wurde es in Basel, im fränkischen Herrschaftsgebiet. Eine kritische Edition samt Übersetzung wurden erst 2011 von Michael McCormick erstellt. Es handelt sich bei dem ''Breve'' um eine Erfassung des Zustandes des Patriarchats von Jerusalem am Anfang des neunten Jahrhunderts. Die Dokumente erfassen die einzelnen Kirchen- und Klostergebäude, sowie sonstige Liegenschaften, den Personalbestand und die jährlichen Ausgaben des Patriarchats von Jerusalem. Darüber hinaus enthalten sie auch noch genaue Maße der wichtigsten Kirchen, sowie die dringlichsten baulichen Mängel.<ref name="ftn72">McCormick, ''Survey'', S. XVIII.</ref> | [§22] Eine bisher wenig bearbeitete Quelle, das ''Breue commemoratorium'', könnte weiteren Aufschluss über Karls Motive geben. Das ''Breue'' stellt eine Kompilation mehrerer Texte in lateinischer Sprache aus dem frühen neunten Jahrhundert dar. Gefunden wurde es in Basel, im fränkischen Herrschaftsgebiet. Eine kritische Edition samt Übersetzung wurden erst 2011 von Michael McCormick erstellt. Es handelt sich bei dem ''Breve'' um eine Erfassung des Zustandes des Patriarchats von Jerusalem am Anfang des neunten Jahrhunderts. Die Dokumente erfassen die einzelnen Kirchen- und Klostergebäude, sowie sonstige Liegenschaften, den Personalbestand und die jährlichen Ausgaben des Patriarchats von Jerusalem. Darüber hinaus enthalten sie auch noch genaue Maße der wichtigsten Kirchen, sowie die dringlichsten baulichen Mängel.<ref name="ftn72">McCormick, ''Survey'', S. XVIII.</ref> | ||
Die Dokumente werden auf den Zeitraum von 801 bis 810 datiert. McCormick geht davon aus, dass die Originaldokumente 808 durch einen oder mehrere Beauftragte Karls im Heiligen Land erstellt wurden.<ref name="ftn73">McCormick, ''Survey'', S. 177.</ref> Die Identität dieser Beauftragten sucht McCormick in Agamus und Roculf, die in einem Brief Leos III. aus dem Jahr 808 Erwähnung finden.<ref name="ftn74">''Epistolae'', ed. Hampe S. 66-67, No. 8. McCormick, ''Survey'', S. 168-169.</ref> Anders als Borgolte identifiziert McCormick diese jedoch nicht mit den Gesandten des Patriarchen, sondern mit den Gesandten Karls, die von ihrer Mission im Heiligen Land zurückkehrten. Ob diese beiden zusammen mit der Gesandtschaft von 802 oder unabhängig von dieser gereist sind, lässt sich nicht sagen. Dass es sich bei dem Autor um einen Proto-Romanisch-Sprecher aus dem Westen und nicht um einen Einheimischen gehandelt hat, kann McCormick anhand von sprachlichen Eigenheiten des Textes zeigen.<ref name="ftn75">McCormick, ''Survey'', S. 165. Dazu in aller Ausführlichkeit: McCormick, ''Survey'', S. 121-154.</ref> Dies und die Ähnlichkeit mit zeitgenössischen Registern aus dem Frankenreich legen nahe, dass der oder die Verfasser aus dem Frankenreich stammte(n).<ref name="ftn76">McCormick, ''Survey'', S. 164-165, S. 185.</ref> | [§23] Die Dokumente werden auf den Zeitraum von 801 bis 810 datiert. McCormick geht davon aus, dass die Originaldokumente 808 durch einen oder mehrere Beauftragte Karls im Heiligen Land erstellt wurden.<ref name="ftn73">McCormick, ''Survey'', S. 177.</ref> Die Identität dieser Beauftragten sucht McCormick in Agamus und Roculf, die in einem Brief Leos III. aus dem Jahr 808 Erwähnung finden.<ref name="ftn74">''Epistolae'', ed. Hampe S. 66-67, No. 8. McCormick, ''Survey'', S. 168-169.</ref> Anders als Borgolte identifiziert McCormick diese jedoch nicht mit den Gesandten des Patriarchen, sondern mit den Gesandten Karls, die von ihrer Mission im Heiligen Land zurückkehrten. Ob diese beiden zusammen mit der Gesandtschaft von 802 oder unabhängig von dieser gereist sind, lässt sich nicht sagen. Dass es sich bei dem Autor um einen Proto-Romanisch-Sprecher aus dem Westen und nicht um einen Einheimischen gehandelt hat, kann McCormick anhand von sprachlichen Eigenheiten des Textes zeigen.<ref name="ftn75">McCormick, ''Survey'', S. 165. Dazu in aller Ausführlichkeit: McCormick, ''Survey'', S. 121-154.</ref> Dies und die Ähnlichkeit mit zeitgenössischen Registern aus dem Frankenreich legen nahe, dass der oder die Verfasser aus dem Frankenreich stammte(n).<ref name="ftn76">McCormick, ''Survey'', S. 164-165, S. 185.</ref> | ||
McCormick vermutet, dass die Dokumente in einer Besprechung im Herbst 810 verwendet wurden, bei der es unter anderem darum ging, Finanzmittel für das Patriarchat bereitzustellen.<ref name="ftn77">McCormick, ''Survey'', S. 163. Aus der ‚Tagungsagenda‘ des Kapitulars mit dem Titel „Capitulare Missorum Aquisgranense Primum“: „De elemosina mittenda ad Hierusalem propter aecclesias Dei restaurandas.” Zitiert aus: ''Capitularia Regum Francorum'', ed. Alfred Boretius (MGH Capit. 1), Hannover: Hahn, 1883, cap. 64.18, S. 154.</ref> Von solchen Spenden berichtet auch Einhard, demzufolge Karl Christen in Syrien, Ägypten, Afrika, darunter in Jerusalem, Alexandria und Karthago, regelmäßig Geld schicken ließ.<ref name="ftn78">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 27, S. 31: „trans maria in Syriam et Aegyptum atque Africam, Hierosolimis, Alexandriae atque Cartagini, ubi Christianos in paupertate vivere conpererat, penuriae illorum conpatiens pecuniam mittere solebat; ob hoc maxime transmarinorum regum amicitias expetens, ut Christianis sub eorum dominatu degentibus refrigerium aliquod ac relevatio proveniret.“</ref> Auch vor diesem Hintergrund ist McCormick der Ansicht, dass das ''Breue commemoratorium'' den Willen Karls des Großen und seiner Umgebung widerspiegelt, gestalterisch und sehr praxisorientiert in die Verwaltung des Patriarchats einzugreifen.<ref name="ftn79">McCormick, ''Survey'', S. 184-186.</ref> Das ''Breue'' zeigt auch indirekt, dass seine Verfasser und ihre Auftraggeber über gute Beziehungen zu den muslimischen Herren des Heiligen Landes verfügt haben müssen: Es ist schwer vorstellbar, dass Fremde aus dem lateinischen Westen sich frei in Palästina hätten bewegen und derartige Nachforschungen anstellen können, ohne das explizite Einverständnis der lokalen Obrigkeit zu besitzen.<ref name="ftn80">McCormick, ''Survey'', S. 165-166.</ref> Die bereits kursorisch aufgezeigte Beteiligung des Patriarchen an den abbasidisch-fränkischen Verhandlungen erhärtet somit den Verdacht, dass die Verhandlungen dem Patriarchat nutzen sollten oder es zumindest betrafen. Somit scheint es wahrscheinlich, dass die Ermöglichung dieser “fact-finding mission” und der im Anschluss geplanten Investitionen in den Erhalt und Ausbau der kirchlichen Infrastruktur im Patriarchat zumindest eines der Anliegen der Gesandtschaften war. | [§24] McCormick vermutet, dass die Dokumente in einer Besprechung im Herbst 810 verwendet wurden, bei der es unter anderem darum ging, Finanzmittel für das Patriarchat bereitzustellen.<ref name="ftn77">McCormick, ''Survey'', S. 163. Aus der ‚Tagungsagenda‘ des Kapitulars mit dem Titel „Capitulare Missorum Aquisgranense Primum“: „De elemosina mittenda ad Hierusalem propter aecclesias Dei restaurandas.” Zitiert aus: ''Capitularia Regum Francorum'', ed. Alfred Boretius (MGH Capit. 1), Hannover: Hahn, 1883, cap. 64.18, S. 154.</ref> Von solchen Spenden berichtet auch Einhard, demzufolge Karl Christen in Syrien, Ägypten, Afrika, darunter in Jerusalem, Alexandria und Karthago, regelmäßig Geld schicken ließ.<ref name="ftn78">Einhardus, ''Vita Karoli Magni'', ed. Pertz und Waitz, cap. 27, S. 31: „trans maria in Syriam et Aegyptum atque Africam, Hierosolimis, Alexandriae atque Cartagini, ubi Christianos in paupertate vivere conpererat, penuriae illorum conpatiens pecuniam mittere solebat; ob hoc maxime transmarinorum regum amicitias expetens, ut Christianis sub eorum dominatu degentibus refrigerium aliquod ac relevatio proveniret.“</ref> Auch vor diesem Hintergrund ist McCormick der Ansicht, dass das ''Breue commemoratorium'' den Willen Karls des Großen und seiner Umgebung widerspiegelt, gestalterisch und sehr praxisorientiert in die Verwaltung des Patriarchats einzugreifen.<ref name="ftn79">McCormick, ''Survey'', S. 184-186.</ref> Das ''Breue'' zeigt auch indirekt, dass seine Verfasser und ihre Auftraggeber über gute Beziehungen zu den muslimischen Herren des Heiligen Landes verfügt haben müssen: Es ist schwer vorstellbar, dass Fremde aus dem lateinischen Westen sich frei in Palästina hätten bewegen und derartige Nachforschungen anstellen können, ohne das explizite Einverständnis der lokalen Obrigkeit zu besitzen.<ref name="ftn80">McCormick, ''Survey'', S. 165-166.</ref> Die bereits kursorisch aufgezeigte Beteiligung des Patriarchen an den abbasidisch-fränkischen Verhandlungen erhärtet somit den Verdacht, dass die Verhandlungen dem Patriarchat nutzen sollten oder es zumindest betrafen. Somit scheint es wahrscheinlich, dass die Ermöglichung dieser “fact-finding mission” und der im Anschluss geplanten Investitionen in den Erhalt und Ausbau der kirchlichen Infrastruktur im Patriarchat zumindest eines der Anliegen der Gesandtschaften war. | ||
Die hier besprochene Quellenstelle wurde mit zwei Absichten geschrieben: Sie sollte unterhalten und einem unerfahrenen Kaiser zur Lehre gereichen. Dabei berichtet uns Notker geradezu nebenbei von einem transkulturellen Austausch zwischen dem lateinisch-christlichen Westen und dem arabisch-islamischen Osten, der durch das Mittelmeer führte. Die fränkischen Historiographen und Literaten vermelden, dass Karl der Große zwischen 797 und 808 in regem diplomatischem Kontakt mit dem Kalifen von Bagdad Hārūn al-Rašīd stand. Weshalb er diesen aufwändigen und gewiss kostspieligen Kontakt suchte, können uns die Quellen jedoch nicht zufriedenstellend erklären. Es zeichnet sich jedoch ab, dass Karl vermutlich mehrere Ziele verfolgte. Da ist zum einen der imperiale Gestus, mit dem der Kontakt gepflegt wurde und mit dem man sich der Gleichrangigkeit durch exklusive Geschenke wie Elefanten, Wasseruhren oder Jagdhunde versicherte. Der daraus resultierende Prestigegewinn für den Frankenherrscher, der wenige Jahre nach dem Entsenden der ersten Gesandtschaft die Kaiserwürde im Westen wiederbelebte, dürfte enorm gewesen sein und seine imperialen Ambitionen unterstrichen haben. Damit hätten der diplomatische Kontakt und Gabentausch bereits einen Selbstzweck erfüllt. Die Dokumente des ''Breue commemoratorium'' und die diplomatischen Aktivitäten der Patriarchen legen jedoch nahe, dass es ein weiterer, deutlich handfesterer Zweck der Gesandtschaften war, Einfluss im Patriarchat von Jerusalem zu nehmen und ein Infrastrukturprogramm zu planen und umzusetzen. Kurz gefasst, Karl wollte mit den Gesandtschaften sein eigenes Prestige steigern und gleichzeitig Einfluss auf die Situation der Christen und der Kirche im Heiligen Land nehmen. | [§25] Die hier besprochene Quellenstelle wurde mit zwei Absichten geschrieben: Sie sollte unterhalten und einem unerfahrenen Kaiser zur Lehre gereichen. Dabei berichtet uns Notker geradezu nebenbei von einem transkulturellen Austausch zwischen dem lateinisch-christlichen Westen und dem arabisch-islamischen Osten, der durch das Mittelmeer führte. Die fränkischen Historiographen und Literaten vermelden, dass Karl der Große zwischen 797 und 808 in regem diplomatischem Kontakt mit dem Kalifen von Bagdad Hārūn al-Rašīd stand. Weshalb er diesen aufwändigen und gewiss kostspieligen Kontakt suchte, können uns die Quellen jedoch nicht zufriedenstellend erklären. Es zeichnet sich jedoch ab, dass Karl vermutlich mehrere Ziele verfolgte. Da ist zum einen der imperiale Gestus, mit dem der Kontakt gepflegt wurde und mit dem man sich der Gleichrangigkeit durch exklusive Geschenke wie Elefanten, Wasseruhren oder Jagdhunde versicherte. Der daraus resultierende Prestigegewinn für den Frankenherrscher, der wenige Jahre nach dem Entsenden der ersten Gesandtschaft die Kaiserwürde im Westen wiederbelebte, dürfte enorm gewesen sein und seine imperialen Ambitionen unterstrichen haben. Damit hätten der diplomatische Kontakt und Gabentausch bereits einen Selbstzweck erfüllt. Die Dokumente des ''Breue commemoratorium'' und die diplomatischen Aktivitäten der Patriarchen legen jedoch nahe, dass es ein weiterer, deutlich handfesterer Zweck der Gesandtschaften war, Einfluss im Patriarchat von Jerusalem zu nehmen und ein Infrastrukturprogramm zu planen und umzusetzen. Kurz gefasst, Karl wollte mit den Gesandtschaften sein eigenes Prestige steigern und gleichzeitig Einfluss auf die Situation der Christen und der Kirche im Heiligen Land nehmen. | ||
Warum die Gesandtschaften, welche in den fränkischen Quellen ein so prominentes Profil besitzen, in arabischen Quellen keinerlei Erwähnung finden, entzieht sich vermutlich einer einfachen Erklärung. Parallel zu Karls möglichen Motiven lassen sich jedoch auch mögliche Beweggründe des Kalifen für diesen Austausch untersuchen: | Warum die Gesandtschaften, welche in den fränkischen Quellen ein so prominentes Profil besitzen, in arabischen Quellen keinerlei Erwähnung finden, entzieht sich vermutlich einer einfachen Erklärung. Parallel zu Karls möglichen Motiven lassen sich jedoch auch mögliche Beweggründe des Kalifen für diesen Austausch untersuchen: | ||
# Anders als Hārūn verfügte Karl über kein für sein Gegenpart interessantes Kriegsgerät, wie zum Beispiel Elefanten. | # Anders als Hārūn verfügte Karl über kein für sein Gegenpart interessantes Kriegsgerät, wie zum Beispiel Elefanten. | ||
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# Die Versicherung des eigenen imperialen Status war für den Herrscher Bagdads nicht von so großer Bedeutung wie für den imperialen „Parvenu“ Karl. Bagdad war eine wahre Großstadt und Hauptstadt eines Weltreiches, das dem Frankenreich kulturell, wirtschaftlich und durch seine schiere Größe weit überlegen war. | # Die Versicherung des eigenen imperialen Status war für den Herrscher Bagdads nicht von so großer Bedeutung wie für den imperialen „Parvenu“ Karl. Bagdad war eine wahre Großstadt und Hauptstadt eines Weltreiches, das dem Frankenreich kulturell, wirtschaftlich und durch seine schiere Größe weit überlegen war. | ||
# Der Kalif dürfte anders als Karl relativ wenig Interesse an der Verbesserung der Situation für die Christen im Heiligen Land gehabt haben. Hätte er ein solches Interesse gehabt, hätte er natürlich ohne äußere Beteiligte handeln können. | # Der Kalif dürfte anders als Karl relativ wenig Interesse an der Verbesserung der Situation für die Christen im Heiligen Land gehabt haben. Hätte er ein solches Interesse gehabt, hätte er natürlich ohne äußere Beteiligte handeln können. | ||
Es liegt somit nahe, dass der Gesandtenaustausch für den Kalifen und die Öffentlichkeit des Kalifats wenig bis keine Relevanz besaß, ganz anders als für die fränkische Öffentlichkeit und ihren König/Kaiser. Dieser Unterschied scheint sich in der Historiographie niedergeschlagen zu haben.|6=Brügmann, Karl: ''Die Geschichten von Karl dem Grossen''. ''Aufgezeichnet durch Notker den Stammler'', Leipzig: Insel, 1933. | [§26] Es liegt somit nahe, dass der Gesandtenaustausch für den Kalifen und die Öffentlichkeit des Kalifats wenig bis keine Relevanz besaß, ganz anders als für die fränkische Öffentlichkeit und ihren König/Kaiser. Dieser Unterschied scheint sich in der Historiographie niedergeschlagen zu haben.|6=Brügmann, Karl: ''Die Geschichten von Karl dem Grossen''. ''Aufgezeichnet durch Notker den Stammler'', Leipzig: Insel, 1933. | ||
Grant, Arthur James: ''Early Lives of Charlemagne by Eginhard and the Monk of St Gall''. London: Alexander Moring, 1922. | Grant, Arthur James: ''Early Lives of Charlemagne by Eginhard and the Monk of St Gall''. London: Alexander Moring, 1922. |
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