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Im Argumentationsverlauf des Mutter-Sohn-Gesprächs werden damit anhand einzelner Formulierungen weitere Vorstellungen über die soziale Ordnung und die Religion der Muslime erkennbar. Der Islam wird als polytheistische und heidnische Religion einer ''gens paganorum'' gefasst. Religiöse Alterität wird beispielhaft in der im Christentum verbotenen Praktik des Schwörens ausgedrückt, wenn die Mutter ihren Sohn zu Beginn des Gesprächs „bei den Namen aller Götter“ (''per omnium deorum nomina'') anfleht.<ref name="ftn47">''Gesta Francorum'', ed. Hill, lib. 9, cap. 22, S. 53; in ähnlicher Formulierung unter Nennung Muḥammads: „iuro uobis per Machomet et per omnia deorum nomina“ (ebd., lib. 9, cap. 21, S. 52). Vgl. Skottki, ''Christen'', S. 263-264. Zum Verbot des Schwörens siehe Mt 5,34-37.</ref> Die ''Gesta Francorum'' tradieren somit ein bereits vor den Kreuzzügen etabliertes Feindbild weiter, das den Islam in Verkennung seines Charakters als streng monotheistische Offenbarungsreligion mit dem Vorwurf des Polytheismus und der Idolatrie belegt.<ref name="ftn48">Vgl. Jaspert, Wahrnehmung, S. 313-317; Jubb, Perceptions, S. 228-233; Daniel, ''Islam'', S. 338-343.</ref> Neben dem Rekurs auf bekannte Stereotype bedient sich der Verfasser der Strategie, die abendländisch-feudalen Ordnungsstrukturen analogisierend auf das Fremde in der Levante zu übertragen: Den westlichen Kreuzzugsführern stellt er die Emire (''ammiralii'') Kürbuġas gegenüber, an anderer Stelle in dem Tatenbericht wird der Kalif von Bagdad als muslimischer Papst (''Caliphae nostro apostolico''), der Sultan als König (''nostri regi domino Soldano'') tituliert.<ref name="ftn49">''Gesta Francorum'', ed. Hill, lib. 9, cap. 21-22, S. 52-53.</ref> In der hier untersuchten Textstelle wird noch eine weitere narrative Ebene eingezogen, indem der abendländische Anonymus die Perspektive des seldschukischen Heerführers und seiner Mutter auf die Kreuzfahrer imaginiert und auf diese Weise eine Pseudo-Fremdsicht auf das Eigene konstruiert. | Im Argumentationsverlauf des Mutter-Sohn-Gesprächs werden damit anhand einzelner Formulierungen weitere Vorstellungen über die soziale Ordnung und die Religion der Muslime erkennbar. Der Islam wird als polytheistische und heidnische Religion einer ''gens paganorum'' gefasst. Religiöse Alterität wird beispielhaft in der im Christentum verbotenen Praktik des Schwörens ausgedrückt, wenn die Mutter ihren Sohn zu Beginn des Gesprächs „bei den Namen aller Götter“ (''per omnium deorum nomina'') anfleht.<ref name="ftn47">''Gesta Francorum'', ed. Hill, lib. 9, cap. 22, S. 53; in ähnlicher Formulierung unter Nennung Muḥammads: „iuro uobis per Machomet et per omnia deorum nomina“ (ebd., lib. 9, cap. 21, S. 52). Vgl. Skottki, ''Christen'', S. 263-264. Zum Verbot des Schwörens siehe Mt 5,34-37.</ref> Die ''Gesta Francorum'' tradieren somit ein bereits vor den Kreuzzügen etabliertes Feindbild weiter, das den Islam in Verkennung seines Charakters als streng monotheistische Offenbarungsreligion mit dem Vorwurf des Polytheismus und der Idolatrie belegt.<ref name="ftn48">Vgl. Jaspert, Wahrnehmung, S. 313-317; Jubb, Perceptions, S. 228-233; Daniel, ''Islam'', S. 338-343.</ref> Neben dem Rekurs auf bekannte Stereotype bedient sich der Verfasser der Strategie, die abendländisch-feudalen Ordnungsstrukturen analogisierend auf das Fremde in der Levante zu übertragen: Den westlichen Kreuzzugsführern stellt er die Emire (''ammiralii'') Kürbuġas gegenüber, an anderer Stelle in dem Tatenbericht wird der Kalif von Bagdad als muslimischer Papst (''Caliphae nostro apostolico''), der Sultan als König (''nostri regi domino Soldano'') tituliert.<ref name="ftn49">''Gesta Francorum'', ed. Hill, lib. 9, cap. 21-22, S. 52-53.</ref> In der hier untersuchten Textstelle wird noch eine weitere narrative Ebene eingezogen, indem der abendländische Anonymus die Perspektive des seldschukischen Heerführers und seiner Mutter auf die Kreuzfahrer imaginiert und auf diese Weise eine Pseudo-Fremdsicht auf das Eigene konstruiert. | ||
Den anfänglich skizzierten, älteren Forschungsansätzen, die sich vornehmlich auf eine ereignisgeschichtliche Rekonstruktion anhand der historiographischen Zeugnisse konzentriert und die ''Gesta'' folglich auf ihre chronographische Funktion reduziert haben, blieb der Blick auf den Quellenwert derartiger Passagen verstellt. Werden fiktiv anmutende Episoden und Textschichten verschiedenster Gattungszugehörigkeit dagegen als integrale Bestandteile von narrativen Vergangenheitsverarbeitungen ernst genommen, können mitunter neue Einsichten, etwa zur christlich-muslimischen Wahrnehmungsgeschichte in der Kreuzzugsära, gewonnen werden. Als unterhaltsam inszeniertes literarisches Gedankenspiel wirft der Dialog zwischen Kürbuġa und seiner Mutter Schlaglichter auf die zeitspezifische Vorstellungswelt der frühen Kreuzfahrer und die ihren muslimischen Gegnern zugewiesene Rolle in der eschatologischen Deutung des Kreuzzugsunternehmens.|6= | Den anfänglich skizzierten, älteren Forschungsansätzen, die sich vornehmlich auf eine ereignisgeschichtliche Rekonstruktion anhand der historiographischen Zeugnisse konzentriert und die ''Gesta'' folglich auf ihre chronographische Funktion reduziert haben, blieb der Blick auf den Quellenwert derartiger Passagen verstellt. Werden fiktiv anmutende Episoden und Textschichten verschiedenster Gattungszugehörigkeit dagegen als integrale Bestandteile von narrativen Vergangenheitsverarbeitungen ernst genommen, können mitunter neue Einsichten, etwa zur christlich-muslimischen Wahrnehmungsgeschichte in der Kreuzzugsära, gewonnen werden. Als unterhaltsam inszeniertes literarisches Gedankenspiel wirft der Dialog zwischen Kürbuġa und seiner Mutter Schlaglichter auf die zeitspezifische Vorstellungswelt der frühen Kreuzfahrer und die ihren muslimischen Gegnern zugewiesene Rolle in der eschatologischen Deutung des Kreuzzugsunternehmens.|6=''Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum'', ed. Rosalind Hill, London: Nelson, 1962. | ||
''Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum'', ed. Rosalind Hill, London: Nelson, 1962. | |||
''Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum seu Tudebodus abbreviatus'', ed. Philippe Le Bas (Recueil des Historiens des Croisades. Historiens occidentaux 3), Paris: Imprimerie Royale, 1866 (ND London: Gregg, 1967), S. 119-163. | ''Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum seu Tudebodus abbreviatus'', ed. Philippe Le Bas (Recueil des Historiens des Croisades. Historiens occidentaux 3), Paris: Imprimerie Royale, 1866 (ND London: Gregg, 1967), S. 119-163. | ||
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''La geste des Francs. Chronique Anonyme de la Première Croisade'', übers. Aude Matignon, Paris: Arléa, 1992. | ''La geste des Francs. Chronique Anonyme de la Première Croisade'', übers. Aude Matignon, Paris: Arléa, 1992. | ||
Anonimo, ''Le Gesta dei Franchi e degli altri Pellegrini Gerosolimitani'', ed. Luigi Russo, Alessandria: Edizioni dell’Orso, 2003.|7= | Anonimo, ''Le Gesta dei Franchi e degli altri Pellegrini Gerosolimitani'', ed. Luigi Russo, Alessandria: Edizioni dell’Orso, 2003.|7=Albu, Emily: Probing the Passions of a Norman on Crusade. The ''Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum'', in: ''Anglo-Norman Studies'' 27 (2005), S. 1-15. | ||
Albu, Emily: Probing the Passions of a Norman on Crusade. The ''Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum'', in: ''Anglo-Norman Studies'' 27 (2005), S. 1-15. | |||
Althoff, Gerd: ''„Selig sind, die Verfolgung ausüben“. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter'', Stuttgart: Theiss, 2013. | Althoff, Gerd: ''„Selig sind, die Verfolgung ausüben“. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter'', Stuttgart: Theiss, 2013. |