1107-1120er: Die Questiones naturales Adelards von Bath bewerben „die Studien der Araber“: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Friederike Pfister|Adelard von Bath: Questiones naturales, in: ''Adelard of Bath: Conversations with his Nephew. On the Same and the Different, Questions on Natural Science, and On Birds'', ed./übers. Charles Burnett, in Kollaboration mit Italo Ronca, Pedro Mantas España, Baudouin van den Abeele, Cambridge: Cambridge University Press, 1998, S. 90, 102, 104, übers. Friederike Pfister.|5=== Autor/in & Werk ==
{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Friederike Pfister|Adelard von Bath: Questiones naturales, in: ''Adelard of Bath: Conversations with his Nephew. On the Same and the Different, Questions on Natural Science, and On Birds'', ed./übers. Charles Burnett, in Kollaboration mit Italo Ronca, Pedro Mantas España, Baudouin van den Abeele, Cambridge: Cambridge University Press, 1998, S. 90, 102, 104, übers. Friederike Pfister.|5=== Autor/in & Werk ==
Der Gelehrte Adelard von Bath wurde um 1080 im Südwesten Englands in der Stadt Bath geboren und verstarb nach 1149/50.<ref name="ftn2">Die ungefähren Lebensdaten ergeben sich lediglich aus dem Widmungsdatum seines letzten Werkes. Siehe Gibson, Adelard, S. 7; Burnett, Education, S. 32.</ref> Zum Lebensweg Adelards finden sich lediglich spärliche Hinweise.<ref name="ftn3">Zu Adelards Lebensweg siehe v. a. Haskins, ''Studies'', S. 20–42; Gibson, Adelard; Burnett, Introduction, S. xi–xix.</ref> Vier urkundliche Nennungen – eine undatierte Erwähnung aus der Regierungszeit des anglonormannischen Königs Wilhelms II. Rufus (regn. 1087–1100), drei aus den Jahren 1100, 1106 und 1122 – weisen auf die Anstellung eines „Athelards“ bei Johannes von Tours, dem Bischof von Wells und Bath (sed. 1088–1122), hin.<ref name="ftn4">Gibson, Adelard, S. 7-8; Burnett, Introduction, S. xiii. </ref> Es ist anzunehmen, jedoch nicht sicher nachweisbar, dass es sich bei diesen urkundlichen Erwähnungen um den Gelehrten Adelard von Bath handelte.<ref name="ftn5">Gibson, Adelard, S. 8. Dafür spricht v. a. die Urkunde von 1106, die zugunsten der Klostergemeinde von Bath ausgestellt wurde.</ref> 1130 wird weiterhin ein „Adelard(us) de Bada“ urkundlich als Pächter in Wiltshire genannt und ein „Adelard de Bath’nian“ taucht als Zeuge in einer zwischen 1135 und 1139 verfassten Urkunde des anglonormannischen Königs Stephan von Blois (regn. 1135–1154) auf.<ref name="ftn6">Burnett, Introduction, S. xiii.</ref> Weitere Angaben stammen ausschließlich aus Adelards Werken, was aufgrund des literarischen Kontextes eine Einschätzung schwierig macht.
[§1] Der Gelehrte Adelard von Bath wurde um 1080 im Südwesten Englands in der Stadt Bath geboren und verstarb nach 1149/50.<ref name="ftn2">Die ungefähren Lebensdaten ergeben sich lediglich aus dem Widmungsdatum seines letzten Werkes. Siehe Gibson, Adelard, S. 7; Burnett, Education, S. 32.</ref> Zum Lebensweg Adelards finden sich lediglich spärliche Hinweise.<ref name="ftn3">Zu Adelards Lebensweg siehe v. a. Haskins, ''Studies'', S. 20–42; Gibson, Adelard; Burnett, Introduction, S. xi–xix.</ref> Vier urkundliche Nennungen – eine undatierte Erwähnung aus der Regierungszeit des anglonormannischen Königs Wilhelms II. Rufus (regn. 1087–1100), drei aus den Jahren 1100, 1106 und 1122 – weisen auf die Anstellung eines „Athelards“ bei Johannes von Tours, dem Bischof von Wells und Bath (sed. 1088–1122), hin.<ref name="ftn4">Gibson, Adelard, S. 7-8; Burnett, Introduction, S. xiii. </ref> Es ist anzunehmen, jedoch nicht sicher nachweisbar, dass es sich bei diesen urkundlichen Erwähnungen um den Gelehrten Adelard von Bath handelte.<ref name="ftn5">Gibson, Adelard, S. 8. Dafür spricht v. a. die Urkunde von 1106, die zugunsten der Klostergemeinde von Bath ausgestellt wurde.</ref> 1130 wird weiterhin ein „Adelard(us) de Bada“ urkundlich als Pächter in Wiltshire genannt und ein „Adelard de Bath’nian“ taucht als Zeuge in einer zwischen 1135 und 1139 verfassten Urkunde des anglonormannischen Königs Stephan von Blois (regn. 1135–1154) auf.<ref name="ftn6">Burnett, Introduction, S. xiii.</ref> Weitere Angaben stammen ausschließlich aus Adelards Werken, was aufgrund des literarischen Kontextes eine Einschätzung schwierig macht.


Laut eigenen Aussagen verbrachte Adelard einige Zeit in Frankreich – als Student in Tours und als Lehrer in Laon.<ref name="ftn7">Adelard von Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 4 (Tours); Adelard von Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 90 (Laon). Gibson, Adelard, S. 9-10, zweifelt jedoch an, dass Adelard in Laon unterrichtete.</ref> Er berichtet, dass er von Frankreich aus Reisen unternahm, die ihn über Salerno nach Sizilien und in die ''Magna Graecia'' (den griechischsprachigen Teil Süditaliens) führten.<ref name="ftn8">Adelard of Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 70: „cum a Salerno veniens in Grecia Maiore“; Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 118: „Nepos: Licet enim nec Grecas iactantias noverim, nec antrum Vulcani viderim.“ (Hinweis auf Adelards Beobachtung eines Ausbruchs des Ätnas auf Sizilien).</ref> Festhalten lässt sich ferner, dass er seinen Neffen in Laon zurückließ, um sich sieben Jahre lang den „Studien der Araber“ (''Arabum studia'') zu widmen.<ref name="ftn9">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 90: „Meministi, nepos, septennio iam transacto, cum te in Gallicis studiis pene puerum iuxta Laudisdunum una cum ceteris auditoribus meis dimiserim, id inter nos convenisse, ut Arabum studia ego pro posse meo scrutarer, tu vero Gallicarum sententiarum inconstantiam non minus adquireres.“</ref> Außerdem erwähnt er, Ausführungen von einem Greis bei Tarsus in Kilikien gehört zu haben, während sein Neffe behauptet, er sei in Mamistra in der Region Antiochia über eine Brücke gegangen.<ref name="ftn10">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 122: „Audivi enim et hec et alia multa quendam senem apud Tharsum Cilicie disserentem“, S. 184: „cum semel in partibus Antiochenis pontem civitatis Mamistre transires, ipsum pontem simul etiam totam illam regionem terre motu contremuisse“. Mantas España, Was Adelard of Bath in Spain?, S. 201, fügte seinem Aufsatz eine Karte mit Adelards möglichen Reiserouten bei. Gibson, Adelard, S. 10 FN 25, dagegen kommentiert: „the reference to Tarsus is so close to Acts 21.39 that it need not be a literal statement. In short, Adelard had heard of the earthquake and he had read Acts; I hesitate to construct a visit to the Holy Land on that evidence, unsupported.“</ref> Es lassen sich somit gemäß seinen Angaben Reiserouten entlang eines normannischen Netzwerkes vermuten, das im 12. Jahrhundert von den Britischen Inseln über die Normandie nach Süditalien, Sizilien und ins Kreuzfahrerfürstentum Antiochia reichte.<ref name="ftn11">Burkhardt, Förster (Hrsg.), ''Norman Tradition''.</ref>  
[§2] Laut eigenen Aussagen verbrachte Adelard einige Zeit in Frankreich – als Student in Tours und als Lehrer in Laon.<ref name="ftn7">Adelard von Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 4 (Tours); Adelard von Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 90 (Laon). Gibson, Adelard, S. 9-10, zweifelt jedoch an, dass Adelard in Laon unterrichtete.</ref> Er berichtet, dass er von Frankreich aus Reisen unternahm, die ihn über Salerno nach Sizilien und in die ''Magna Graecia'' (den griechischsprachigen Teil Süditaliens) führten.<ref name="ftn8">Adelard of Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 70: „cum a Salerno veniens in Grecia Maiore“; Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 118: „Nepos: Licet enim nec Grecas iactantias noverim, nec antrum Vulcani viderim.“ (Hinweis auf Adelards Beobachtung eines Ausbruchs des Ätnas auf Sizilien).</ref> Festhalten lässt sich ferner, dass er seinen Neffen in Laon zurückließ, um sich sieben Jahre lang den „Studien der Araber“ (''Arabum studia'') zu widmen.<ref name="ftn9">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 90: „Meministi, nepos, septennio iam transacto, cum te in Gallicis studiis pene puerum iuxta Laudisdunum una cum ceteris auditoribus meis dimiserim, id inter nos convenisse, ut Arabum studia ego pro posse meo scrutarer, tu vero Gallicarum sententiarum inconstantiam non minus adquireres.“</ref> Außerdem erwähnt er, Ausführungen von einem Greis bei Tarsus in Kilikien gehört zu haben, während sein Neffe behauptet, er sei in Mamistra in der Region Antiochia über eine Brücke gegangen.<ref name="ftn10">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 122: „Audivi enim et hec et alia multa quendam senem apud Tharsum Cilicie disserentem“, S. 184: „cum semel in partibus Antiochenis pontem civitatis Mamistre transires, ipsum pontem simul etiam totam illam regionem terre motu contremuisse“. Mantas España, Was Adelard of Bath in Spain?, S. 201, fügte seinem Aufsatz eine Karte mit Adelards möglichen Reiserouten bei. Gibson, Adelard, S. 10 FN 25, dagegen kommentiert: „the reference to Tarsus is so close to Acts 21.39 that it need not be a literal statement. In short, Adelard had heard of the earthquake and he had read Acts; I hesitate to construct a visit to the Holy Land on that evidence, unsupported.“</ref> Es lassen sich somit gemäß seinen Angaben Reiserouten entlang eines normannischen Netzwerkes vermuten, das im 12. Jahrhundert von den Britischen Inseln über die Normandie nach Süditalien, Sizilien und ins Kreuzfahrerfürstentum Antiochia reichte.<ref name="ftn11">Burkhardt, Förster (Hrsg.), ''Norman Tradition''.</ref>  


Sowohl die Datierung seiner Reiseaktivitäten als auch die Möglichkeit, dass es sich lediglich um literarische Ausschmückungen handeln könnte, werden in der Forschung kontrovers diskutiert. Generell kann festgehalten werden, dass die Reisen, wenn sie wirklich stattgefunden haben, in etwa in die ersten 20 Jahre des 12. Jahrhunderts datiert werden können.<ref name="ftn12">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 27–30, diskutiert die verschiedenen Thesen im Zusammenhang mit den möglichen Datierungen der Werke.</ref> Insbesondere Adelards Aufenthalt im Fürstentum Antiochia wurde jedoch stark in Frage gestellt. Brian Lawn und Margaret Gibson zweifeln an, dass sich Adelard jemals dort aufhielt und gehen davon aus, dass Adelard die Reise lediglich als literarisches Mittel nutzte, um seiner „arabischen Gelehrsamkeit“ Glaubwürdigkeit zu verleihen.<ref name="ftn13">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 25–29; Gibson, Adelard, S. 10.</ref> Charles Haskins, Andreas Speer und Charles Burnett hingegen zeigen sich Adelards Ausführungen gegenüber weniger skeptisch und sehen keinen Grund dafür, die Aufenthalte Adelards in Tarsus und Mamistra in Frage zu stellen.<ref name="ftn14">Burnett, Introduction, S. xxviii, weist v. a. auf eine Referenz in der Übersetzung des Buches über Talismane von Ṯābit b. Qurrā (gest. 288/901) durch Johannes von Sevilla und Limia hin. Im Prolog bezieht sich Johannes auf eine Teilübersetzung eines „Antiocheners“, bei dem Burnett davon ausgeht, dass es sich um Adelard handeln könnte. Speer, ''Entdeckte'' ''Natur'', S. 26, nennt ein bei Haskins, ''Studies'', S. 31-32, erwähntes, Adelard zugeschriebenes Manuskript, das sogar auf ein astronomisches Messexperiment in Jerusalem hinweist.</ref> Aufgrund der urkundlichen Erwähnungen lässt sich zumindest annehmen, dass sich Adelard spätestens 1122 wieder in England bzw. Bath aufhielt.<ref name="ftn15">Gibson, Adelard, S. 13. </ref>  
[§3] Sowohl die Datierung seiner Reiseaktivitäten als auch die Möglichkeit, dass es sich lediglich um literarische Ausschmückungen handeln könnte, werden in der Forschung kontrovers diskutiert. Generell kann festgehalten werden, dass die Reisen, wenn sie wirklich stattgefunden haben, in etwa in die ersten 20 Jahre des 12. Jahrhunderts datiert werden können.<ref name="ftn12">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 27–30, diskutiert die verschiedenen Thesen im Zusammenhang mit den möglichen Datierungen der Werke.</ref> Insbesondere Adelards Aufenthalt im Fürstentum Antiochia wurde jedoch stark in Frage gestellt. Brian Lawn und Margaret Gibson zweifeln an, dass sich Adelard jemals dort aufhielt und gehen davon aus, dass Adelard die Reise lediglich als literarisches Mittel nutzte, um seiner „arabischen Gelehrsamkeit“ Glaubwürdigkeit zu verleihen.<ref name="ftn13">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 25–29; Gibson, Adelard, S. 10.</ref> Charles Haskins, Andreas Speer und Charles Burnett hingegen zeigen sich Adelards Ausführungen gegenüber weniger skeptisch und sehen keinen Grund dafür, die Aufenthalte Adelards in Tarsus und Mamistra in Frage zu stellen.<ref name="ftn14">Burnett, Introduction, S. xxviii, weist v. a. auf eine Referenz in der Übersetzung des Buches über Talismane von Ṯābit b. Qurrā (gest. 288/901) durch Johannes von Sevilla und Limia hin. Im Prolog bezieht sich Johannes auf eine Teilübersetzung eines „Antiocheners“, bei dem Burnett davon ausgeht, dass es sich um Adelard handeln könnte. Speer, ''Entdeckte'' ''Natur'', S. 26, nennt ein bei Haskins, ''Studies'', S. 31-32, erwähntes, Adelard zugeschriebenes Manuskript, das sogar auf ein astronomisches Messexperiment in Jerusalem hinweist.</ref> Aufgrund der urkundlichen Erwähnungen lässt sich zumindest annehmen, dass sich Adelard spätestens 1122 wieder in England bzw. Bath aufhielt.<ref name="ftn15">Gibson, Adelard, S. 13. </ref>  


Ein weiterer strittiger Punkt, der eng in Zusammenhang mit Adelards möglicher Reiseroute und seinem Kontakt zu arabischen Gelehrten steht, ist die Frage nach seinen Arabischkenntnissen. Insgesamt ist nicht klar, wie umfassend diese waren, geschweige denn, wie und wo er sie erworben haben soll.<ref name="ftn16">Gibson, Adelard, S. 13.</ref> Gibson vermutet, dass seine Kenntnisse sich wahrscheinlich vor allem auf die mündliche Kommunikation bezogen, und seine Schriftkenntnisse weniger gefestigt waren.<ref name="ftn17">Gibson, Adelard, S. 13–14, führt dies insbesondere auf Fehler in Adelards Übersetzung der astronomischen Tafeln al-Ḫwārizmīs zurück und merkt an, dass es für Adelard vermutlich wichtiger war, die mathematischen Inhalte zu verstehen als einen sprachlich perfekten Text zu verfassen.</ref> Burnett geht davon aus, dass es sich bei Adelards Übersetzungen um eine Form der Latinisierung gehandelt haben könnte, bei der ein Arabischsprecher Adelard die Texte auf Arabisch diktierte und dieser sie auf Latein niederschrieb.<ref name="ftn18">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 105–106. Siehe dazu auch Gibson, Adelard, S. 15.</ref> Burnetts Befund, dass Adelard sich niemals auf arabische Schriften, sondern stets nur auf die Ansichten (''sententiae'') der arabischen Lehrer (''magistri'') beruft, unterstützt seine These, dass der Austausch größtenteils mündlich stattfand.<ref name="ftn19">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 100–101.</ref>
[§4] Ein weiterer strittiger Punkt, der eng in Zusammenhang mit Adelards möglicher Reiseroute und seinem Kontakt zu arabischen Gelehrten steht, ist die Frage nach seinen Arabischkenntnissen. Insgesamt ist nicht klar, wie umfassend diese waren, geschweige denn, wie und wo er sie erworben haben soll.<ref name="ftn16">Gibson, Adelard, S. 13.</ref> Gibson vermutet, dass seine Kenntnisse sich wahrscheinlich vor allem auf die mündliche Kommunikation bezogen, und seine Schriftkenntnisse weniger gefestigt waren.<ref name="ftn17">Gibson, Adelard, S. 13–14, führt dies insbesondere auf Fehler in Adelards Übersetzung der astronomischen Tafeln al-Ḫwārizmīs zurück und merkt an, dass es für Adelard vermutlich wichtiger war, die mathematischen Inhalte zu verstehen als einen sprachlich perfekten Text zu verfassen.</ref> Burnett geht davon aus, dass es sich bei Adelards Übersetzungen um eine Form der Latinisierung gehandelt haben könnte, bei der ein Arabischsprecher Adelard die Texte auf Arabisch diktierte und dieser sie auf Latein niederschrieb.<ref name="ftn18">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 105–106. Siehe dazu auch Gibson, Adelard, S. 15.</ref> Burnetts Befund, dass Adelard sich niemals auf arabische Schriften, sondern stets nur auf die Ansichten (''sententiae'') der arabischen Lehrer (''magistri'') beruft, unterstützt seine These, dass der Austausch größtenteils mündlich stattfand.<ref name="ftn19">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 100–101.</ref>


Burnett vermutet außerdem, dass einer der Lehrer Adelards möglicherweise der Gelehrte Petrus Alfonsi (gest. nach 1130) gewesen sein könnte. Petrus Alfonsi stammte aus der nordspanischen Stadt Huesca, die bis zu ihrer Einnahme 1096 unter islamischer Herrschaft gestanden hatte. Zunächst ein bedeutendes Mitglied der jüdischen Gemeinde dort, konvertierte Petrus Alfonsi 1106 unter der Patenschaft von Alfons I. von Aragón (regn. 1104–1134) zum Christentum.<ref name="ftn20">Burnett, Alfonsi, Petrus.</ref> In seinen Werken beschäftigte sich Petrus Alfonsi sowohl mit astronomisch-astrologischen als auch mit religiösen Themen und leistete in beiden Bereichen wichtige Beiträge zum arabisch-lateinischen Wissenschafts­transfer.<ref name="ftn21">Tolan, ''Petrus Alfonsi''.</ref> Wenn auch nicht sicher nachweisbar, zeigen sich einige Besonderheiten in Adelards Schriften, die laut Burnett auf eine Verbindung zu Petrus Alfonsi hindeuten. Zunächst übersetzte und bearbeitete Petrus Alfonsi um 1116 die unter dem Namen ''Zīǧ al-Sindhind'' bekannten astronomischen Tabellen al-Ḫwārizmīs (gest. ca. 232/847), denen sich um 1126 auch Adelard widmete.<ref name="ftn22">Burnett, Alfonsi, Petrus. Siehe zu den verschiedenen Versionen der Tabellen: Mercier, Astronomical Tables. Das Manuskript Adelards figuriert unter dem Titel ''Ezich Elkaurezmi per Athelardum Bathoniensem ex Arabico sumptus.'' Vgl. Haskins, ''Studies'', S. 22–23; Gibson, Adelard, S. 14.</ref> Weiterhin zeigen Adelards Texte starke iberische Einflüsse auf, die sich durch eine Verbindung zu Petrus Alfonsi erklären ließen.<ref name="ftn23">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 97–98, 103, fügt hinzu, dass die arabischen Vorlagen der Übersetzungen Adelards ursprünglich von der Iberischen Halbinsel stammten. Darüber hinaus deuten die in Adelards Texten vorhandenen Transliterationen des Arabischen eher auf eine andalusisch-arabische denn auf sizilisch-arabische Aussprache hin.</ref> Petrus Alfonsi hielt sich spätestens ab 1116 in England und in den 1120er Jahren vermutlich in Nordfrankreich auf und hatte eventuell direkte Verbindungen zum anglonormannischen Königshaus.<ref name="ftn24">Tolan, ''Petrus Alfonsi'', S. 10–11. In einem Manuskript von Petrus Alfonsis ''Disciplina clericalis'' aus dem 12. Jahrhundert wird Petrus als „Henrici primi regis Anglorum medicus“ bezeichnet, siehe Gibson, Adelard, S. 15 FN 65.</ref> Es erscheint daher durchaus plausibel, dass die beiden Gelehrten in Kontakt gestanden haben könnten.<ref name="ftn25">In einem späteren Aufsatz zeigt sich Burnett jedoch skeptischer in Bezug auf einen möglichen Kontakt zwischen Adelard und Petrus Alfonsi: Burnett, Petrus Alfonsi and Adelard of Bath Revisited.</ref> Pedro Mantas España weist allerdings darauf hin, dass Adelard auch in Frankreich, v. a. in Chartres, Gelehrten begegnet sein könnte, die entweder von der Iberischen Halbinsel stammten oder vom dortigen Wissenstransfer geprägt worden waren. Der iberische Einfluss in Adelards Texten ließe sich daher auch auf solche Begegnungen zurückführen.<ref name="ftn26">Mantas España, Was Adelard of Bath in Spain?, S. 201, führt Hermann von Kärnten (gest. nach 1143) und Dominicus Gundissalinus (gest. nach 1181 bzw. 1190), zwei auf der Iberischen Halbinsel aktive arabisch-lateinische Übersetzer, als mögliche Kontakte an. Siehe hierzu auch: Burnett, Blend. Zum arabischen Einfluss in Chartres: Schipperges, ''Schulen''. Zu den Pariser Schulen: Rexroth, ''Fröhliche Scholastik'' (v. a. „Die Schulen und das jüdisch-muslimische Wissen: Toledo“, S. 248–252).</ref>
[§5] Burnett vermutet außerdem, dass einer der Lehrer Adelards möglicherweise der Gelehrte Petrus Alfonsi (gest. nach 1130) gewesen sein könnte. Petrus Alfonsi stammte aus der nordspanischen Stadt Huesca, die bis zu ihrer Einnahme 1096 unter islamischer Herrschaft gestanden hatte. Zunächst ein bedeutendes Mitglied der jüdischen Gemeinde dort, konvertierte Petrus Alfonsi 1106 unter der Patenschaft von Alfons I. von Aragón (regn. 1104–1134) zum Christentum.<ref name="ftn20">Burnett, Alfonsi, Petrus.</ref> In seinen Werken beschäftigte sich Petrus Alfonsi sowohl mit astronomisch-astrologischen als auch mit religiösen Themen und leistete in beiden Bereichen wichtige Beiträge zum arabisch-lateinischen Wissenschafts­transfer.<ref name="ftn21">Tolan, ''Petrus Alfonsi''.</ref> Wenn auch nicht sicher nachweisbar, zeigen sich einige Besonderheiten in Adelards Schriften, die laut Burnett auf eine Verbindung zu Petrus Alfonsi hindeuten. Zunächst übersetzte und bearbeitete Petrus Alfonsi um 1116 die unter dem Namen ''Zīǧ al-Sindhind'' bekannten astronomischen Tabellen al-Ḫwārizmīs (gest. ca. 232/847), denen sich um 1126 auch Adelard widmete.<ref name="ftn22">Burnett, Alfonsi, Petrus. Siehe zu den verschiedenen Versionen der Tabellen: Mercier, Astronomical Tables. Das Manuskript Adelards figuriert unter dem Titel ''Ezich Elkaurezmi per Athelardum Bathoniensem ex Arabico sumptus.'' Vgl. Haskins, ''Studies'', S. 22–23; Gibson, Adelard, S. 14.</ref> Weiterhin zeigen Adelards Texte starke iberische Einflüsse auf, die sich durch eine Verbindung zu Petrus Alfonsi erklären ließen.<ref name="ftn23">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 97–98, 103, fügt hinzu, dass die arabischen Vorlagen der Übersetzungen Adelards ursprünglich von der Iberischen Halbinsel stammten. Darüber hinaus deuten die in Adelards Texten vorhandenen Transliterationen des Arabischen eher auf eine andalusisch-arabische denn auf sizilisch-arabische Aussprache hin.</ref> Petrus Alfonsi hielt sich spätestens ab 1116 in England und in den 1120er Jahren vermutlich in Nordfrankreich auf und hatte eventuell direkte Verbindungen zum anglonormannischen Königshaus.<ref name="ftn24">Tolan, ''Petrus Alfonsi'', S. 10–11. In einem Manuskript von Petrus Alfonsis ''Disciplina clericalis'' aus dem 12. Jahrhundert wird Petrus als „Henrici primi regis Anglorum medicus“ bezeichnet, siehe Gibson, Adelard, S. 15 FN 65.</ref> Es erscheint daher durchaus plausibel, dass die beiden Gelehrten in Kontakt gestanden haben könnten.<ref name="ftn25">In einem späteren Aufsatz zeigt sich Burnett jedoch skeptischer in Bezug auf einen möglichen Kontakt zwischen Adelard und Petrus Alfonsi: Burnett, Petrus Alfonsi and Adelard of Bath Revisited.</ref> Pedro Mantas España weist allerdings darauf hin, dass Adelard auch in Frankreich, v. a. in Chartres, Gelehrten begegnet sein könnte, die entweder von der Iberischen Halbinsel stammten oder vom dortigen Wissenstransfer geprägt worden waren. Der iberische Einfluss in Adelards Texten ließe sich daher auch auf solche Begegnungen zurückführen.<ref name="ftn26">Mantas España, Was Adelard of Bath in Spain?, S. 201, führt Hermann von Kärnten (gest. nach 1143) und Dominicus Gundissalinus (gest. nach 1181 bzw. 1190), zwei auf der Iberischen Halbinsel aktive arabisch-lateinische Übersetzer, als mögliche Kontakte an. Siehe hierzu auch: Burnett, Blend. Zum arabischen Einfluss in Chartres: Schipperges, ''Schulen''. Zu den Pariser Schulen: Rexroth, ''Fröhliche Scholastik'' (v. a. „Die Schulen und das jüdisch-muslimische Wissen: Toledo“, S. 248–252).</ref>


In seinen Werken beschäftigte sich Adelard vor allem mit naturwissenschaftlichen und astrologisch-mathematischen Themen. Die genauen Datierungen seiner Werke sind umstritten, da sich diese ausschließlich auf werkinterne Hinweise stützen. Es lässt sich aber zumindest eine relative Chronologie feststellen.<ref name="ftn27">Zur umstrittenen Datierung insbesondere von ''De eodem et diverso'' und den ''Questiones naturales'', siehe: Haskins, ''Studies'', S. 16–27, bes. 21–22; Thorndike, ''History'', S. 44–49 (eigener Appendix zur Datierungsfrage); Bliemetzrieder, ''Adelhard von Bath'', S. 25–26; und Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 28–30.</ref> Während der Zeit seiner vermutlichen Reisen verfasste Adelard zunächst drei eigene literarische Werke: das ''De eodem et diverso'' (eine Ermahnung zum Studium der Philosophie), die ''Questiones naturales'' (der hier zitierte Dialog über naturwissenschaftliche Fragen) und ''De avibus tractatus'' (ein Werk über die Aufzucht und Pflege von Falken). In allen drei Werken lässt Adelard seinen „Neffen“ (''nepos'') als Dialogpartner auftreten. Charles Burnett bewertet diese drei Werke als Art literarisches Triptychon: Jedes Werk repräsentiere eine andere Textgattung und eine andere kulturelle Tradition.<ref name="ftn28">Burnett, Introduction, S. xii.</ref>  
[§6] In seinen Werken beschäftigte sich Adelard vor allem mit naturwissenschaftlichen und astrologisch-mathematischen Themen. Die genauen Datierungen seiner Werke sind umstritten, da sich diese ausschließlich auf werkinterne Hinweise stützen. Es lässt sich aber zumindest eine relative Chronologie feststellen.<ref name="ftn27">Zur umstrittenen Datierung insbesondere von ''De eodem et diverso'' und den ''Questiones naturales'', siehe: Haskins, ''Studies'', S. 16–27, bes. 21–22; Thorndike, ''History'', S. 44–49 (eigener Appendix zur Datierungsfrage); Bliemetzrieder, ''Adelhard von Bath'', S. 25–26; und Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 28–30.</ref> Während der Zeit seiner vermutlichen Reisen verfasste Adelard zunächst drei eigene literarische Werke: das ''De eodem et diverso'' (eine Ermahnung zum Studium der Philosophie), die ''Questiones naturales'' (der hier zitierte Dialog über naturwissenschaftliche Fragen) und ''De avibus tractatus'' (ein Werk über die Aufzucht und Pflege von Falken). In allen drei Werken lässt Adelard seinen „Neffen“ (''nepos'') als Dialogpartner auftreten. Charles Burnett bewertet diese drei Werke als Art literarisches Triptychon: Jedes Werk repräsentiere eine andere Textgattung und eine andere kulturelle Tradition.<ref name="ftn28">Burnett, Introduction, S. xii.</ref>  


Sein wohl frühestes Werk ist das ''De eodem et diverso'', das Adelard Wilhelm, dem Bischof von Syrakus, widmete,<ref name="ftn29">Adelard of Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 2. Wann genau Wilhelm von Syrakus das Bischofsamt bekleidete, ist unklar; sicher attestiert ist er für die Jahre 1112, 1115 und 1116. Siehe dazu: Haskins, ''Studies'', S. 21; Gibson, Adelard, S. 12.</ref> und dessen Entstehung Charles Haskins auf 1104–1109 oder auf 1116 datiert.<ref name="ftn30">Zu seiner Datierung kommt Haskins, ''Studies'', S. 21, v. a. durch Adelards Aussage, dass er ein Jahr zuvor vor der Königin die ''cithara'' gespielt habe (Adelard of Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 52). Haskins geht davon aus, dass es sich bei dieser Referenz um die Königin von Frankreich gehandelt haben muss – zwischen 1108 und 1115 gab es allerdings keine Königin von Frankreich, weshalb Adelard das Werk davor oder danach verfasst haben muss.</ref> Das ''De eodem et diverso'' stellt eine Werbeschrift für das Studium der Philosophie dar und steht damit in der griechischen Tradition protreptischer Werke, wie sie von Aristoteles, Cicero oder Boethius vertreten wurde. Diese Verbundenheit betont Adelard weiterhin durch den fast ausschließlichen Bezug auf griechische Autoren, sowie durch die Betonung seiner Erfahrungen auf Sizilien und in ''Magna Graecia''.<ref name="ftn31">Burnett, Introduction, S. xii.</ref> In seinem zweiten Werk, den ''Questiones naturales'', steht die arabische Tradition im Fokus. Die Textgattung der „Fragen zur Natur“ hatte neben griechischen Einflüssen eine einflussreiche arabische Tradition.<ref name="ftn32">Burnett, Introduction, S. xii.</ref> Darüber hinaus betont Adelard explizit in seinem Text, dass er die Meinungen „der Araber“ darstellen möchte. Adelard widmete die ''Questiones naturales'' Richard, dem Bischof von Bayeux.<ref name="ftn33">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82.</ref> In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gab es jedoch zwei Bischöfe von Bayeux namens Richard – zum einen Richard Fitz-Samson (sed. 1107–1133), zum anderen Richard von Kent (sed. 1135–42). Aus diesem Grund ist nicht eindeutig, wem Adelard sein Werk widmete.<ref name="ftn34">Haskins, ''Studies'', S. 26.</ref> In seinem Widmungsschreiben erwähnt Adelard weiterhin, dass er – nach seiner siebenjährigen Abwesenheit, um die „Studien der Araber“ zu erforschen – während der Herrschaftszeit des anglonormannischen Königs Heinrichs I. (regn. 1100–1135) nach England zurückkehrte und dann den Plan fasste, das besagte Werk zu schreiben.<ref name="ftn35">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82.</ref> Haskins leitet hieraus ab, dass Adelard das Werk frühestens 1107 verfasste – somit wäre er kurz vor Heinrichs Herrschaftsantritt 1100 aufgebrochen, um nach sieben Jahren zurückzukehren und das Werk 1107 dem eben angetretenen Richard Fitz-Samson zu widmen. Als spätestes Datum der Niederschrift kommen für ihn die zwei Jahre nach dem Tod Heinrichs 1135 in Betracht – Adelard wäre dann kurz vor Heinrichs Tod 1135 zurückgekehrt und hätte sich daraufhin an das Werk gesetzt.<ref name="ftn36">Haskins, ''Studies'', S. 27. Thorndike, ''History'', S. 48–49, sieht Haskins’ Schlussfolgerung eher skeptisch und nimmt an, dass Adelard die ''Questiones naturales ''verfasste, als Heinrich bereits einige Jahre König war.</ref> Brian Lawn, der sich ebenfalls ausführlich mit der Datierungsfrage der ''Questiones naturales'' beschäftigt hat, tendiert zur früheren Option und datiert das Werk auf den Zeitraum 1107–1112.<ref name="ftn37">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 28.</ref> Es ist nicht möglich, aus den vorhandenen Hinweisen auf eine sichere Datierung zu schließen. Anzunehmen ist jedoch, dass Adelard sein Werk nicht erst zum Ende seines Lebens verfasste, da sich keinerlei Einflüsse seiner späteren Übersetzungen in den ''Questiones naturales'' finden.<ref name="ftn38">Haskins, ''Studies'', S. 27, 39. Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 99–100, vermutet jedoch, dass Adelard zur Zeit der Verfassung der ''Questiones naturales'' zumindest bereits begonnen hatte, sich mit den Themen zu befassen, zu denen er später Übersetzungen verfasste.</ref> Ebenfalls relativ früh in seiner Schaffenszeit scheint Adelard sein drittes eigenes Werk, das ''De avibus tractatus'' (ein Werk über die Aufzucht und Pflege von Falken), verfasst zu haben.<ref name="ftn39">Haskins, ''Studies'', S. 28, und Evans, Adelard on Falconry, S. 25, nehmen eine relativ frühe Abfassung an, da sich kein arabischer Einfluss feststellen lässt. Haskins, ''Studies'', S. 28, geht allerdings auch davon aus, dass der Falkentraktat nach den ''Questiones naturales ''verfasst wurde.</ref> Als Quellen benennt Adelard angelsächsische Texte, nämlich die „Bücher des Königs Harald“ (''Haraoldi regis libris'').<ref name="ftn40">Adelard of Bath, De avibus tractatus, ed. Burnett, S. 237–274. Haskins, King Harold’s Books, S. 399–400, vermutet, dass es sich bei dieser Referenz um Bücher aus dem Besitz des Sohnes des angelsächsischen Königs Harald II. Godwinson (regn. 1066) gehandelt haben könnte. Diese könnten gemeinsam mit dem königlichen Schatz an Wilhelm den Eroberer (regn. 1066–1087) gefallen und bis zur Zeit Heinrichs I. in der normannischen Königsfamilie geblieben sein.</ref>  
[§7] Sein wohl frühestes Werk ist das ''De eodem et diverso'', das Adelard Wilhelm, dem Bischof von Syrakus, widmete,<ref name="ftn29">Adelard of Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 2. Wann genau Wilhelm von Syrakus das Bischofsamt bekleidete, ist unklar; sicher attestiert ist er für die Jahre 1112, 1115 und 1116. Siehe dazu: Haskins, ''Studies'', S. 21; Gibson, Adelard, S. 12.</ref> und dessen Entstehung Charles Haskins auf 1104–1109 oder auf 1116 datiert.<ref name="ftn30">Zu seiner Datierung kommt Haskins, ''Studies'', S. 21, v. a. durch Adelards Aussage, dass er ein Jahr zuvor vor der Königin die ''cithara'' gespielt habe (Adelard of Bath, De eodem et diverso, ed. Burnett, S. 52). Haskins geht davon aus, dass es sich bei dieser Referenz um die Königin von Frankreich gehandelt haben muss – zwischen 1108 und 1115 gab es allerdings keine Königin von Frankreich, weshalb Adelard das Werk davor oder danach verfasst haben muss.</ref> Das ''De eodem et diverso'' stellt eine Werbeschrift für das Studium der Philosophie dar und steht damit in der griechischen Tradition protreptischer Werke, wie sie von Aristoteles, Cicero oder Boethius vertreten wurde. Diese Verbundenheit betont Adelard weiterhin durch den fast ausschließlichen Bezug auf griechische Autoren, sowie durch die Betonung seiner Erfahrungen auf Sizilien und in ''Magna Graecia''.<ref name="ftn31">Burnett, Introduction, S. xii.</ref> In seinem zweiten Werk, den ''Questiones naturales'', steht die arabische Tradition im Fokus. Die Textgattung der „Fragen zur Natur“ hatte neben griechischen Einflüssen eine einflussreiche arabische Tradition.<ref name="ftn32">Burnett, Introduction, S. xii.</ref> Darüber hinaus betont Adelard explizit in seinem Text, dass er die Meinungen „der Araber“ darstellen möchte. Adelard widmete die ''Questiones naturales'' Richard, dem Bischof von Bayeux.<ref name="ftn33">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82.</ref> In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gab es jedoch zwei Bischöfe von Bayeux namens Richard – zum einen Richard Fitz-Samson (sed. 1107–1133), zum anderen Richard von Kent (sed. 1135–42). Aus diesem Grund ist nicht eindeutig, wem Adelard sein Werk widmete.<ref name="ftn34">Haskins, ''Studies'', S. 26.</ref> In seinem Widmungsschreiben erwähnt Adelard weiterhin, dass er – nach seiner siebenjährigen Abwesenheit, um die „Studien der Araber“ zu erforschen – während der Herrschaftszeit des anglonormannischen Königs Heinrichs I. (regn. 1100–1135) nach England zurückkehrte und dann den Plan fasste, das besagte Werk zu schreiben.<ref name="ftn35">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82.</ref> Haskins leitet hieraus ab, dass Adelard das Werk frühestens 1107 verfasste – somit wäre er kurz vor Heinrichs Herrschaftsantritt 1100 aufgebrochen, um nach sieben Jahren zurückzukehren und das Werk 1107 dem eben angetretenen Richard Fitz-Samson zu widmen. Als spätestes Datum der Niederschrift kommen für ihn die zwei Jahre nach dem Tod Heinrichs 1135 in Betracht – Adelard wäre dann kurz vor Heinrichs Tod 1135 zurückgekehrt und hätte sich daraufhin an das Werk gesetzt.<ref name="ftn36">Haskins, ''Studies'', S. 27. Thorndike, ''History'', S. 48–49, sieht Haskins’ Schlussfolgerung eher skeptisch und nimmt an, dass Adelard die ''Questiones naturales ''verfasste, als Heinrich bereits einige Jahre König war.</ref> Brian Lawn, der sich ebenfalls ausführlich mit der Datierungsfrage der ''Questiones naturales'' beschäftigt hat, tendiert zur früheren Option und datiert das Werk auf den Zeitraum 1107–1112.<ref name="ftn37">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 28.</ref> Es ist nicht möglich, aus den vorhandenen Hinweisen auf eine sichere Datierung zu schließen. Anzunehmen ist jedoch, dass Adelard sein Werk nicht erst zum Ende seines Lebens verfasste, da sich keinerlei Einflüsse seiner späteren Übersetzungen in den ''Questiones naturales'' finden.<ref name="ftn38">Haskins, ''Studies'', S. 27, 39. Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 99–100, vermutet jedoch, dass Adelard zur Zeit der Verfassung der ''Questiones naturales'' zumindest bereits begonnen hatte, sich mit den Themen zu befassen, zu denen er später Übersetzungen verfasste.</ref> Ebenfalls relativ früh in seiner Schaffenszeit scheint Adelard sein drittes eigenes Werk, das ''De avibus tractatus'' (ein Werk über die Aufzucht und Pflege von Falken), verfasst zu haben.<ref name="ftn39">Haskins, ''Studies'', S. 28, und Evans, Adelard on Falconry, S. 25, nehmen eine relativ frühe Abfassung an, da sich kein arabischer Einfluss feststellen lässt. Haskins, ''Studies'', S. 28, geht allerdings auch davon aus, dass der Falkentraktat nach den ''Questiones naturales ''verfasst wurde.</ref> Als Quellen benennt Adelard angelsächsische Texte, nämlich die „Bücher des Königs Harald“ (''Haraoldi regis libris'').<ref name="ftn40">Adelard of Bath, De avibus tractatus, ed. Burnett, S. 237–274. Haskins, King Harold’s Books, S. 399–400, vermutet, dass es sich bei dieser Referenz um Bücher aus dem Besitz des Sohnes des angelsächsischen Königs Harald II. Godwinson (regn. 1066) gehandelt haben könnte. Diese könnten gemeinsam mit dem königlichen Schatz an Wilhelm den Eroberer (regn. 1066–1087) gefallen und bis zur Zeit Heinrichs I. in der normannischen Königsfamilie geblieben sein.</ref>  


Nach seiner Rückkehr nach England in den 1120er Jahren fertigte Adelard verschiedene Übersetzungen mathematischer und astronomisch-astrologischer Werke aus dem Arabischen an, u. a. Euklids „Elemente“ (3. Jh. v. Chr.), die astronomischen Tafeln und Regeln al-Ḫwārizmīs (gest. ca. 232/847) sowie Abū Maʿšars (gest. 271/886) gekürzte Einführung in die Astrologie.<ref name="ftn41">Gibson, Adelard, S. 13–14.</ref> Wie bereits thematisiert, ist nicht eindeutig, inwiefern es sich bei diesen Werken um direkte Übersetzungen gehandelt hat oder um Latinisierungen in Zusammenarbeit mit arabischsprachigen Gelehrten. In seinem letzten Werk, dem ''De opere astrolapsus'', beschäftigte sich Adelard mit Aufbau und Gebrauch des Astrolabiums. Er widmete das Werk um 1149–1150 dem zukünftigen englischen König Heinrich II. (regn. 1154–1189).<ref name="ftn42">Burnett, Education, S. 32, der näher auf Adelards mögliche Verbindung zum englischen Königshaus eingeht. Dazu auch: Haskins, ''Studies'', S. 34–35.</ref>
[§8] Nach seiner Rückkehr nach England in den 1120er Jahren fertigte Adelard verschiedene Übersetzungen mathematischer und astronomisch-astrologischer Werke aus dem Arabischen an, u. a. Euklids „Elemente“ (3. Jh. v. Chr.), die astronomischen Tafeln und Regeln al-Ḫwārizmīs (gest. ca. 232/847) sowie Abū Maʿšars (gest. 271/886) gekürzte Einführung in die Astrologie.<ref name="ftn41">Gibson, Adelard, S. 13–14.</ref> Wie bereits thematisiert, ist nicht eindeutig, inwiefern es sich bei diesen Werken um direkte Übersetzungen gehandelt hat oder um Latinisierungen in Zusammenarbeit mit arabischsprachigen Gelehrten. In seinem letzten Werk, dem ''De opere astrolapsus'', beschäftigte sich Adelard mit Aufbau und Gebrauch des Astrolabiums. Er widmete das Werk um 1149–1150 dem zukünftigen englischen König Heinrich II. (regn. 1154–1189).<ref name="ftn42">Burnett, Education, S. 32, der näher auf Adelards mögliche Verbindung zum englischen Königshaus eingeht. Dazu auch: Haskins, ''Studies'', S. 34–35.</ref>


== Inhalt & Quellenkontext  ==
== Inhalt & Quellenkontext  ==
Bei den ''Questiones naturales'' handelt es sich um einen Dialog zwischen Adelard und seinem Neffen. Die beiden Protagonisten besprechen insgesamt 76 Fragen über die Natur, die sich in drei große Themenbereiche einteilen lassen: 1. Pflanzen und Tiere (QQ 1–14), 2. der Mensch (QQ 15-47), 3. Kosmologie und Klimatologie (QQ 48–76).<ref name="ftn43">Burnett, Introduction, S. xxii.</ref> Die Fragen ähneln stark den so genannten salernitanischen Fragen, die sich im 11. und 12. Jahrhundert im Umfeld der Medizinschule von Salerno entwickelten.<ref name="ftn44">Bei den sogenannten salernitanischen Fragen handelt es sich um einen Textkorpus, der sich im 11. und 12. Jahrhundert im Umfeld der berühmten Medizinschule von Salerno entwickelte. Die Texte, die wahrscheinlich von verschiedenen Lehrern verfasst wurden, erhielten v. a. um 1200 weitere Ergänzungen. Thematisch deckten sie eine breite Bandbreite an Themen ab, beschäftigten sich aber insbesondere mit medizinischen Fragen. Sie wurden als Frage-Antwort-Literatur gestaltet und eigneten sich daher besonders für didaktische Zwecke. Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 16–39, setzt sich ausführlich damit auseinander, inwiefern Adelard von möglichen Frühformen der salernitanischen Fragen beeinflusst wurde.</ref> Brian Lawn konstatiert, dass sich keinerlei Einfluss der arabisch-lateinischen Übersetzungen des Constantinus Africanus (gest. 1087) in Adelards Text feststellen lässt.<ref name="ftn45">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 21. Constantinus Africanus kam etwa 1077 von Nordafrika nach Salerno und war einer der bedeutendsten Übersetzer medizinischer Werke aus dem Arabischen. Siehe Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 21.</ref> Er schließt daraus, dass die ''Questiones naturales'' entweder auf Adelards eigenen Ansichten beruhten oder er sich auf vorkonstantinisches medizinisches und natur­wissenschaftliches Material stützte.<ref name="ftn46">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 25.</ref> Adelard baute seine Fragen systematisch auf und produzierte so eine Abhandlung, die bei den niedrigsten Kreaturen ansetzte und bis zum Himmel reichte. Hierbei thematisierte er am Ende des ersten und dritten Teils auch die Frage nach der Seele, deren Diskussion er eine besondere Bedeutung zuschrieb.<ref name="ftn47">Die Diskussion über die Seele wurde in den salernitanischen Fragen explizit vermieden. Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Seele führte in Adelard Zeit zu kontroversen Debatten: Burnett, Introduction, S. xxv–xxvi, xxii. </ref>
[§9] Bei den ''Questiones naturales'' handelt es sich um einen Dialog zwischen Adelard und seinem Neffen. Die beiden Protagonisten besprechen insgesamt 76 Fragen über die Natur, die sich in drei große Themenbereiche einteilen lassen: 1. Pflanzen und Tiere (QQ 1–14), 2. der Mensch (QQ 15-47), 3. Kosmologie und Klimatologie (QQ 48–76).<ref name="ftn43">Burnett, Introduction, S. xxii.</ref> Die Fragen ähneln stark den so genannten salernitanischen Fragen, die sich im 11. und 12. Jahrhundert im Umfeld der Medizinschule von Salerno entwickelten.<ref name="ftn44">Bei den sogenannten salernitanischen Fragen handelt es sich um einen Textkorpus, der sich im 11. und 12. Jahrhundert im Umfeld der berühmten Medizinschule von Salerno entwickelte. Die Texte, die wahrscheinlich von verschiedenen Lehrern verfasst wurden, erhielten v. a. um 1200 weitere Ergänzungen. Thematisch deckten sie eine breite Bandbreite an Themen ab, beschäftigten sich aber insbesondere mit medizinischen Fragen. Sie wurden als Frage-Antwort-Literatur gestaltet und eigneten sich daher besonders für didaktische Zwecke. Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 16–39, setzt sich ausführlich damit auseinander, inwiefern Adelard von möglichen Frühformen der salernitanischen Fragen beeinflusst wurde.</ref> Brian Lawn konstatiert, dass sich keinerlei Einfluss der arabisch-lateinischen Übersetzungen des Constantinus Africanus (gest. 1087) in Adelards Text feststellen lässt.<ref name="ftn45">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 21. Constantinus Africanus kam etwa 1077 von Nordafrika nach Salerno und war einer der bedeutendsten Übersetzer medizinischer Werke aus dem Arabischen. Siehe Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 21.</ref> Er schließt daraus, dass die ''Questiones naturales'' entweder auf Adelards eigenen Ansichten beruhten oder er sich auf vorkonstantinisches medizinisches und natur­wissenschaftliches Material stützte.<ref name="ftn46">Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 25.</ref> Adelard baute seine Fragen systematisch auf und produzierte so eine Abhandlung, die bei den niedrigsten Kreaturen ansetzte und bis zum Himmel reichte. Hierbei thematisierte er am Ende des ersten und dritten Teils auch die Frage nach der Seele, deren Diskussion er eine besondere Bedeutung zuschrieb.<ref name="ftn47">Die Diskussion über die Seele wurde in den salernitanischen Fragen explizit vermieden. Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Seele führte in Adelard Zeit zu kontroversen Debatten: Burnett, Introduction, S. xxv–xxvi, xxii. </ref>


Die hier zitierten Quellenextrakte stammen zum einen aus den einleitenden Worten der ''Questiones naturales'' (nach dem Widmungsprolog und den Kapitelüberschriften, aber der ersten ''Questio'' vorangestellt), zum anderen aus der sechsten und siebten ''Questio''. Zu Beginn des Werkes erfahren wir durch Adelard und seinen Neffen die Hintergründe und Umstände des sich danach entwickelnden Dialogs. Ausgangpunkt ist Adelards Rückkehr nach England nach seiner siebenjährigen Studienreise, die er unternahm, um sich den „Studien der Araber“ (''Arabum studia'') zu widmen. Während dieser Zeit sollte Adelards Neffe sich hingegen mit den „gallischen Studien“ (''Gallica studia'') beschäftigen.<ref name="ftn48">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 90.</ref> Mit den „gallischen Studien“ bezog sich Adelard vor allem auf die dialektische Methode, die in den auf der Île-de-France entstehenden Schulen ihre stärkste Ausprägung fand.<ref name="ftn49">Siehe weiterführend: Rexroth, ''Fröhliche Scholastik''.</ref> Im Dialog werden diese Meinungen nun gegen­über­ge­stellt: Adelard vertritt die Ansichten „der Araber“, der Neffe argumentiert im Sinne der „gallischen“ Haltungen. Der Dialog wird als eine Art Wettstreit aufgebaut, der stark von polemischen Einschüben geprägt ist. Während der Neffe Adelard vorwirft, einseitig und über Gebühr die Seite „der Araber“ zu vertreten, schmäht Adelard die „gallischen“ Studien und betont, dass die in der Diskussion von ihm vertretenen Meinungen nicht seine eigenen seien, sondern die „der Araber“.
[§10] Die hier zitierten Quellenextrakte stammen zum einen aus den einleitenden Worten der ''Questiones naturales'' (nach dem Widmungsprolog und den Kapitelüberschriften, aber der ersten ''Questio'' vorangestellt), zum anderen aus der sechsten und siebten ''Questio''. Zu Beginn des Werkes erfahren wir durch Adelard und seinen Neffen die Hintergründe und Umstände des sich danach entwickelnden Dialogs. Ausgangpunkt ist Adelards Rückkehr nach England nach seiner siebenjährigen Studienreise, die er unternahm, um sich den „Studien der Araber“ (''Arabum studia'') zu widmen. Während dieser Zeit sollte Adelards Neffe sich hingegen mit den „gallischen Studien“ (''Gallica studia'') beschäftigen.<ref name="ftn48">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 90.</ref> Mit den „gallischen Studien“ bezog sich Adelard vor allem auf die dialektische Methode, die in den auf der Île-de-France entstehenden Schulen ihre stärkste Ausprägung fand.<ref name="ftn49">Siehe weiterführend: Rexroth, ''Fröhliche Scholastik''.</ref> Im Dialog werden diese Meinungen nun gegen­über­ge­stellt: Adelard vertritt die Ansichten „der Araber“, der Neffe argumentiert im Sinne der „gallischen“ Haltungen. Der Dialog wird als eine Art Wettstreit aufgebaut, der stark von polemischen Einschüben geprägt ist. Während der Neffe Adelard vorwirft, einseitig und über Gebühr die Seite „der Araber“ zu vertreten, schmäht Adelard die „gallischen“ Studien und betont, dass die in der Diskussion von ihm vertretenen Meinungen nicht seine eigenen seien, sondern die „der Araber“.


Die Fragen der sechsten und siebten ''Questio'' drehen sich zwar vorder­gründig um die Botanik bzw. die Tierwelt, setzen sich allerdings auch mit der Rolle von Autoritäten und der Vernunft bei der Beurteilung von Thesen auseinander. Im zitierten Ausschnitt tritt Adelard für die vorherrschende Bedeutung der Vernunft (''ratio'') ein, deren Anwendung er vor allem seinen „arabischen Lehrern“ (''magistri Arabici'') zuschreibt. Seinem Neffen als Vertreter der „gallischen Studien“ wirft er hingegen blinde Autoritäts­hörigkeit vor.<ref name="ftn50">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 102–104.</ref> Der Neffe stimmt der herausgehobenen Bedeutung der Vernunft zu und erklärt, dass die Vernunft daher der entscheidende Faktor in der Bewertung der Argumente des Dialogs sein soll. Er betont aber auch, dass dies nicht nur für die eigenen Argumente gelte, sondern ebenso für die vorgebrachten, „arabischen“ Ansichten Adelards.
[§11] Die Fragen der sechsten und siebten ''Questio'' drehen sich zwar vorder­gründig um die Botanik bzw. die Tierwelt, setzen sich allerdings auch mit der Rolle von Autoritäten und der Vernunft bei der Beurteilung von Thesen auseinander. Im zitierten Ausschnitt tritt Adelard für die vorherrschende Bedeutung der Vernunft (''ratio'') ein, deren Anwendung er vor allem seinen „arabischen Lehrern“ (''magistri Arabici'') zuschreibt. Seinem Neffen als Vertreter der „gallischen Studien“ wirft er hingegen blinde Autoritäts­hörigkeit vor.<ref name="ftn50">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 102–104.</ref> Der Neffe stimmt der herausgehobenen Bedeutung der Vernunft zu und erklärt, dass die Vernunft daher der entscheidende Faktor in der Bewertung der Argumente des Dialogs sein soll. Er betont aber auch, dass dies nicht nur für die eigenen Argumente gelte, sondern ebenso für die vorgebrachten, „arabischen“ Ansichten Adelards.


== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==
In den hier zitierten Quellenpassagen geht es zunächst um die Auseinandersetzung mit dem neuen, so genannten „arabischen“ Wissen im christlich-lateinischen Europa. Im 11. und 12. Jahrhundert gelangten zahlreiche aus dem Arabischen übersetzten Texte in den europäischen Nordwesten. Bei diesen Texten handelte es sich zumeist um arabischsprachige Über­setzungen antiker griechischer Texte, die während der so genannten abbasidischen Übersetzungs­bewegung des 9. und 10. Jahrhunderts vor allem in Bagdad angefertigt und sowohl in diesem Rahmen als auch in den darauffolgenden Jahrhunderten auf Arabisch kommentiert und weiterentwickelt worden waren.<ref name="ftn51">Zur griechisch-arabischen Übersetzungsbewegung: Gutas, ''Greek Thought''.</ref> Da diese Wissenschaftskultur in arabischer Sprache aber nicht nur von Muslimen, sondern auch von Juden und Christen gepflegt wurde, spricht man in diesem Kontext nicht von muslimischer, sondern von „arabischer“ Wissenschaft. Von besonderem Interesse für die lateinischen Gelehrten waren aber auch die originären medizinischen, philosophischen, mathematischen und astronomisch-astrologischen Texte, die von Forschern unter muslimischer Herrschaft auf Arabisch verfasst worden waren. Unter anderem durch die Wiedereroberung zuvor muslimischer Teile der Iberischen Halbinsel (vor allem die Einnahme Toledos 1085) wurden diese Texte den lateinischen Gelehrten im 11. und 12. Jahrhundert zugänglich. Dabei entwickelte sich eine intensive Übersetzungstätigkeit, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts in Toledo und seiner Umgebung ihre stärkste Ausprägung zeigte.<ref name="ftn52">Weiterführend: Burnett, Translation; Gutas, What was there, S. 3–21; Hasse, The Social Conditions, S. 68–86.</ref>
[§12] In den hier zitierten Quellenpassagen geht es zunächst um die Auseinandersetzung mit dem neuen, so genannten „arabischen“ Wissen im christlich-lateinischen Europa. Im 11. und 12. Jahrhundert gelangten zahlreiche aus dem Arabischen übersetzten Texte in den europäischen Nordwesten. Bei diesen Texten handelte es sich zumeist um arabischsprachige Über­setzungen antiker griechischer Texte, die während der so genannten abbasidischen Übersetzungs­bewegung des 9. und 10. Jahrhunderts vor allem in Bagdad angefertigt und sowohl in diesem Rahmen als auch in den darauffolgenden Jahrhunderten auf Arabisch kommentiert und weiterentwickelt worden waren.<ref name="ftn51">Zur griechisch-arabischen Übersetzungsbewegung: Gutas, ''Greek Thought''.</ref> Da diese Wissenschaftskultur in arabischer Sprache aber nicht nur von Muslimen, sondern auch von Juden und Christen gepflegt wurde, spricht man in diesem Kontext nicht von muslimischer, sondern von „arabischer“ Wissenschaft. Von besonderem Interesse für die lateinischen Gelehrten waren aber auch die originären medizinischen, philosophischen, mathematischen und astronomisch-astrologischen Texte, die von Forschern unter muslimischer Herrschaft auf Arabisch verfasst worden waren. Unter anderem durch die Wiedereroberung zuvor muslimischer Teile der Iberischen Halbinsel (vor allem die Einnahme Toledos 1085) wurden diese Texte den lateinischen Gelehrten im 11. und 12. Jahrhundert zugänglich. Dabei entwickelte sich eine intensive Übersetzungstätigkeit, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts in Toledo und seiner Umgebung ihre stärkste Ausprägung zeigte.<ref name="ftn52">Weiterführend: Burnett, Translation; Gutas, What was there, S. 3–21; Hasse, The Social Conditions, S. 68–86.</ref>


Adelard von Bath kann durch seine nachweisbare Auseinandersetzung mit mathematisch-astronomischen Texten in diese Bewegung eingeordnet werden. Da er in der ersten Hälfte des 12. Jahr­hunderts tätig war, wurde er von der modernen Forschung häufig als Pionier und Wegbereiter für die Rezeption arabischen Wissens im westlichen Europa eingestuft. Haskins sah in ihm „eine der interessantesten und bedeutendsten Persönlichkeiten der mittel­alter­lichen Wissenschaft“ und den ersten, der im Rahmen der sogenannten „Renaissance des 12. Jahr­hunderts“ die arabische Wissenschaft in seine Schriften integrierte.<ref name="ftn53">Haskins, ''Studies'', S. 42. Der Begriff der „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ wurde geprägt durch Haskins, ''Renaissance''. Zur Diskussion des Begriffs siehe: Burnett, Twelfth-Century Renaissance.</ref> Adelards Werben für die „Studien der Araber“ in den ''Questiones naturales'' scheint mit dieser Einschätzung auf den ersten Blick im Einklang zu stehen. Da die Einstellungen lateinisch-christlicher Gelehrter gegenüber den arabischen Wissenschaften häufig nur durch beiläufige Kommentare in ihren Texten deutlich werden,<ref name="ftn54">Eine Zusammenstellung solcher Äußerungen bietet Martínez Gázquez, ''Attitude''.</ref> stellt Adelards direkte Auseinandersetzung und vor allem seine Gegen­überstellung der „arabischen“ und der „gallischen“ Lehren ein besonders fruchtbares Quellenbeispiel für diese Zeit dar. Noch bemerkenswerter macht diese Quelle allerdings, dass Adelard, trotz seiner wiederholten Verweise auf die „Lehren der Araber“, weder arabische Werke noch Autoren oder spezifische Inhalte nennt, die als arabisch charakterisiert werden könnten.<ref name="ftn55">Haskins, ''Studies'', S. 27; Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 21.</ref> Die Grundlage seines Textes stellt – wie im ''De eodem et diverso'' – griechisch-lateinisches Wissen dar. Wie Gibson ausführt, unterscheidet sich Adelards Diskussion mit dem Neffen außerdem im Kern weder thematisch noch methodisch von den von ihm kritisierten „gallischen Lehren“.<ref name="ftn56">Gibson, Adelard, S. 11. Zu Adelards verwendeten Quellen (v. a. Platon, Macrobius und Boethius), siehe: Gibson, Adelard, S. 10–11; Haskins, ''Studies'', S. 38. </ref> Aufgrund dieser fehlenden Bezüge zu arabischen Autoren oder Werken wurde in der Forschung ausführlich diskutiert, wen Adelard mit seinen „arabischen Lehrern“ gemeint haben könnte und inwiefern er tatsächlich von arabischen Gelehrten oder Werken beeinflusst wurde.<ref name="ftn57">Zusammenfassend zu den verschiedenen Thesen: Speer, ''Entdeckte'' ''Natur'', S. 44–52.</ref> Gibson geht davon aus, dass Adelard die Araber vordergründig als Hilfsmittel einsetzte, um gefahrlos umstrittene Ansichten vorbringen zu können, wie zum Beispiel die Diskussion um die Beschaffenheit der Seele. Dies heiße allerdings nicht zwangsläufig, dass es die arabischen Lehrer nicht gegeben habe, sondern lediglich, dass sie eine zusätzliche literarische Funktion erfüllten.<ref name="ftn58">Gibson, Adelard of Bath, S. 11, weist ebenso der Figur des Neffens eine literarische Funktion zu – er fungiere als Stellvertreter des gallischen Wissens. Thorndike, ''History'', S. 26–27, merkt an, dass es solche Zuschreibungen von eigenen Werken an griechische und arabische Autoren häufiger im Mittelalter gab und führt als Beispiele v. a. alchemistische Texte an.</ref>
[§13] Adelard von Bath kann durch seine nachweisbare Auseinandersetzung mit mathematisch-astronomischen Texten in diese Bewegung eingeordnet werden. Da er in der ersten Hälfte des 12. Jahr­hunderts tätig war, wurde er von der modernen Forschung häufig als Pionier und Wegbereiter für die Rezeption arabischen Wissens im westlichen Europa eingestuft. Haskins sah in ihm „eine der interessantesten und bedeutendsten Persönlichkeiten der mittel­alter­lichen Wissenschaft“ und den ersten, der im Rahmen der sogenannten „Renaissance des 12. Jahr­hunderts“ die arabische Wissenschaft in seine Schriften integrierte.<ref name="ftn53">Haskins, ''Studies'', S. 42. Der Begriff der „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ wurde geprägt durch Haskins, ''Renaissance''. Zur Diskussion des Begriffs siehe: Burnett, Twelfth-Century Renaissance.</ref> Adelards Werben für die „Studien der Araber“ in den ''Questiones naturales'' scheint mit dieser Einschätzung auf den ersten Blick im Einklang zu stehen. Da die Einstellungen lateinisch-christlicher Gelehrter gegenüber den arabischen Wissenschaften häufig nur durch beiläufige Kommentare in ihren Texten deutlich werden,<ref name="ftn54">Eine Zusammenstellung solcher Äußerungen bietet Martínez Gázquez, ''Attitude''.</ref> stellt Adelards direkte Auseinandersetzung und vor allem seine Gegen­überstellung der „arabischen“ und der „gallischen“ Lehren ein besonders fruchtbares Quellenbeispiel für diese Zeit dar. Noch bemerkenswerter macht diese Quelle allerdings, dass Adelard, trotz seiner wiederholten Verweise auf die „Lehren der Araber“, weder arabische Werke noch Autoren oder spezifische Inhalte nennt, die als arabisch charakterisiert werden könnten.<ref name="ftn55">Haskins, ''Studies'', S. 27; Lawn, ''Salernitan Questions'', S. 21.</ref> Die Grundlage seines Textes stellt – wie im ''De eodem et diverso'' – griechisch-lateinisches Wissen dar. Wie Gibson ausführt, unterscheidet sich Adelards Diskussion mit dem Neffen außerdem im Kern weder thematisch noch methodisch von den von ihm kritisierten „gallischen Lehren“.<ref name="ftn56">Gibson, Adelard, S. 11. Zu Adelards verwendeten Quellen (v. a. Platon, Macrobius und Boethius), siehe: Gibson, Adelard, S. 10–11; Haskins, ''Studies'', S. 38. </ref> Aufgrund dieser fehlenden Bezüge zu arabischen Autoren oder Werken wurde in der Forschung ausführlich diskutiert, wen Adelard mit seinen „arabischen Lehrern“ gemeint haben könnte und inwiefern er tatsächlich von arabischen Gelehrten oder Werken beeinflusst wurde.<ref name="ftn57">Zusammenfassend zu den verschiedenen Thesen: Speer, ''Entdeckte'' ''Natur'', S. 44–52.</ref> Gibson geht davon aus, dass Adelard die Araber vordergründig als Hilfsmittel einsetzte, um gefahrlos umstrittene Ansichten vorbringen zu können, wie zum Beispiel die Diskussion um die Beschaffenheit der Seele. Dies heiße allerdings nicht zwangsläufig, dass es die arabischen Lehrer nicht gegeben habe, sondern lediglich, dass sie eine zusätzliche literarische Funktion erfüllten.<ref name="ftn58">Gibson, Adelard of Bath, S. 11, weist ebenso der Figur des Neffens eine literarische Funktion zu – er fungiere als Stellvertreter des gallischen Wissens. Thorndike, ''History'', S. 26–27, merkt an, dass es solche Zuschreibungen von eigenen Werken an griechische und arabische Autoren häufiger im Mittelalter gab und führt als Beispiele v. a. alchemistische Texte an.</ref>


Für die These, dass Adelard die Araber hauptsächlich als Stellvertreter für seine eigenen Thesen nutzte, spricht auch eine Anmerkung im Prolog des Textes. Hier weist Adelard darauf hin, dass die gegenwärtige Generation kategorisch alles ablehne, was von den ''moderni'' angeführt werde, sodass er häufig seine eigenen Entdeckungen anderen zuschreibe, um persönlicher Kritik zu entgehen.<ref name="ftn59">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82. Zum Begriff der ''moderni'' und seinem Gebrauch, siehe: Hartmann, „Modernus“, S. 38.</ref> Er fügt zwar an, dass er in diesem Fall zuversichtlicher seine Meinung vorbringen würde, allerdings nur, um in der hier zitierten Textstelle zu betonen, dass er gerade nicht seine eigenen Ansichten vertrete, sondern die der Araber.<ref name="ftn60">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82.</ref> Im Laufe des Textes wird jedoch schnell deutlich, dass sich Adelard durchaus mit den als arabisch bezeichneten Lehren identifizierte. Zum einen wirft ihm sein Neffe die Bevorzugung der Araber und eine gleichzeitige Geringschätzung der gallischen Gelehrten vor. Zum anderen zeigt sich dies auch in Adelards polemischen und abschätzigen Bemerkungen über das einheimische Wissen.<ref name="ftn61">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 102–104.</ref> Dass die Araber als Platzhalter für Adelards eigene Meinungen dienten, ist somit nicht auszuschließen. Charles Burnett sieht es jedoch als durchaus plausibel an, dass Adelard während seiner Reisen mit Gelehrten, die Arabisch sprachen, ins Gespräch gekommen sein könnte und sich somit zumindest mündlich mit arabischem Wissen auseinandergesetzt hat, das für seine spätere Übersetzungstätigkeit tatsächlich von Bedeutung war. Bei den arabischen Lehrern muss es sich allerdings nicht zwangsläufig um arabische Muslime gehandelt haben. Adelard könnte sich ebenso auf Treffen mit christlichen Gelehrten in Frankreich oder England bezogen haben, die an der arabisch-lateinischen Übersetzungsbewegung direkt beteiligt waren.<ref name="ftn62">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 104–106; Mantas España, Was Adelard of Bath in Spain?, S. 201. Als mögliche Kontakte wurden von Burnett und Mantas España insbesondere Petrus Alfonsi, Hermann von Kärnten und Dominicus Gundissalinus genannt. Siehe Fußnote 26.</ref>
[§14] Für die These, dass Adelard die Araber hauptsächlich als Stellvertreter für seine eigenen Thesen nutzte, spricht auch eine Anmerkung im Prolog des Textes. Hier weist Adelard darauf hin, dass die gegenwärtige Generation kategorisch alles ablehne, was von den ''moderni'' angeführt werde, sodass er häufig seine eigenen Entdeckungen anderen zuschreibe, um persönlicher Kritik zu entgehen.<ref name="ftn59">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82. Zum Begriff der ''moderni'' und seinem Gebrauch, siehe: Hartmann, „Modernus“, S. 38.</ref> Er fügt zwar an, dass er in diesem Fall zuversichtlicher seine Meinung vorbringen würde, allerdings nur, um in der hier zitierten Textstelle zu betonen, dass er gerade nicht seine eigenen Ansichten vertrete, sondern die der Araber.<ref name="ftn60">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 82.</ref> Im Laufe des Textes wird jedoch schnell deutlich, dass sich Adelard durchaus mit den als arabisch bezeichneten Lehren identifizierte. Zum einen wirft ihm sein Neffe die Bevorzugung der Araber und eine gleichzeitige Geringschätzung der gallischen Gelehrten vor. Zum anderen zeigt sich dies auch in Adelards polemischen und abschätzigen Bemerkungen über das einheimische Wissen.<ref name="ftn61">Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 102–104.</ref> Dass die Araber als Platzhalter für Adelards eigene Meinungen dienten, ist somit nicht auszuschließen. Charles Burnett sieht es jedoch als durchaus plausibel an, dass Adelard während seiner Reisen mit Gelehrten, die Arabisch sprachen, ins Gespräch gekommen sein könnte und sich somit zumindest mündlich mit arabischem Wissen auseinandergesetzt hat, das für seine spätere Übersetzungstätigkeit tatsächlich von Bedeutung war. Bei den arabischen Lehrern muss es sich allerdings nicht zwangsläufig um arabische Muslime gehandelt haben. Adelard könnte sich ebenso auf Treffen mit christlichen Gelehrten in Frankreich oder England bezogen haben, die an der arabisch-lateinischen Übersetzungsbewegung direkt beteiligt waren.<ref name="ftn62">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 104–106; Mantas España, Was Adelard of Bath in Spain?, S. 201. Als mögliche Kontakte wurden von Burnett und Mantas España insbesondere Petrus Alfonsi, Hermann von Kärnten und Dominicus Gundissalinus genannt. Siehe Fußnote 26.</ref>


Durch die zweite oben angeführte Textstelle der ''Questiones naturales'' wird deutlich, dass die Lehre der Araber sich in Adelards Vorstellung weniger durch ihre Inhalte als durch ihre Methode vom gallischen Wissen unterschied. Während Adelard die arabischen Studien mit einem rein vernunftbasierten Vorgehen gleichsetzt, wettert er gegen die blinde Autoritätshörigkeit seiner lateinischen Zeitgenossen. In den gelehrten Diskussionen des Mittelalters spielte die Frage nach der Rolle der Vernunft und der Bedeutung von Buchwissen eine zentrale Rolle.<ref name="ftn63">Jolivet, Questiones naturales d’Adélard de Bath, S. 437. Generell über die Rolle der Vernunft im Mittelalter: Murray, ''Reason''.</ref> Neben Adelards Ausführungen finden sich im 12. Jahrhundert noch weitere Texte, die den Araber als Sinnbild eines rein rational denkenden Philosophen darstellten.<ref name="ftn64">Jolivet, L’Islam. Gibson, Adelard, S. 11, weist auch auf die – wie sie es nennt – „romantische“ topische Darstellung der Araber in der Folge des ersten Kreuzzugs hin.</ref> Adelards stereotype Auffassung von den ''Arabum studia ''als rationaler Gelehrsamkeit spricht für Burnett daher eher für einen Mangel an direktem Kontakt mit arabischen Lehren.<ref name="ftn65">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 107, betont in diesem Kontext außerdem, dass Adelard die arabische Rationalität fälschlicherweise mit einer platonischen Form von Rationalität gleichsetzte.</ref> Er vermutet, dass Adelard vor allem in seinen späteren Jahren in England isoliert von den neuen Strömungen aus dem christlichen Spanien, Südfrankreich und Italien arbeitete.<ref name="ftn66">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 106–107, sieht als Indizien hierfür, dass die Materialien in Adelards ''De opere astrolapsus'' nicht mehr zeitgemäß waren. Als Beispiel nennt er hier unter anderem die Tabellen von Toledo, die zunehmend die Tabellen al-Ḫwārizmīs ersetzten und bereits 1145 in Südfrankreich von Raymond von Marseilles für den Meridian von Marseilles angepasst wurden.</ref>
[§15] Durch die zweite oben angeführte Textstelle der ''Questiones naturales'' wird deutlich, dass die Lehre der Araber sich in Adelards Vorstellung weniger durch ihre Inhalte als durch ihre Methode vom gallischen Wissen unterschied. Während Adelard die arabischen Studien mit einem rein vernunftbasierten Vorgehen gleichsetzt, wettert er gegen die blinde Autoritätshörigkeit seiner lateinischen Zeitgenossen. In den gelehrten Diskussionen des Mittelalters spielte die Frage nach der Rolle der Vernunft und der Bedeutung von Buchwissen eine zentrale Rolle.<ref name="ftn63">Jolivet, Questiones naturales d’Adélard de Bath, S. 437. Generell über die Rolle der Vernunft im Mittelalter: Murray, ''Reason''.</ref> Neben Adelards Ausführungen finden sich im 12. Jahrhundert noch weitere Texte, die den Araber als Sinnbild eines rein rational denkenden Philosophen darstellten.<ref name="ftn64">Jolivet, L’Islam. Gibson, Adelard, S. 11, weist auch auf die – wie sie es nennt – „romantische“ topische Darstellung der Araber in der Folge des ersten Kreuzzugs hin.</ref> Adelards stereotype Auffassung von den ''Arabum studia ''als rationaler Gelehrsamkeit spricht für Burnett daher eher für einen Mangel an direktem Kontakt mit arabischen Lehren.<ref name="ftn65">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 107, betont in diesem Kontext außerdem, dass Adelard die arabische Rationalität fälschlicherweise mit einer platonischen Form von Rationalität gleichsetzte.</ref> Er vermutet, dass Adelard vor allem in seinen späteren Jahren in England isoliert von den neuen Strömungen aus dem christlichen Spanien, Südfrankreich und Italien arbeitete.<ref name="ftn66">Burnett, Adelard of Bath and the Arabs, S. 106–107, sieht als Indizien hierfür, dass die Materialien in Adelards ''De opere astrolapsus'' nicht mehr zeitgemäß waren. Als Beispiel nennt er hier unter anderem die Tabellen von Toledo, die zunehmend die Tabellen al-Ḫwārizmīs ersetzten und bereits 1145 in Südfrankreich von Raymond von Marseilles für den Meridian von Marseilles angepasst wurden.</ref>


Aufschlussreich in Bezug auf Adelards Bewertung der Araber ist weiterhin die von ihm verwendete Terminologie: Während der literarische Adelard durchgehend von den „Arabern“ (''Arabes'') spricht, verwendet der Neffe – bis auf eine Ausnahme – den Begriff der „Sarazenen“ (''Sarraceni'').<ref name="ftn67">Die einzige Ausnahme stellt Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 104, dar. Hier wird die abwertende Meinung des Neffen gegenüber den Arabern jedoch durch den Zusatz „deine“ (''tuorum'') deutlich.</ref> Der Neffe nutzte also eine Bezeichnung, die häufig abwertend eingesetzt wurde und religiös konnotiert war, d. h. sich auf Muslime bezog.<ref name="ftn68">Burnett, Introduction, S. xxvi, Fußnote 78, merkt an, dass für ihn nicht eindeutig ist, ob der Begriff hier abwertend gemeint ist. Zum Sarazenenbegriff und seinen Ursprüngen, siehe [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/621:_Isidor_von_Sevilla_zum_Ursprung_des_Sarazenenbegriffs 621: Isidor von Sevilla zum Ursprung des Sarazenenbegriffs].</ref> Die Frage stellt sich daher, inwiefern die religiöse Zugehörigkeit der arabischen Autoren bei ihrer Bewertung eine Rolle spielte. Es ist durchaus möglich, dass Adelard durch die Person seines Neffen auf zeitgenössische Kritiker hinweisen wollte, die das Nicht-Christsein der arabischen Gelehrten als Argument gegen das neue Wissen anführten.
[§16] Aufschlussreich in Bezug auf Adelards Bewertung der Araber ist weiterhin die von ihm verwendete Terminologie: Während der literarische Adelard durchgehend von den „Arabern“ (''Arabes'') spricht, verwendet der Neffe – bis auf eine Ausnahme – den Begriff der „Sarazenen“ (''Sarraceni'').<ref name="ftn67">Die einzige Ausnahme stellt Adelard of Bath, Questiones naturales, ed. Burnett, S. 104, dar. Hier wird die abwertende Meinung des Neffen gegenüber den Arabern jedoch durch den Zusatz „deine“ (''tuorum'') deutlich.</ref> Der Neffe nutzte also eine Bezeichnung, die häufig abwertend eingesetzt wurde und religiös konnotiert war, d. h. sich auf Muslime bezog.<ref name="ftn68">Burnett, Introduction, S. xxvi, Fußnote 78, merkt an, dass für ihn nicht eindeutig ist, ob der Begriff hier abwertend gemeint ist. Zum Sarazenenbegriff und seinen Ursprüngen, siehe [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/621:_Isidor_von_Sevilla_zum_Ursprung_des_Sarazenenbegriffs 621: Isidor von Sevilla zum Ursprung des Sarazenenbegriffs].</ref> Die Frage stellt sich daher, inwiefern die religiöse Zugehörigkeit der arabischen Autoren bei ihrer Bewertung eine Rolle spielte. Es ist durchaus möglich, dass Adelard durch die Person seines Neffen auf zeitgenössische Kritiker hinweisen wollte, die das Nicht-Christsein der arabischen Gelehrten als Argument gegen das neue Wissen anführten.


Zusammenfassend steht Adelards Darstellung der arabischen Lehren in seinen ''Questiones naturales'' emblematisch für die wachsende Bedeutung des neuen arabischen Wissens im lateinischen Europa und das große Interesse, das diesem ab dem 12. Jahrhundert entgegengebracht wurde. Adelard nimmt – zumindest zur Zeit der Abfassung der ''Questiones naturales'' – eine Art Zwischenposition zwischen Primär- und Sekundärrezipienten des arabischen Wissens ein. Während Übersetzer wie Gerhard von Cremona (gest. 1187), der unmittelbar mit arabischen Texten arbeitete, als Primärrezipient eingeordnet werden kann, handelt es sich bei Gelehrten wie Thomas von Aquin (gest. 1274), der sich lediglich auf lateinische Übersetzungen ursprünglich arabischer Werke stützte, um einen Sekundärrezipienten.<ref name="ftn69">Gerhard von Cremona übersetzte in Toledo zahlreich arabische Texte, u. a. den Almagest des Ptolemaios, ins Lateinische. Siehe Haskins, ''Studies'', S. 14–15. Zu Thomas von Aquin und seiner Nutzung arabischer Texte: Burrell, Thomas Aquinas.</ref> Adelards Schaffen lässt sich nicht eindeutig in eine dieser Kategorien einordnen. Eine Auseinandersetzung mit arabischem Wissen ist in seinen späteren Übersetzungen nachweisbar, auch wenn nicht klar ist, inwieweit es sich hierbei lediglich um Latinisierungen mündlicher Diktate gehandelt hat. In den früheren ''Questiones naturales'' können trotz Adelards wiederholter Behauptungen keine spezifisch arabischen Inhalte festgestellt werden. Das Werk wurde jedoch stark geprägt von Adelards Vorstellung der arabischen Lehren als Inbegriff der Rationalität. Adelards Schaffen insgesamt und die ''Questiones naturales ''im Speziellen zeugen somit davon, dass die Rezeption arabischen Wissens zahlreiche Facetten aufwies und die Einstellungen diesem Wissen gegenüber sowohl von realen Begegnungen oder Texten geprägt wurden als auch eine Projektionsfläche für eigene Ideen darstellten.|6=Adélard de Bath: ''L’un et le divers, questions sur la nature (les causes des choses), avec le pseudoépigraphe Comme l’atteste Ergaphalau'','' ''ed. Charles Burnett in Kollaboration mit Italo Ronca, Pedro Mantas España, übers. und komm. Max Lejbowicz, Émilia Ndiaye, Christiane Dussourt, Paris: Les Belles Lettres, 2016.
[§17] Zusammenfassend steht Adelards Darstellung der arabischen Lehren in seinen ''Questiones naturales'' emblematisch für die wachsende Bedeutung des neuen arabischen Wissens im lateinischen Europa und das große Interesse, das diesem ab dem 12. Jahrhundert entgegengebracht wurde. Adelard nimmt – zumindest zur Zeit der Abfassung der ''Questiones naturales'' – eine Art Zwischenposition zwischen Primär- und Sekundärrezipienten des arabischen Wissens ein. Während Übersetzer wie Gerhard von Cremona (gest. 1187), der unmittelbar mit arabischen Texten arbeitete, als Primärrezipient eingeordnet werden kann, handelt es sich bei Gelehrten wie Thomas von Aquin (gest. 1274), der sich lediglich auf lateinische Übersetzungen ursprünglich arabischer Werke stützte, um einen Sekundärrezipienten.<ref name="ftn69">Gerhard von Cremona übersetzte in Toledo zahlreich arabische Texte, u. a. den Almagest des Ptolemaios, ins Lateinische. Siehe Haskins, ''Studies'', S. 14–15. Zu Thomas von Aquin und seiner Nutzung arabischer Texte: Burrell, Thomas Aquinas.</ref> Adelards Schaffen lässt sich nicht eindeutig in eine dieser Kategorien einordnen. Eine Auseinandersetzung mit arabischem Wissen ist in seinen späteren Übersetzungen nachweisbar, auch wenn nicht klar ist, inwieweit es sich hierbei lediglich um Latinisierungen mündlicher Diktate gehandelt hat. In den früheren ''Questiones naturales'' können trotz Adelards wiederholter Behauptungen keine spezifisch arabischen Inhalte festgestellt werden. Das Werk wurde jedoch stark geprägt von Adelards Vorstellung der arabischen Lehren als Inbegriff der Rationalität. Adelards Schaffen insgesamt und die ''Questiones naturales ''im Speziellen zeugen somit davon, dass die Rezeption arabischen Wissens zahlreiche Facetten aufwies und die Einstellungen diesem Wissen gegenüber sowohl von realen Begegnungen oder Texten geprägt wurden als auch eine Projektionsfläche für eigene Ideen darstellten.|6=Adélard de Bath: ''L’un et le divers, questions sur la nature (les causes des choses), avec le pseudoépigraphe Comme l’atteste Ergaphalau'','' ''ed. Charles Burnett in Kollaboration mit Italo Ronca, Pedro Mantas España, übers. und komm. Max Lejbowicz, Émilia Ndiaye, Christiane Dussourt, Paris: Les Belles Lettres, 2016.


Adelard of Bath: Quaestiones naturales, in: ''Dodi Ve-nechdi (Uncle & Nephew). The Work of Berachya Hanakdan'', übers. Hermann Gollancz, London u. a.: Oxford University Press, 1920, S. 85–161.
Adelard of Bath: Quaestiones naturales, in: ''Dodi Ve-nechdi (Uncle & Nephew). The Work of Berachya Hanakdan'', übers. Hermann Gollancz, London u. a.: Oxford University Press, 1920, S. 85–161.
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