1174: Ein Kondolenzschreiben Saladins an Balduin IV. von Jerusalem: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel AR-DE TAB-5|Eric Böhme|al-Qalqašandī: ''Kitāb Ṣubḥ al-aʿšā fī ṣināʿat al-inšāʾ'', ed. Muḥammad ʿAbd al-Rasūl Ibrāhīm, 14 Bde., Kairo: Maṭbaʿa al-amīriyya, 1913–1922, Bd. 7, S. 115–116, übers. Eric Böhme.|5==== Autor/in & Werk ===
{{Kapitel AR-DE TAB-5|Eric Böhme|al-Qalqašandī: ''Kitāb Ṣubḥ al-aʿšā fī ṣināʿat al-inšāʾ'', ed. Muḥammad ʿAbd al-Rasūl Ibrāhīm, 14 Bde., Kairo: Maṭbaʿa al-amīriyya, 1913–1922, Bd. 7, S. 115–116, übers. Eric Böhme.|5===Autor/in & Werk==
[§1] Das hier behandelte Kondolenzschreiben ist als fragmentarische Abschrift im „Buch der Morgenröte des Nachtblinden hinsichtlich der Herstellung offizieller Dokumente“ (''Kitāb'' ''Ṣubḥ al-aʿšā fī ṣināʿat al-inšāʾ'')'' ''des al-Qalqašandī (756–821/1355–1418) enthalten. Einer ägyptischen Gelehrtenfamilie entstammend ließ er sich in Alexandria in Recht und Literatur ausbilden, erlangte 778/1376–1377 die Zulassung, nach šāfiʿītischem Recht juristische Gutachten zu erstellen und zu lehren und trat 791/1389 eine Arbeitsstelle in der Kanzlei (''dīwān al-inšāʾ'') des Mamlūken-Sultanats<sup> </sup>in Kairo an. Er gilt als Autor zahlreicher Werke, vorrangig aus den Bereichen Recht, literarische Bildung und Kultur (''adab''), Genealogie und Geschichte sowie dem Kanzleiwesen (''kitāba''). Mit letzterem Themenfeld befasst sich auch der 814/1412 fertiggestellte ''Ṣubḥ al-aʿšā'', der als al-Qalqašandīs wichtigstes Werk gilt. Konzipiert als siebenbändige Enzyklopädie zur Produktion administrativen und diplomatischen Schriftguts sollte es als Anleitung für einen in diesem Bereich tätigen Leserkreis dienen. Seine Ausführungen veranschaulichte der Autor mit praktischen Beispielen aus tatsächlich produzierten Schriftstücken früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte, deren thematisch relevante Abschnitte er abschriftlich in sein Werk integrierte. Da die große Mehrzahl dieser Dokumente – ebenso wie das hier behandelte – heute nicht mehr im Original erhalten sind, gehört al-Qalqašandīs Werk zu den bedeutendsten Informationsreservoirs für die islamische Diplomatie- und Verwaltungsgeschichte.<ref name="ftn2">Bosworth, al-Ḳalḳas̲h̲andī; Björkmann, ''Beiträge''.</ref>  
[§1] Das hier behandelte Kondolenzschreiben ist als fragmentarische Abschrift im „Buch der Morgenröte des Nachtblinden hinsichtlich der Herstellung offizieller Dokumente“ (''Kitāb'' ''Ṣubḥ al-aʿšā fī ṣināʿat al-inšāʾ'')'' ''des al-Qalqašandī (756–821/1355–1418) enthalten. Einer ägyptischen Gelehrtenfamilie entstammend ließ er sich in Alexandria in Recht und Literatur ausbilden, erlangte 778/1376–1377 die Zulassung, nach šāfiʿītischem Recht juristische Gutachten zu erstellen und zu lehren und trat 791/1389 eine Arbeitsstelle in der Kanzlei (''dīwān al-inšāʾ'') des Mamlūken-Sultanats<sup> </sup>in Kairo an. Er gilt als Autor zahlreicher Werke, vorrangig aus den Bereichen Recht, literarische Bildung und Kultur (''adab''), Genealogie und Geschichte sowie dem Kanzleiwesen (''kitāba''). Mit letzterem Themenfeld befasst sich auch der 814/1412 fertiggestellte ''Ṣubḥ al-aʿšā'', der als al-Qalqašandīs wichtigstes Werk gilt. Konzipiert als siebenbändige Enzyklopädie zur Produktion administrativen und diplomatischen Schriftguts sollte es als Anleitung für einen in diesem Bereich tätigen Leserkreis dienen. Seine Ausführungen veranschaulichte der Autor mit praktischen Beispielen aus tatsächlich produzierten Schriftstücken früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte, deren thematisch relevante Abschnitte er abschriftlich in sein Werk integrierte. Da die große Mehrzahl dieser Dokumente – ebenso wie das hier behandelte – heute nicht mehr im Original erhalten sind, gehört al-Qalqašandīs Werk zu den bedeutendsten Informationsreservoirs für die islamische Diplomatie- und Verwaltungsgeschichte.<ref name="ftn2">Bosworth, al-Ḳalḳas̲h̲andī; Björkmann, ''Beiträge''.</ref>  


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[§4] Trotz dieser überlieferungsbedingten Probleme hat die Forschung die Authentizität des Schreibens bisher kaum in Frage gestellt. Das kann nur wenig verwundern, denn einerseits lässt sich der für al-Qāḍī al-Fāḍil typische Schreibstil gut mit anderen Dokumenten aus seiner Feder vergleichen, andererseits können die im Brief genannten Informationen, wie noch zu zeigen sein wird, gut in den politischen Entwicklungen des Jahres 1174 verortet werden.<ref name="ftn6">Zur Frage der Authentizität insb. Möhring, Heiliger Krieg, S. 433; skeptisch ohne genauere Begründung Mayer, ''Geschichte'', S. 153, FN 75. </ref>
[§4] Trotz dieser überlieferungsbedingten Probleme hat die Forschung die Authentizität des Schreibens bisher kaum in Frage gestellt. Das kann nur wenig verwundern, denn einerseits lässt sich der für al-Qāḍī al-Fāḍil typische Schreibstil gut mit anderen Dokumenten aus seiner Feder vergleichen, andererseits können die im Brief genannten Informationen, wie noch zu zeigen sein wird, gut in den politischen Entwicklungen des Jahres 1174 verortet werden.<ref name="ftn6">Zur Frage der Authentizität insb. Möhring, Heiliger Krieg, S. 433; skeptisch ohne genauere Begründung Mayer, ''Geschichte'', S. 153, FN 75. </ref>


=== Inhalt & Quellenkontext ===
==Inhalt & Quellenkontext==
[§5] Wie al-Qalqašandī treffend formuliert, ist es das Anliegen des Schreibens, dem Adressaten „hinsichtlich [des Todes] seines Vaters zu kondolieren und ihn zur Besteigung des Herrscherthrons nach ihm zu beglückwünschen“.<ref name="ftn7">al-Qalqašandī, ''Ṣubḥ al-aʿšā'', ed. Ibrāhīm, Bd. 7, S. 115: „(…), muʿazziyan lahu fī abīhi wa-muhanniʾan lahu bi-ǧulūsihi fī l-mulk baʿdahu, (…).“</ref> Zu diesem Zweck bedient sich al-Qāḍī al-Fāḍil eines für ihn typischen Schreibstils, der geradezu kunstvoll mit Alliterationen, ambivalenten Formulierungen, Reimen sowie ungewöhnlichen Satzkonstruktionen spielt. Dieser in der Tradition der arabischen Reimprosa ''saǧʿ''<ref name="ftn8">Fahd, Heinrichs, Ben Abdesselem, Sad̲j̲ʿ.</ref> stehende Stil kann nur sinngemäß in andere Sprachen übertragen werden, wie sich an den bisweilen sehr unterschiedlichen (Teil-)übersetzungen in der Forschungsliteratur zeigt.<ref name="ftn9">Vgl. Lindsay, Mourad, ''Muslim Sources'', S. 191–193<nowiki>; </nowiki>Harvey, Saladin, S. 32–33; zudem Lyons, Jackson, ''Saladin'', S. 75; Möhring, Heiliger Krieg, S. 433–434; Möhring, ''Saladin'', S. 59; Köhler, ''Allianzen'', S. 272–273; Eddé, ''Saladin'', S. 325; Böhme, ''Außenbeziehungen'', S. 135–136.</ref>
[§5] Wie al-Qalqašandī treffend formuliert, ist es das Anliegen des Schreibens, dem Adressaten „hinsichtlich [des Todes] seines Vaters zu kondolieren und ihn zur Besteigung des Herrscherthrons nach ihm zu beglückwünschen“.<ref name="ftn7">al-Qalqašandī, ''Ṣubḥ al-aʿšā'', ed. Ibrāhīm, Bd. 7, S. 115: „(…), muʿazziyan lahu fī abīhi wa-muhanniʾan lahu bi-ǧulūsihi fī l-mulk baʿdahu, (…).“</ref> Zu diesem Zweck bedient sich al-Qāḍī al-Fāḍil eines für ihn typischen Schreibstils, der geradezu kunstvoll mit Alliterationen, ambivalenten Formulierungen, Reimen sowie ungewöhnlichen Satzkonstruktionen spielt. Dieser in der Tradition der arabischen Reimprosa ''saǧʿ''<ref name="ftn8">Fahd, Heinrichs, Ben Abdesselem, Sad̲j̲ʿ.</ref> stehende Stil kann nur sinngemäß in andere Sprachen übertragen werden, wie sich an den bisweilen sehr unterschiedlichen (Teil-)übersetzungen in der Forschungsliteratur zeigt.<ref name="ftn9">Vgl. Lindsay, Mourad, ''Muslim Sources'', S. 191–193<nowiki>; </nowiki>Harvey, Saladin, S. 32–33; zudem Lyons, Jackson, ''Saladin'', S. 75; Möhring, Heiliger Krieg, S. 433–434; Möhring, ''Saladin'', S. 59; Köhler, ''Allianzen'', S. 272–273; Eddé, ''Saladin'', S. 325; Böhme, ''Außenbeziehungen'', S. 135–136.</ref>


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[§11] Verhindert wurde diese Eskalation allerdings durch den Tod Nūr al-Dīns Mitte Mai 1174. Bereits im Juli des Jahres starb überraschend auch König Amalrich nach einer kurzen, schweren Krankheit. Beide Herrscher hinterließen minderjährige Nachfolger: unter dem elfjährigen Zankīden al-Ṣāliḥ (r. 569–577/1174–1181) begann das Reich Nūr al-Dīns zu zerfallen; die Thronfolge des dreizehnjährigen und chronisch kranken Balduin IV. von Jerusalem versuchten verschiedene fränkische Interessengruppen zum Ausbau ihres Einflusses am Hof auszunutzen. Diese Entwicklungen versetzten Saladin, der beiden Nachfolgern seine Kondolenzwünsche überbringen ließ, ab dem Sommer 1174 in eine außerordentlich günstige Lage. Diese nutzte er dazu aus, mit der Expansion seines Herrschaftsbereiches nach Syrien zu beginnen, wo er bereits im Oktober des Jahres ohne größere Widerstände in Damaskus einziehen konnte.<ref name="ftn17">Böhme, ''Außenbeziehungen'', S. 41–45, 132–134, 141–143; Hamilton, ''Leper King'', S. 31–42, 82–98; Khan, Caliphates, S. 215–217; Eddé, ''Saladin'','' ''S. 67–71; Köhler, ''Allianzen'', S. 283–292; Lyons, Jackson, ''Saladin'', S. 71–85.</ref>
[§11] Verhindert wurde diese Eskalation allerdings durch den Tod Nūr al-Dīns Mitte Mai 1174. Bereits im Juli des Jahres starb überraschend auch König Amalrich nach einer kurzen, schweren Krankheit. Beide Herrscher hinterließen minderjährige Nachfolger: unter dem elfjährigen Zankīden al-Ṣāliḥ (r. 569–577/1174–1181) begann das Reich Nūr al-Dīns zu zerfallen; die Thronfolge des dreizehnjährigen und chronisch kranken Balduin IV. von Jerusalem versuchten verschiedene fränkische Interessengruppen zum Ausbau ihres Einflusses am Hof auszunutzen. Diese Entwicklungen versetzten Saladin, der beiden Nachfolgern seine Kondolenzwünsche überbringen ließ, ab dem Sommer 1174 in eine außerordentlich günstige Lage. Diese nutzte er dazu aus, mit der Expansion seines Herrschaftsbereiches nach Syrien zu beginnen, wo er bereits im Oktober des Jahres ohne größere Widerstände in Damaskus einziehen konnte.<ref name="ftn17">Böhme, ''Außenbeziehungen'', S. 41–45, 132–134, 141–143; Hamilton, ''Leper King'', S. 31–42, 82–98; Khan, Caliphates, S. 215–217; Eddé, ''Saladin'','' ''S. 67–71; Köhler, ''Allianzen'', S. 283–292; Lyons, Jackson, ''Saladin'', S. 71–85.</ref>


=== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ===
==Kontextualisierung, Analyse & Interpretation==
[§12] Vor dem Hintergrund dieser politischen Entwicklungen soll nun das Kondolenzschreiben Saladins an Balduin IV. nochmals näher in den Blick genommen werden. Dabei soll das Schreiben zunächst in den diplomatischen Umgangsformen des 12. Jahrhunderts verortet werden. Darüber hinaus ist in einem zweiten Schritt zu erörtern, inwieweit das Dokument als Indiz für ein fränkisch-ayyūbidisches Bündnis gelten kann, dessen Existenz die Forschung bisweilen für den Zeitraum um 1171–1174 vermutet hat.
[§12] Vor dem Hintergrund dieser politischen Entwicklungen soll nun das Kondolenzschreiben Saladins an Balduin IV. nochmals näher in den Blick genommen werden. Dabei soll das Schreiben zunächst in den diplomatischen Umgangsformen des 12. Jahrhunderts verortet werden. Darüber hinaus ist in einem zweiten Schritt zu erörtern, inwieweit das Dokument als Indiz für ein fränkisch-ayyūbidisches Bündnis gelten kann, dessen Existenz die Forschung bisweilen für den Zeitraum um 1171–1174 vermutet hat.


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