1233: Der Johanniterorden in der Krone Aragón garantiert den Muslimen von Cervera ihr Siedlungsrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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[§3] Das Dokument wurde durch Hug de Fullalquer, den Meister des Johanniterordens in Aragón und Katalonien (sed. 1230–1245), ausgestellt, der nicht nur in seinem eigenen Recht, sondern im Namen seiner Ordensbrüder urkundete. Der Johanniterorden in der Krone Aragón war einer von zahlreichen Ablegern, die der einst auf die sogenannten Kreuzfahrerstaaten in der Levante beschränkte Ritterorden im Verlauf des 12. und 13. Jahrhundert in vielen Regionen Europas gegründet hatte. Der Zweig im Osten der Iberischen Halbinsel existierte bereits seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Ihre Ordensmeister unterhielten zumeist enge Beziehungen zu den Herrschern der Krone Aragón, die die Ordensbrüder nicht selten mit militärischen Aufgaben, wie der Teilnahme an Kriegszügen oder der Übernahme grenznaher Festungen, betrauten.<ref name="ftn4">Siehe dazu weiterführend Bonet Donato, ''Orden del Hospital''<nowiki>; in unserem Kontext insbesondere Guinot Rodríguez, Orden de San Juan del Hospital. Einen breiten Überblick über die Aktivitäten des Ordens auf der Iberischen Halbinsel bietet Barquero Goñi, Orden militar de San Juan.</nowiki></ref> Die Beziehung zwischen Hug de Fullalquer und dem während seiner Amtszeit herrschenden König Jakob I. (regn. 1213–1276)<ref name="ftn5">Katalan.: Jaume I., Aragones.: Chaime I., Kast.: Jaime I., Engl.: James I.</ref> kann als besonders eng bezeichnet werden, hatte der Monarch sich doch persönlich für die Wahl des Kastellans von Amposta zum Ordensmeister eingesetzt. In der Amtszeit Hugs beteiligte sich der Orden engagiert an den Eroberungszügen der Krone und wurde im Gegenzug immer wieder mit großzügigen Privilegien bedacht.<ref name="ftn6">Über die enge Beziehung zwischen beiden Akteuren berichtet auch der König selbst in seinem autobiographisch ausgerichteten ''Llibre dels feits'': [König Jakob I. von Aragón], ''Les quatre grans cròniques. I. Llibre dels feits del rei En Jaume'', ed. Ferran Soldevila unter Mitarbeit v. Jordi Bruguera und María Teresa Ferrer i Mallol, Barcelona: Institut d’Estudis Catalans, 2008, cap. 95, S. 189–190; englische Übersetzung: ''The Book of Deeds of James I of Aragon. A Translation of the Medieval Catalan Llibre dels Fets'', ed. Damian J. Smith und Helena Buffery, Farnham: Ashgate, 2003, cap. 95, S. 114–115. Vgl. weiterführend Bonet Donato, Hospitalers, insbes. 342–349; zum Ordensmeister selbst Conca und Guia, Hug de Forcalquer.</ref>  
[§3] Das Dokument wurde durch Hug de Fullalquer, den Meister des Johanniterordens in Aragón und Katalonien (sed. 1230–1245), ausgestellt, der nicht nur in seinem eigenen Recht, sondern im Namen seiner Ordensbrüder urkundete. Der Johanniterorden in der Krone Aragón war einer von zahlreichen Ablegern, die der einst auf die sogenannten Kreuzfahrerstaaten in der Levante beschränkte Ritterorden im Verlauf des 12. und 13. Jahrhundert in vielen Regionen Europas gegründet hatte. Der Zweig im Osten der Iberischen Halbinsel existierte bereits seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Ihre Ordensmeister unterhielten zumeist enge Beziehungen zu den Herrschern der Krone Aragón, die die Ordensbrüder nicht selten mit militärischen Aufgaben, wie der Teilnahme an Kriegszügen oder der Übernahme grenznaher Festungen, betrauten.<ref name="ftn4">Siehe dazu weiterführend Bonet Donato, ''Orden del Hospital''<nowiki>; in unserem Kontext insbesondere Guinot Rodríguez, Orden de San Juan del Hospital. Einen breiten Überblick über die Aktivitäten des Ordens auf der Iberischen Halbinsel bietet Barquero Goñi, Orden militar de San Juan.</nowiki></ref> Die Beziehung zwischen Hug de Fullalquer und dem während seiner Amtszeit herrschenden König Jakob I. (regn. 1213–1276)<ref name="ftn5">Katalan.: Jaume I., Aragones.: Chaime I., Kast.: Jaime I., Engl.: James I.</ref> kann als besonders eng bezeichnet werden, hatte der Monarch sich doch persönlich für die Wahl des Kastellans von Amposta zum Ordensmeister eingesetzt. In der Amtszeit Hugs beteiligte sich der Orden engagiert an den Eroberungszügen der Krone und wurde im Gegenzug immer wieder mit großzügigen Privilegien bedacht.<ref name="ftn6">Über die enge Beziehung zwischen beiden Akteuren berichtet auch der König selbst in seinem autobiographisch ausgerichteten ''Llibre dels feits'': [König Jakob I. von Aragón], ''Les quatre grans cròniques. I. Llibre dels feits del rei En Jaume'', ed. Ferran Soldevila unter Mitarbeit v. Jordi Bruguera und María Teresa Ferrer i Mallol, Barcelona: Institut d’Estudis Catalans, 2008, cap. 95, S. 189–190; englische Übersetzung: ''The Book of Deeds of James I of Aragon. A Translation of the Medieval Catalan Llibre dels Fets'', ed. Damian J. Smith und Helena Buffery, Farnham: Ashgate, 2003, cap. 95, S. 114–115. Vgl. weiterführend Bonet Donato, Hospitalers, insbes. 342–349; zum Ordensmeister selbst Conca und Guia, Hug de Forcalquer.</ref>  


[§4] Ausgestellt wurde die Carta de Poblament für die muslimische Gemeinde von Cervera (''Ǧarbayra''), dem heutigen Cervera del Maestre/Maestrat (Comarca Baix Maestrat, Provinz Castelló, Comunitat Valenciana), für die die Ausstellung des Dokuments mit der Unterstellung unter die Herrschaft des Ordens einherging.== Inhalt & Quellenkontext  ==
[§4] Ausgestellt wurde die Carta de Poblament für die muslimische Gemeinde von Cervera (''Ǧarbayra''), dem heutigen Cervera del Maestre/Maestrat (Comarca Baix Maestrat, Provinz Castelló, Comunitat Valenciana), für die die Ausstellung des Dokuments mit der Unterstellung unter die Herrschaft des Ordens einherging.


== Inhalt & Quellenkontext  ==
[§5] Die vorliegende ''Carta de Poblament'' kann schon anhand des erhaltenen lateinischen Textteils zu den ausführlichsten Exemplaren gezählt werden, die wir aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts kennen. Da eine vollständige Behandlung des Urkundentextes den Rahmen des Beitrags sprengen würde, konzentriert sich die Analyse auf die aussagekräftigsten Passagen, die im Quellentext oben wiedergegeben sind.<ref name="ftn7">Für die Fachbegriffe zur Bezeichnung einzelner Textbestandteile vgl. Vogtherr, ''Einführung'', insbes. S. 77–81.</ref>
[§5] Die vorliegende ''Carta de Poblament'' kann schon anhand des erhaltenen lateinischen Textteils zu den ausführlichsten Exemplaren gezählt werden, die wir aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts kennen. Da eine vollständige Behandlung des Urkundentextes den Rahmen des Beitrags sprengen würde, konzentriert sich die Analyse auf die aussagekräftigsten Passagen, die im Quellentext oben wiedergegeben sind.<ref name="ftn7">Für die Fachbegriffe zur Bezeichnung einzelner Textbestandteile vgl. Vogtherr, ''Einführung'', insbes. S. 77–81.</ref>


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[§8] Der Osten (Arab.: ''Šarq'')<ref name="ftn9">Der zeitgenössische arabische Begriff ''Šarq al-Andalus'' bezog sich vereinfacht ausgedrückt auf den festländischen Osten der Halbinsel mit den Siedlungszentren València (''Balansiya''), Xàtiva (''Šāṭiba'') und Múrcia (''Mursiya''), umfasste aber auch die Balearen; siehe grundlegend dazu Guichard, <u>S̲h̲</u>arḳ al-Andalus.</ref> dieser Region, wo auch Cervera lag, war das Hauptziel der Eroberungsfeldzüge Jakobs I., die der Monarch schon seit Mitte der 1220er Jahre mit wechselnder Intensität betrieb. Seine Feldzüge führten in den Jahren bis 1245 zur Unterwerfung großer Teile des ''Šarq al-Andalus'', die als Königreiche València und Mallorca der Krone Aragón einverleibt wurden.<ref name="ftn10">Ubieto Arteta, ''Orígenes'', Bd. 1, S. 27–50, 62–116, 137–166, 240–248, Bd. 2, S. 245–258; Guichard, ''Al-Andalus'', S. 531–567; und Torró, ''Naixement'', S. 25–56.</ref> Gewaltsam herbeigeführte Herrschaftswechsel mit all ihren Schrecken stellten für die Bewohner dieser Region keine unbekannte Erfahrung dar. Seit dem sukzessiven Zusammenbruch der almohadischen Oberherrschaft zu Beginn der 1220er Jahre konkurrierten verschiedene muslimische Regionalherrscher mit diplomatischen und militärischen Mitteln um die Ausweitung ihre Herrschafts- und Einflussgebiete.<ref name="ftn11">Guichard, ''Al-Andalus'', S. 158–202.</ref> Im Zuge dieser Auseinandersetzungen brachen die zur Zeit der Almohaden etablierten Organisationsstrukturen wohl weitestgehend zusammen. Zahlreiche kleinere Festungen oder Siedlungen, die einst als Zentren eines Steuerbezirks (Arab.: ''ʿamal'') zum Einzugsbereich (Arab.: ''mamlaka'') großer Siedlungszentren gehört hatten, sahen sich nun in teils rascher Folge mit den konkurrierenden Herrschaftsansprüchen der Regionalherrscher konfrontiert.<ref name="ftn12">Zu den regionalen Administrationsstrukturen zur Zeit des Almohadenkalifats siehe Epalza, L’ordenació; Epalza, Islamic Social Structures; ausführlicher Guichard, ''Al-Andalus'', S. 237–317.</ref> In dieser unsicheren Situation scheinen die muslimischen Gemeinden ihrerseits ein mehr oder weniger hohes Maß an administrativer und politischer Unabhängigkeit erlangt zu haben. Ihre religiöse und politische Führung wurde häufig von Vertretern der lokalen Eliten, etwa dem Kommandeur (Arab.: ''qāʾid'') einer Festung oder dem ''qāḍī'' als oberstem Rechtsgelehrten der Gemeinde übernommen. Vielerorts wurden politische Entscheidungen zusätzlich von einem Rat der Älteren (''šuyūḫ''), den angesehenen und einflussreichen Vertretern der Gemeinschaft, mitbestimmt. Solche Gemeindeversammlungen übernahmen in einigen Aljamas gar vollständig die Autorität.<ref name="ftn13">Zur gesellschaftlichen Stratifizierung der Aljamas siehe Burns, ''L’Islam'', Bd. 1, S. 346–361, Bd. 2, S. 43–61, 109–183; ihm in einigen Aspekten widersprechend Guichard, ''Al-Andalus'', S. 419–495, 522–529, 587–596.</ref> Im Angesicht des Anmarsches der christlichen Übermacht waren die einzelnen Gemeinden fast immer auf sich allein gestellt. In diesem Verständnis verhandelten ihre Führungsgruppen eigenverantwortlich mit den Eroberern über die Bedingungen ihrer Kapitulation und damit auch über die zukünftigen Lebensumstände aller Gemeindemitglieder unter christlicher Oberherrschaft.<ref name="ftn14">Dazu zukünftig Böhme, ''Šarq al-Andalus''.</ref>  
[§8] Der Osten (Arab.: ''Šarq'')<ref name="ftn9">Der zeitgenössische arabische Begriff ''Šarq al-Andalus'' bezog sich vereinfacht ausgedrückt auf den festländischen Osten der Halbinsel mit den Siedlungszentren València (''Balansiya''), Xàtiva (''Šāṭiba'') und Múrcia (''Mursiya''), umfasste aber auch die Balearen; siehe grundlegend dazu Guichard, <u>S̲h̲</u>arḳ al-Andalus.</ref> dieser Region, wo auch Cervera lag, war das Hauptziel der Eroberungsfeldzüge Jakobs I., die der Monarch schon seit Mitte der 1220er Jahre mit wechselnder Intensität betrieb. Seine Feldzüge führten in den Jahren bis 1245 zur Unterwerfung großer Teile des ''Šarq al-Andalus'', die als Königreiche València und Mallorca der Krone Aragón einverleibt wurden.<ref name="ftn10">Ubieto Arteta, ''Orígenes'', Bd. 1, S. 27–50, 62–116, 137–166, 240–248, Bd. 2, S. 245–258; Guichard, ''Al-Andalus'', S. 531–567; und Torró, ''Naixement'', S. 25–56.</ref> Gewaltsam herbeigeführte Herrschaftswechsel mit all ihren Schrecken stellten für die Bewohner dieser Region keine unbekannte Erfahrung dar. Seit dem sukzessiven Zusammenbruch der almohadischen Oberherrschaft zu Beginn der 1220er Jahre konkurrierten verschiedene muslimische Regionalherrscher mit diplomatischen und militärischen Mitteln um die Ausweitung ihre Herrschafts- und Einflussgebiete.<ref name="ftn11">Guichard, ''Al-Andalus'', S. 158–202.</ref> Im Zuge dieser Auseinandersetzungen brachen die zur Zeit der Almohaden etablierten Organisationsstrukturen wohl weitestgehend zusammen. Zahlreiche kleinere Festungen oder Siedlungen, die einst als Zentren eines Steuerbezirks (Arab.: ''ʿamal'') zum Einzugsbereich (Arab.: ''mamlaka'') großer Siedlungszentren gehört hatten, sahen sich nun in teils rascher Folge mit den konkurrierenden Herrschaftsansprüchen der Regionalherrscher konfrontiert.<ref name="ftn12">Zu den regionalen Administrationsstrukturen zur Zeit des Almohadenkalifats siehe Epalza, L’ordenació; Epalza, Islamic Social Structures; ausführlicher Guichard, ''Al-Andalus'', S. 237–317.</ref> In dieser unsicheren Situation scheinen die muslimischen Gemeinden ihrerseits ein mehr oder weniger hohes Maß an administrativer und politischer Unabhängigkeit erlangt zu haben. Ihre religiöse und politische Führung wurde häufig von Vertretern der lokalen Eliten, etwa dem Kommandeur (Arab.: ''qāʾid'') einer Festung oder dem ''qāḍī'' als oberstem Rechtsgelehrten der Gemeinde übernommen. Vielerorts wurden politische Entscheidungen zusätzlich von einem Rat der Älteren (''šuyūḫ''), den angesehenen und einflussreichen Vertretern der Gemeinschaft, mitbestimmt. Solche Gemeindeversammlungen übernahmen in einigen Aljamas gar vollständig die Autorität.<ref name="ftn13">Zur gesellschaftlichen Stratifizierung der Aljamas siehe Burns, ''L’Islam'', Bd. 1, S. 346–361, Bd. 2, S. 43–61, 109–183; ihm in einigen Aspekten widersprechend Guichard, ''Al-Andalus'', S. 419–495, 522–529, 587–596.</ref> Im Angesicht des Anmarsches der christlichen Übermacht waren die einzelnen Gemeinden fast immer auf sich allein gestellt. In diesem Verständnis verhandelten ihre Führungsgruppen eigenverantwortlich mit den Eroberern über die Bedingungen ihrer Kapitulation und damit auch über die zukünftigen Lebensumstände aller Gemeindemitglieder unter christlicher Oberherrschaft.<ref name="ftn14">Dazu zukünftig Böhme, ''Šarq al-Andalus''.</ref>  


[§9] Die Festung Cervera gehörte aufgrund ihrer strategisch bedeutenden Lage im Norden des ''Šarq al-Andalus'', an der Grenze zum Hoheitsgebiet Aragóns, zu den ersten Zielen der Eroberungsfeldzüge Jakobs I. Schon seit langem gehörte sie zur Interessenssphäre des Johanniterordens, dem die Herrschaftsrechte über das noch zu erobernde Gebiet bereits 1157 durch Graf Ramon Berenguer IV. von Barcelona (regn. 1131–1162) übertragen worden waren.<ref name="ftn15">Benito Monclús, Pere u. a. (Hrsg.): ''Els pergamins de l'Arxiu Comtal de Barcelona, de Ramon Berenguer II a Ramon Berenguer IV'', 4 Bde., Barcelona: Fondació Noguera, 2010, Bd. 4, Nr. 1028, S. 1660–1662.</ref> Dessen Nachfolger Alfons II. (regn. 1162–1196) hatte diese Schenkung 1171 bestätigt<ref name="ftn16">Sánchez Casabón, Ana Isabel (Hrsg.): ''Alfonso II. Rey de Aragón, Conde de Barcelona y Marqués de Provenza. Documentos (1162–1196)'', Zaragoza: Institución Fernando el Católico, 1995, Nr. 104, S. 165–167. Zu früheren aragonesischen Feldzügen in den Norden des ''Šarq'' siehe weiterführend Royo Perez, Construir.</ref> und auch Alfons’ Enkel Jakob I. rüttelte nicht an den Ansprüchen des Ordens, sondern bestätigte sie seinerseits bei mehreren Gelegenheiten.<ref name="ftn17">''Llibre dels feits'', ed. Soldevila, cap. 185, S. 267; übers. ''Book of Deeds'', ed. Smith/Buffery, cap. 185, S. 174: “(…) nostre pare e nostre avi les los havien donades que fossen d’aquells òrdens.” Just im Sommer 1233 erwirkten die Johanniter eine Generalbestätigung für alle bestehenden Privilegien: Huici Miranda, Ambrosio; Cabanes Pecourt, Maria Desamparados (Hrsg.): ''Documentos de Jaime I de Aragon'', 7 Bde., València: Anubar, 1976–2017, Bd. 1, Nr. 182, S. 313–315.'' ''Im Dezember 1235 ließen sie sich die Herrschaftsrechte über die Festung erneut bestätigen: ebd., Nr. 226, S. 372.</ref> Unmittelbar nachdem der König im Sommer 1233 das Regionalzentrum Peníscola (''Baniškula'') unterworfen hatte, sah sich die Ordensführung unter Hug de Fullalquer in einer günstigen Position, ihre Herrschaftsrechte gegenüber den Muslimen von Cervera kampflos einzufordern. Wie in der ''Narratio'' der ''Carta de Poblament'' beschrieben, forderten sie die Führung der Gemeinde zur Aufnahme von Kapitulationsverhandlungen auf, wobei sie als Argumente nicht nur den Fall Peníscolas, sondern auch ihre beurkundeten Besitzansprüche anführten. Über den genauen Verlauf und die Dauer der Verhandlungen wissen wir sonst nichts weiter, doch willigten die Muslime schließlich ein, unter den in der Carta de Poblament verschriftlichten Bedingungen kampflos zu kapitulieren.<ref name="ftn18">''Llibre dels feits'', ed. Soldevila, cap. 185, S. 267; übers. ''Book of Deeds'', ed. Smith/Buffery, cap. 185, S. 174: “E, quan oïren lo maestre del Temple e de l’Espital que nós haviem Peníscola, a pocs dies venc lo maestre del Temple a Eixivert, e el maestre d l’Espital a Cervera, per ço con nostre pare e nostre avi les los havien donades que fossen d’aquells òrdens. E sempre dixeren als sarraïns dels dits llocs que, pus nós havíem Penìscola, que els rendessen los castells damunt dits, pus carta n’havien de nostre pare e de nostre avi; e pus Peníscola era lo pus honrat llogar que fos en aquella terra e que s’era renduda, que no hi havia honta ne vergonya de rènderse. E tantost ells renderen los castells.“ Vgl. dazu erneut die Narratio im Quellentext oben.</ref> == Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==
[§9] Die Festung Cervera gehörte aufgrund ihrer strategisch bedeutenden Lage im Norden des ''Šarq al-Andalus'', an der Grenze zum Hoheitsgebiet Aragóns, zu den ersten Zielen der Eroberungsfeldzüge Jakobs I. Schon seit langem gehörte sie zur Interessenssphäre des Johanniterordens, dem die Herrschaftsrechte über das noch zu erobernde Gebiet bereits 1157 durch Graf Ramon Berenguer IV. von Barcelona (regn. 1131–1162) übertragen worden waren.<ref name="ftn15">Benito Monclús, Pere u. a. (Hrsg.): ''Els pergamins de l'Arxiu Comtal de Barcelona, de Ramon Berenguer II a Ramon Berenguer IV'', 4 Bde., Barcelona: Fondació Noguera, 2010, Bd. 4, Nr. 1028, S. 1660–1662.</ref> Dessen Nachfolger Alfons II. (regn. 1162–1196) hatte diese Schenkung 1171 bestätigt<ref name="ftn16">Sánchez Casabón, Ana Isabel (Hrsg.): ''Alfonso II. Rey de Aragón, Conde de Barcelona y Marqués de Provenza. Documentos (1162–1196)'', Zaragoza: Institución Fernando el Católico, 1995, Nr. 104, S. 165–167. Zu früheren aragonesischen Feldzügen in den Norden des ''Šarq'' siehe weiterführend Royo Perez, Construir.</ref> und auch Alfons’ Enkel Jakob I. rüttelte nicht an den Ansprüchen des Ordens, sondern bestätigte sie seinerseits bei mehreren Gelegenheiten.<ref name="ftn17">''Llibre dels feits'', ed. Soldevila, cap. 185, S. 267; übers. ''Book of Deeds'', ed. Smith/Buffery, cap. 185, S. 174: “(…) nostre pare e nostre avi les los havien donades que fossen d’aquells òrdens.” Just im Sommer 1233 erwirkten die Johanniter eine Generalbestätigung für alle bestehenden Privilegien: Huici Miranda, Ambrosio; Cabanes Pecourt, Maria Desamparados (Hrsg.): ''Documentos de Jaime I de Aragon'', 7 Bde., València: Anubar, 1976–2017, Bd. 1, Nr. 182, S. 313–315.'' ''Im Dezember 1235 ließen sie sich die Herrschaftsrechte über die Festung erneut bestätigen: ebd., Nr. 226, S. 372.</ref> Unmittelbar nachdem der König im Sommer 1233 das Regionalzentrum Peníscola (''Baniškula'') unterworfen hatte, sah sich die Ordensführung unter Hug de Fullalquer in einer günstigen Position, ihre Herrschaftsrechte gegenüber den Muslimen von Cervera kampflos einzufordern. Wie in der ''Narratio'' der ''Carta de Poblament'' beschrieben, forderten sie die Führung der Gemeinde zur Aufnahme von Kapitulationsverhandlungen auf, wobei sie als Argumente nicht nur den Fall Peníscolas, sondern auch ihre beurkundeten Besitzansprüche anführten. Über den genauen Verlauf und die Dauer der Verhandlungen wissen wir sonst nichts weiter, doch willigten die Muslime schließlich ein, unter den in der Carta de Poblament verschriftlichten Bedingungen kampflos zu kapitulieren.<ref name="ftn18">''Llibre dels feits'', ed. Soldevila, cap. 185, S. 267; übers. ''Book of Deeds'', ed. Smith/Buffery, cap. 185, S. 174: “E, quan oïren lo maestre del Temple e de l’Espital que nós haviem Peníscola, a pocs dies venc lo maestre del Temple a Eixivert, e el maestre d l’Espital a Cervera, per ço con nostre pare e nostre avi les los havien donades que fossen d’aquells òrdens. E sempre dixeren als sarraïns dels dits llocs que, pus nós havíem Penìscola, que els rendessen los castells damunt dits, pus carta n’havien de nostre pare e de nostre avi; e pus Peníscola era lo pus honrat llogar que fos en aquella terra e que s’era renduda, que no hi havia honta ne vergonya de rènderse. E tantost ells renderen los castells.“ Vgl. dazu erneut die Narratio im Quellentext oben.</ref>  


== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==
[§10] Im Folgenden werden einige, von der ''Carta de Poblament'' berührte Themenfelder besprochen. Zunächst ist die Bedeutung dieser Dokumente im Kontext von Kapitulationsverhandlungen zu evaluieren. In diesem Zusammenhang sind auch mögliche Rückschlüsse auf die an den Verhandlungen beteiligten Gemeindevertreter im konkreten Beispiel Cervera und somit auf die Führungsschicht dieser Aljama zu erörtern. Im Anschluss daran sollen einige zentrale Bestimmungen der Ansiedlungsurkunde zu Religionsfreiheit und Rechtsprechung sowie hinsichtlich der Beziehungen zu Nichtmuslimen in den Blick genommen werden. Zudem soll kurz auf die Besetzung von Gemeindeämtern durch die neuen Landesherren eingegangen werden. Im Rahmen dieser Analysen soll die spezifische Situation in Cervera durch Vergleiche mit anderen Siedlungszentren der Region kontextualisiert werden, wobei die Aljama von Xivert (''Ḥiṣn Šubrut'', heute Alcalà de Xivert, Comarca Baix Maestrat, Provinz Castelló, Comunitat Valenciana), die im November 1233 unter die Herrschaft des Templerordens geriet, aufgrund des zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs eine besonders geeignete Vergleichsfolie darstellt.<ref name="ftn19">Zum Kontext der Eroberung siehe die vorherige FN. Die zukünftigen Herrschaftsrechte über Xivert hatte der Orden 1169 durch Alfonso II. erhalten: Sánchez Casabón (Hrsg.): ''Alfonso II'', Nr. 74, S. 119–122. Jakob I. hatte sie 1224/1225 zunächst anderweitig vergeben, im Juli 1233 aber wieder bekräftigt: Huici Miranda und Cabanes Pecourt (Hrsg.), ''Documentos'', Bd. 1, Nr. 62, 72, 183, S. 132–133, 151–152, 315–316. Die Ende April 1234 ausgestellte Ansiedlungsurkunde für die muslimische Gemeinde ist ebenfalls nur als spätere Abschrift des lateinischen Textes erhalten, während wir über die Beschaffenheit eines gleichsam anzunehmenden arabischen Teils nichts wissen: Guinot Rodríguez (Hrsg.), ''Cartes de Poblament'', Nr. 10, S. 100–105. Grundlegend zu den Aktivitäten des Ordens in der Krone Aragón siehe Forey, ''Templars''.</ref>  
[§10] Im Folgenden werden einige, von der ''Carta de Poblament'' berührte Themenfelder besprochen. Zunächst ist die Bedeutung dieser Dokumente im Kontext von Kapitulationsverhandlungen zu evaluieren. In diesem Zusammenhang sind auch mögliche Rückschlüsse auf die an den Verhandlungen beteiligten Gemeindevertreter im konkreten Beispiel Cervera und somit auf die Führungsschicht dieser Aljama zu erörtern. Im Anschluss daran sollen einige zentrale Bestimmungen der Ansiedlungsurkunde zu Religionsfreiheit und Rechtsprechung sowie hinsichtlich der Beziehungen zu Nichtmuslimen in den Blick genommen werden. Zudem soll kurz auf die Besetzung von Gemeindeämtern durch die neuen Landesherren eingegangen werden. Im Rahmen dieser Analysen soll die spezifische Situation in Cervera durch Vergleiche mit anderen Siedlungszentren der Region kontextualisiert werden, wobei die Aljama von Xivert (''Ḥiṣn Šubrut'', heute Alcalà de Xivert, Comarca Baix Maestrat, Provinz Castelló, Comunitat Valenciana), die im November 1233 unter die Herrschaft des Templerordens geriet, aufgrund des zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs eine besonders geeignete Vergleichsfolie darstellt.<ref name="ftn19">Zum Kontext der Eroberung siehe die vorherige FN. Die zukünftigen Herrschaftsrechte über Xivert hatte der Orden 1169 durch Alfonso II. erhalten: Sánchez Casabón (Hrsg.): ''Alfonso II'', Nr. 74, S. 119–122. Jakob I. hatte sie 1224/1225 zunächst anderweitig vergeben, im Juli 1233 aber wieder bekräftigt: Huici Miranda und Cabanes Pecourt (Hrsg.), ''Documentos'', Bd. 1, Nr. 62, 72, 183, S. 132–133, 151–152, 315–316. Die Ende April 1234 ausgestellte Ansiedlungsurkunde für die muslimische Gemeinde ist ebenfalls nur als spätere Abschrift des lateinischen Textes erhalten, während wir über die Beschaffenheit eines gleichsam anzunehmenden arabischen Teils nichts wissen: Guinot Rodríguez (Hrsg.), ''Cartes de Poblament'', Nr. 10, S. 100–105. Grundlegend zu den Aktivitäten des Ordens in der Krone Aragón siehe Forey, ''Templars''.</ref>  


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